💠Feelings💠
Die Nachrichten der letzten Tage beunruhigten ihn, auch wenn es Jisung kaum betraf. Ein gläserner Sarg inmitten des Waldes. Was hatte es damit auf sich? Für wen war er bestimmt?
Er seufzte und setzte sich in den Sand. Es war komisch und lächerlich, aber mittlerweile fand er Gefallen daran am Strand zu sitzen und dem Meer bei seinen beinahe rituellen Bewegungen zu lauschen und zu beobachten. Es, es beruhigte ihn irgendwie, brachte das tobende Ding in ihm zum Schweigen. Er öffnete den Mund und die Worte sprudelten nur so aus ihm heraus.
"Um ehrlich zu sein, denke ich noch immer an dich. Ich frage mich stets, was du machst, ob du okay bist. Manchmal, wundere ich mich, ob du auch an mich denkst, obwohl das bescheuert ist, weil ich weiß, dass du es nicht mehr kannst. Ich war ein Kind, aber ich habe dich geliebt, brüderlich geliebt. Ich habe nie damit aufgehört. Und ich habe aufgegeben, weil ich nicht mehr konnte und das tut mir aufrichtig leid. Ich hoffe, du kannst mir verzeihen."
Das Meer antwortete ihm mit meterhohen Wellen, die ihn bespritzten. Und er hatte das Gefühl er wurde verstanden.
Ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen.
"Hier steckst du!"
Der Blauhaarige wirbelte herum und erblickte Minho, der seine Hand in die Hüfte stützte, um demonstrativ etwas wütender zu wirken? Jisung kicherte, ehe er sich erhob und den Sand von seiner Hose klopfte. Augenblicklich fragte er sich, ob der Ältere seine Worte gehört hatte. In seinen Augen funkelte jedenfalls eine Art Licht, welches Jisung nicht deuten konnte.
War das Mitgefühl?
"Es ist Freitag, Schule ist aus, da kann man sich ja mal entspannen", entgegnete er. Minho nickte, während ein schelmisches Grinsen sich auf seine Lippen stahl. Die Sirene griff nach seiner Hand und zerrte Ihn mit sich. Jisung versuchte in der Zwischenzeit nicht über ihre Hände nachzudenken und diese Weichheit, welche Minhos besaßen. Es war zum Verrückt werden. Han Jisung mochte Lee Minho, doch seine Liebe würde er dem Älteren niemals geschehen. Er könnte es nicht, weil die Sirene noch immer das verarbeitete, was vor langer Zeit die Hauptessenz seines Lebens war. Zumal seine Ex-Verlobte oder Geliebte, oder was auch immer Jin-Ae für ihn war, noch immer hier zur Schule ging. Der Blauhaarige hatte nicht mitbekommen, dass sie jemals ein Wort gewechselt hatten, dass sie das, was damals geschah, regelten. Und Jisung wollte, so schmerzhaft es auch für ihn sein würde, Minho glücklich sehen. Ihm allein reichte es, wenn der Braunhaarige wieder lächeln konnte, frei und ohne die Schatten, welche stets den Glanz seiner Augen überdeckten.
"Wohin gehen wir?", fragte der Blauhaarige neugierig und trat an die Seite des Größeren. Noch immer hielt er seine Hand und schenkte den Gedanken keine Beachtung.
Du magst ihn.
Du magst ihn.
Du magst ihn.
Ja, aber es hat keine Zukunft, seufzte er.
"Lass dich überraschen!"
Minho führte ihn über die Klippen, an einigen Schülern vorbei, welche gerade sportliche Aktivitäten im Freien verübten. Es sah aus wie Volleyball. Einer der Spieler, es war Chanyeol, hob die Hand zum Gruß und fragte, ob sie nicht Lust hätten dabei zu sein. Minho schüttelte den Kopf und erklärte der anderen Sirene lautlos mit den Lippen, was sie vor hatten. Nur Jisung verstand nicht was er sagte. Chanyeol in des grinste verschwörerisch und widmete sich anschließend seinen Kameraden.
Der Mensch blickte fragend zu dem Braunhaarigen, der jedoch nur grinsend die Achseln zuckte. Jisung, der schon immer leicht zum Quengeln gebracht werden konnte, schlug dem Älteren auf den Oberarm. Bevor er etwas sagen konnte, zwinkerte Minho ihm zu und seine Gedanken begannen über diese Oberarmmuskulatur zu sabbern. Innerlich natürlich. Äußerlich machte er wahrscheinlich gerade einer Tomate Konkurrenz.
