💠Training II💠


"Wann hast du gemerkt, dass du anders bist?"
Seungmin blickte von seinem Buch auf und starrte zur Decke. Jisung richtete sich in eine angenehmere Sitzposition auf und beobachtete den Meermann. Das Bücherregal in seinem Rücken knarrte ein bisschen, als er sich dagegen lehnte. Wie sich herausstellte, besaß dieses Schloss auch eine uralte Bibliothek, dessen Geruch und Aussehen eher an das achtzehnte Jahrhundert erinnerte mit ihren hölzernen Fassaden und Treppen, die baufällig wirkten. Und doch vermittelte dieser Saal Erhabenheit, aber allen voran Wissen aus längst vergangener Zeit. Allein diese Tatsache verursachte bei ihm eine Gänsehaut, denn Wissen glich Macht und wenn man wusste, wie man sie einzusetzen vermochte, konnte man eine Schlacht beenden, ohne Massengräber ausheben zu müssen.
"Man sollte meinen, als Meermann wäre es leicht, aber so ist es nicht."
Der Braunhaarige schloss sein Buch und zuckte die Achseln.
"Manch anderer entdeckt seine Kräfte erst mit fünfzehn oder sechszehn. Das Glück war mir nicht hold. Als ich zehn geworden bin, habe ich versehentlich einen Mitschüler, der mich gehänselt hat, auf die Straße gepustet. Wortwörtlich. Und ab da veränderte ich mich Schrittweise. Aus meinem normalen Menschenohren wurden meine jetzigen. Wann immer ich in Kontakt mit Wasser oder wasserähnlichen Substanzen kam, bildeten sich Schuppen, wie ein Lauffeuer über meine Haut."
Seungmin seufzte und Jisung merkte, dass ihm diese Erinnerungen psychische Schmerzen bereitete. Der Blonde sagte ihm, sie können aufhören, doch der Braunhaarige schüttelte den Kopf und schenkte ihm ein müdes Lächeln. Die Tatsache, dass der Meermann früher Schuppen bekam, irritierte ihn, weswegen er sich innerlich eine Notiz, um ihn deswegen zu fragen.
"Die damaligen Schüler der Klasse hatte Freude daran mich zu ärgern und zu schikanieren, mich zu entblößen. Bis ich eines Tages so aus der Haut gefahren bin, dass ein ganzes Klassenzimmer zu Bruch ging."
Das Zittern in Seungmins Stimme war unverkennbar, also rutschte Jisung an seine Seite und begann Kreise auf der kalten Haut des Meermannes zu zeichnen. Es beruhigte ihn und den Blonden ebenfalls. Auch wenn Seungmin immer stark und freundlich und hilfsbereit wirkte, innerlich war er eine geschundene Seele, die sich nach Unterstützung sehnte.
"Man verwies mich der Schule und verbot mir jeglichen Kontakt zu diesen Kindern. Mein Mum war zu der Zeit aufstrebende Meeresbiologin, ihr Kind zu sein, ihr gerecht zu werden, war keineswegs leicht. Sie betonte zwar immer, dass mein Sein nichts schlimmes war, aber ich bemerkte ihre Traurigkeit hinter ihrer stählernden Fassade. Sie hätte sich gern ein normales Kind gewünscht."
Seungmin legte das Buch zur Seite, um sich mit der freien Hand über die Augen zu wischen. Diese Geste, diese verlorenen Augen des Braunhaarigen brannten sich in seine Seele hinein, wie ein Brandmahl. Jisung wollte nicht, dass Seungmin so litt. Nicht heute und auch nicht in hundert Jahren.
"Aber was ist heute schon normal, oder?", fragte der Meermann, während sein hysterisches Lachen einem Schluchzen wich.
"Sie schickte mich mit zwölf hierher."
Jisung überlegte, was er vor sechs Jahren getan hatte, als Seungmin an das Internat geschickt wurde.
Ihm fiel beim besten Willen nichts ein.
"Zu Beginn sah es hier noch ganz anders aus, auch wenn man merkte, dass die Kluft zwischen Sirenen und Meerjungfrauen viel angespannter war. Doch das hinderte mich nicht Freundschaften zu schließen und aus meiner Trauer herauszufinden."
Jisung hörte gespannt zu. Die Augen seines Sitznachbarn waren zwar gerötet, doch die Tonlage seiner Stimme verriet ihm, dass der kleine Sturm, welcher über ihn gezogen war, verschwand.
"Viele waren wir nicht, Felix und Jeongin kamen erst später. Weswegen ich mich mit anderen, älteren zusammenschloss. Und allen voran Hwang Hyunjin. Er war-"
Der Mensch unterbrach Seungmin mit einer Handgeste und starrte ihn voller Überraschung an.
"Reden wir vom selben Hwang Hyunjin? Dem Supermodel? Den Prinzen des Meeres? Der Unterwasserschönheit, über die manche Model- und Klatschmagazine sprechen?"
Seungmin errötete und schlug ihm auf den Oberarm. Das entging natürlich Jisung nicht.
"Ja, es handelt sich um den Hwang Hyunjin."
Jisungs Augen wurden Teller groß, während sich sein Kinn zum Boden verabschiedete. Er hatte das Gefühl ihm würden seine Augen rausfallen. Seungmin begann zu kichern, ehe die Ernsthaftigkeit seine Gesichtszüge verhärtete.
Jisung zog die Stirn kraus.
Bis es bei ihm klick machte.
Hwang Hyunjin war der Grund, warum Seungmin nicht gut auf Sirenen zu sprechen war. Ohne eines Wortes bat er den Braunhaarigen seine Eingebung zu erläutern und der Meermann verstand sein Ersuchen.
"Mittlerweile war ich älter, verständnisvoller im Umgang mit meinen Kräften. Ich sah sie nicht mehr als Monster an und mich auch nicht. Vielleicht habe ich mich damit abgefunden, an manchen, dunklen Tagen nicht. Hyunjin hat mir gezeigt, wie man damit arbeitet, damit lebt, und mit jeder Stunde, die ich mit ihm verbracht habe, wuchs mein Verlangen ihn kennenzulernen. Richtig kennenzulernen. Bis zu jenem Tag."
So theatralisch und übertrieben es klang, das war es nicht. Seungmins Stimme klang dem einer Harfe sehr ähnlich und er mochte es dem Braunhaarigen zu zuhören. Jisung war noch nie verliebt, zumindest nicht so richtig, von daher konnte er dem Jüngeren nur bedingt helfen. Die Bücher um sie herum flatterten, nachdem der Meermann seine Magie durch den Raum stieß.
Jisung entschlüsselte dies als Wut.
Tiefsitzende Wut, die alles und jeden verschlingen konnte.
"An jenem Tag brach ein Feuer in einem Schuppen aus. Und Hyunjin wusste, wusste, dass da Menschen drin waren. Er hat nichts dagegen unternommen. Also sind einige andere Meerjungfrauen und -männer, sowie ich, dorthin geeilt, um Hilfe zu leisten. Das Mädchen und der Junge konnten zum Glück gerettet werden."
Das Flüstern seines Sitznachbarn ließ Eiskristalle seinen Rücken hinaufjagen. Kim Seungmin besaß auch eine dunkle Seite, die er der Welt nicht offenbarte. Und sie war bestialisch.
"Und du konntest ihm das bis heute nicht verzeihen", stellte der Blonde fest.
Zur Zustimmung nickte der Braunhaarige.
"Letzten Endes kannst du dir nicht aussuchen, in wenn du dich verliebst."

