✿ Kapitel 50
Heute müsste ich wieder in die Schule, doch ich denke nicht einmal daran.
Wie könnte ich in einem Klassenzimmer sitzen und mir unnötige Matheformeln in den Kopf stopfen, während das Leben von Hunter am seidenen Faden hängt?
Da meine Eltern aber darauf bestanden haben, habe ich widerwillig das Krankenhaus verlassen, bin aber nicht zur Schule gegangen, sondern zu Hunter.
In sein Zimmer.
Als ich gesehen habe, das seine Balkontür für mich offen war, bin ich sofort in sein Zimmer gestürzt und habe mich richtig ausgeheult. Es war fast so als ob er anwesend war.
Doch das war er nicht.
Womöglich nie wieder.
Letztendlich lag ich für eine gefühlte Stunde auf seinem Bett, bis ich mich dazu entschieden habe einen Pullover von ihm anzuziehen und dann zur Schule zu gehen.
Nicht um zu lernen.
Sondern für Chase und Eliza.
Sie wissen es noch nicht. Ich hätte sie gleich benachrichtigen sollen, aber ich konnte nicht. Ich stand und stehe immer noch unter Schock. Es ist als ob ich das Leben eines Außenstehenden betrachte.
Es ist unwirklich.
Ich vergrabe meinen Kopf tief in Hunter's Hoodie und laufe in die Schule und will meine Freunde vor dem Klassenzimmer abholen, weil in ein paar Minuten Mittagspause ist.
Gerade als ich um die Ecke gehen will, höre ich zwei Personen laut flüstern, was sich sehr nach einem Streit anhört. Normalerweise hätte ich es nicht beachtet, da es nicht mein Problem ist, aber das ist es.
Denn es streiten sich Francesca und West, weshalb ich mich an die Wand presse und lausche.
„Das kannst du nicht ernst meinen. Willst du mich verarschen?" zischt er und läuft unruhig hin und her.
Francesca hört sich den Tränen nah an. „Denkst du ich will das es so ist? Ich hätte auch lieber Hunter als Vater!"
Er lacht spöttisch. „Tja, leider bin ich es. Oder? Hast du mit noch jemanden als Ablenkung gevögelt?"
Sie sagt nichts, weshalb ich davon ausgehe, das sie den Kopf schüttelt.
„Fantastisch." murmelt er und schlägt dann auf den Spind ein. „Fuck! So eine Scheiße!"
Ich halte mir die Hand vor den Mund und reiße die Augen geschockt auf. Wieso bin ich nicht früher darauf gekommen? Francesca hat West immer verteidigt und war an seiner Seite. Er war Hunter's bester Freund. Vielleicht hat sie sich ihm so näher gefühlt.
Stattdessen ist sie von West schwanger geworden.
Von West.
Ich habe beinahe Mitleid mit ihr, hätte sie mich und Hunter nicht auseinandergebracht. Obwohl hauptsächlich ich Schuld war. Ich hätte nur auf ihn hören müssen.
„Und was erwartest du jetzt von mir? Das ich Daddy spiele, wir heiraten und eine Familie werden?" fragt er aufgebracht.
Ängstlich sagt sie „Ich weiß nicht. Magst du mich denn? Willst du das?"
„Heiraten? Ich bin achtzehn! Sicher nicht." keift er und flucht wieder. „Wirst du das Kind behalten?"
„Ja." antwortet sie ernst.
„Ah."
„Und was machen wir jetzt?" fragt sie leise.
„Woher soll ich das wissen? Ich wollte bestimmt nicht mit achtzehn Vater werden. Wie konnte das überhaupt passieren? Du hast doch die Pille genommen, oder?"
Sie erwidert nichts.
„Um Gottes Willen."
„Wirst du mich unterstützen? Ich weiß nicht, ob ich das alleine schaffe." erzählt sie unsicher.
„Wahrscheinlich. Keine Ahnung." murmelt er nachdenklich.
„Wahrscheinlich? Verdammt, West! Ich brauche dich. Ich mag dich, hörst du? Du bist mir nicht egal!" wispert sie verzweifelt.
„Ist ja gut! Ich muss das erstmal verdauen. Ich gehe jetzt." teilt er ihr abweisend mit. „Wir sehen uns, Fran."