Sie erreichten eine Art Schuppen, der abseits des Schulgeländes stand. Minho blickte nach links und rechts, ehe er den Schlüssel zum Schloss führte und das altbekannte Klicken ertönte, wenn ein passender Mechanismus auf einen anderen traf. Mit einer flinken Bewegung ließ die Sirene die Tür aufgleiten. Im Inneren füllte nur eine Einzelheit den Raum aus.
Und zwar: Ein Auto.
Es war ein altes Gefährt. Er kannte sich damit nicht aus, aber wenn er eins erkennen konnte, dann war es ein siebenundsechsziger Chevrolet Impala. Das Auto, welches als 'beinahe' Hauptdarsteller in der Serie Supernatural gelten konnte. Minho bemerkte seinen Blick.
"Frag mich nicht, die Rektorin ist ein riesen Fan von der Serie."
Der Größere setzte sich zur Fahrerseite, während Jisung Platz auf der Beifahrerseite nahm.
"Kannst du überhaupt fahren?", fragte der Blauhaarige seinen Sitznachbarn.
Minho startete unbekümmert den Motor.
"Glaub mir, Kleiner, ich kann eine Kutsche mit verbundenen Augen rückwärts fahren, also schaff ich das hier locker."
Jisung überraschte es immer wieder, dass die Sirene auch gesprächig sein konnte. Doch seine Aussage ließ ihn schwitzen.
"Und jetzt schnall dich an, bevor Frau Young merkt, dass ich ihr heißgeliebtes Baby geklaut habe."
Der Mensch riss die Augen auf, doch Minho brauste mit einem Affenzahn über den notdürftig errichteten Pfad, der zur Huckelpiste und Hauptstraße führte. Klammerartig griff der Jüngere an die Tür und betete innerlich nicht den Löffel abzugeben.
"Ich dachte, du kannst fahren!", kreischte er und hatte das Gefühl die Galle würde durch seine Speiseröhre katapultiert.
"Wag es ja nicht hier rein zu kotzen, dann schmeiß ich dich über die Klippen!", meckerte Minho, doch es klang weder ernst gemeint noch spottend.
Jisung versuchte sich zusammenzureißen.
"Dann fahr eben langsamer, du Vollhonk!"
Aufgrund der unebenen Straßen ruckelte und huckelte das Auto, als wäre es bei einer Cocktail-Party, wo jedes Getränk einmal durchgeschüttelt wurde. Minho sah ihn von der Seite an und dann, Jisung konnte seinen Augen nicht trauen. Lee Minho lachte. Lauthals und ungehemmt und es war der schönste Laut, den der Blauhaarige je gehört hatte. Er konnte es gar nicht beschreiben, glockenhell, er hatte das Gefühl Sterne würden auf ihn hinab regnen, würden ihn mit ihrem glänzenden Licht erfüllen und wärmen. Jisung lächelte und sagte:
"Du solltest öfter Lächeln. Es steht dir."
Minho parkte den Wagen an einer abgelegen Stelle, von wo es gar nicht weit bis in die Stadt hinein war, doch sie schlugen einen anderen Weg ein. Der Ältere lotste sie, während sie stillschweigend nebeneinander hergingen, sie hingen beide in ihren Gedanken, bis die Sirene ihn von der Seite aus betrachtete.
"Über wen hast du vorhin am Strand gesprochen?"
Die Bäumen, um sie herum, ächzten unter der Last des Regens. Die Wolken bedeckten den Himmel, jedoch hatte sich Jisung mittlerweile damit abgefunden. Er fand es entspannend, denn hier schien es so, als würde der Himmel immer weinen, immer traurig sein, und an manchen, an vielen Tagen, der letzten Zeit fühlte er sich genauso. Und es war tröstend.
Ihr Weg führte über einen Trampelpfad tief hinein in die Wälder. Der Geruch von nasser Erde und feuchten Gras, trieb Erinnerungen eines vergangenen Ereignisses in ihn hinein.
Und er wandte sich an den Braunhaarigen, dessen attraktive, wachsame Augen observierten, ihn beobachteten und jede Veränderung seines Körpers vernahmen. Manchmal hatte Jisung das Gefühl, dass Minho ihn beschützte, was sein Herz zum Beben brachte.
"Es gab mal jemanden, der mir sehr viel bedeutet hat, der offen und ehrlich, und trotzig war, der mich stets rettete, wenn der Alltag mir den Atem raubte, der mich in andere Welten mitnahm, um mir zu helfen."
Jisung starrte zu den Baumkronen und erblickte ein Eichhörnchen, dass aussah, als winke es ihm zu.
Er lächelte, aber es war traurig.
"Er ist meinetwegen gestorben."
