sᴇᴄʜsᴛᴇs ᴋᴀᴘɪᴛᴇʟ
"God knows what is hiding in those weak and drunken hearts. I guess the loneliness came knocking. No one needs to be alone, oh save me" - People Help The People, Birdy
Den Rest des Tages geht er mir, wohlgemerkt nachdem er meinen Verband gewechselt hat, aus dem Weg, so gut es ihm auf unserem beschränkten Platz im Wohnmobil möglich ist.
Er vertieft sich in einen dicken Ordner, allerlei Zettel und Dokumente und schreibt stundenlang Texte auf Papier, das er dann faltet und in Kuverts steckt.
Mir bleibt also nicht viel übrig, als Löcher in die Luft zu starren und zu überlegen, wie ich es am besten anstelle, dass er sich zu mir hingezogen fühlt und mir zumindest vertrauen möchte.
Nach langem Hin und Her entscheide ich mich dazu, heute noch nichts zu machen, um ihn nicht völlig zu überrumpeln, und so liegen wir abends wieder starr nebeneinander im Bett und schweigen uns an, bis wir eingeschlafen sind.
***
Für den nächsten Morgen habe ich mir vorgenommen, ihn von mir aus nach einem gemeinsamen Frühstück zu fragen, aber er macht mir einen Strich durch die Rechnung, als er verkündet, sich heute mit Zayn zu treffen.
"Es tut mir leid, weil es mit Sicherheit unbequem sein wird, aber ich kann dich nicht mitnehmen", entschuldigt er sich, als er mich mit den Handschellen an ein Bein des Esstischs fesselt.
Bevor er dann geht, legt er mir ein paar Kissen auf den Boden und breitet eine Decke unter mir aus. Neben mich stellt er eine Wasserflasche, etwas zu essen und einen Eimer für den Fall, dass ich auf die Toilette muss.
Also sitze ich eine unbestimmte Zeit lang auf dem Fußboden, knabbere lustlos an meinen belegten Broten und baue meinen Fluchtplan weiter aus, bis ein Klicken an der Tür Louis' Rückkehr ankündigt.
Er sieht richtig erschöpft aus, als er das Wohnmobil betritt und hinter sich absperrt.
"Hey", sage ich unschlüssig und er hebt ruckartig den Kopf, als hätte er vergessen, dass zu Hause jemand auf ihn warten würde.
"Oh, hi", erwidert er und schenkt mir ein müdes Lächeln. "Entschuldige, es hat etwas länger gedauert."
"Schon in Ordnung."
Seufzend legt er einen Umschlag auf dem Tisch ab und befreit mich dann aus meiner unangenehmen Position. Die Handschellen rasseln, als ich ihm dabei helfe, die Kissen und die Decke zurück aufs Sofa zu legen.
"Darf ich wissen, was du gemacht hast?", frage ich, nachdem er meinen Teller abgewaschen hat, und er dreht sich mit Schaum an den Händen zu mir um.
"Ich habe Zayn geholfen, ein paar Sachen auszuliefern, und habe meinen Anteil bekommen", erzählt er überraschend offen und trocknet sich an einem Geschirrtuch ab. Dann geht er hinüber zu dem Umschlag und zieht einen ganzen Batzen Scheine heraus, um ihn mir einfach zu zeigen.
"Das ist ganz schön viel Geld", merke ich an. "Wenn du finanziell so gut aufgestellt bist, warum lebst du dann... hier?" Fast hätte ich etwas wie 'in diesem Loch' gesagt, aber mein Verstand hat mir gerade noch rechtzeitig geraten, eine andere Formulierung zu wählen.
"Weil ich...", beginnt er, stoppt dann aber und sieht mich unsicher an. "Interessiert es dich wirklich, oder willst du nur die Zeit totschlagen?"
"Hätte ich gefragt, wenn es mich nicht interessieren würde?"
