Kapitel 2
Markus
Annabelle war ein schlaues und sportliches Mädchen, das ich aus meinem Studiengang kannte. Neben den studentischen Interessen teilten wir ebenso die Leidenschaft zum Tennis, wo ich sie ebenfalls jeden Mittwoch sah. Darüber hinaus verhielt sie sich - bis auf eine Ausnahme- immer vernünftig und gewissenhaft. Sie würde also die beste Schwiegertochter abgeben, die es in dieser kleinen Stadt gab. Daher war es nicht gerade verwunderlich, dass sie schon in festen Händen war. Nichtsdestotrotz musste ich mich natürlich genau zu dieser Frau hingezogen fühlen, vergeben hin oder her, ich konnte gegen meinen Körper nicht angehen, welcher sich nun mal in diese Frau verrannt hatte. Zum Glück besaß ich noch so viel Verstand, dass ich nicht noch einen weiteren Fehler begann und schnell das Weite suchte.
Wieder komplett gedankenverloren schritt ich die Straße entlang, mein Rennrad neben mir her schiebend und grübelte über meine nicht vorhandene Selbstkontrolle nach. Ich hätte heute nicht zum Lernen herkommen sollen. Was hatte ich auch erwartet? Eine lockere und unkomplizierte Atmosphäre, nach allem, was zwischen uns beiden vorgefallen war? Wie konnte ich nur so...
Eine hastige Bewegung im Augenwinkel zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Was zum ...? Mit angehaltenem Atem beobachtete ich eine kleine Person, komplett in Schwarz gekleidet, Kapuze ins Gesicht gezogen, wie sie mit geübten Schritten erst dichter an eine schwere Haustür herantrat, um dann aus ihrer Pullitasche einen kleinen Gegenstand rauszuholen, der die Tür mit einem leisen Knarren öffnete. Brach diese Person wirklich gerade...? Ich konnte den Gedanken gar nicht zu Ende führen, da trat die Person auch schon in das dunkle Haus und erfüllte meine schlimmsten Befürchtungen.
Was zum Teufel sollte ich jetzt tun?
Die Polizei rufen wäre natürlich die vernünftigste Lösung, trotzdem ließ mich die Tatsache, dass diese Person etwas kleiner und schmaler war, nicht in Ruhe.
Neugier ließ mich einige Schritte auf das prunkvolle Haus zu machen. Egal, was ich tat, ich konnte immer noch die Polizei rufen. Als ich an der Tür ankam, bemerkte ich, dass diese angelehnt war. Bevor ich noch weiter über mein Handeln überlegen konnte, trat ich auch schon in den dunklen kalten Flur im Inneren des Hauses. Heute war wirklich kein Verlass mehr auf meine Vernunft. Welcher normale Mensch wollte sich auch schon einen Einbrecher aus der Nähe ansehen?
Auf Zehenspitzen tastete ich mich Stück für Stück weiter hinein in den Raum, der immer mehr teure Möbel preisgab. Allmählich gewöhnten sich meine Augen an die Schwärze des Zimmers und tatsächlich konnte ich neben dem Sofa den Einbrecher schemenhaft ausfindig machen.
Ohne in Panik zu geraten, ließ ich meinen Blick über den viel zu großen Pulli für den viel zu kleinen Körper wandern. Täuschte ich mich oder war dieser Einbrecher etwa ein Mädch...
„Ach, du heilige Scheiße! Hast du mich vielleicht erschreckt!" Bei der weiblichen Stimme wanderte mein Blick nach oben, wo mich braune kugelrunde Augen anstarrten. Eine Hand gegen ihre Brust gestemmt, schaute mich dieses Mädchen vorwurfsvoll an. „Was machst du denn hier?"
Was ich hier? Ungläubig über ihre Frage schüttelte ich wie verrückt den Kopf. „Was machst du zum Henker in diesem fremden Haus?", flüsterte ich, jedoch mit Nachdruck.