Minho sah in an, sah ihn richtig an. Und er verstand, was der Braunhaarige damit bezwecken wollte. Stillschweigend nahm er seine Hand und begann zu rennen. Über Stock und Stein, umgekippte Baumstämme, größere Felsbrocken, bis sie völlig außer Atem an einer Lichtung zum Stehen kamen. Ein Steinkreis grenzte die umliegenden Bäume ab. Tausende Blumen, in jeglicher Farbe, Form und Größe, thronten auf dem saftig, grünen Gras. Sie schunkelten zum Lied des Windes. Jisung verspürte das Bedürfnis zu tanzen. Minho bemerkte seinen Blick, streckte ihm stumm die Hand aus, um ihn anschließend in den Steinkreis zu führen, wo sie begannen über den Boden zu schweben, alles zu vergessen, jene Tode, die sie veränderten, jene vergangenen Ereignisse, die sie verletzten, jene Traurigkeit, die ihnen schmerzte. Jetzt hieß es nur Jisung und Minho, nur Mensch und Sirene, nur sie beide. Und den Blauhaarigen erfüllte ein Wohlgefühl an Erleichterung, denn die Last, die auf seinen Schultern lag, fühlte sich zum ersten Mal, zum ersten Mal seit dem Tod seiner Eltern und seines Kindheitsfreundes nicht mehr so präsent an. Es war, als würde Lee Minho, all dieses Leid nur durch seine bloße Erhabenheit verschwinden lassen.
Und dafür war Jisung dankbar. Vielleicht würden sie niemals zusammenkommen, vielleicht gab es keine Zukunft als Paar für sie. Doch es würde ihm reichen, nur an seiner Seite zu sein. Ja, das wäre mehr, als er sich wünschen könnte.
"Diese Lichtung ist mein Rückzugsort vor der Realität", murmelte die Sirene und trennte sich von ihm. Augenblicklich vermisste er die Wärme zu dem Braunhaarigen, obwohl er keine vermittelte.
"Han-jae und ich, wir waren wie Pech und Schwefel, Topf und Deckel, wir waren für einander bestimmt", murmelte Jisung und setzte sich auf das feuchte Gras. Es war ihm egal, dass seine Hose dadurch nass wurde. Er hatte das Bedürfnis, diese Last, diese Schuld, endlich jemanden zu erzählen. Minho nahm vor ihm Platz. Sein aufmunternder Blick passte gar nicht in das Bild, welches der Blauhaarige von ihm hatte. Es wurde langsam Zeit, dass sie das änderten.
"Eines sonnigen Morgens, meine Eltern und ich wohnten an einem Strand, sind wir baden gegangen. Man muss dazu sagen, dass ich nie tiefer bin, als ich stehen konnte, da ich nicht schwimmen konnte."
Jisung seufzte und unterdrückte die aufsteigende Trauer in seiner Brust, drängte die Tränen zurück. Es überraschte ihn immer wieder aufs Neue, dass, wenn er an dieses Ereignis dachte, er stets weinen wollte, es meistens sogar tat. Aber irgendwie wollte er nicht vor Minho weinen. Vielleicht war es sein Stolz nicht voller Rotz vor dem Älteren zu sitzen.
"Jedenfalls schwamm Han-jae fröhlich seine Bahnen und Kreise, während ich ihn beobachtete. Doch irgendwann hatte etwas anderes meine Aufmerksamkeit auf sich gelenkt. Irgendwas bewegte sich im Wasser. Und da ich schon immer neugierig war, folgte ich dem Wesen. Meine Neugier ging soweit, dass ich all meine Vernunft über Bord warf und tiefer ins Wasser ging."
Jisung verzog bei der Erinnerung das Gesicht. Er hatte das Gefühl, es wäre gestern gewesen. Und das jagte ihm eine Gänsehaut über den Körper, sodass er zitterte. Minho beobachtete ihn, schätzte ab, ob er einschreiten sollte, ob er sagen sollte, der Blauhaarige müsse nicht darüber reden, wenn es ihn quälte.
"Und dann riss der Boden plötzlich unter mir weg und ich wurde unter Wasser gedrückt, hin- und hergeschleudert, als würde jemand Fremdes mich durch eine Waschmaschine drehen."
Jisungs Atem begann schwerer zu werden, er merkte, dass er sich in der Erinnerung verlor. Er ertrank quasi an der Luft.
Minhos Hand schnellte zu ihm, strich ihm über die Haare, bis er seine Hand erreichte. Mit einem Mal war Jisung wieder zurück.
"Han-Jae kam, um mich zu retten. Doch es glich eher einem Spiel. Ich wurde durch ihn getauscht und dann war er weg. Und ich schrie und schrie und schrie. Aber ich fand ihn nicht, weder an dem Tag noch am Nächsten oder Übernächsten."