Jisung dachte über Seungmins Worte nach, während er durch die Gänge zum Trainingsraum lief. Er verspürte dieses Verlangen, dem Braunhaarigen zu helfen, ihm diese Last abzunehmen. Dabei schleppte er selbst diese riesigen, schweren Ketten hinter sich her.
"Ich dachte schon, du kommst nicht mehr", ertönte Minhos raue Stimme. Der Blonde nickte nur, auch wenn sein Herz wieder einmal diesen Marathon zu rennen schien. Das Wasser jagte ihm noch immer eine heiden Angst ein. Er biss die Zähne zusammen und überwand seinen Inneren Schweinehund, zumindest so weit, dass er nicht fluchtartig aus dem Raum rannte. Diesmal hatte der Ältere vor dem Becken Platz genommen. Seine Haltung war stets dieselbe, und doch fühlte sich Jisung nicht abgewiesen. Eine Frage tanzte auf seiner Zunge, welche er schon seit Tagen mit sich herumschleppte.
"Warum hilfst du mir?"
Minhos Blick wanderte vom glitzernden Wasser zu den Buntglasfenstern.
"Weil du mich nachdenklich stimmst, Han Jisung", war die schlichte Antwort, mit der sich der Blonde jedoch nicht zufrieden geben wollte.
Aber fürs Erste reichte das.
Der Mensch machte noch zwei Schritte näher ans Becken und nahm dann auf den Fliesen platz. Einige Minuten herrschte Stille, in denen Jisung Seungmins Worte durch den Kopf schwebten.
Bis Minho ihn etwas fragte.
"Wer bist du?"
Jisung dachte kurz nach, begann mit dem Saum seiner Jacke zu spielen, bis er seine Sitzposition änderte und die Beine vor die Brust zog.
"Ich war diese Art von Kind, welches stets nach tanzenden Feen im Gras suchte. Ich wollte an Hexen, Zauberer, Orks, Riesen, Meermänner, Zwerge, Sirenen und magsiche Zaubersprüche glauben. Ich wollte nicht, dass die Magie, an der ich so hing, an der ich so festhielt mit meinem kleinen Herzen, aus der Welt verschwand, in dem sie durch wissenschaftliche Erforschung vernichtet wurde. Und jetzt bin ich Ich, der riesen Angst vor Wasser hat, jede Nacht Alpträume mit Riesenspinnen erlebt und auf ein Internat gesteckt wurde, wo jeder jeden hasst."
Jisung machte ein Pause, atmete tief durch, um das Zittern in seiner Stimme zu ersticken.
"Und dann? Was geschah mit diesem Kind?", fragte Minho. Völlig perplex blinzelte der Blonde, während ihn das Gefühl beschlich, die Sirene könnte sein Geheimnis kennen, dass, was er im tiefsten Inneren verschlossen hatte, wo er nicht einmal mehr wusste, ob der Schlüssel noch vorhanden war.
"Es begegnete der Zerstörung, dem grauenvollsten Wesen, welche die Welt je gesehen hatten, die, die Träume von Kindern im Keim erstickten: die Realität und den Tod."
Danach hatte der Mensch aufgehört an jene Dinge zu glauben, die sein Herz erfüllten. Nach jenem Tag.
Minho nickte und starrte vor sich hin. Noch immer versuchte Jisung den Geist des Braunhaarigen zu verstehen. Etwa den Grund, warum er ihm half. Er verstand es nicht. Egal wie er diese Tatsache drehte oder wandte, er landete stets in einer Sackgasse.
"Wusstest du, dass Seungmin und Hyunjin sich mochten?"
Die Sirene blinzelte bei der offenen Wendung des Themas.
Dennoch nickte er.
"Sie waren eine zeitlang das Thema der Schule. Sie waren schön, witzig, sie passten zu einander, wie die Sterne zum Nachthimmel."
Jisung nickte und nahm dem Braunhaarigen beim Wort.
"Bis Hyunjin ihn hat sitzen lassen", murmelte der Blonde.
Für einen Moment huschte irgendeine Emotion über das Gesicht des Älteren, sodass Jisung schlucken musste. Diesen Ausdruck würde er niemals auf einem Schlachtfeld begegnen wollen.
"Hyunjin hat Angst vor Feuer."
Für einen Wimpernschlag blieb die Zeit stehen, während Jisung versuchte das Ausmaß dieser Aussagen zu verstehen. Sein Gehirn arbeitete auf Hochtouren, ehe Minhos Stimme ihn unterbrach.
"Das Leben einer Sirene ist ätzend. Und das von Hwang Hyunjin war keineswegs ein Schönes gewesen. Nicht, wenn man sich wegen seiner Schönheit prostituieren musste, um am Leben zu bleiben."
Jisung fühlte sich mit einem Mal unbehaglich. Er wollte nicht wissen, was Hyunjin durchlitten hatte, nicht ohne das der Schwarzhaarige dabei war, denn das war privat und intim. Sein Gegenüber bemerkte sein Unbehagen und ließ das Thema fallen.
"Liebe und Verlust", sagte Minho, "sind wie ein Schiff und die See. Sie erheben sich zusammen. Und je mehr sie lieben, desto mehr verlieren sie. Aber der einzige Weg um Verlust zu umgehen, ist der Liebe zu entsagen. Und das, Kleiner, ist eine traurige Welt."

