Kapitel 4
Markus
Als ich mich von Vanessa verabschiedete, machte ich mich auf, meinen Bus zu erwischen, der auf der anderen Seite des Campus abfuhr. Während ich meinen Geldbeutel in meine hintere Hosentasche gleiten ließ, damit ich es später leichter hatte, meinen Ausweis zu zeigen, bemerkte ich im Augenwinkel eine kleine Person, die einen viel zu großen Pullover trug. Obwohl ich nicht das Gesicht erkennen konnte, da die Person die Kapuze tief in die Stirn gezogen hatte, war ich mir sicher, wer sich vor meinem Weg befand. Es musste das Mädchen von neulich sein, das ich beim Einbruch in ein Haus erwischt hatte. Ohne noch weiter darüber nachzudenken, nahm ich an Geschwindigkeit zu, um das schwarzgekleidete Mädchen zu erreichen. Als hätte sie meine Anwesenheit bemerkt, nahm ich wahr, wie sie begann ihre Beine schneller vorwärts zu bewegen.
Wie konnte sie mich erkennen, ohne sich zuvor umzudrehen?
Ich formte meine Hände zu einem Trichter an meinem Mund. "Hey, du. Warte mal!" Instinktiv neigte sie den Kopf zur Seite, ihre Augen scannten meinen Körper und die Umgebung blitzschnell ab, sodass ich den Eindruck bekam, sie hätte Übung darin. Trotz ihrer Schnelligkeit hatte ich die warme Farbe ihrer Augen wahrgenommen und auch sie hatte mich erkannt, so wie sich ihre Iris minimal geweitet hatte.
Sie hatte sich ohne ein Wort wieder nach vorne gerichtet und marschierte auf einen Zebrastreifen zu. Ich musste sie erwischen, bevor sie wieder spurlos verschwand. Ich musste mit ihr reden, weil ... ja warum eigentlich? Warum wollte ich mit einem Mädchen reden, dass die Vorliebe besaß nachts in fremde Häuser einzubrechen? Ich hatte doch schon ein Mädchen in meinem Leben, das mir meine letzten Nerven kostete, da brauchte ich nicht noch ein zweites. Mein Kopf riet mir bloß die Finger von diesem Mädchen vor mir zu lassen, am besten so schnell wie möglich die Biege zu machen, doch mein Körper hatte eine ganz andere Vorstellung, und lief ihr mit stetig steigender Geschwindigkeit hinterher.
"Ich will nur mit dir reden!" Rief ich ihr nach, doch sie hielt immer noch nicht an. "Du weißt schon Weswegen. Wegen der Nacht, in der du einfach in ein fremdes.." ich konnte meinen Gedanken nicht mal zu Ende reden, da drehte sie sich abrupt um und stapfte mit bösem Gesichtsausdruck auf mich zu.
"Wenn du irgendjemanden davon erzählst, nehme ich dich mit in den Abgrund! Ist dir das klar?!" Sie blieb gut einen Meter vor mir stehen, wirkte nicht im Geringsten verängstigt, sondern strotze nur so vor Aggressivität.
Ich hob abwehrend die Hände nach oben, wollte ihr damit zeigen, dass ich nichts Schlechtes von ihr wollte.
"Keine Sorge, ich werde dich nicht verraten. Du hast mir schließlich einen Burger dafür versprochen."
Ihre Nasenflügel bebten, als sie mich misstrauisch musterte. Auch ich ließ in dem Augenblick der Ruhe meinen Blick an ihr hinab wandern. Dabei fiel mir auf, dass sie die gleichen Klamotten wie vor zwei Tagen trug. Obwohl sie nicht streng roch oder schmutzige Flecken aufwies, fragte ich mich, ob sie womöglich obdachlos sei. Mitleid machte sich in mir breit, als ich den Blick wieder hob. Auch als sie zu schnauben begann, verschwand das Gefühl nicht aus meiner Brust.
"Was willst du dann noch von mir?"
"Ich möchte mit dir reden." Sie blickte kurz nach rechts, um dann einen Schritt auf mich zuzumachen. "Reden?" Ihre Augenbrauen wanderten skeptisch nach oben. Mein Beschützerinstinkt riet mir, mich von ihr zu entfernen, doch ich wollte standhaft bleiben, damit mein Anliegen ernst rüberkam.
"Ja, reden. Ich möchte wissen, warum du dich nachts in fremde Häuser schleichst." Ihre Mundwinkel zuckten als ich das letzte Wort aussprach. In der nächsten Sekunde sah sie mich jedoch wieder todernst an. "Warum solltest du das wissen wollen? Du verstehst es doch sowieso nicht."
"Lass es mich doch wenigstens versuchen zu verstehen."
"Warum?" Sie stützte die Hände in die Hüfte. "Was springt für dich dabei raus?"
Am liebsten hätte ich aufgrund ihrer Hartnäckigkeit frustriert aufgeatmet, konnte mich jedoch noch beherrschen.
"Ich möchte dir helfen."
"Mir helfen?" Sie machte einen Schritt rückwärts. "Was bin ich denn für dich? Ein Penner? Ein Obdachloser, der sich nicht weiter zu behelfen weiß, als in Häuser einzubrechen?"
"Das habe ich nie behauptet! Ich weiß, dass hört sich komisch an, da wir uns ja nicht kennen..."
"Richtig erfasst! Wieso sollte ich mir von einem Fremden und noch dazu aufdringlichen Typen helfen lassen?" Unterbrach sie mich barsch.