„Ist das dein Ernst?" ruft sie ihm hinterher.
Er antwortet nichts mehr.
Francesca flucht noch einige Male und entfernt sich dann immer weiter. Im gleichen Moment ertönt die Schulklingel und alle Türen öffnen sich.
Schnell laufe ich zu meinem Klassenzimmer und entdecke Chase und Eliza die sich angeregt unterhalten. Als ich bei ihnen ankomme, sehen sie mich überrascht und dann verwirrt an, sobald ich sie an den Armen mit mir nach draußen ziehe und auf einer Bank platziere.
Ich muss wie eine Verrückte aussehen.
„Was ist los? Wo ist denn dein Schatz? Wir dachten ihr schwänzt heute beide um ein bisschen zu... kuscheln. Ihr habt euch bestimmt schon wieder vertragen, oder?" Chase grinst verschwörerisch.
Eliza erkennt etwas in meinem Gesicht. „Was ist passiert?"
Ich atme tief ein. „Hunter ist im Krankenhaus."
„Was?" rufen beide geschockt.
„Er... er hat... er wollte..." Ich blicke in den Himmel und blinzele die Tränen weg.
„Er wollte was?" fragt Chase mit einem bleichen Gesichtsausdruck.
„Er wollte sich umbringen." stellt Eliza schockiert fest und hält sich eine Hand an ihr Herz.
„Warum?" Chase ballt seine Hände zu Fäusten um das Zittern zu verstecken.
Ich setze mich auf den kalten Boden. „Ich weiß nicht."
Zwar habe ich meine Vermutungen, aber sicher weiß ich es nicht. Und es ist auch nicht mein Recht es ihnen zu sagen. Vielleicht werde ich nie erfahren, wieso er es getan hat. Ob er mir wohl einen Abschiedsbrief hinterlassen hat?
„Wie geht es ihm? Wie? Seit wann?" bombardiert mich Chase weiter.
„Es sieht nicht gut aus. Er hat sich mit Drogen vollgepumpt und hatte eine Überdosis. Sein Magen konnte zwar ausgepumpt werden, aber der Arzt sagt das seine Werte sehr schlecht sind. Und seit dem Wochenende."
„Seit dem Wochenende schon?" ruft Eliza mit großen Augen.
„Wieso hast du uns nichts gesagt? Wir sind auch seine Freunde. Ich bin einer seiner besten Freunde! Ich muss das wissen! Hunter ist wie mein Bruder. Scheiße, Emery." Chase stützt seinen Kopf auf seinen Knien ab.
„Es tut mir leid." flüstere ich und wische mir schnell über das Auge.
Eliza setzt sich zu mir und wispert mit erstickter Stimme „Entschuldige dich nicht. Er ist dein Freund. Wie konntest du an etwas anderes als an ihn denken, stimmt's?"
Ich schluchze an ihre Schulter. „Er darf nicht sterben. Das ist alles meine Schuld. Ich hätte ihm glauben müssen."
Chase legt seine Hand auf meine Schulter und drückt entschuldigend zu. „Wieso? Er ist der Vater... oder?"
Verkrampft schüttele ich den Kopf, während ich beide anblicke. „Es ist West."
„Wie bitte?" Verstört betrachtet mich Eliza.
„Oh, Himmel." murmelt Chase und lässt sich endgültig auf dem Boden nieder.
„Er hat die ganze Zeit die Wahrheit gesagt. Wie konnte ich je an ihm zweifeln? An Hunter! Ich bin ein Unmensch." Ich kralle mich in Hunter's Pullover.
„Gib dir nicht die Schuld, das bringt jetzt keinem etwas. Hunter wird wieder gesund und ihr werdet wieder ein Paar und dann sind alle glücklich und zufrieden." redet Eliza mir ernst ein.
„Du bist ja optimistisch." grummele ich.
Chase schüttelt sich und steht dann selbstbewusst auf. „Und du bist viel zu pessimistisch. Wenn du denkst, das er... stirbt, dann bist du nur viel trauriger, weil es gestimmt hat."
„Oder weil ich mich schon darauf eingestellt habe und dann nicht überrascht bin."