„Du musst nicht flüstern. Es ist niemand hier. Alle für eine Woche ausgeflogen. Ich könnte mir hier die Seele aus dem Leib schreien und es würde keinen interessieren."
Diese Situation kam mir so surreal vor, wie sie belanglos mit mir sprach, obwohl ich sie gerade bei einem Einbruch erwischt hatte. Wie furchtlos konnte man nur sein? Apropos Furcht. Besaßen reiche Leute nicht auch immer Kameras? Hatte ich diese denn völlig vergessen? Suchend ging mein Blick von einer Ecke zur anderen.
„Wenn du die Kameras suchst, die sind nur Attrappen."
„Wieso bist du dir da so sicher? Als würden diese reichen Leute nur Fakes aufhängen, das kann ich nicht glauben.", sprach ich mehr zu mir selbst als zu dem Mädchen, das mich immer noch unverhohlen musterte.
„Denkst du ich bereite mich nicht vernünftig vor, bevor ich in ein Haus einsteige?" ihre Stimme klang beleidigt. unfassbar.
„Was?!" da ich keine Kamera entdeckt hatte, konzentrierte ich mich wieder voll und ganz auf das Problem vor mir und wie ich es am besten lösen konnte.
„Wir reden hier von einem Einbruch, einer Straftat!"
„Und, was wirst du jetzt tun?" trotz der Frage, klang sie eher unbeeindruckt.
„Na, was wohl? Ich werde die Polizei rufen." Um meine Worte zu bestärken, fischte ich mein Handy aus der rechten Hosentasche, hatte es schon entsperrt, da ließ mich ihr klares Lachen innehalten.
„Mach nur. Dann sitzen wir aber beide im selben Boot." sie verschränkte demonstrativ die Arme vor der Brust.
„Das denke ich kaum." auch ich stellte mich nun breitbeiniger hin. „Schließlich bist du diejenige, die einfach so in ein Haus eingebrochen ist und dafür musst du jetzt die Konsequenzen tragen."
„Pahh du hörst dich an wie meine Mutter. Konsequenzen tragen", äffte sie mich spitz nach, „und wie wirst du die Tatsache vertuschen, dass du ebenfalls in diesem Haus und zwar mit mir stehst? Ich wäre nur zu gern bereit, dich als meinen Komplizen zu verpfeifen. Alleine machen die verbotenen Dinge ja eh nie wirklich Spaß." ihr Schmunzeln daraufhin verriet mir, dass sie es ernst meinte. Das durfte doch nicht wahr sein! Ich hatte noch nie so ein freches und aufmüpfiges Mädchen getroffen. Und warum zur Hölle hatte ich noch nicht die 110 gewählt? Nichts hielt mich davon ab, doch aus irgendeinem Grund wollte ich in diesem Moment, einmal in meinem Leben nicht das Richtige tun. Was mein Gegenüber trotzdem nicht wissen sollte.
„Zufällig kenne ich den Hauptkommissar auf der Polizeistation, der mich schon seit meiner Jugend kennt und mir so etwas nie zutrauen würde.", behauptete ich kurzerhand und tippte die erste Ziffer ein.
„Ok, ok. Warte Blondschopf. Wir finden sicherlich eine Lösung für diese kleine Unstimmigkeit." sie trat einige Schritte auf mich zu, ich synchron zurück.
„Wie wäre es mit einem Burger, den spendiere ich dir und wir vergessen das Ganze hier einfach?"
Als ich nicht sofort reagierte, sprach sie einfach weiter. „Mit einer großen Portion Pommes?" immer noch Schweigen. „Und einem Becher Eistee?", fragte sie beinahe verzweifelt.
Fast wäre mir ein amüsiertes Lächeln über die Lippen gehuscht, wäre ich Sekunden später nicht von lauten Stimmen unterbrochen worden.
„Mom? Dad?", ich hörte die Hintertür nebenan quietschen.
