8. Kapitel
Die Angst tötet das Bewusstsein. Sie führt zu völliger Zerstörung. Ich werde ihr ins Gesicht sehen. Sie soll mich vollständig durchdringen. Und wenn sie von mir gegangen ist, wird nichts zurückbleiben. Nichts außer mir.
Frank Herbert
Tai wusste nicht, dass man so glücklich sein konnte, nur, weil ein ganz bestimmter Mensch existierte. Maua holte ihn mittlerweile nach fast jedem seiner Übungskämpfe mit Ndege ab und wenn nicht, dann trafen sie sich später entweder bei den hinteren Wracks oder bei ihr Zuhause. Sie wohnte mit ihren Eltern, Tanten, Onkeln, deren Kindern und natürlich ihrem Bruder Muuaji zusammen. Tai war bei ihnen jederzeit willkommen und aß sogar einige Male bei ihnen mit. Meistens waren sie aber irgendwo draußen unterwegs.
»Komm!«, rief sie ihm eines Tages zu, als sie ein weiteres Wrack erklommen. »Man könnte meinen, du würdest mit der Zeit eigentlich besser werden! Ist bei dir etwa das Gegenteil der Fall?«
Tai fluchte leise und bemühte sich darum, ihr möglichst schnell nach oben zu folgen. Endlich erreichte er die ebenere Fläche. Wie jedes Mal staunte er über den Ausblick, der sich ihm bot. »Hier sind wir aber noch nicht gewesen, oder?«
»Nein«, rief Maua ihm zu, die im Schatten eines ausgebeulten Metallblocks lehnte. »Das hier war früher unser Treffpunkt.«
»Treffpunkt? Mit wem?« Er kam zu ihr hinüber und war überrascht, als sie aus einem Loch in der Wand eine große Metallkiste herauszog. Sie winkte ihm, damit er ihr half den Deckel aufzuklappen. Offenbar hatte sie seine Frage absichtlich überhört.
Staunend ließ Tai seinen Blick über den Inhalt der Kiste schweifen. Sie war bis oben hin gefüllt mit allerlei Sachen, die er noch nie gesehen hatte. Rostige Metallstücke in verschiedenen, teilweise sehr seltsamen Formen. Plättchen, in die etwas eingeritzt war – wahrscheinlich Buchstaben, die jedoch kaum mehr zu lesen waren. Ein paar Stofffetzen, einer davon mit angenähten, orangenen Kordeln. Maua holte einen Beutel heraus, in dem es leise klapperte. Sie schüttete etwas des Inhalts in ihre offene Handfläche. Es waren Knöpfe.
»Die hier sind aus Horn.« Maua deutete auf zwei Exemplare, die dunkler und irgendwie auch flacher waren als die anderen. Sie reichte einen davon Tai, der ihn neugierig betrachtete. »Und die hier aus Knochen. Die meisten sind aber aus Metall. Und dann gibt es noch diese hier. Wahrscheinlich sind die aus Plastik.« Sie reichte ihm einen weiteren Knopf, der erstaunlich leicht und unnatürlich grün gefärbt war.
»Wo hast du die alle her?«, fragte Tai.
»Gefunden«, erklärte Maua. »In den Wracks. Vor allem in den hinteren, wo wir eigentlich nicht hin dürfen. Dort gibt es noch viele Sachen, die den Alten gehört haben.«
»Das alles sind Gegenstände der Alten? Du sammelst sie?«
»Ja.« Maua schüttete die Knöpfe zurück in den Beutel und nahm einen weiteren aus der Kiste. Er schien etwas schwerer zu sein. Aus ihm heraus holte sie kleine Metallzylinder, von denen einige eine Spitze hatten und andere stumpf waren. Ein paar waren innen hohl. Sie glänzten hell im Sonnenlicht.
»Was ist das?«
»Keine Ahnung. Aber es gibt so viele von ihnen, dass ich von jeder Art nur ein Exemplar mitgenommen habe. Und welche, die besonders schön aussehen.« Sie lächelte. Tai war überrascht, einen Hauch von Traurigkeit auf ihrem Gesicht zu erkennen. »Hulipuka hat welche gesammelt, die Löcher hatten, damit sie eine Kette daraus machen kann.«
Hulipuka? Es war das erste Mal, dass Maua diesen Namen erwähnte.
