Kapitel 2

,, Es kommt nie und nimmer darauf an was wir vom Leben zu erwarten haben, vielmehr lediglich was das Leben von uns erwartet" - Viktor Frankl 

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Genau in der Sekunde als die Zeiger der Uhr das Ende der Minute verkündeten, trat die Haupt- Veerum mit ihren Helfern in den Raum.

Auch sie hatte, ähnlich wie die Veerum vor meiner Mutter und mir, ein sehr strenges Auftreten. Der rot geschminkte Mund zusammengekniffen, ihre weiße Bluse,  über der dunkelblauen, gestreiften Anzugshose, ohne Falten. Die Haare waren zu einem strengen, nach hinten gekämmten Dutt konstruiert.

Die Veerum hatte zwar ein eher unauffälliges Auftreten, doch trotzdem hatte ich sofort Respekt und Achtung vor ihr. 

Dies konnte natürlich einfach an ihren autoritären und akkuraten Erscheinungsbild liegen, aber auch daran, dass in ihrer Hand das Schicksal meiner Mutter und damit auch von mir lag.

Wenn sie wollte konnte sie 

Dieser Macht war sich die Veerum auch bewusst, als sie sich langsam auf den Stuhl vor uns setzte und ihre Blätter mit einem Rascheln in ihrer Hand auf dem Tisch ordnete.

Als sie zu uns hochschaute und uns mit ihren dunklen Augen musterte, lag nicht unbedingt ein überheblicher Ausdruck in ihren Augen, sondern eher eine  elitäre und glatte Visage.

Mit ihr war ganz sicher nicht gut Kirschen essen, keine Chance auf einen Deal.

Und keine Chance auf ein Entkommen.

Sie lächelte uns an. Ungefähr so wie wenn eine Schlange ihre Beute entdeckte. Sie war die Schlange und wir das nächste Opfer. 

Ein wirkliches freundliches Lächeln, damit konnte sie ganz bestimmt viele Begleiter oder Begleiterinnen bezirzen 

,,Samantha Audley, Ash Audley, schön sie beide kennenzulernen"

Das Aussehen der Veerum täuschte meilenweit über ihre freundliche und vertrauensvolle Stimme hinweg.

Hörte man nur jene süße Stimme, welche diese freundlichen Wörter aussprach, könnte man sich nicht vorstellen, dass man sich gerade in einer seiner misslichsten Lage des Lebens befand.

Vielmehr wie bei einer förmlichen Verabredung.

Die Veerum breitete die Blätter auf dem länglichen, weißen Tisch aus, sodass auch wir sie betrachten konnten.

Bei den Blättern handelt es sich um sorgsam geführten Protokolle  über das Leben der letzten zwei Monaten meiner Mutter.

Angefangen mit der Verfärbung ihres Steines in die zweite Stufe bis zu gestern. Ich konnte meinen Name selbst auch mehrmals in den Protokollen lesen.

Das Leben meiner Mutter feinsäuberlich aufgelistet auf einen einfachen Zetteln, als wäre es nur ein unbedeutendes und wertloses Stück Papier, welches man einfach so auf einen Tisch ausbreiten kann.

,,Samantha, du hattest es nicht leicht in den letzten Jahren, insbesondere in den letzten Monaten." stellte die Veerum mit dem zusammen gekniffenen Mund fest.

Als ob sie das nicht wüsste, warum lässt sie meine Mutter und mich so leiden? Sie sollte einfach zu den Tatsachen kommen.

Mein Inneres begann zu kochen wie ein Vulkan, der jeden Moment auszubrechen droht. Ich merkte wie ich die Hand meiner Mutter immer fester drückte. 

Vorsichtig löste ich meine schwitzigen Fingern von der Hand meiner Mutter, ich durfte sie nicht mit meiner unauslöschlichen Wut ansteckten. 

Sonst waren wir beide verloren.

Doch meine sonst so kraftlosen und abgekämpfte Mutter blieb erstaunlich gelassen als sie hoch schaute und den Blick der Veerum mit einer bemerkenswerten Kraft, die ich so schon lange nicht mehr gesehen hatte, erwiderte.

Auch ihre Stimme war sehr ruhig als sie antwortete:

 ,,Ja, die letzte Zeit war wirklich sehr schwer für mich, ich habe meine geliebte Tochter leider viel zu oft vernachlässigt, da ich nicht in meiner besten psychischen Verfassung war. Doch zum Glück hat mich Ash nicht im Stich gelassen."

Ich wollte schreien, warum beschützte mich meine Mutter, warum behauptete sie nicht einfach das sie sich immer moralisch korrekt verhalten hätte?

Mein Hirn raste.

Angst bricht über mich hinein, wie ein tosende Welle die mir die Luft abschnüren drohte.

Wie konnte ich meiner Mutter aus dieser misslichen Lage noch helfen?

Spätestens nach dieser Aussage war klar das meine Mutter eine Expulsos war und die Gesellschaft belastet. Ich würde sie an die Veerum verlieren.

Ich wollte gerade den Mund öffnen um mit einem verzweifelten Versuch meine Mutter noch vor der schlimmsten Katastrophe zu bewahren und versuchen sie aus der Sache rauszureden, als meine Mutter sanft meine Hand drückte.

Es war wie ein beruhigender Gruß, aber fühlte sich auch an wie eine entscheidende Anordnung.

Ein Befehl meine Mutter zu lassen.

Ich drehte meinem Kopf leicht auf die rechte Seite, damit ich das Profil meiner Mutter erkennen konnte. 

Ausgelaugte und müde Geichtszüge von einem eigentlich wunderschönen Gesicht. Ein ähnliches Gesicht das auch ich hatte.

 Dieselbe Nase, die gleiche Augenform und Farbe, ein strahlendes blau, sowie das ähnliche Muttermal am Hals, in der Form eines Halbmondes.

Auch meine Mutter drehte ihren Kopf minimal auf ihre linke Seite, sodass wir uns beide in die Augen schauen konnten. 

In den letzten Monaten waren ihre blauen Augen müde und glasig, als wären sie nicht in dieser Galaxie sondern in einer anderen Galaxie, weit weg von hier.

Doch in diesen Augenblick wirkten ihre Augen klar und ein funkelnder Schimmer lag darin, ähnlich wie wenn die Sonne auf den weiten Ozean schien.

Die jetzt klaren Augen schienen auch zu sagen, dass ich meine Mutter machen lassen soll.

Einmal im Winter war der See in der Nähe unseres Hauses zu gefroren, doch ich wollte unbedingt darauf Schlitschuh fahren gehen, doch meine Mutter verbot es mir. 

Sie meinte, dass das Eis auf dem See noch nicht dick genug sei um mein Gewicht zu heben. Ich war jedoch jung und rebellisch und wollt nun einmal auf diesen Eis laufen. 

Ich nahm mir vor in der Nacht, wenn meine Mutter schlief, in das kleine Wäldchen zu laufen, in den der See lag und Schlittschuh fahren zu gehen. 

Ich war das ganze Abendessen lang aufgeregt und konnte es kaum abwarten, doch dann , beim Gute Nacht sagen, schaute mir meine Mutter tief in die Augen.

Und auch hier lag so ein Ausdruck der Autorität in ihren Augen.

In der Nacht ging ich doch nicht zum See und am nächsten Morgen erzählte mir meine Mutter, dass ein wilder Wolf in das Eis eingebrochen war und ertrunken.

Doch diesemal würde meine Mutter der einstürzende Wolf sein und auch sie würde nicht zu retten sein.

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Es kämpft jeder sein Schlacht allein - Friedrich Schiller

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