Nachdenklich sieht er mich einen Moment lang an und seufzt dann ergeben. "Ich hatte eine tolle Mutter, weißt du. Wenn sie heute noch leben würde, wäre ich bestimmt nicht... so geworden." Er macht eine allumfassende Geste, womit er wahrscheinlich sowohl sich als Person, seinen Lebenstil als auch seine Situation meint.
"Wieso ist sie gestorben?"
Irgendwie fühlt es sich falsch an, ihm so ein persönliches Thema zu entlocken, nur um ihm das Gefühl zu geben, dass ich mich um ihn sorge und er mir nicht egal ist. Aber es ist auch falsch, mich hier festzuhalten, oder etwa nicht?
"Leukämie", lautet die simple Antwort und er sieht plötzlich furchtbar traurig aus. "Ist noch gar nicht lange her."
"Das tut mir leid", erwidere ich und bekomme ein schlechtes Gewissen, diese Sache überhaupt angesprochen zu haben, als seine Augen verdächtig zu glänzen beginnen.
"Nein, ist schon okay. So ist es eben, ich kann sowieso nichts daran ändern", presst er hervor und wischt sich mit dem Ärmel flüchtig die ersten Tränen vom Gesicht. "Ich habe sechs Geschwister. Die jüngsten beiden sind gerade einmal ein knappes Jahr alt und die anderen sind auch noch nicht volljährig. Als meine Mutter gestorben ist, hatte ich keinen Job und keine Möglichkeit, sie alle zu adoptieren, also wurden sie in Kinderheimen und bei Pflegefamilien untergebracht und dort sind sie heute noch. Und mit Niall bin ich schon lange befreundet. Er hat mich mit Zayn bekannt gemacht und so bin ich irgendwie in diese ganze Einbruchsache hineingerutscht. Ich weiß, dass es nicht richtig ist, anderen Leuten ihr Eigentum zu klauen, aber so komme ich zu viel mehr Geld als bei einem Job, für den ich qualifiziert wäre, und ich kann meinen Geschwistern monatlich ein paar hundert Pfund schicken, ihnen Briefe schreiben und den Rest des Geldes dafür sparen, dass sie eine Zukunft haben und studieren gehen können, sobald sie alt genug sind."
Er sieht aus, als wollte er noch etwas sagen, doch seine Stimme bricht beim Versuch weiterzusprechen und er presst peinlich berührt die Lippen aufeinander. Hastig reibt er sich über die geröteten Augen und blinzelt dann, um die Tränen loszuwerden.
"Das... das tut mir furchtbar leid", gestehe ich ehrlich und gehe ohne zu überlegen auf ihn zu.
In eine tröstende Umarmung schließen kann ich ihn aufgrund meiner Fesseln nicht, also begnüge ich mich damit, das zu machen, was er im Haus meiner Großmutter bei mir gemacht hat.
Er zuckt unter meiner Berührung zusammen, doch sobald ich ihm vorsichtig über die Haut streichle, lehnt er sich mir entgegen und ein lautes Schluchzen entfährt ihm.
Wie einsam muss er sein, wie sehr muss er sich nach Liebe und Zuneigung sehnen, wenn er sich mir, seinem Gefangenen, so schutzlos aushändigt? Wenn ich wollte, könnte ich ihn in diesem Moment der Schwäche vielleicht mithilfe der Handschellen an mich ziehen und würgen, bis er keine Luft mehr bekommt, oder ihm den Kopf so oft auf den Boden schlagen, bis er das Bewusstsein verliert. Ich könnte ihm die Schlüssel vom Hals reißen und fliehen.
Und ich will mir wirklich einreden, dass es nur an meinem geschundenen Bein und meinen fehlenden Kenntnissen über den Wald liegt, dass ich es in diesem Moment nicht übers Herz bringe. Doch wenn ich ehrlich zu mir bin ist der Grund, der alle anderen überschattet, dass er mir unendlich leid tut und ich ihm jetzt, und wenn es nur für ein paar Minuten ist bis er sich mir wieder entzogen hat, nichts antun kann.
-
Ich hoffe, euch allen geht es gut.
Habt einen schönen Abend
Maybe x
[1121 Wörter]
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