Leise Schritte, die immer lauter wurden, drangen an meine Ohren. Es waren also doch Bewohner hier. Völlig schockiert blieb ich an Ort und Stelle stehen. Ich hätte das nicht tun dürfen, hätte mich verflixt nochmal von diesem Haus fern halten sollen. Doch jetzt war es zu spät.
„Verdammt, was stehst du denn noch da so rum?" in meiner Schockstarre hatte ich gar nicht bemerkt, wie sich das braunäugige Mädchen von mir weg bewegt und sich hinter einer breiten Kommode versteckt hatte. Mit einer einzigen Handbewegung winkte sie mich jetzt zu sich. „Na, komm schon her oder willst du erwischt werden?" da war was dran. Mit schnellen Schritten sprintete ich zu ihr, bedacht darauf so wenig Geräusche wie möglich zu machen und ließ mich vorsichtig neben ihr nieder. Mein Herz pochte mir schmerzhaft bis zum Hals, als sich die Stimmen unmittelbar vor uns befanden.
„Mom? Dad?" wurde ein zweites Mal gerufen, doch auch dieses Mal blieb eine Antwort aus. „Ein Glück sie sind nicht zu Hause. Wir haben also sturmfrei und können tun und machen was wir wollen"
„Was schwebt dir denn so vor, Süße?" eine männliche Stimme gesellte sich zu der weiblichen.
„Ich könnte dir vielleicht mein Bett zeigen."
„Das Sofa würde mir auch schon reichen." säuselte der Mann. Im nächsten Moment hörte ich Kleider rascheln, das Knarzen von Leder und schmatzende Geräusche. Erleichtert darüber, dass sich die aufgetauchten Personen ein Zimmer von uns entfernt hatten, blies ich ungehalten den Atem aus. So hatte ich mir weiß Gott nicht meinen Abend vorgestellt.
Als die Knutschlaute durch Stöhnen ersetzt wurden, quittierte dies das Mädchen neben mir mit einem gespielten Würgen und Augenverdrehen. Wie konnte sie in dieser Situation so locker bleiben? Wir wären fast erwischt worden.
„Ich dachte, es wären alle ausgeflogen?", stellte ich mit kaum wahrnehmbarer Stimme fest. Sie begegnete mir mit einem Schulterzucken. „Auch Profis machen mal Fehler. Jetzt schau doch nicht wie so ein getrocknetes Toastbrot. Es ist doch nochmal alles gut gegangen..."
Und wieder wurden wir durch leise, diesmal tapsende Schritte unterbrochen. Panisch wandte ich mich in die Richtung, aus der ich jetzt zusätzlich ein stetiges Hecheln wahrnahm.
„Da ist ein Hund?! Was ist wenn er uns fin..." eine kalte kleine Hand legte sich auf meinen Mund, veranlasste mich dazu, den Kopf zu drehen.
„Shh", Braunauge hatte einen Finger auf ihre vollen Lippen gelegt. Genau in diesem unpassenden Moment fielen mir ebenfalls ihre dunklen Wimpern und ihr kurzes, in wellengeformtes Haar auf, das an einigen Stellen aus ihrer Kapuze ragte. Das Mädchen vor mir besaß zwar eine kindliche Figur, doch diese Augen besagten mir, dass sie älter war als es zuerst den Anschein machte.
Mein Blick fiel auf ihre kleine Stupsnase, die sie angewidert rümpfte. „Warum riechst du auch wie ein ganzer Blumenladen?" sie nahm die Hand von meinem Mund und ließ sie in ihrem Hoodie verschwinden. Blumenladen? Verwirrt über ihre Aussage runzelte ich die Stirn, dann jedoch dämmerte es mir. Annabelle, das musste Annabelles Parfum sein, das noch an mir haftete. „Das ist wirklich keine gute Hilfe, um den Hund los zu werden." tadelnd sah sie mich an.
