49 - It's Definitely You
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Kapitel 49
»It's Definitely You«
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Maya
Julia war schon eine ganze Weile weg, als mich das plötzliche Klingeln an der Tür von den Songtext-Seiten aufschrecken ließ, die ich gerade durchging. Ich hatte mich in einer Decke eingewickelt auf der Couch eingemurmelt und absolut nicht damit gerechnet, dieses Geräusch so spät noch zu hören. Julia konnte es nicht sein, da sie den Schlüssel mitgenommen hatte. Aber wer denn dann sonst?
Die Antwort offenbarte sich mir, als ich, immer noch mit der Decke um mich gewickelt, zur Tür gelaufen war und den Öffner betätigt hatte. Durch die Glasscheiben sah ich Yoongi durch den kleinen Garten hasten, ehe er zu mir herein auf den Flur kam. Er war von oben bis unten in warme Klamotten eingepackt und unter seinem Arm klemmte etwas, was mir fast den Mund aufklappen ließ.
»Hey«, begrüßte er mich mit einem kleinen Lächeln. »Ich hoffe, ich stör dich nicht.«
Sein Blick wanderte etwas belustigt an mir herunter, woraufhin ich etwas peinlich berührt die Decke enger um mich festzog. Hoffentlich dachte er nicht, ich wäre darunter nackt oder sowas.
»Nein, alles gut...«, erwiderte ich schüchtern. »Ich bin gerade nur nochmal deine Texte durchgegangen...«
Yoongi schielte zum Wohnbereich, in dem über und über die Blätter mit den Tour-Songs zerstreut lagen. Sofort kam wieder das Gefühl in mir auf, dass er es nicht wirklich guthieß...doch er sagte nichts weiter dazu. Stattdessen wandte er sich wieder mir zu und alleine an seinem Blick konnte ich schon vage erahnen, was er mich gleich fragen wollte.
»Heute Nacht ist nicht ganz so kalt«, begann er und nahm dabei das rote Elements-Skateboard in beide Hände. »Wenn du willst, kann ich dir einen Ort zeigen, an dem wir ein bisschen fahren können.«
Alleine die von ihm gewählte Uhrzeit und die Art, wie er es sagte, machten es überflüssig, zu fragen, ob BigHit das erlaubte. Natürlich taten sie das nicht. Mal abgesehen davon, dass wir beide auf Fremde wie ein nächtlich herumstreifendes Pärchen wirken konnten, war Skaten auch nicht gerade eine ungefährliche Sache. Das letzte, was die Agentur jetzt gebrauchen könnte, wäre ein Yoongi mit einem gebrochenen Arm oder Bein. Und wenn ich »Yoongi« sagte, dann meinte ich damit natürlich leider mich selbst.
Ich konnte nicht leugnen, dass große Ängste und Zweifel an mir nagten, auf dieses Angebot des Rappers einzugehen. Es blieben immerhin nur noch etwas mehr als drei Wochen bis zu den Hongkong-Konzerten und ich konnte gerade mal die Hälfte von den Lyrics und Choreos auswendig. Doch schnell war mir bewusst, dass hier gerade eindeutig ein Gefühl in mir Überhand hatte: Mein Wunsch, Zeit mit Yoongi zu verbringen. Und ganz besonders Zeit, die er auch mit mir verbringen wollte.
»Gib mir fünf Minuten, um mich umzuziehen«, sagte ich ihm schließlich, worauf sich ein noch sichtbareres Lächeln bei ihm breitmachte. Kurz darauf war ich in meinem Zimmer verschwunden, hatte die Decke auf das Bett gepfeffert und mich in einen Zwiebellook geschmissen. Dazu durfte natürlich ein Schal, in dem ich das meiste meines Gesichts verstecken konnte, nicht fehlen, sowie eine Beanie und Handschuhe. Immerhin kratzten die Temperaturen in Seoul immer noch an der Null-Grad-Marke.
An der Tür sah ich mich dann einem Problem gegenüber. Vor mir reihten sich alle Schuhe auf, die Yoongi mir gegeben hatte und es waren verdammt viele. Aber welche davon waren geeignet für das, was wir vorhatten?
