💠Past💠
"Manchmal hat man ein paar Tage, wo man sich gut fühlt. Und dann trifft es dich. Alles. Es schmerzt zu sprechen, zu lieben, zu sein. Existieren in dieser Zeit ist unheimlich schwer. Niemand möchte etwas über die Tage hören, wo du weinend zusammen gekauert im Bett lagst oder wenn du dir wünschtest jemand anderes zu sein. Wir alle haben Wege, um damit klarzukommen. Wege, um am Leben zu bleiben, wenn wir so zu gedröhnt sind von Schmerzen, sodass es einem Miasma an Unendlichkeit in einem ausfüllt. Man hat das Gefühl, es hört niemals auf. Und ich verstehe es. Das ist kein Leben mehr, das ist einfach nur ein Mechanismus, um durch den Tag zu kommen."
Hyunjin seufzte und senkte den Kopf. Sein grazieler, märchenhafter Körper sank neben den von Jisung. Gemeinsam starrten sie auf die alten Wälzer der Bibliothek, wo all die Unendlichkeit so weit entfernt und doch ganz nah erschien. Die Bücher kämpften um ihre Aufmerksamkeit.
"Und ich hoffe, dass es eines Tages mehr als das ist."
Der Blauhaarige blickte zu der Sirene. Seine schwarzen Haare glänzten tiefer als die dunkelste Nacht. Seine makellose Haut schimmerte jedoch im hellen Kontrast, als wäre er ein Kristall.
Ein Rohling geschmiedet, um zu töten.
"Chan und Changbins Lebensgeschichte kennst du ja bereits. Wahrscheinlich die von Minho auch, oder?"
Der Mensch zuckte zusammen, nickte jedoch anschließend. Er wusste nicht, warum, aber Hyunjin änderte manchmal seine Persönlichkeit. Zumindest kam es ihm so vor. Es gab Momente, da zog er sich in sich selbst, in seinen Geist zurück. Jisung konnte nur spekulieren, aber er hatte das Gefühl, dieser Rückzug geschah, weil dieses Ding, diese Last in seinem Inneren übermächtig wurde, ihn drohte zu übermannen und alles, was er liebte, alles, was er war, zu überrollen.
"Du hast dieses gewisses Etwas, dass man sich dir öffnen möchte. Vielleicht liegt es an dieser Wärme, die du unbewusst entsendest."
Hyunjin schenkte ihm ein zaghaftes Lächeln und es war ein Lächeln, dass der Blauhaarige noch nie gesehen hatte. Dort steckte so viel Leid und Schmerz und so viel Liebe drin, dass er stark Luft holen musste, um dieser Geste widerstehen zu können.
"Mein Leben begann in der übelsten Spielunke des damaligen Piratenzeitalters. Ich wurde geboren, und von da an, lebte ich nach den Idealen, derer, die mich aufzogen. Meine Mutter verstarb bei der Geburt, einen Vater besaß ich nicht, und wenn doch, war es mir egal."
Jisung schenkte dem Schwarzhaarigen seine gesamte Aufmerksamkeit, hörte, wie seine Stimmlage sich veränderte und das zum Vorschein brachte, was lange Zeit verborgen war.
"Ich wurde von einer Kellnerin dieses Schankhauses gefunden und aufgezogen. Das Leben von mir begann. Und es begann weder mit Hoffnung noch mit Freude. Ich lebte um zu arbeiten. Die ersten Jahren waren noch in Ordnung, ich putzte, kümmerte mich um den Abwasch. Es war erträglich."
Hyunjins Augen verdunkelten sich, zogen sich tief in seine Augenhöhlen zurück, um das, was er einmal erlebt hatte, nicht erneut zu fühlen.
"Die Kellnerin, welche mich aufgenommen hatte, ihr Name war Sunmi und sie war die Seeles dieses Hauses. Sie war schön, wunderschön, ein Gesicht, ein Körper, als wäre sie eine Göttin und das sahen auch die widerwärtigen Gäste. Sie sahen das, was ich nur als nebensächlich betrachtete. Sunmi besaß diese Wärme, diese Wärme, die....die Seungmin ebenfalls an den Tag legte."
Jisung bemerkte, dass die Sirene Seungmins Namen flüsterte, als würde er denken, der Meermann würde ihn hören.
"Sie war Güte und Freundlichkeit in einem. Sie war atemberaubend in ihrem Sein, dass man immer Angst hatte, durch ihre Strahlen zu verglühen. Sie hatte mich aufgezogen und mich geliebt, wie eine echte Mutter, schenkte mit Wärme und Geborgenheit, schenkte mir einen Grund stets nach vorne zu blicken. Denn sie glaubte immer daran, dass wir irgendwann gemeinsam von dieser Bar verschwinden konnten."
Die Stimmlage des Größeren veränderte sich, distanzierte sich, wurde fremd und hohl. Jisung wusste, was dies bedeutete und rutschte näher an die Sirene zusammen. Doch seine Augen blickte zum den Regalen. Der Staub tanzte um sie herum.