Aufdringlich? Ich stutzte über ihre Behauptung. Wirkte ich denn so auf sie?
"Tut mir leid, wenn ich dich in irgendeiner Weise belästigt haben sollte." Ich entfernte mich einen Schritt von ihr. "Es liegt nur in meiner Natur, Menschen davor zu bewahren, einen Fehler zu begehen."
Während ich sprach, entspannte sich ihr Gesicht merklich. "Dafür kommst du ein paar Monate zu spät", nuschelte sie kleinlaut vor sich hin. Es war definitiv nicht für fremde Ohren bestimmt, trotzdem konnte ich ihre Worte verstehen und hinterließen einen bitteren Nachgeschmack in meinem Mund. Auch wenn ich schon zu spät kam, konnte ich nicht mit ansehen, dass ein junges Mädchen in meinem Alter ins Gefängnis wanderte, nur weil ich ihr nicht geholfen hatte.
Nein, das würde ich mein Leben lang bereuen.
"Ich kenne da einen guten Therapeuten, dem du dich anvertrauen kannst. Wenn dich etwas bedrückt..."
"Mach mal halblang!" Ihre Stimme gewann wieder an Stärke und diese richtete sich gegen mich. "Das war ein einmaliges Ding, vorletzte Nacht. Du denkst doch nicht wirklich, dass ich reihenweise Häuser ausraube." Beleidigt verschränkte sie die Arme vor der Brust.
"Warum hast du es dann getan?"
"Ach weißt du, ich wollte einfach mal wissen, wie die Reichen in der Gegend so leben."
Ich glaubte ihr kein Wort.
"Und da muss man gleich in ein Haus einsteigen? Konntest du nicht einfach klingeln, so wie jeder andere normale Mensch?"
"Wo bleibt dann der Spaß?" Ein Lächeln stahl sich auf ihre Lippen, dass mich aufschrecken ließ. Sie machte das also nur, um einen Kick zu bekommen. Kopfschüttelnd kreuzte auch ich jetzt die Arme vor der Brust. Woher meine ganze Neugier kam, wusste ich nicht.
"Wenn du so weiter machst, besteht dein einziger Spaß darin, im Gefängnis durch Gitterstäbe zu schauen", sagte ich streng, woraufhin sich ihr Blick für einen kurzen Moment verfinsterte. Dann legte sich ein verständliches Lächeln um ihre Mundwinkel und sie nickte mir bestätigend zu.
"Du hast ja vollkommen Recht. Was habe ich mir nur dabei gedacht? Dank dir ist mir klar geworden, dass ich mir wirklich Hilfe holen sollte." Ihr plötzlicher Sinneswandel kam zwar unerwartet, doch ich erwiderte ihr Lächeln.
"Das freut mich zu hören. Soll ich dir die Nummer des Therapeuten geben?"
"Nee, lass mal." Sie winkte mit einer Hand ab. "Mein Vater kennt da einen guten Seelenklempner."
Etwas skeptisch sah ich sie an. Ich wollte schon nachhaken, da machte sie einen Schritt auf mich zu, die Arme ausgebreitet.
"Wow, ich fühle mich gerade so erleichtert. Darf ich dich als Dank kurz drücken?" Ihr Lächeln strahlte mich warm an. Sie hatte also auch eine nette Seite an sich. Bevor ich etwas erwidern konnte, hatte sie auch schon ihre Arme um meinen Rücken gelegt. Sie war recht klein, ihr Kopf stieß gegen meine Schulter. Ein Hauch von Minze stieg mir in die Nase, als sie sich nach ein paar Sekunden wieder von mir löste. Was sollte das denn?
Sie sah mich entschuldigend an. "Sorry, ich wollte dich nicht überrumpeln. Ich muss jetzt auch los, vielleicht sieht man sich ja mal wieder!" Obwohl sie mir kurz zuwinkte, ahnte ich, dass sie mir nur ungern wieder über den Weg laufen wollte. Sie rannte über den Zebrastreifen und verschwand im Meer von Studenten. Als ich mich ebenfalls aufmachte, beschlich mich ein dumpfes Gefühl, dass etwas nicht stimmte. Nach ein paar Schritten, hielt ich verwirrt inne. Irgendetwas fühlte sich anders, leichter an... mit Schrecken fasste ich an meine hintere Hosentasche, in der sich vor ein paar Minuten noch mein Geldbeutel befunden hatte. Jetzt griffen meine Finger in eine leere Tasche. Das Biest hatte mich bestohlen! Sie hatte mir nur etwas vor gemacht, um an meine Sachen zu kommen!
Panisch suchte ich die Umgebung nach ihr ab, doch ich konnte sie nirgends entdecken. Schnell richtete ich mich auf und hastete in die Richtung, in der sie verschwunden war. Das durfte nicht wahr sein! Wie konnte ich nur so dumm sein? Einem Mädchen helfen zu wollen, dass offensichtlich zwanghaft klaute. Wäre ich nicht in mitten von Leuten gewesen, hätte ich mich gerne selbst geohrfeigt.
Mit einem Sorry, schob ich einen großen Typen beiseite, nur um auf einen weiteren Rucksack bepackten Rücken zu starren. Bestimmt war sie schon in einen der Busse gestiegen und über alle Berge. Wie sollte ich da noch an meinen Geldbeutel kommen? Viel Geld war nicht darin, doch all meine Karten und Ausweise befanden sich in den Fächern. Und außerdem traute ich dem Mädchen nach allem auch noch zu, den PIN meiner EC-Karte knacken zu können.
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