Der Rapper schien schnell zu merken, dass mich die Auswahl eines geeigneten Paares sehr beschäftigte, weswegen er einfach nach zwei Boots griff und sie mir hinschob. Ich war froh, dass ich meine heißgewordenen Wangen im Schal verstecken konnte, als ich in diese schlüpfte.
Keine paar Minuten später ließ ich die Tür hinter uns ins Schloss fallen und folgte Yoongi durchs Treppenhaus bis ganz nach unten. Erst, als wir schon auf den Wegen über das Gelände hasteten, drückte er mir etwas in die Hand, was sich als Gesichtsmaske herausstellte.
»Heute haben wir ein Glück die Ausrede, dass die Luft verdammt schlecht ist«, brummte er und zog sich dabei selbst eine übers Gesicht. »Da schaut einen keiner blöd an, wenn man mit Mundschutz rumläuft.«
»Und was ist mit den Überwachungskameras, vor denen Sejin uns gewarnt hat?«, fragte ich ihn ein wenig nervös, woraufhin er schnaubte.
»Das hat der doch nur gesagt, um euch Angst zu machen. Es sind keine Mitarbeiter von BigHit, die vor diesen Bildschirmen sitzen und das Gelände überwachen. Das Entertainment kann sich im Nachhinein Zugriff verschaffen...aber das tut es ja nur, wenn es davon mitbekommt, dass wir weggegangen sind. Und das tut es wiederum nur, wenn wir unvorsichtig sind.«
Yoongis Worte beruhigten mich nur bedingt, genauso wie die Masken. Trotz der neuen Deckung, die mir das Stoffteil über meinem Gesicht gab, kam ich nicht drum herum, mich immer wieder verstohlen auf dem Gelände umzusehen. Erst, als wir bestimmt fünf Häuserblocks von Hannam The Hill passiert hatten, fühlte ich mich ein wenig sicherer. Bis Yoongi mich schließlich auf einen Pfad den Hügel hinaufführte, der alles andere als beleuchtet war.
»W-warte, wohin führt der?«, fragte ich ihn ein wenig beklommen und schielte dabei in die Dunkelheit.
»In den Maebong Park auf dem Maebongsan«, erwiderte Yoongi gelassen, während er die Taschenlampe seines Handys anschaltete. »Keine Angst, da gibt's nichts Gefährliches. Wir sind immer noch im reichsten Viertel von Seoul, schon vergessen?«
Diese Aussage beruhigte mich tatsächlich genug, um mich wieder in Bewegung zu setzen. Allerdings bekam ich schon bald zu spüren, dass ich mich hier auf ein sehr anstrengendes Unterfangen eingelassen hatte. Der Berg war steil und schien kein Ende zu nehmen. Den eigentlichen Park erreichten wir erst nach guten zehn Minuten Fußweg, doch immerhin konnten wir ab hier dank der an den Wegen stehenden Laternen die Taschenlampen ausschalten. Von da an folgten wir rostroten Schotterwegen entlang der schön angelegten und von vielen Bäumen gesäumten Parkanlage.
Nachdem wir zwei kleine Pavillons passiert hatten, führte uns der Pfad auf eine gewundene, mitten durch den Wald führende, breite Treppe. In diesem Moment war ich wirklich froh, dass Yoongi weiterhin die Bürde auf sich nahm, das Skateboard zu tragen. Und das, obwohl er in meinem weitaus unsportlicheren Körper gefangen war.
Es kam mir wie Stunden vor, die wir brauchten, um uns zu unserem Ziel vorzukämpfen. Der Weg leitete uns ab und zu über kleine Aussichtsterrassen, die einen gigantischen Ausblick über das Lichtermeer der Stadt boten. Keine davon war jedoch vergleichbar mit der, zu der mich Yoongi führte. Und nach einigen Sportgeräten und Sitzbänken kamen wir dann auch gut schnaufend endlich ganz oben an. Vor uns baute sich ein riesiger prunkvoller Pagoden-Pavillon auf Stelzen auf, der gut ausgeleuchtet war. Vereinzelt konnte man Leute auf und um ihn herum sehen, die offensichtlich die nächtliche Aussicht genießen wollten, doch keiner von ihnen schenkte uns irgendwelche Beachtung. Trotzdem spürte ich sofort, wie sich ein mulmiges Gefühl in mir breit machte und es widerstrebte mir, die Treppen hinauf auf die Plattform zu erklimmen.