"Es war ein Traum, der zum Scheitern verurteilt wurde. Eines abends kam eine Truppe Seefahrer, halb betrunken, nach Ladenschluss in das Haus. Sie zerschlugen jedwedes Geschirr, nahmen das Gold aus der Kasse und..."
Hyunjin stoppte, blinzelte mehrfach, um dem Schmerz zu entfliehen. Doch Schmerz verging nicht, man wurde verdammt dazu ihn zu fühlen.
Jedes bisschen sollte einen zerfressen.
"Der Herr des Hauses war aus, betrank sich wahrscheinlich mit seinen Kumpanen, während, während Sunmi direkt vor meinen Augen vergewaltigt wurde, während sie ihr die Kleider vom Leib rissen und ihre Würde unter den Teppich kehrten."
Jisungs Nackenhaare stellten sich auf, bei diesem bloßen Gedanken. Ihm wurde übel, die Galle bahnte sich seinen Rachenraum hinauf.
"In jener Nacht wollte ich ihr helfen. Doch ich war zu schwach, zu klein, zu dürr, um irgendetwas ausrichten zu können. Aber ich versuchte es, nahm den Schürrhaken aus dem brennenden Kamin und griff an."
Anhand von Hyunjins Erklärung konnte es sich der Blauhaarige beinahe bildlich vorstellen und diese Tatsache verängstigte ihn, sodass der Schweiß aus seinen Poren drang.
Hwang Hyunjin war ein Überlebender.
"Der erste Mann starb, der Zweite drehte den Spieß um. Stieß mich in Richtung der Flamme und, und..."
Die Sirene atmete hörbar aus, kämpfte gegen das an, was ihm sein Verstand zeigen wollte. Die Vergangenheit.
"Tut mir leid, es ist nur, ich habe das eine lange Zeit verborgen gehalten."
Jisung nickte verständnisvoll und bot ihm an, dass sie ihr Gespräch an einem anderen Tag beendeten.
Doch Hyunjin schüttelte nur seinen Kopf.
"Ich wurde gebranntmarkt."
Jisung verzog bei dieser Aussage gequält das Gesicht. Er stützte sich auf seine Gedanken und versuchte es sich diesmal nicht vorzustellen. Die Galle begann sich weiter in ihm zu regen.
"Aber in jener Nacht, war nicht dieses Brandmal das schlimmste Übel, sondern die Tatsache, dass sie mich und Sunmi bei lebendigem Leib verbrennen wollte. Sie sperrten uns in eine Kammer und zündete das komplette Gebäude an."
Hyunjin schluckte, und schluckte und schluckte.
Deswegen fürchtete sich der Ältere vor Feuer. Deswegen konnte er diese zwei Menschen bei dem Brand, von dem Seungmin erzählt hatte, nicht retten.
Er hatte Angst, fürchterliche Angst.
"Sunmi hat mir letztendlich das Leben gerettet. Sie war eine Sirene, eine von den guten. Und Sie rettete mich, weil sich mich liebte. Und ich habe sie auch geliebt. Ich liebe sie noch immer. Und ich habe mir geschworen, sie zu rächen."
Jisung verstand. Kein Wort könnte dieses Erlebnis beschreiben. Keines.
"Danach bin ich weitergezogen und in das nächste Übel gestolpert."
Hyunjin kicherte wirr und Jisung fragte sich, ob es nicht langsam reichte, er wollte dem Schwarzhaarigen nicht noch mehr zu muten, ihn nicht mehr leiden sehen.
"Ich war schön, ich bin es noch immer. Doch durch dieses Aussehen, durch dieses leicht, feminine Aussehen, wurde ich von vielen Frauen und Männern, vor allem Männern, begehrt. Ich brauchte Geld, um zu überleben, doch an, an-"
Hyunjin hielt inne und wischte sich über die Augen. Jisung sah ihn an, bedeutete ihm mit den Augen, dass es okay war, dass sie aufhören konnten. Doch Hyunjin erzählte weiter, kämpfte sich durch jedes Worte, durch jedes Ereignis.
"Ich habe nie an Prostitution gedacht, niemals, bis mich die Chefin des Hauses, wo ih arbeitete, dazu zwang. In der Nacht, wo ich zum ersten Mal körperlichen Kontakt, intimen, körperlichen Kontankt mit einem anderen Menschen hatte, schwor ich mir, schwor ich mir, sobald ich genug Geld hatte, all diese Drecksschweine zu töten. Jeden Einzelnen."
Der Trauer Hyunjins war blinde Wut gewichen und der Blauhaarige hatte das Gefühl die Sirene würde Explodieren.
"Und dann kam mein Tod, der doch nicht mein Tod war. Eines nachts sollte ich einem Piraten meine Dienste erweisen. So haben sie das immer genannt, krank, oder?"
