Kapitel 10
Es war an einem Mittwoch der kommenden Woche, als ich das Fehlen meines Bibliotheksausweises bemerkte. Doch glücklicherweise wusste ich schon, wer dieser kleine Dieb sein konnte. Da ich sowieso gerade von der Uni kam, hielt ich auf gut Glück an dem Gebäude, das tausende Bücher beherbergte und schloss mein Fahrrad kurzerhand am Laternenpfahl an.
Der typisch stickige und verbrauchte Geruch wehte mir entgegen, als ich die massive Tür aufstieß. Sofort huschte mein Blick über die anwesenden Studenten, die vertieft den Kopf in irgendwelche Sachbücher gesteckt hatten. Also gut, wo konnte sich ein regelabweisendes Mädchen in mitten von Büchern aufhalten? Meine Gedanken wurden von der netten Dame an der Leihausgabe unterbrochen.
„Hallo, Markus. Schön dich hier zu sehen", begrüßte sie mich freundlich. Martina war ungefähr Ende Dreißig und hatte zwei Söhne, denen ich im Sommer öfter mal Tennisstunden gab.
„Hallo", erwiderte ich nicht minder freundlich und stützte mich kurz auf den hohen Tresen vor ihr auf. „Wie geht es Tobias und Simon?"
„Ganz gut soweit. Tobias kann es kaum erwarten bis er endlich Ferien hat und dann mit dir spielen kann." Sie lachte kurz auf.
„Ich freue mich auch. Er macht sich wirklich gut." Während ich meinen ungezwungenen Small-Talk weiterführte, schweifte mein Blick noch einmal über die Anwesenden.
Martina bemerkte es. „Suchst du etwa jemanden? Vielleicht kann ich dir ja behilflich sein."
Mit einem charmanten Lächeln wandte ich mich wieder zu ihr. „Ich suche ein etwa 1,60 großes Mädchen, wahrscheinlich mit einem schwarzen..."
„Mit einem schwarzen übergroßen Pullover?"
Ich nickte.
„Die ist in der Fantasyabteilung verschwunden. Vielleicht findest du sie dort."
Diesmal war das Glück wohl doch auf meiner Seite. Schnell bedankte ich mich für ihre Hilfe und wagte mich weiter vor in das Bücherlabyrinth. Bevor ich jedoch in die Abteilung der übernatürlichen Wesen und Kreaturen abtauchte, hielt ich kurz bei den Ratgebern an, erblickte nach einiger Zeit das gesuchte Buch und nahm es mit auf meine Reise.
Da der Boden in den einzelnen Gängen aus einem alten und vergilbten Teppich bestand, konnte ich mich leise den Reihen nähern. Bei jeder blieb ich kurz stehen und blickte den langen Gang entlang, nur um immer wieder festzustellen, dass sie sich nicht dort befand. Als ich die Krimiabteilung erreichte, machte ich mir schon keine großen Hoffnungen mehr ausgerechnet hier auf sie zutreffen, da nahm ich aus dem Augenwinkel eine Person mit ihrer Statur wahr, drehte den Kopf kurz in ihre Richtung und hatte im nächsten Moment auch schon ein breites Grinsen im Gesicht. Sie war völlig in dem Buch vor ihren Augen versunken, schenkte ihrer Umgebung keine Beachtung, auch nicht als ich einen Gang weiter auf ihre Höhe lief und sie durch die freien Stellen im Regal beobachtete. Sie trug zwar wieder ihren heißgeliebten Hoodie, doch aufgrund der heutigen Hitze, hatte sie sich für eine knappe Shorts entschieden, die kaum unter ihrem Oberteil herausschaute. Ihre Haare wirkten gelockter als sonst. Ich sah dabei zu, wie sie sich hochkonzentriert auf die Unterlippe biss und eine Seite weiter blätterte, dann das Buch für gut genug empfand und es auf den großen Stapel in ihren Händen legte.
Als sie sich umdrehte und auf den Lesesaal im vorderen Bereich zuging, duckte ich mich schnell hinter die Bücher, um nicht entdeckt zu werden und folgte ihr dann in einigem Abstand. Nachdem sie ihre schwere Fracht auf den Tresen gewuchtet hatte und Martina 'meinen' Ausweis entgegen streckte, stoppte ich mitten in der Bewegung. Martina kannte mich, wusste, dass ich hier war, da war ich gespannt, wie Lucys Ausrede für den Besitz meines Ausweises lautete.
Martina ging ihrer Arbeit nach, scannte den Barcode jedes einzelnen Buches und verbuchte es dann auf den Ausweis. Dabei stutzte sie, rückte ihre große Brille zurecht und blickte auf.
„Entschuldigen Sie, aber da steht ein anderer Name drauf", sagte sie höflich.
Lucy zuckte nur mit den Schultern und man konnte Martina ansehen, wie ihr die Situation allmählich unangenehm wurde.
„Da es sich um einen männlichen Namen handelt, bin ich mir gerade nicht so sicher, ob sie berechtigt sind, diesen Ausweis zu besitzen." Voll ins Schwarze getroffen.
„Achso, das meinen Sie," Wie ich zuvor, stützte sich nun Lucy mit beiden Händen auf den Tresen ab, um Martina näher zu kommen. „Markus ist ein guter Freund von mir, er hat mir die Erlaubnis gegeben."