„Bitte entschuldige, hätte ich damit gerechnet, in solch eine missliche Lage zu geraten, hätte ich das Aftershave heute weggelassen." bevor ich meine Stimme noch hob, wandte ich mich lieber von ihr ab. Wir mussten diesen Hund verscheuchen, bevor seine Besitzer unsere Anwesenheit bemerkten. Die Haustür lag immer noch näher, als die Hintertür, aus der das Pärchen gekommen war. Der beste Weg wäre also, den Hund so lange abzulenken, bis wir den Eingangsbereich und somit auch unsere Freiheit erreicht hatten.
Als hätte Braunauge meine Gedanken gelesen, stöhnte sie hinter mir frustriert auf, stand zu meinem Entsetzen auf und lief in Richtung Hund. Ich wollte sie schon aufhalten, da langte sie wie so oft zuvor, in ihre Hoodietasche und angelte ein orangenes Päckchen hervor. Dass es sich dabei um eine Bifi-Packung handelte, konnte ich erst erkennen, als sie diese wie einen kostbaren Schatz fest an ihre Brust presste und einen kleinen Kuss darauf hauchte. Drehte sie denn jetzt völlig durch?
„Verzeih mir meine Grausamkeit", flüsterte sie ehe sie die Packung im hohen Bogen in die angrenzende Küche warf. Sofort ertönte ein lautes Bellen, das von schnellen Schritten übertönt wurde. Die Ablenkung des Hundes war demnach erfüllt. Ein Blick in die braunen dunklen Augen besagte mir, dass wir wenig Zeit hatten, um aus diesem Haus zu verschwinden. Als würde ich zum Start eines Marathons stehen, nahm ich meine Beine in die Hand und näherte mich mit leisen Sohlen der Haustür. Obwohl das Mädchen im ersten Moment gezögert hatte, befand sie sich nun dicht hinter mir. Durch unsere Schnelligkeit hatten wir die Haustür in wenigen Sekunden erreicht, schoben diese auf und traten mit hektischem Atem auf den Gehweg, wo ich auch mein Fahrrad zurück gelassen hatte.
Ich fühlte mich als wäre ich wirklich diesen Marathon gelaufen, so sehr raste mein Puls in meinen Adern, pochte drohend in meinen Ohren. Ich brauchte einen Augenblick bis ich mich gesammelt hatte, auch das Mädchen starrte einige Zeit Gedankenversunken auf das Haus vor sich. Als sie bemerkte, dass ich sie musterte, setzte sie ein verärgertes Lächeln auf, was mich sichtlich irritierte.
„Mist, jetzt muss ich mir ein neues Objekt aussuchen, vielen Dank aber auch."
Schockiert über ihre Worte schaute ich sie an. „Das war ein Scherz" sie lachte kurz auf. „Du hättest dein Gesicht sehen sollen" als würde ich total albern aussehen, fuchtelte sie wie wild mit dem Zeigefinger vor meinem Gesicht herum. Wäre ich nicht total überfordert gewesen, hätte ich sie für ihr unmögliches Verhalten zurecht gestutzt. Doch in diesem Zustand konnte ich nichts tun, außer ruhig weiter zu atmen.
„Du brauchst wirklich dringend Hilfe", setzte ich nach einer Pause dennoch an, da entfernte sie sich auch schon einige Schritte von mir.
„Glaub mir, das bringt nichts Blondschopf." Damit schenkte sie mir ein letztes amüsiertes Lächeln, drehte sich um und rannte die Straße entlang.
Kopfschüttelnd machte ich mich daran, so schnell wie möglich von diesem Haus zu verschwinden.
An einem Tag zwei Taten begangen, die so gar nicht zu mir und meiner Lebensphilosophie passten. Und doch, hatte ich mich nach dem abflauenden Schock auch ein wenig amüsiert, wenn auch nur ein klitzekleines bisschen.
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