✿ Kapitel 18
Ich frage mich ernsthaft, ob eine Therapie einem wirklich hilft oder man nur denkt, das es einen irgendetwas bringt.
Tick.
Vielleicht denkt man, wenn man über alles mögliche redet, das man dann geheilt ist und wieder Glück finden kann.
Tack.
Bullshit. Als ob es etwas bringt, wenn ich darüber rede. Was sagt sie mir dann? »Alles wird gut«, »Wir bekommen dass wieder hin«, »Du wirst dich nicht immer so fühlen«?
Tick.
Das Einzige was die Frau mir gegenüber will, ist der Scheck den meine Eltern ihr ausstellen. Sie würde es einen Dreck kümmern, wenn ich jetzt aus diesem Gebäude laufe und mich vor ein Auto werfe.
Tack.
Fünf Minuten bin ich erst hier. Meinen Samstag habe ich mir anders vorgestellt, ich weiß zwar nicht wie, aber bestimmt nicht so, das ich in einem weißen Raum sitze und eine Uhr beim ticken beobachte, während mich eine Frau ansieht, als würde ich von einem anderen Planeten kommen.
Ti—
„Emery, ich weiß die Uhr ist wahnsinnig faszinierend, aber willst du nicht endlich die Stille brechen?" Freundlich lächelt mich meine Therapeutin — oder auch Tory genannt — an.
Mein Blick wandert von der Uhr zu der Frau mir gegenüber. „Warum sollte ich dass tun?"
Sie legt ihren Block beiseite und überschlägt ihre Beine. „Damit du ein schönes Leben haben kannst."
„Ich habe ein schönes Leben."
„Jeder erkennt schon von zehn Meter Entfernung, das dir etwas auf dem Herzen liegt. Du kannst hier frei über alles reden. Was dich stört, wieso du denkst das du hier bist, was dich in letzter Zeit glücklich gemacht hat oder einfach was dir auf dem Herzen liegt. Meine Lippen sind versiegelt." erzählt sie mir eindringlich.
Meine Schultern sacken zusammen und ich sehe aus dem Fenster. „Ich wüsste gar nicht, wo ich anfangen soll."
Lächelnd lehnt sie sich zurück. „Womit auch immer du willst."
Ich muss ja nicht gleich mit der größten Bombe ankommen.
„Gestern habe ich eine Zulassung für Stanford bekommen."
Sie notiert sich kurz etwas und fragt dann „Und wie hast du dich dabei gefühlt?"
Ich lächele grimmig. „Beschissen, hintergangen und einfach überrumpelt. Ich habe mich dort nicht einmal beworben, das waren meine Eltern. Ihre perfekte Tochter soll natürlich auch in die Fußstapfen ihrer Eltern treten, sonst wäre dass natürlich eine Schande und ich eine riesen Enttäuschung. Das wäre echt blöd, oder?"
„Du verbirgst deinen Schmerz oft hinter Ironie, kann dass sein?" Sie erwartet darauf keine Antwort. „Weißt du Emery, ich habe mit neunzehn die High School beendet und danach zwei Jahre nur Zeitung ausgetragen, weil ich nicht wusste, was ich mit mir anfangen soll. Mit zweiundzwanzig habe ich dann erst mein Studium angefangen. Was ich damit sagen will... es ist völlig in Ordnung, wenn du dir nicht sicher bist, was du im Leben erreichen willst und dir Zeit für dich nimmst. Du bist siebzehn, du solltest dein Leben genießen dürfen. Wenn du nicht nach Stanford willst, dann geh nicht hin. Ende. Es ist deine Zukunft und nur du alleine kannst entschieden, wie diese aussehen soll."
Prüfend sehe ich sie an und nicke. „Danke. Wenigstens noch eine Person die dass so sieht."
Interessiert blickt sie mich an. „Wer sieht dass denn noch so?"