Er schluckte und merkte, wie er den Kampf gegen die Tränen verloren hatte. Sie tropften unaufhörlich auf seine Knien, als er sich erinnerte, wie und wo sie Han-Jae fanden. Fünf Tage später und fünfzehn Kilometer weiterweg, entdeckte die Polizei ihn in einer Bucht. Sein aufgedunsendes Gesicht, die blaue Hautfarbe, die entstellten Züge. Sein kompletter Körper war nicht mehr das, was er einmal war. Und Jisung verdammte sich auf Lebzeiten, denn das war seine Schuld. Han-Jaes Eltern hatten ihn niemals bezichtigt deswegen, aber er spürte das Brennen in seiner Brust, wann immer sie weinten, wann immer sie sein Grab besuchten.
"Bevor ich hierher gekommen bin, habe ich den Strand jeden Tag besucht, in der Hoffnung, dass all die Zeit nur einem Trugschluss glich und Han-jae lebendig aus dem Wasser treten würde. Jeden Tag, egal bei welchem Wetter, es war, es war eine Art Strafe für mich, weil er gestorben ist und ich nicht."
Minho drückte seine Hand.
"Machmal möchten wir nicht heilen, weil der Schmerz die letzte Verbindung ist, zu dem, was wir verloren haben."
Jisung nickte, während ein Schluchzer sich seiner Kehle entrang und über die Lichtung hallte. Minho nahm ihn in den Arm, wiegte ihn hin und her. Sein Duft kitzelte seine Nase und ließ ihn ruhiger werden.
"Aber der Tod wird immer kommen, früher oder später, das kannst du nicht ändern. Aber du kannst ändern, wie du auf sie blickst. Du hattest schöne, traurige, wundervolle, anstrengende, ermüdende Tage, Wochen und Monate mit Han-jae und das, ist das Einzige, was zählt. Nicht der Tod oder wer Schuld hat. Du musst dich an ihn erinnern, du musst ihn am Leben erhalten."
Wie als Zustimmung brauste ein Wind über die Lichtung, säuselte drei Worte in Jisungs Ohr, dessen Stimme er beinahe vergessen hatte.
Er hat Recht.
Jisung fing noch mehr an zu weinen und er schluchzte und ließ all das, was ihn die letzten sechs Jahre gequält hatte, hinaus, löste sich davon. Von allem. Den Gedanken, den Gefühlen, der Schuld.
So ist es richtig Ji, ich lebe in dir weiter und es ist okay, ich bin hier und ich verzeihe dir.
Minho schirmte sein Gewitter ab, presste sich an ihn und schenkte ihm etwas von seiner Macht.
"Warum scheust du dich vor mir, wenn ich versuche dir näher zu kommen?", fragte Jisung, nachdem sie ihren Rückweg begannen. Es verging noch eine lange Zeit, bis der Blauhaarige mehr oder weniger bei Sinnen war. Das alles hatte ihn unendlich müde gemacht, weswegen Minho hin jetzt auf seinem Rücken trug, was natürlich nur mit viel Überzeugungskraft seitens Jisung einherging. Jetzt konnte der Mensch der Sirene in ihr Ohr atmen.
"Du würdest es nicht verstehen", murmelte der Braunhaarige und schaffte wieder diese Distanz zwischen ihnen.
Doch davon ließ sich Jisung nicht beirren.
"Erklär es mir", forderte der Blauhaarige.
Für einige Minuten herrschte Stille, in der Jisung mit Absicht lautstark in sein spitzzulaufendes Ohr atmete.
"Mein Problem ist....dass ich Angst habe", grummelte sein Träger. Und zum ersten Mal seit sie einander kannten, sah Jisung Minho in einem anderem Licht. Und er verstand, dass selbst der Stärkste in ihren Reihen gebrochen war. Das wirkte auf den Blauhaarigen menschlich, auch wenn der Braunhaarige keiner war. Es wirkte normal. Minho erschien ihm jetzt wie jemand, dem nicht alles zuflog, der nicht alles beim ersten Versuch schaffte.
"Ich habe Angst, mich an jemanden zu binden, sodass er schließlich die Macht besitzt mich zu kontrollieren, mich als Marionette benutzen kann. Meine Welt zerstören kann, wenn es ihm lieb ist."
Jisung blieb still und dachte über das Gesagte nach, über die ehrlichen Worte der Sirene. Und es erwärmte sein Herz.
"Bin ich nah dran?"
Minho drehte den Kopf leicht zu ihm, sodass sein eines Auge ihn anfunkelte.
"Zu nah."
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Guten Abend, meine lieben Leser und Leserinnen!
Endlich! Finally! Jisungs Hintergrund- Geschichte, ein bisschen Minsung Action und Minhos halbes Geständnis, dass er Jisung mag xd
Was haltet Ihr von dem Kapitel?
Feel free to comment!
Erin🌸
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