Der Ältere lachte kurz auf und schüttelte anschließend den Kopf, um sich der Erzählung zu widmen. Hyunjins Tränen tropften auf Jisungs Hosenbein, seine zitterte Stimme füllte den Saal.
"Er hat mich letztens Endes mit einem Bettlaken erdrosselt, weil ich mich geweigert hatte mit ihm und seinem Kumpel zu schlafen. Dann haben sie mich von einer Klippe geworfen und ich ertrank, oder auch nicht."
Jisung verzog angewidert das Gesicht. Er schüttelte sich vor Ekel und drängte die Gedanken, welche über ihn einbrechen wollten zurück. Der Blauhaarige wusste, was als Nächstes geschehen sein musste. Er hatte jeden niedergemetzelt, der sich an Sunmi und ihm vergriffen hatte.
"Die erste Zeit an diesem Internat, nachdem ich Jahrzehnte umhergestriffen war, befinden sich kaum mehr in meinem Gedächtnis. Es gab mal eine Zeit, da habe ich alles nur durch eine Art Nebel gesehen, kein Licht, keine positiven Gedanken oder Erinnerungen drangen hindurch. Ich wurde einfach überschattet, ich ekelte mich vor mir selbst, vor meiner Haut, meinem Ich. Bis ich Chan, Minho und Changbin traf. Sie waren dieser Teil in mir, der beinahe tot war. Und Seungmin, Seungmin war mein Rettungsanker. Durch ihn hatte ich gelegentlich diese Lichtblicke, in denen der Nebel nicht siegte", gestand Hyunjin und blickte zur Decke. Dort oben befanden sich das Planetensystem der Erde, gefasst in Gold und mit Drähten und Fäden an der Wand befestigt. Es schillerte im trüben Licht der Kerzen. Jisung dachte an Hyunjins Worte, und er verstand sie, fühlte sie. Noch immer herrschte ewiger Winter in seinem Herzen, in seinem Körper. Von dem Licht, welches ihn durchströmte, war nichts mehr da und er fragte sich, ob es das war, was in ihm vor geraumer Zeit zerbrach.
Jisung straffte die Schultern und sagte:
"Du musst dich nicht immer zwingen, das zu sehen, was einfach momentan nicht möglich ist. Solange du trotz dieses Nebels an die schönen Dinge im Leben glaubst, kannst du es dir so bauen, dass nichts verschleiert oder verhüllt wird."
Hyunjin schenkte ihm ein mattes, ehrliches Lächeln.
"Warum hast du mir nie davon erzählt?", hörten sie eine Stimme hinter sich. Hyunjin und er wirbelten herum. Seungmin stand mit tränenüberströmten Gesicht vor ihnen.
"Warum hast du es mir nicht gesagt?", murmelte der Braunhaarige und wischte sich über die Augen. Jisung stieß Hyunjin in die Richtung des Meermannes und zwinkerte ihm zu. Seine Augen sagten:
Erklär es ihm, er wird es verstehen.
Der Blauhaarige eilte an den beiden vorbei und streifte beim Vorbeigehen Seungmins Schulter. Das Letzte, was er hörte, bevor er außer Reichweite war, waren Hyunjins Worte:
"Überleben ist niemals schön.
Es ist nicht heroisch, wie sie es in Märchen oder Filmen erzählen. Es ist dreckig, es sind Tränen, die deine Wangen hinabrinnen und Schluchzer, welche du in einer dunklen Ecke nicht zurückhalten kannst. Es ist Blut an deinen Händen und es ist Angst, die gleichermaßen mit einem tauben Gefühl einhergeht."
Jisung beobachtete die Sirene von Weitem, die Tränen auf seinen Wangen, weckten in ihm ein Gefühl. Ein Gefühl, dass seit einiger Zeit zu schlafen schien. Er entsandte ihm etwas von seinem Licht. Es war selbst noch schwach und klein, aber das war egal. Jisung wollte es.
"Du hängst diese Tatsache, dass du ein Überlebender bist, nicht an die große Glocke. Du singst dich in den Schlaf mit Geschichten von einem Leben, wo du nicht gedrängt wurdest in den Krieg ziehen zu müssen."
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Guten Abend, meine lieben Leser und Leserinnen! Dieses Kapitel hat mich unglaublich viel Überwindung gekostet, aber Jisung konnte Wingman spielen für Seungmin und Hyunjin und das finde ich großartig!
Vielen Dank an die Liebe StaryKidss für Ihre Unterstützung bei diesem Kapitel. Über WhatsApp habe ich mit ihr vor ein paar Tagen geschrieben und ihre Antwort auf eine meine Äußerungen hat es mit in dieses Chapter geschafft! Danke ❤
Was findet Ihr Hyunjins Geschichte? Verständlich? Konnte ich es gut rüberbringen? Seinen Verlust, diesen Hass auf sich selbst?
@JisungsKnutschfleck Hat Jisung sich gut als Wingman gemacht? Xd
Hwang Hyunjin
Kim Seungmin
Lee Sunmi
Feel free to comment!
Erin🌸
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