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Die jetzige Situation schien Jisung unwirklich.
Mal abgesehen davon, dass die ganze Schülerschaft, selbst die älteren Schüler, ihre Augen nicht von dem Geschehnis abwenden konnte, zeugte diese Aufruhr auch Bewegung bei der Direktorin, welche sich mit wallendem Gewand durch die Schülerschaft drängte. Ihre Worte zerschnitten die Luft, und die Anwesenden zogen scharf den Atem an.
Sie wirkte fuchsteufelswild.
"Mir wurde nicht mitgeteilt, dass wir eine neue Schülerin aufgenommen haben."
Ihr stechender Blick durchbohrte Jin-Ae förmlich, doch Jisung hatte nur Augen für Minho. Noch immer stand er, wie vom Donner gerührt, an Ort und Stelle. Chan neben ihm flüsterte Worte, die der Blauhaarige gern wissen würde.
Jin-Ae unterlag der Oberservierung, ohne mit der Wimper zu Zucken. Und das bereite ihm Sorgen. Sie war souverän, stark. Unbewusst verglich der Blauhaarige sich mit der Schönheit. Er schüttelte den Kopf. Wieso machte er sich Gedanken darüber? Minho und er hatten nichts miteinander zu tun. Die Sirene mochte ihn nicht einmal. Doch die Tatsache, dass sie erst vor wenigen Tagen über sie gesprochen hatte und nun stand sie ganz plötzlich auf der Matte, das konnte kein Zufall sein.
Nein, da war sich Jisung sicher.
"Das müssen Sie auch nicht. Ich bleibe nicht lang. Maximal einen Monat."
Jisungs Mund klappte zum Boden und zum ersten Mal seit dem Tod seiner Eltern lichtete sich der Nebel in seinem Kopf.
Der Seitenblick von Frau Young war beängstigend und jagte ihm die Gänsehaut über den Körper, sodass sich seine Nackenhaare aufstellten. Die Sirene war keineswegs von diesem Besuch angetan. Gemeinsam verschwanden die beiden Frauen im Inneren des Gebäudes, während sich die versammelten Schülergruppen auflösten. Minhos Kopf drehte sich, wie mechanisch, in seine Richtung und dieser Blick, diesen Blick würde Jisung niemals vergessen. Er brannte sich in seinen Kopf, in sein Gedächtnis. In Lee Minhos Augen wirbelten Qualen, Erinnerungen an längst vergangener Zeit. Die Sirene hatte mit seinem früheren Dasein abgeschlossen und jetzt, jetzt kam alles wieder hoch. Jisung machte einen Schritt auf ihn zu, auch wenn sie noch immer zehn Meter trennten. Der Braunhaarige drehte sich um und rannte davon, weg von der Vergangenheit, die ihn einholte. Der Blauhaarige wollte hinterher. Hyunjin legte ihm die Hand auf die Schulter und schüttelte stumm den Kopf.
"Lass ihm Zeit", mischte sich Changbin ein.
"Er braucht sie, um das vergangene Geschehnis zu verarbeiten."
Jisung nickte, allerdings wusste er, dass man sowas nicht verdauen konnte. Nicht einmal der härteste unter den Sirenen.
Nicht einmal Lee Minho.