Ihr Gegenüber sah sie immer noch misstrauisch an.
„Ok, wissen Sie was. Das mit dem guten Freund war gelogen", setzte Lucy im nächsten Moment an und ich glaubte schon, dass sie jetzt mit der Wahrheit heraus rückte, da belehrten mich ihre nächsten leisen Worte eines Besseren. „Er hat mich nämlich für so ein dummes Flittchen sitzen gelassen. Letzte Woche erst. Hab sie in flagranti erwischt." Martina war der Schock förmlich ins Gesicht geschrieben. „Und das einzige, was mir von ihm übrig geblieben ist, ist dieser dumme Ausweis. Ich weiß, damit haben Sie ja eigentlich Recht, ich dürfte ihn gar nicht besitzen... es ist besser loszulassen, nicht wahr?", mit gespielt schuldbewusster Miene wollte Lucy nach dem kleinen Kärtchen greifen, da kam ihr Martina zuvor.
„Ich kann sie gut verstehen. Mein Schwager hatte dasselbe mit meiner Schwester getan. Das tut mir wirklich leid, dass sie ebenfalls so eine schlechte Erfahrung machen mussten.", verblüfft beobachtete ich wie sie den Ausweis endgültig einscannte und die Bücher auf mein Konto verbuchte. „Und hiervon," sie deutete auf die Bücher, „muss er ja nichts erfahren. Wir Frauen müssen doch zusammen halten." Noch einmal schüttelte Martina den Kopf. „Dass Markus so etwas tun konnte, hätte ich echt nicht von ihm gedacht." Mit einem scharfen Pochen in den Schläfen meldete sich mein schlechtes Gewissen, das ich jedoch versuchte auszublenden. Zuerst sollte ich mich um Lucy kümmern. Das Buch fest in den Händen, trat ich aus dem Schatten des Regals und schlenderte auf die zwei zu.
„Ach, Sie kennen ihn?", Lucy versteifte sich kaum merklich.
„Ja, er ist so ein netter Kerl. Gibt meinen Söhnen immer gratis Tennisunterricht. Mit keiner Silbe hat er es erwähnt, als er hier aufgetaucht ist."
Lucy schlang ihre Arme fester um ihre Bücher, bereit die Flucht zu ergreifen.
„Er hat nach Ihnen gesucht." In dem Augenblick trat ich dicht hinter Lucy, Martina weitete die Augen, als sie mich bemerkte. Mit der rechten Hand stützte ich mich neben Lucy an der Kante des Tresens ab und mit der linken hielt ich ihr mein ausgesuchtes Buch vor die Nase, sodass ihr ein Entkommen erschwert wurde.
„Nimmst du das noch für mich mit, Schatz?", säuselte ich überfreundlich. Verwirrt über den Kosenamen schaute mich Martina an. Ihr Stirnrunzeln vergrößerte sich noch mehr, als Lucy den Titel des Buches „Kleptomanie, wie ich den zwanghaften Trieb zum Stehlen überwinde." las und kurzdarauf ein Lächeln auf ihre Lippen trat.
„Schatz? Ich dachte du hättest sie mit ...", völlig überfordert blickte Martina zwischen uns hin und her, wartete auf eine Erklärung, die ich ihr nur zu gern geben wollte.
„Weißt du, meine kleine Freundin hier, hat mich ebenfalls mit einem anderen betrogen. Demnach sind wir quitt."
„Was?", kam es fassungslos von Martina.
„Aber nur, weil er ein Krebs ist und die funktionieren einfach nicht mit Stieren, wie mir", stellte Lucy fest, als ihr bewusst wurde, dass sie mit ihrer Lüge aufgeflogen war.
„Krebs? Stier?", Martina blickte ratlos drein.
„Aber nur weil Stiere so sture kleine Wesen sind. Sie könnten einfach mal nachgeben und sich fügen", wandte ich mich an Lucy, die immer noch die Arme fest um ihre Bücher geklammert hatte.
„pah, ich bin doch nicht so einfach gestrickt wie ein Krebs"
„Ist das irgendso ein neumodischer Sextrend?" Martina warf völlig überfordert die Arme vors Gesicht.
„Einfach gestrickt?", erwiderte ich empört, unsere Zuhörerin immer noch ignorierend.
„Muss ich es denn noch einmal sagen, Blondschopf?" Wie in Sekundenschnelle schnappte sie sich ihre Schmöker, wandte sich mir zwischen meinen Armen zu, kam mir gefährlich nahe nur um sich im nächsten Moment zu ducken und unter meinen Armen durch zu huschen. Ehe ich überhaupt blinzeln konnte, verschwand sie auch schon hinter der Tür. Wie konnte sie so voll bepackt so schnell verschwinden?
Martina betrachtete das Buch vor ihr auf dem Tresen, das Lucy zurückgelassen hatte und sah dann zu mir auf.
„Kannst du mir vielleicht einmal erklären, was das gerade für ein Spielchen war?"
Wie geistesabwesend klappte ich meinen offenen Mund wieder zu, nahm meine Karte entgegen und rauschte Lucy mit schnellen Schritten hinterher.
„Markus?", hörte ich noch Martinas Stimme, bevor auch hinter mir die Tür ins Schloss fiel.
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