»Schau mal«, sagte Yoongi und überraschte mich damit, dass er plötzlich Norwegisch sprach. »Hier unten kann man ein bisschen mit dem Ding rumfahren...und bevor es einen auf den Boden legt, kann man sich an einer der Säulen festhalten.«
Ich musste mir in diesem Moment wirklich ein heftiges Lachen verkneifen. Die Fläche unter dem Pavillon war zwar tatsächlich gepflastert und geeignet, um darauf zu skaten, aber sie wirkte doch relativ klein auf mich. Wobei das vielleicht sogar besser für uns war. Immerhin konnte Yoongi nicht skaten.
»Ist das...okay?«, hakte der Rapper, immer noch auf Norwegisch, nach, als ich keine Reaktion von mir gab.
»Das...das ist gut«, antwortete ich schnell, ebenfalls in meiner Muttersprache. Inzwischen hatte ich geschnallt, dass es die beste Möglichkeit war, unauffällig zu bleiben. Keiner würde, wenn er uns zuhörte, noch vermuten, dass es sich bei einem von uns um ein berühmtes Idol handelte.
Ich sah, wie Yoongi, der sich meine blonden Haare komplett unter seiner Kapuze gestopft hatte, unter seiner Maske lächelte. Dann ging er voraus unter den Pavillon und platzierte dort das Skateboard auf dem Boden.
»Dann zeig mir mal, was du draufhast«, forderte er mich auf, schob die Hände in die Taschen und trat einen Schritt zurück.
Ich musste zugeben, dass ich schon seit Jahren nicht mehr so nervös gewesen war, auf ein Skateboard zu steigen. Nicht nur, weil ich es vor meinem BTS-Bias tat, sondern auch, weil es sich bei dem Brett selbst um ein hochheiliges Relikt aus der School-Ära handelte. Trotzdem nahm ich all meinen Mut zusammen, stellte mich mit einem Fuß auf das Board und stieß mich mit dem anderen beherzt ab. Kurz darauf rollte alleine mit den kontrollierten Bewegungen aus der Hüfte über die glatten Steinfließen unter dem Pavillon und zog meine Kreise um Yoongi. Dieser folgte mir lediglich mit seinem Blick und drehte sich dabei nie mit dem Körper mit.
»Und wo sind jetzt die Backflips und krassen Sprungeinlagen?«, fragte er mich nach einer Weile mit einem spöttischen Unterton.
Ich stoppte abrupt mit dem Board. »Ich sagte dir doch, dass ich nicht –«
»Ganz ruhig«, unterbrach er mich und zog sich die Maske übers Kinn, damit ich ihn lachen sehen konnte. »Ich wollte dich nur ärgern.«
Ich spürte, wie mir wieder die Hitze in die Wangen stieg, doch irgendwas an dieser ganzen Situation ließ mich in diesem Moment irgendwie mutiger werden. Vielleicht war es der Nervenkitzel, hier in der Öffentlichkeit zu sein. Vielleicht auch die Tatsache, dass sich alles für diese kleine Zeitspanne wirklich...normal anfühlte. Als wäre ich hier tatsächlich nur im Urlaub und würde mit einem Freund abhängen. Einem Freund... Ob ich ihn wohl so nennen konnte, nach all dem, was wir schon zusammen im letzten Monat durchgemacht hatten? Einen Freund?
»Wie wär's, du probierst es mal«, entfuhr es mir mit einer geradezu herausfordernden Stimme, die mich fast selbst überrascht aufblinzeln ließ.
Yoongi zog eine Augenbraue hoch und beäugte misstrauisch das Board. »Weißt du...Ich finde es eigentlich ziemlich witzig, meinem Körper dabei zuzuschauen, wie er da so cool rumslidet. Da könnte man fast meinen, ich wäre tatsächlich so ein cooler Kerl.«
»Wer sagt, dass du das nicht bist?«, fragte ich süffisant und begann wieder damit, Kreise um ihn zu fahren. Dieses Mal wesentlich kleinere.