Die folgende Gesamtlage wurde noch bizarrer. Anstatt sich, wie sonst, zu trennen, trafen sie sich gemeinsam in Jisungs Zimmer. Gaya wurde sofort auf den neusten Stand gebracht und betrachtete die Sirenen eingehend, um zu entscheiden, ob sie die Drei in ihr Zimmer einlud. Es verstrichen Sekunden, wobei die Elfe Hyunjin wesentlich länger beäugte, als die anderen beiden. Jisung ahnte, warum. Sie wusste, was zwischen der Sirene und Seungmin vorgefallen war. Zu seiner Überraschung wirkte der Meermann äußerst gelassen, obwohl ihm anzusehen war, dass ihm diese Entwicklung der Ereignisse nicht gefiel. Kurzzeitig verschwand der Braunhaarige ins Bad, während der Blauhaarige beobachtete, wie Hyunjins Augen für einen klitzekleine Augenblick traurig wurden. Es war eine Husche, die genauso schnell kam, wie sie ging. Jisung folgte Seungmin, wobei er Gaya hörte, wie sie alle zum Uno spielen animierte. Er zwinkerte der Elfe zu, die ihnen den Rücken freihielt. Und Jisung bemerkte, wie viel er wirklich besaß, was für großartige Freunde ihn unterstützten, ihn mochten, so wie er war. Und egal, was geschehen würde, sie beschützen ihn. Sein Blick schweifte über die Truppe, welche sich versammelt hatte. Gaya sprach mit Chan, Changbin und Felix schienen sich auf Anhieb zu verstehen und Hyunjin unterhielt sich lachend mit Jeongin, dessen Augen immer wieder zu Chan glitten. Wenn man die Situation betrachtete, wie sie zusammengekommen waren, wirkte das unwirklich, seltsam, verrückt. Eigentlich verband sie nichts. Und doch befanden sie sich hier, gemeinsam, redeten über Themen, die ihnen gefielen. Und sie wirkten normal.
"Min?", fragte er in das Bad hinein.
Er klopfte kurz und trat ein.
Jisung hatte den Braunhaarigen bisher noch nie weinen sehen. Dafür jedwede anderen Emotionen von wütend bis lachend, von genervt bis erheitert. Alles nur nicht traurig und sein Inneres wollte nicht, dass der Meermann Trauer verspürte. Nicht Kim Seungmin, denn er war eines dieser unglaublichen Wesen voller Liebe und Hingabe, dessen Verdruss und Trauer einen nie zu erreichen schien. Der Blauhaarige nahm seinen Gegenüber in den Arm.
"Es ist so lange her", murmelte er.
"Ich dachte, es wäre vorbei."
Jisung strich über seinen Rücken, malte Kreise und schenkte dem Meermann Licht und Wärme, die er selbst kaum besaß. Aber das war ihm egal. Er würde alles für seine zweite Familie tun. Sie beschützen, selbst wenn es sein Leben kosten würde. Noch eine Familie verlor er nicht. Niemals. Der Mensch hielt seinen Gegenüber auf Armlänge und strich seine Tränen beiseite.
"Du bist Kim Seungmin, du bist Kim Seungmin. Du hast gelitten, es hat geschmerzt, aber du hast nicht aufgegeben. Du hast weitergemacht. Und das wirst du jetzt auch tun."
Seungmin nickte stumm. Jisung hielt ihm seinen kleinen Finger hin.
"Wenn ich diesen beschissenen, steinigen, ätzenden Weg weitergehe, dann tust du es auch, okay? Wir schaffen das gemeinsam!"
Auf Seungmins Gesicht stahl sich ein kleines Lächeln. Und das reichte dem Blauhaarige vollkommen.
"Es geht nicht darum, dass alles an dir vorbeirauscht. Jedes Ereignis, jeder Verlust verändert dich, keine Frage. Und es ist okay, Angst zu haben. Zu den Sternen, ich habe jeden Tag eine heiden Angst. Und diese Veränderung kannst du dir zu Nutzen machen."
Seungmin glitt, ohne Vorwarnung, in seine Arme. Der Mensch drückte ihn an sich.
"Danke, Ji."
Der Blauhaarige lächelte, wahrscheinlich das erste Mal seit Wochen und er mochte es. Und er fühlte sich nicht schuldig. Nach einigen Minuten, in der sie in dieser Position verweilten, klatschte Jisung in die Hände.
"Jetzt wird es Zeit dir anderen im Uno fertig zu machen", grinste er.
Sie traten aus dem Bad und betrachteten ein Spektakel, dass sich wahrscheinlich in Jisungs Gehirn brannte. Gaya saß auf Changbins Kopf, Jeongin war neben Chan gerutscht und gemeinsam kugelten sie sich auf dem Boden. Seungmin fragte, was passiert war.