Bei den Gedanken an Hunter muss ich lächeln. „Hunter. Er ist mein... bester Freund. Wir kennen uns schon seit unserer Kindheit. Er soll auch nach Stanford gehen, aber er will genauso wenig wie ich dahin."
„Wieso hast du gerade überlegt, ob er dein bester Freund ist? Ist er dass nicht?" Wieder schreibt sie etwas auf ihren Block.
„Doch! Es ist nur... wir hatten ein Jahr Funkstelle. Er war sauer auf mich und ich auf ihn. Dann kamen wir uns wieder näher und haben es einigermaßen wieder hingebogen."
„Wieso war er denn sauer auf dich?" fragt sie und legt den Kopf schief.
Ich sehe auf meine Hände. „Er war sauer, da ich mit seinem besten Freund... geschlafen habe. Und ich war sauer auf ihn, weil ich ihn in diesem Jahr mehr als alles andere gebraucht hätte. Trotz das ich ihn gehasst habe, habe ich ihn auch geli..."
Ihr Blick wird sanft. „Geliebt? Willst du sagen, das du in Hunter verliebt bist?"
Ich presse meine Lippen zusammen und nicke. „Schon so lange."
„Und wieso hast du dann mit seinem besten Freund geschlafen?"
„Ich habe nicht! Also... er hat... ich weiß nicht genau..." Meine Unterlippe fängt an zu beben.
Mitfühlend schiebt sie mir Taschentücher hin. „Du kannst es ruhig sagen. Es wird leichter sein darüber zu reden."
„I-ich glaube e-er h-hat mich v-vergewaltigt." schluchze ich und halte mir die Hände vor das Gesicht.
Gott, wieso erzähle ich ihr dass überhaupt? Sie wird dass bestimmt weitererzählen und dann habe ich noch ein weiteres Problem. Ich hätte einfach die Klappe halten sollen.
„Hast du schon mit jemanden darüber geredet?"
Ich schüttele den Kopf. „N-nein."
„Wie ist es denn dazu gekommen? Weißt du noch, wie es dazu geführt hat?"
„Es war letztes Jahr auf einer Party. Es war eigentlich wie immer alles normal und lustig, aber dann wurde mir schwindelig und ich wurde so müde, das ich mich in einem Zimmer ausruhen wollte." Ich kneife die Augen zusammen. „Ich glaube West ist mir gefolgt und hat dann... naja. Ich kann mich nicht mehr richtig daran erinnern, aber als ich am nächsten Morgen aufgewacht bin, war ich nur noch in Unterwäsche und das Bett war voller Blut. Mein Körper hatte schwere Prellungen und einige Möbel waren kaputt und dann kam West aus dem Badezimmer nur in Boxershorts und hat mir eingeredet, das ich jemanden etwas angetan habe und er mich nur schützen wollte, indem es so aussieht, als hätten wir miteinander geschlafen. Was denkst du?"
Sie denkt einige Minuten nach, bevor sie sagt „Also wenn du meine ehrliche Meinung hören willst, dann denke ich das du mit deiner Vermutung richtig liegst. Es tut mir so leid."
Selbst meine Hände können nicht mehr all meine Tränen auffangen, die mir über das Gesicht laufen. „Ich fühle mich so benutzt. So angeekelt und widerlich. Ich würde am liebsten stundenlang duschen, doch was bringt mir das schon? Er hat mir mein erstes Mal genommen. Ich weiß nicht, wie ich jemanden je wieder körperlich so nah an mich lassen soll. Was ist, wenn ich einen Flashback bekomme oder auf einmal sein Gesicht vor mir auftaucht? Er hat mein Leben ruiniert."