»Naah«, erwiderte er abwehrend und verzog dabei das Gesicht. »Ich glaube, du hältst mich für cooler, als ich es wirklich bin.«
»Glaubst du das wirklich?«
»Ich glaube auf jeden Fall, dass du mich auf ein ganz schön hohes Podest stellst. Und das solltest du wirklich nicht tun, wenn du mich fragst.«
Ich hielt wieder abrupt inne, doch brachte es dieses Mal fertig, dabei tatsächlich fast hinzufallen. Yoongis Worte hatten wie ein Schubs von dem Board auf mich gewirkt. Und als ich seinem Blick begegnete, wurde mir sofort klar, dass es etwas gewesen war, das er schon sehr lange loswerden hatte wollen.
»Ich bin nicht perfekt«, fuhr Yoongi ganz unbekümmert fort und stellte sich wie zur Bestätigung ganz ungeniert auf das zwischen uns beiden liegende Board. »Schauuuwoooooah.«
Keine Sekunde hatte er beide Füße auf dem Brett gehabt, da war es ihm auch schon davongerollt. Als Resultat klammerte er sich nun mit beiden Händen an meinen Schultern fest und schmückte mein Gesicht mit weit aufgerissenen Augen. Und da es immer noch Yoongi war, der sich hier vor mir befand und mir einen halben Herzinfarkt bescherte, wusste ich auch, dass er hier nichts spielte. Dennoch hatte ich immer noch nicht meine Stimme wiedergefunden und konnte ihn nur ebenso eingefroren anstarren, wie er es auch gerade bei mir tat. Nur ganz langsam kehrte – zusammen mit dem wiedergefundenen Gleichgewicht – durch die von mir gegebene Stütze auch die Ruhe in sein Gesicht zurück.
»Ich weiß, das ist alles, was die Medien dir erzählen«, setzte er erneut an und fesselte mich dabei mit seinem Blick. »Versteh mich nicht falsch, ich nehm dir das wirklich nicht übel. Aber ich will trotzdem, dass du weißt, dass ich auch nur irgendein Typ bin, der manches ganz gut auf die Reihe bekommt und manches eben nicht.«
Ich schluckte, während ich in die blauen Untiefen meiner eigenen Augen starrte. »Aber...das ist es doch gerade, was ich so sehr an dir mag.«
Warte...was?! Hatte ich das gerade wirklich zu ihm gesagt??? Nein, nein, NEIN!
Yoongi blinzelte ein wenig verwirrt auf. Offensichtlich schien ich ihn wirklich mit dieser Aussage überrascht zu haben, was mich nur noch mehr vor Scham im Boden versinken ließ. Das hier war so peinlich...so verdammt peinlich.
»Das musst du mir jetzt genauer erklären, Maya.«
Ach fick dich doch, Min Yoongi!
»Ich...äh...nun ja...«, begann ich zu stottern, während ich gleichzeitig seiner gestikulierten Anweisung folgte, ihn ein wenig auf dem Board herumzuschieben. »Weißt du...das ist echt schwer in Worte zu packen...«
»Du wirst doch wohl sagen können, warum ich dein Bias bin, oder?«
KONNTE DAS HIER BITTE NOCH PEINLICHER WERDEN? Wann hatte ich überhaupt JEMALS vor ihm verlauten lassen, dass er mein Bias war?? Zeigte sich das so offensichtlich? Und wo zur Hölle fand ich hier den Knopf, mit dem ich mich auf der Stelle in Luft auflösen konnte?!
»Naja...Ich...ich denke, das ist einfach eine Sache, mit wem man sich am meisten verbunden fühlt...oder?«
Yoongi schmunzelte. »Ich dachte, das ist eine Sache, wen man aus einer Band am heißesten findet.«
Ich schüttelte hastig den Kopf, nur um dann erneut wieder knallrot anzulaufen. Wie gut, dass ich immer noch diese verdammte Maske trug und es relativ dunkel unter diesem Pavillon war.
»Nein...also ja, im Prinzip...aber...argh...lass mich das anders erklären.«
»Nur zu, ich bin ganz Ohr.«
Ich versuchte ab diesem Punkt auszublenden, dass sich Yoongis Hände immer noch auf meinen Schultern befanden und er dank der erhöhten Position auf dem Skateboard auf Augenlinie mit mir war. Ich versuchte auch zu verdrängen, welchen seltsamen Touch diese ganze Situation hatte. Ich wusste nämlich, dass sehr viel abhing von den Worten, die ich nun sagen wollte. Worte, die mir oft abends vor dem Schlafengehen durch den Kopf gegeistert waren, von denen ich mir aber nie erträumt hatte, sie jemals in so einem Moment mal höchstpersönlich an ihn richten zu können.