"Jeongin erklärt gerade wie er zu seinen Kräften gekommen ist", erklärte Hyunjin und starrte Seungmin an. Irgendetwas an seinem Blick bereite Jisung Unbehagen. Er setzte sich neben die Sirene. Seungmin zu Jeongin.
Der Jüngste unter ihnen atmete tief durch.
"Es ist keine wirklich spektakuläre Geschichte. Eigentlich ist sie ziemlich langweilig."
Chan schnippste ihm gegen das Ohr und sah ihn tadelnd an.
"Mach dich nicht immer kleiner als du bist!"
Jeongin wickelte ihn mit der Hand ab und steckte ihm die Zunge raus. Das brachte Jisung zum Grinsen. Die beiden hatten nur Augen für sich. Er fragte sich, wie lange es noch dauerte, bis sie bemerkten, dass sie füreinander bestimmt waren.
"Also, meine Mum ist Schwimmlehrerin. Das konnte sie schon immer gut. Kinder und Wasser, das war ihr Reich. Sie liebte es mit jeder Faser ihres Körpers. Manchmal glaube ich, sie wird irgendwann ein Teil des Wassers sein."
Jeongin schüttelte lächeln den Kopf.
Jisung beobachtete ihn, genau wie die Anwesenden.
"Das ich, aufgrund ihrer Hingabe zum Meer, zum Wasser, eine Meerjungfrauen geworden bin, fand sie so faszinierend, dass sie mich stets und ständig observierte und experimentierte."
Jeongin fuchelte, nachdem er seine Worte ausgesprochen hatte, wild mit seinen Armen herum.
"Nicht so wie ihr denkt, sie war ein herzensguter Mensch. Ich sollte nur immer schwimmen in meiner Form. Wir testeten meine Unterwasserfertigkeiten und sie liebte es und ich liebte sie. Es war unsere Zeit. Gemeinsam."
Gaya flatterte zu dem Blonden hinüber und setzte sich auf seine Schultern. Der Anblick war für die Götter, also zückte der Blauhaarige sein Handy und machte ein Bild, um es für die Ewigkeit festzuhalten.
"Eines Tages, ich weiß nicht warum, aber ich war unglaublich wütend. Meine Mum wollte noch ein paar Schüler unterrichten, also wartete ich. Doch dieses Gefühl der Wut wollte einfach nicht verschwinden."
Kurz kicherte der Jüngste, als er diese Erinnerung hineintauchte und Jisung fühlte diese Vorfreude in sich, wie man sie nur verspüren konnte, wenn man Geschichten las oder hörte. Die anderen hingen gebannt an den Lippen des Meermannes.
"Bevor ich reagieren konnte, sprudelte etwas über mich und im nächsten Moment war das komplette Becken ein großer Kristall, der aus Hunderten von filigranen, kleineren bestand. Zum Glück war niemand im Wasser. Meine Mum begann zu Kreischen und bis heute höre ich die Polizei in meinen Ohren fragen, wie sie das beseitigen sollten."
Die Anwesenden begannen nacheinander zu lachen, denn Jeongin besaß diesen Drang zur Dramatik, sodass seine Erzählung umso spannender und lustiger wirkte.
Jeongin wischte sich die Tränen aus den Augen, als er merkte, dass es nicht nur welche der Freude waren. Felix bemerkte sein Tun und schmiss sich von hinten in eine Umarmung an ihn, damit er abgelenkt wurde.
Ja, er hatte wirklich fantastische Freunde.
Vielleicht war noch nicht bereit von diesem Zug der Trauer herunterzuspringen, Vielleicht war er noch nicht bereit loszulassen. Vielleicht war die Zeit einfach noch nicht reif.
Doch er wusste, er war nicht allein.
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Guten Abend, meine lieben Leser und Leserinnen!
Jeongins Backstory wurde offenbart!
Was haltet Ihr von Jisungs Gedanken über sich und Minho? Denkt Ihr, Minho mag den Blauhaarigen?
Lee Minho
Feel free to comment!
Erin🌸
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