25. Kapitel
Weh dem, den aus Seinen stillem Kreise
Des Ruhms, der Ehrsucht eitler Schatten lockt!
Ein wild bewegtes Meer durchschiffet er
Auf leicht gefügtem Kahn. Da grünt kein Baum,
Da sprosset keine Saat und keine Blume,
Ringsum die graue Unermeßlichkeit.
Von ferne nur sieht er die heitre Küste,
Und mit der Wogen Brandung dumpf vermengt
Tönt ihm die Stimme seiner Lieben zu.
Franz Grillparzer
Das Haus von Maua und Moyo war nicht so geräumig wie das von Alina und Damu. Die Küche lag direkt links der Eingangstür und dahinter gab es eine weitere Tür, die vermutlich ins Schlafzimmer führte. Maua führte ihn hingegen in den einzigen weiteren Raum – das Wohnzimmer, das auch als Esszimmer diente, da die Küche zu klein für einen Tisch war. Dort setzte Tai sich hin. Von hier aus konnte er den Garten sehen, der wie erwartet noch grüner als der Vorgarten war. Selbst auf dem Tisch stand eine gesunde Pflanze, die Maua jetzt jedoch zur Seite schob, um ihm ins Gesicht sehen zu können. Moyo ließ sich neben ihr nieder.
»Bist du auch ein Bure?«, fragte der Mann, der scheinbar Mauas Verlobter war. Die vernarbten Arme stemmte er auf die Tischplatte. Die dunklen Augen blitzten.
Tai öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Sein Blick wanderte zu Maua, die nun an seiner Stelle antwortete.
»Boriti hat ihn bei uns aufgenommen, weil er besonderen Mut bewiesen hat«, erklärte sie. »Du hast es nicht mitbekommen, weil du damals in der Einöde unterwegs gewesen bist.«
»Ich erinnere mich, etwas über ihn gehört zu haben.« Moyo nickte nachdenklich, bevor sich seine Augenbrauen misstrauisch zusammenzogen. »Wie hast du die Plünderer überlebt?«
»Ich...« war in Kifos Wrack und habe versucht, ihn davon zu überzeugen, mir eine Atombombe zu reparieren. Er wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Er könnte lügen, aber sein Gehirn war wie leer gefegt. Und wenn er die Wahrheit sagte... Wie sollte er erklären, warum er das getan hatte? Sie würden ihn nicht verstehen. Besonders Maua nicht, die ihre beste Freundin an eine Waffe der Alten verloren hatte.
»Du hast dich versteckt«, grollte Moyo, als wäre Tais Schweigen ihm Antwort genug.
Tai senkte den Kopf. Soll er doch an diese Erklärung glauben.
»Hast du dich wirklich versteckt?« Maua sah ihn ungläubig an. »Ich dachte, du hättest genug Mut, um wenigstens zu kämpfen! Alle sind gestorben!« Wahrer Schrecken stand in ihren Augen, als würde sie jene blutige Nacht erneut durchleben. »Muuaji ist auch gestorben. Er hat versucht, unser Zuhause zu verteidigen!«
Tai zwang sich dazu, nicht zusammenzuzucken, als Moyo ihr beruhigend eine Hand auf die Schulter legte. Er selbst hatte das nie getan. Buren waren stark, auch die Frauen. Es galt fast schon als Beleidigung, wenn man anderen in ihrer Trauer Mitleid zeigte. Doch Maua ließ zu, dass er ihr über den Rücken und dann über die kurzen Haare strich. Sein ganzer Körper schrie danach, dass das falsch war. Ich sollte an seiner Stelle sein!
»Ich bin geflohen und habe danach versucht, dich zu finden«, presste er schließlich hervor. »Ich hatte die Hoffnung, dass du ebenfalls fliehen konntest. Deswegen...« Er verstummte, als er ihren Blick sah. Voller Verzweiflung.
»Ich war nicht bei meiner Familie, als sie abgeschlachtet wurde«, flüsterte sie so leise, dass er sie kaum hören konnte. »Ich hätte bei ihr sein sollen, aber ich war auf dem Weg zu den südlichen Wracks, um Muuaji und Ndege ihr Abendessen zu bringen. Dann ging das Geschrei los. Ich wusste sofort, dass die Plünderer angegriffen hatten, ließ das Essen fallen und wollte meinem Bruder zu Hilfe kommen, doch ich hatte keine meiner Waffen dabei. Eine dumme Entscheidung, die ich getroffen hatte, weil ich gleich nach meiner Rückkehr sowieso schlafen gehen wollte. Als ich die ersten Plünderer durchbrechen sah, floh ich zu den hinteren Wracks, um mir den Töter zu holen.«
Tai erinnerte sich an den Gegenstand, der in der Schatztruhe in ein Tuch eingewickelt gewesen war. Sie hat ihn mitgenommen?