„Okay, wir gehen das alles langsam an, ja? Das du mir dass gesagt hast, war schon ein bemerkenswerter großer Schritt. Du wirst dass niemals vergessen, aber du kannst es verarbeiten und lernen damit zu leben, du—"
„Wie soll ich denn damit leben, das ein notgeiler Wixxer seine Hände nicht bei sich behalten konnte? Er hat mich angefasst, ohne meine Erlaubnis. Er ist in mich eingedrungen, weiß Gott wie oft, während ich nicht einmal bei Bewusstsein war. Anscheinend habe ich mich anfangs gewährt, wenn ich sogar überall blaue Flecken hatte. Er war grob! Ich kann froh sein, nicht bei Bewusstsein gewesen zu sein. Er ist ein Vergewaltiger und müsste im Knast schmoren, stattdessen läuft er noch frei herum und bedroht mich." Wütend wische ich mir über die Augen.
„Er bedroht dich? Du bist nicht zur Polizei gegangen?" Sie kaut nachdenklich auf ihrer Unterlippe.
„Nein, wieso denn auch? Ich weiß ja nicht einmal was passiert ist. Außerdem habe ich keine Beweise." Ich lege meinen Kopf an die Sofalehne und sehe an die Decke.
„Emery, ich hoffe du weißt, das du an nichts von dem allen Schuld bist. Er hat dir wahrscheinlich etwas in dein Glas getan, das die schwach macht und dich am nächsten Tag an nichts mehr erinnern lässt. Du bist weder abstoßend, noch widerlich. Wenn ich dich so ansehe, bist du sogar richtig stark, für dass was dir widerfahren ist. Nicht viele können nach so einer Tragödie sagen, das sie sich wieder so gut in den Alltag gefunden haben." Sie zögert mit ihrer nächsten Frage. „Weiß wirklich niemand davon? Nicht einmal deine Freunde? Hunter?"
Ich seufze. „Nein. Sie würden mich nur bemitleiden. Und Hunter? West ist sein bester Freund. Es würde ihn so sehr verletzen, das er nicht erkannte, was für eine Person er ist."
„Es wäre aber ein guter Schritt um es zu verarbeiten und hinter dir zu lassen. Hast du dich seitdem schon von jemanden wieder so anfassen lassen?"
„Erst vor kurzem wieder. Ich umarme wieder meine Freunde und so. Mit Hunter habe ich auch schon oft gekuschelt und in einem Bett geschlafen." sage ich ehrlich.
„Hast du dich von ihm bedroht gefühlt?"
Was für eine Frage.
„Nein. Anfangs bin ich noch zusammengezuckt, aber bei ihm fühle ich mich sicher. Er würde mir so etwas nie antun. Er nimmt immer Rücksicht auf mich."
Tory lächelt mich warm an. „Das ist gut, sehr gut. Und denkst du, du wärst bereit mit ihm zu schlafen?"
Ich verziehe das Gesicht zu einer Grimasse. „Ich weiß nicht, aber ich werde es mit ihm wohl kaum herausfinden."
„Wieso? Ich dachte du liebst ihn?"
Meine Mundwinkel sinken. „Das tue ich. Er hat aber leider eine Freundin. Er hat sie direkt an seine Seite geschleppt als es passiert ist."
Stumm betrachtet sie mich. „Denkst du es wäre möglich, das er auch in dich verliebt ist? Es ist doch schon komisch, das er so wütend auf dich ist, wenn du mit seinem besten Freund geschlafen hast. Vielleicht war er eifersüchtig und wollte dich dann mit einem anderen Mädchen vergessen und womöglich provozieren."
Ich sehe sie wieder an. „Ich denke nicht. Aber wenn ja, ist dass eine ziemlich beschissene Aktion. Außerdem wenn es so wäre, wieso hat er damals West nicht einfach aufgehalten und wäre mir selbst nachgegangen? Er liebt mich, ja. Aber nur als eine Freundin."
Sie nickt. „Ich denke wenn du ihm erzählen würdest was passiert ist, würde er bestimmt mit seiner Freundin Schluss machen. Er ist verletzt und hat womöglich Liebeskummer. Stell dir vor wie er sich fühlen würde, wenn er erfährt, das er umsonst auf dich sauer und die ganze Funkstille unnötig war? Die Wahrheit ist immer der richtige Anfang, auch wenn sie dir Angst macht. Glaub mir, du wirst dich besser fühlen und dir wird eine große Last abgenommen. Du wärst doch auch wütend, wenn er mit deiner besten Freundin schlafen würde, wobei du ihn doch liebst, oder?"