Eliza hievt mich hoch. „Weinen wirst du so oder so, also kannst du auch positiv bleiben. Wir fahren jetzt in's Krankenhaus."
„Ihr habt Schule." werfe ich ein.
Chase schiebt mich auf den Parkplatz. „Du auch, wenn ich dich erinnern darf."
Eliza tätschelt mir die Schulter. „Entspann dich. Alles wird gut."
„Ich hab euch so lieb." sage ich mit Tränen in den Augen.
Sie umarmen mich von der Seite. „Wir dich auch."
***
Wie eine vereinte Front gehen wir in das Krankenhaus. Vor der Intensivstation bleiben wir stehen und sehen dann Hunter's Mutter an, die davor sitzt.
Sie wischt sich schnell über das Gesicht und setzt ein Lächeln auf. „Was macht ihr denn hier? Ihr habt Schule."
Chase setzt sich neben sie und umarmt sie fest. Sie erwidert kräftig die Umarmung und weint leise an seiner Schulter. Eliza tippt mir auf die Schulter und deutet auf die Tür. Ich lächele sie schwach an und öffne dann leise die Tür.
Hunter sieht immer noch unverändert aus, wenn nicht sogar schlechter. Der Doktor steht an seinen Geräten und notiert sich etwas, bis er mich bemerkt.
„Wie geht es ihm?" frage ich zitternd und setze mich auf den Stuhl neben dem Bett.
Er kaut auf seiner Lippe und zieht seine Augenbrauen zusammen, sobald er seine Notizen liest.
„Ich will ehrlich sein, ist das okay?"
Widerwillig nicke ich. „Natürlich."
„Vor kurzem hatte er erneut einen Herzstillstand. Wir konnten ihn wiederbeleben, aber wären wir nicht schnell genug gewesen..." Er lässt den Satz offen stehen.
Mein Herz zieht sich schmerzhaft zusammen. „Das hört sich ja fast so an, als ob seine Organe von den Drogen abhängig wären und nur mit ihnen funktionieren würden."
„Vielleicht ist es so. War das eine einmalige Sache oder hat er schon öfter Drogen genommen?" fragt er mich.
Ich betrachte Hunter und streiche über seinen Arm. „Wenn er nicht aufgehört hat, dann mindestens schon über ein halbes Jahr. Vielleicht schon mehrere Jahre."
Verstehend nickt er. „Wir werden sehen müssen, wie er sich entwickelt, aber wenn er immer wieder einen Herzstillstand hat, sehe ich keine Hoffnung. Irgendwann bleibt es nämlich selbst mit unserer Hilfe stehen. Bis später."
Er verlässt den Raum und ich sehe wie gebannt auf den Monitor, auf dem sein Herzschlag aufgenommen wird.
Es wird schwächer.
Es ist als hätten die Drogen all seine Kraft und Energie aus ihm herausgezogen und nur noch mit ihnen kann er leben.
Ich weiß nicht was schlimmer wäre:
Wenn er nur leben kann, solange er weiterhin Drogen nimmt oder das er sterben muss, weil seine Organe versagen.
„Hunter. Wenn du mich hören kannst, dann bitte wach auf. Irgendwie. Ich weiß du willst wahrscheinlich keinen sehen, aber das musst du auch nicht. Wir wollen nur das du lebst. Chase und Eliza sind draußen. Sie machen sich Sorgen um dich. Vor allem Chase. Deine Mum ist auch da, sie weint schon die ganze Zeit. So wie ich." Ich schlucke und küsse ihn sanft auf die Hand.
Mit Tränen in den Augen lache ich. „Ich war in deinem Zimmer und habe in deinem Bett gelegen. Ich dachte das würde mich irgendwie beruhigen, stattdessen habe ich alles vollgeheult. Es kann sein, das deine Bettdecke jetzt ein bisschen von mir verdreckt wurde. Tut mir leid. Und einen Pullover habe ich auch von dir an."