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Guten Abend, meine wundervollen, fantastischen Leser und Leserinnen!
Ihr seid großartige Menschen, denn ohne euch hätte Pearls niemals die 1K Marke geknackt! Ich möchte mich bei Euch bedanken, für jeden Kommentar, jeden Voten und jeden stummen Read. Ohne Euch würde ich nicht die Kraft finden all meine Gedanken in einem Werk zu fassen, ohne Euch würde ich einen großen Teil von mir selbst missen. Ich glaube, ohne eure Anteilnahme an dieser und all jenen Stories zuvor, könnte ich nicht wachsen.
Ich bin Euch unendlich dankbar. Die Tiefe dieser Dankbarkeit, welche mir entspringt, kann ich nicht in Worte fassen. Wahrscheinlich kann ich das niemals. Doch ich hoffe, Ihr wisst, wie ich es meine, und ich hoffe, Ihr bleibt mir weiterhin so treu.

Besonderem Dank gilt:
StaryKidss
itsaKV
leo_Er
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JisungsKnutschfleck
AyaWolf3105
Lollena7
Linda_mlly
myxvibes
Lune_222
paupau_owo

Ohne Euch würde ich nicht grinsend und lachend vor meinem Handy sitzen, ohne Euch und Euer grandioses Feedback wäre ich nicht Ich, würde ich nicht diese Zeilen schreiben können. Ihr spendet mir Mut und Kraft und Licht, Motivation und Freunde und so viel mehr, dass ich gar nicht alles in Worte fassen kann. Ohne schnulzig und komisch zu klingen:
Ich liebe Euch.
Und ich bin so dankbar, dass wir gemeinsam die Wege durch meine Geschichten beschreiten, dass Ihr stets an meiner Seite seid, mich aufbaut, wenn ich falle, wenn es mir so scheußlich geht, dass ich mich nur durch meine Fanfiktions aufrecht halten kann.
Ich bin dankbar, dass Ihr meine Stützen seid.
Und ich hoffe, aus den Tiefen meiner Seele, dass es euch ähnlich geht und ich euch eine Hilfe und Stütze in Euren dunklen Stunden sein kann.

Danke!

Und nun zum Eigentlichen! Was haltet Ihr von Seungmins Geschichte? Seid Ihr auch so gespannt, was es mit Hyunjin seiner Vergangenheit auf sich hat? Minho hat ja etwas geplaudert.

Lee Minho

Han Jisung

Feel free to comment!

Erin🌸

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