»Um ehrlich zu sein, bist du mir anfangs gar nicht wirklich aufgefallen, als ich gerade auf BTS gestoßen bin«, begann ich kleinlaut zu erzählen. »Es war mehr so eine...Intuition, wegen der ich dann irgendwann angefangen habe, nur noch auf dich zu achten. Und es waren, mal abgesehen von deinem Rap und deinem Talent fürs Schreiben, diese ganzen kleinen Dinge...wie dieser seltsame Armwellentanz, den du manchmal machst...oder wenn du plötzlich mit dieser ganz bestimmten Stimme gelacht hast. Wenn du von oben bis unten eingepackt bei 30 Grad im Schatten draußen rumgelaufen bist. Wenn du irgendwelche Nice-To-Know-Facts erzählt hast, nach denen keiner gefragt hat. Ich habe mich immer mit dir geärgert, wenn du zum hundertsten Mal bei RUN-BTS nicht gewonnen hast...und ich hätte dir manchmal am liebsten ein Kissen quer durch den Bildschirm ins Gesicht geworfen, wenn du dieses dämliche Aegyo machen musstest, obwohl du es eigentlich gar nicht wolltest. Du wurdest mein Bias, weil du immer direkt und ehrlich bist und das zwei Dinge sind, mit denen ich selbst meine Schwierigkeiten habe, weil ich so unsicher bin. Vielleicht wurdest du es gerade deshalb, weil ich genau weiß, dass ich so viel von dir lernen kann. Weil deine ganze Ausstrahlung mich runterholen kann, wenn ich einen stressigen Tag hatte. Weil ich mich mit Agust D über die Kopfhörer fühlen kann wie die coolste Person auf der Welt, wenn ich durch die Stadt laufe. Was ich damit aber eigentlich sagen will, ist...es war das alles und noch so viel mehr, weswegen du und kein anderer mein Bias wurde. Weswegen ich sagen kann, dass du für mich der attraktivste von allen bist. Weil hinter sowas wie Attraktivität mehr steckt, als nur eine schöne Fassade. Kannst du mich jetzt bitte loslassen, dass ich mich vor Peinlichkeit den Berg runterstürzen kann?«
Ich fühlte mich nun, als hätten sich alle meine Knochen in Gummi verwandelt und schaffte es kaum noch, dem wirklich nicht schweren Gewicht von Yoongis Händen standzuhalten. Ihn direkt anzusehen, traute ich mich nicht. Dennoch nahm ich wahr, wie er ganz langsam von dem Board kletterte und zu meiner großen Erleichterung die Berührung zwischen uns löste...wenn auch ein klein wenig Enttäuschung dabei mitschwang. Diese wurde jedoch sehr bald von Angst ersetzt. Angst vor seiner Reaktion auf diese halbe Liebeserklärung, die ich ihm gerade gemacht hatte.
Zunächst einmal ließ Yoongi mich jedoch nicht wissen, was er zu meinen Worten dachte. Stattdessen hob er das Skateboard vom Boden auf und klemmte es sich wieder unter den Arm. Vorsichtig hob ich den Kopf, um seinen Gesichtsausdruck zu sehen, doch es war schon zu spät. Er hatte sich abgewandt und ging in die entgegengesetzte Richtung davon. Für meine Panikattacke war jedoch keine Zeit, denn gleich darauf musste ich feststellen, dass er mich an Ärmel gegriffen hatte und mit sich zog. Direkt auf die Treppe des Pavillons zu.
Mein Herz raste, als wir die Stufen nach oben auf die Plattform erklommen. Nur zwei Pärchen – davon eines bestimmt schon in ihren Mittsechzigern – genossen dort den Ausblick über die Stadt und den Hangang. Für einen kurzen Augenblick vergaß ich alles, als ich Seoul dort unter mir wie eine glitzernde Spielzeugstadt liegen sah. Dann jedoch erinnerte ich mich an das, was ich gerade zu Yoongi gesagt hatte.