„Ich liebe dich. Hörst du? So, so sehr. Es ist schon fast ekelhaft wie sehr ich es tue. Mir tut alles so leid. Bitte gib mir eine Chance alles wieder in Ordnung zu bringen. Ich vermisse dich so schrecklich. Ich will das wir uns einfach wieder in den Arm nehmen. Oder wie zwei Idioten ›Vampire Diaries‹ ansehen, obwohl du es nicht einmal mochtest. Du hast es für mich angesehen. Du hast so viel für mich gemacht. Und was habe ich getan? Dir dein Herz gebrochen. Ich verspreche dir, das ich alles dafür tun werde, damit du glücklich wirst. Alles. Nur bitte... bitte... wach auf. Ich liebe dich, Affe." erzähle ich mit brüchiger Stimme und schluchze dann.
Sein Herzschlag erhöht sich mit einem Piep-Geräusch, was mir fast Hoffnung zur Besserung gegeben hätte, wäre danach der Strich auf dem Monitor nicht waagerecht weitergegangen.
Er hat einen Herzstillstand.
Erneut.
Der Dritte.
Mir kommen die Tränen und ich schreie nach Hilfe, doch die Ärzte kommen schon in den Raum geeilt.
Ich stehe auf und presse mich an die Wand, während sie ihn versuchen wiederzubeleben. Wie erstarrt beobachte ich, wie Hunter's Brust durch einen Elektroschock nach oben gezogen und dann wieder niedergelassen wird.
Aber der Monitor piept immer weiter.
Sie versuchen es noch einige Male, doch dann hören sie auf und es kehrt Stille ein.
Außer dem Piep-Geräusch ist nichts zu hören.
Seine Brust hebt sich nicht mehr.
Er ist tot.
Hunter Lane ist tot.
Ich rutsche wie vom Schlag getroffen die Wand entlang und lande auf dem Boden. Und dann trifft es mich wie der Schlag, während ich mich zu einer Kugel zusammenrolle und anfange unermesslich zu weinen und zu schreien.
Wir werden nie all das ungeklärte zwischen uns beseitigen können.
Wir werden nie wieder ein Paar werden.
Wir werden nie heiraten.
Wir werden nie eine Familie gründen.
Wir werden uns nie wieder umarmen.
Nie wieder miteinander reden.
Nie wieder küssen.
Nie Sex haben.
Nie den anderen nackt sehen um den letzten Teil unserer Beziehung zu vollschließen.
Wir werden nie dieses Gefühl von Nähe und Liebe haben. Nie diese Intimität.
Nichts. Wir werden nichts haben.
Er wird nicht einmal seinen Abschluss haben.
Wir werden nicht bescheuert an der Abschlussfeier tanzen.
Wir werden nie zusammen San Francisco verlassen.
Dabei war das immer sein Wunsch.
Er wird sich nie seine Träume und Wünsche erfüllen können. Es wird keine Zukunft geben. Nicht für ihn und nicht für mich.
Denn meine liegt vor mir... tot.
Seine Brust hebt sich nicht mehr.
Hunter ist tot.
Endgültig.
Und ich auch.
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Hello Friends! Ich hoffe euch geht es gut und ihr habt einen tollen Tag!🧡
Tja... ähm... hi? West ist der Vater, wer hätte das gedacht? Und Hunter *silence*... yeah. Wie denkt ihr geht es weiter?🥺💓
Hab euch lieb. Du machst Auswirkungen und Veränderungen in dieser Welt. Jeden einzelnen Tag. Ob es nur ein »Hallo« zum Postboten war oder du einem Fremden ein Lächeln geschenkt hast. Du versprühst deine Energie in der Welt. Ob du deine Eltern anrufst oder es nicht tust, ob du jemanden eine runtergefallene Tüte aufhebst, ob du dich entscheidest einem Fremden ein Kompliment zu geben oder ob du einfach dein Wesen stumm der Welt darstellst. Denn die kleinen Dinge, die wir für unbedeutend halten, sind meist die, die den größten Unterschied machen. Sie sind nicht klein und du bist ein wichtiger Teil dieser Welt. Ohne dich könnte das ganze Universum einfallen und alles aus dem Gleichgewicht bringen. Du bist bedeutend, also zeig dich der Welt und lass dein wahres Ich strahlen für die Leute, die dich darum beneiden und du ihnen mit einer kleinen Geste hilfst, damit diese ihr Strahlen wiederfinden❣️
Bis im nächsten Kapitel,
Adios, Friends!❤️
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