Maua verschloss den Beutel und kramte etwas in der Kiste herum, offenbar auf der Suche nach einem weiteren Beutel. Dabei fiel sein Blick auf etwas Rundliches, das in ein Tuch eingeschlagen war. Der Gegenstand befand sich in der hintersten Ecke und war auch das einzige Exemplar seiner Art.
»Was ist das?« Tai deutete darauf.
Maua hielt in ihrer Suche inne. Ihr Blick verdüsterte sich, als sie seinem Blick folgte. »Ich nenne ihn den Töter.«
Tai fuhr ein Schauer über den Rücken.
»Ich hätte ihn eigentlich schon lange wegwerfen müssen, aber dann würde vielleicht jemand anderes ihn finden. Vielleicht jemand wie Hulipuka und ich damals.«
»Hulipuka ist einer deiner Freunde?«
»Sie war meine beste Freundin.« Maua gab ihre Suche auf und setzte sich im Schneidersitz vor die Kiste. Tai tat es ihr nach. »Wir waren unzertrennlich und haben uns geschworen, die hinteren Wracks so weit zu erkunden, dass dort Buren leben können. Sie war diejenige, die mir das Wrackklettern beigebracht hat. Wir haben uns fast jeden Tag um die Mittagszeit hier getroffen. Wenn eine von uns nicht gekommen ist, wussten wir, dass sie am nächsten Tag auf jeden Fall da sein würde.«
Tai ahnte, dass jetzt etwas kommen würde, worüber Maua nicht gerne redete. Er überlegte, ob er ihre Hand nehmen sollte, um ihr zu zeigen, dass er bei ihr und alles gut war, aber die Buren tendierten eher dazu, ihre Gefühle nicht offen zu zeigen. Frauen waren ebenso Krieger wie Männer, genauso stark, weswegen er sich zurückhielt. Er wollte sie nicht beleidigen.
»Hulipuka und ich betraten Wracks und suchten nach Sachen, die die Alten dort zurückgelassen hatten«, fuhr Maua fort. »So stellten wir nach und nach diese Schatzkiste zusammen. Wir haben sie aus Wrackteilen zusammengebaut, die hier ja fast überall im Sand herumliegen. Es war wirklich schwer, sie alle zurechtzubiegen und zusammenzuschrauben. Dabei haben wir uns aber immer von den wirklich gefährlichen Wracks fern gehalten. Denen, die jeden Moment zusammenbrechen können oder wo es so weit runter geht, dass wir den Ausgang nicht mehr sehen würden.
Irgendwann fanden wir in einem der Wracks eine wahre Schatzkammer. Ein ganzer Raum voller unberührter Gegenstände der Alten. Es waren so viele, dass wir beschlossen, sie uns erst am nächsten Tag anzuschauen, denn es war schon später Abend. Wir merkten uns, wo das Wrack war und kehrten zu unserem Treffpunkt zurück. Ich weiß noch, dass Hulipuka damals eine Münze gefunden hatte. Eine große silberne, auf der das Gesicht eines Mannes abgebildet war. So eine hatten wir noch nicht. Diese Münze war das letzte, was sie in unsere Schatzkiste legte.«
Maua wedelte in Richtung des Töters, der in das Tuch eingewickelt war. »In diesem Raum gab es unzählige dieser Dinger. Das habe ich am nächsten Tag erfahren. Ich wollte Hulipuka zuvor kommen und bin schon am Morgen alleine zu diesem Wrack gegangen. Dort habe ich mir den erstbesten Gegenstand geschnappt und ihn dann mittags voller Stolz vorgezeigt. Hulipuka hat gelacht und gesagt, sie würde sich auch einen holen. Sie ist vorgerannt, so schnell, dass ich sie nicht einholen konnte. Immerhin musste ich noch alles wegpacken und unsere Schatzkiste verstecken. Und dann hörte ich die Explosion.«
Tai konnte den Schmerz in ihren Augen kaum ertragen.