Der Rapper zog mich direkt an die Brüstung, sozusagen zum besten Aussichtspunkt und weit genug weg von den anderen anwesenden Leuten. Man konnte sich auf einen Holzbalken setzen, der sich entlang der kompletten Holzinnenwand zog, was wir letztendlich auch taten...und dann wartete ich gespannt auf das, was Yoongi auf meine Rede antworten würde.
»Um ehrlich zu sein...weiß ich gar nicht wirklich, was ich dazu sagen soll", murmelte er nach einer Weile leise und ließ dabei seinen Blick nicht von der Skyline wandern. „Außer vielleicht einem Danke...schätze ich...«
»Du musst dazu echt nichts sagen«, gab ich niedergeschlagen zurück. »Ich hätte nicht so ausschweifen dürfen...Das muss super cringy für dich gewesen sein...«
»Nein, war es eigentlich gar nicht.«
Und plötzlich spürte ich seinen Blick wieder auf mir. Ganz langsam drehte ich den Kopf, um diesem zu begegnen...und bekam gleich darauf eine Gänsehaut, als ich realisierte, wie ernst er diese Worte meinte. Yoongi sagte es mit den Augen. Auch, wenn es gerade nicht seine eigenen waren. Er sagte mir alles, was er nicht schaffte, auszusprechen. Und es genügt vollkommen, um mich zu beruhigen.
»Ich denke, du hast dir jetzt mehr als verdient, mir diese eine persönliche Frage zu stellen«, schmunzelte er auf einmal vor sich hin und boxte mir spielerisch in die Seite. »Oder hast du sie inzwischen wieder vergessen?«
Viel verwunderlicher war doch eher, dass er es nicht vergessen hatte, oder?
»Nun...«, begann ich unsicher und rückte den Mundschutz über der Nase zurecht. »Ich wollte dich fragen...naja...warum du nicht willst...dass ich dir wegen deiner Freundin helfe...«
Der Gedanke an Chija versetzte der frischen Nachtluft um uns herum plötzlich einen bitteren Nachgeschmack. Ja, da war immer noch Yoongis Freundin. Und wenn das hier alles vorbei wäre, würde er höchstwahrscheinlich zu ihr zurückkehren und alles ins Reine bringen. Und warum? Weil er sie liebte. In seinem Leben war dann kein Platz mehr für seltsame Mädchen wie mich, die ihm seltsame indirekte Gefühlsgeständnisse machten und die für ihn für immer nur den einen Status haben würden: ARMY. Nicht mehr und nicht weniger.
Der Rapper musterte mich eindringlich von der Seite. »Hast du mich das...nicht schon einmal gefragt? Ich möchte dich nicht in die Sache mit reinziehen...Ich will das –«
»Ja, ich weiß...du willst das alleine regeln«, fiel ich ihm etwas peinlich berührt ins Wort und senkte betreten den Kopf. »Das hast du mir wirklich schon gesagt...Ich habe mich nur gefragt...ob du keine Angst hast, dass es...irgendwann zu spät sein könnte...«
»Wenn es das ist, dann ist es eben so. Sie hat es nicht verdient, angelogen zu werden. Und wenn sie mir nicht glaubt...dann soll es vielleicht einfach nicht so sein.«
»Liebst du sie denn?«
Kaum hatte das letzte Wort meine Lippen verlassen, hätte ich mir am liebsten die Hand auf den Mund geschlagen. Das ging nun wirklich eine Spur zu weit. Wie hatte mir diese Frage nur einfach so herausrutschen können?!
Yoongi drehte mir den Kopf zu. Er hatte wahrscheinlich keinen blassen Schimmer davon, wie heftig mir das Herz gerade in der Brust schlug und wie sehr ich mich vor seiner Antwort fürchtete. Sein Blick klebte auf so eine seltsame Weise und so undurchschaubar an mir, dass es für mich von Sekunde zu Sekunde nur schlimmer wurde.
»In einem Leben...ohne dieses ganze Chaos, in dem wir uns gerade befinden...da tu ich das, ja.«
Ich nickte langsam und drehte das Gesicht wieder Seoul zu. Da hast du's, Maya, flüsterte eine hämische Stimme in meinem Kopf. Da hast du den endgültigen Beweis, dass du niemals mehr für ihn sein würdest, wäre die ganze Scheiße zu Ende.
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