Ich fahre mir durch die Haare. „Schon. Und was willst du mir jetzt damit sagen? Ich kann doch nicht einfach zu ihm gehen und sagen das ich von seinem besten Freund vergewaltigt wurde und ihn seit Jahren liebe und nur zu feige war es ihm zu sagen. Ich hätte es ihm einfach sagen sollen, dann wäre es vielleicht nie passiert."
„Für dich und deinen Heilungsprozess wäre es das Beste, wenn du dich deinen Freunden und Hunter anvertrauen würdest, damit sie dich besser verstehen und unterstützen. Und wer weiß, vielleicht bekommst du ja endlich deinen Traumprinzen. Es wäre schade, wenn ihr euer Glück wegen eines Missverständnisses nicht bekommt." Sie verschränkt ihre Hände. „Was willst du? Oder was wirst du jetzt tun? Was nimmst du aus dieser heutigen Sitzung mit?"
„Ich will das West seine gerechte Strafe bekommt. Ich will einfach ein normales Leben und glücklich mit meinen Freunden und Hunter sein. Ich weiß nicht, ob ich ihnen davon erzählen kann, aber ich werde es versuchen." murmele ich erschöpft.
„Es wird leichter wenn du dich Stück für Stück öffnest. Heute war schon ein guter Anfang. Wir beide wissen, das da noch mehr ist, aber wir gehen das alles langsam an, ja? Wir haben beide das gleiche Ziel und dass ist, das du wieder Glück finden kannst, ohne an deine Vergangenheit zu denken. Du bist stark, ich hoffe du weißt dass." Sie legt ihren Stift weg und steht auf.
Ich erhebe mich ebenfalls. „Du bist gar nicht so übel wie ich dachte."
Grinsend meint sie „Wusste ich es doch! Es ist weil du mich Tory nennen darfst, oder?"
„Darf ich dich umarmen?"
Überrascht lächelt sie. „Klar. Ich fühle mich geehrt."
Ich umarme sie fest und denke mir, das alles vielleicht wieder besser werden wird. Sie hat mir Hoffnung gegeben und mich gestärkt. Vielleicht ist eine Therapie doch nicht so sinnlos wie gedacht. Ich freue mich sogar, wenn ich das nächste Mal wiederkomme, auch wenn nicht jede Sitzung so laufen wird wie heute.
Ganz im Gegenteil.
____________________
Hello Friends! Ich wünsche euch einen schönen Tag und hoffe das es euch allen gut geht!🙌🏼💜
Emery öffnet sich endlich jemanden. Ob es ihr wohl helfen wird? Oder was sie dadurch lernt? Welche Katastrophe kommt wohl als Nächstes?😏💕
Hab euch lieb. Das geht an die Menschen, die Leuten immer mit Problemen helfen, aber nie selbst über ihre reden. Die, die immer zuhören und einen unterstützen, ohne etwas im Gegenzug dafür zu verlangen. Die, die immer loyal und vom ganzen Herzen lieben, auch wenn es nicht jeder sieht. Die, auf die man sich immer verlassen kann, egal in welcher Situation. Die, die immer eine stärkende Schulter zum anlehnen sind, auch wenn sie selbst keinen haben, der für sie das tut. Ich hoffe euch allen passiert bald etwas wunderbares und euer ehrenhaftes Verhalten wird sich auszahlen. Und ich hoffe ihr findet die Person, die ihr immer für andere seid. Ihr seid die beste Sorte Mensch und ihr könnt stolz auf euch sein. Ihr verdient Glück am meisten❣️
Bis im nächsten Kapitel,
Adios, Friends!❤️
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top