»Das ganze Wrack explodierte, nicht nur der Raum, den wir gefunden hatten. Hulipuka war nicht mehr zu retten. Wir fanden weder ihre Leiche noch irgendwas anderes. Im Sand blieb ein riesiges Loch zurück und der Rauch schwebte noch zwei Tage über Chuma Chakavu.« Maua biss sich auf die Lippen. »Wir hätten vorsichtiger sein sollen. Wir hätten wissen müssen, dass die Alten auch Waffen hinterlassen hatten. Der Töter ist eine schreckliche Waffe. Ich habe ihn seit damals nie wieder angefasst.«
»Wie lange ist das her?«, fragte Tai vorsichtig.
»Drei Jahre«, erklärte Maua. »Wir waren fünfzehn.«
»Das tut mir leid.«
»Ich brauche dein Mitleid nicht.«
»Es tut mir trotzdem leid. Es muss schwer sein, jemanden zu verlieren, mit dem du so gut befreundet warst.«
Maua nickte langsam. »Hulipuka war meine beste Freundin. Es gibt bei den Buren niemanden sonst, der so ist wie sie. Alle haben immer nur Angst vor den Wracks, besonders vor den hinteren. Die Sachen der Alten dürfen auch nicht angefasst werden.«
»Und du hast keine Angst?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Angst bringt dich nicht weit. Du wächst nur über dich hinaus, wenn du dich ihr stellst. Wenn du ihr in die Augen siehst und sagst: ›Ja, ich fürchte mich vor dir, aber diese Furcht wird mich nicht aufhalten, das zu tun, was ich tun muss.‹ Und dann machst du weiter. Die Angst wird unbedeutend, wenn du sie oft genug ignorierst. Dann wird sie schwach und verschwindet irgendwann ganz.«
Tai sah sie beeindruckt an. Sie ist so mutig.
»Ich klettere zwar immer noch auf Wracks, gehe aber nicht mehr in sie hinein«, fuhr Maua fort. »Das hat nichts mit Angst, sondern mit gesundem Menschenverstand zu tun. Es gibt einfach zu viele gefährliche Waffen, die die Alten zurückgelassen haben. Besser, man geht ihnen aus dem Weg.«
»Das heißt, du hast die Schatzkiste nicht mehr erweitert?«
»Nicht wirklich. Nur ab und zu kommen kleinere Sachen dazu, die ich im Sand um die Wracks herum finde. Knöpfe oder Metallstücke wie diese hier.« Sie deutete auf die Teile, die ihm zuvor schon aufgefallen waren.
»Möchtest du mir die Münzen zeigen, die du zusammen mit Hulipuka gefunden hast?«
Ein fröhliches Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht. »Natürlich! Nach ihnen habe ich vorhin auch gesucht!« Sie beugte sich wieder über die Kiste und wühlte darin herum, bis sie einen weiteren Beutel in den Händen hielt. »Schau, das ist die silberne Münze, die Hulipuka damals noch gefunden hat. Die hier hat einen welligen Rand. Und auf der hier ist irgendeine Pflanze abgebildet. Dann gibt es noch diese hier...«
Bis zum Sonnenuntergang saßen sie oben auf dem Wrack und Tai ließ sich von Maua die Schätze aus der Kiste zeigen. Es waren so viele Sachen, dass sie immer noch nicht fertig waren, als es Zeit wurde, zurück nach Hause zu gehen. Maua schob die Kiste zurück in das Versteck und sie küssten sich, bevor sie sich an den Abstieg machten. Auf dem Weg zu seinem Wrack ging Tai der rätselhafte Töter nicht aus dem Kopf. Er hatte ihn nicht vollständig gesehen, aber er hatte selbst durch das Tuch hindurch Gefahr ausgestrahlt.
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Frank Herbert ist der Autor von »Dune«. Eine wirklich faszinierende Buchreihe. Das Zitat ist eine Version der Litanei gegen die Angst. Bestimmt hat jeder von euch eine eigene Art, wie er mit Angst umgeht. Seid mutig!
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