»Ich habe mir geschworen, den Töter zu benutzen, wenn einer der Plünderer mich schnappt«, fuhr sie fort. »Dann wären wir beide gestorben. Explodiert wie Hulipuka. Aber so weit ist es nicht gekommen. Ich habe mich irgendwo am Rand der Klippe versteckt, den Töter dicht an meine Brust gepresst. Ich habe darüber nachgedacht, ihn einfach zu benutzen, um dort zu sein, wo Mutter, Vater und alle anderen jetzt sind. Aber ich hatte Angst, dass dort nichts ist. Dass sie im großen, leeren Nichts gelandet sind. Dass dann alles vorbei wäre.« Sie atmete tief durch. »Ich hätte mit den anderen kämpfen sollen. Aber als ich bemerkt habe, was gerade passiert, war es schon zu spät. Muuaji hat immer gesagt, dass es niemandem etwas bringt, das eigene Leben aufs Spiel zu setzen, wenn es nichts mehr zu gewinnen gibt. Also habe ich mich daran gehalten.«
»Keiner wirft dir etwas vor«, sagte Moyo mit sanfter Stimme und hauchte ihr einen Kuss auf die Stirn.
Tai spürte eine Welle von Eifersucht in sich aufkommen. Ich habe sie gesucht! Ich habe alles getan, um sie zu finden! Ich habe... so viel erleiden müssen. Er unterdrückte den Drang, sich am Hals zu kratzen.
»Ich bin weiter geflohen und dann hier, in Kimbilio, angekommen«, erzählte Maua weiter. »Die erste Zeit lang habe ich bei einem der Bauern als Magd gearbeitet.« Ein wütendes Funkeln trat in ihre Augen und ließ allen Schrecken verschwinden. Jetzt sah sie wieder wie die Maua aus, die Tai aus Chuma Chalkavu kannte. »Er war ein mieses Arschloch und hat bekommen, was er verdient hat.«
»Etwa zu dieser Zeit habe auch ich nach Kimbilio gefunden«, erklärte Moyo. »Ich habe bei den südlichen Wracks gegen die Plünderer gekämpft und wurde dabei bewusstlos geschlagen. Als sie die Leichen auf Haufen gestapelt haben, um sie zu verbrennen, haben sie nicht bemerkt, dass ich noch gelebt habe. So konnte ich mich wegschleichen. Ich habe noch eine Weile nach Überlebenden gesucht und es schließlich aufgegeben. In Kimbilio habe ich aber Maua gefunden.« Er lächelte ihr zu. »Wir sind zusammen in dieses Haus gezogen und haben uns später verlobt.«
»Ihr... liebt euch.« Tai wusste nicht, warum er das gesagt hatte. Die Worte hatten einen bitteren Beigeschmack. Er warf Maua einen flüchtigen Blick zu. Was war dann zwischen uns? Ich habe dich geliebt und du mich auch. Zählt das denn gar nichts?
»Ja.« Mauas Stimme war hart und entschlossen. »Sonst wären wir ja nicht verlobt, oder?«
Tai biss sich auf die Unterlippe.
Moyo bemerkte seine Reaktion und musterte ihn nun verwirrt. »Warum hast du eigentlich nach Maua gesucht?«
»Ich wollte sie nochmal sehen.« Tai brachte sich zu einem freundlichen Lächeln. »Ich bin froh, dass sie noch lebt.«
»Und ich bin froh, dass du noch lebst«, fügte Maua hinzu. »Ich dachte, du wärst tot.«
»Ich weiß.« Die nächsten Worte brannten ihm in der Kehle, aber er wusste, dass sie richtig waren. »Es lohnt sich nicht, auf einen Toten zu warten. Ich respektiere deine Entscheidung und gratuliere dir.«
Wenn Moyo spätestens jetzt erraten hatte, dass Tai und Maua früher ein Paar gewesen waren, so ließ er es sich nicht anmerken. Er stand nur vom Tisch auf und deutete höflich in Richtung des Flures. »Es freut mich, noch einen weiteren lebenden Buren gesehen zu haben. Leider ist diese Haus zu klein für drei Leute. Wasser haben wir zwar genug, wie du siehst, aber das Essen ist etwas knapp. Ich möchte nicht unhöflich sein. Du kannst eine Nacht mit ein paar Decken hier auf dem Boden schlafen, aber länger ist das wirklich nicht möglich.«
»Danke für das Angebot, aber ich möchte euch keine Umstände machen.« Tai erhob sich ebenfalls von seinem Stuhl. Ich könnte es nicht ertragen, in einem Haus mit Maua zu schlafen und zu wissen, dass sie mit einem anderen das Bett teilt. Seine Brust zog sich schmerzhaft zusammen. »Meine Mutter ist Alina, die Bäuerin, die im etwas abgelegeneren Haus wohnt. Dort werde ich besser unterkommen.« Er hatte zwar keineswegs vor, das zu tun, aber das mussten sie ja nicht wissen.
»Dann bin ich ja beruhigt.« Es war das erste Mal, dass Moyo lächelte und Tai konnte so etwas wie Erleichterung in seinem Gesicht lesen.
Verständlich, dachte er. Tai warf Maua einen letzten Blick zu, die immer noch am Tisch saß, und verabschiedete sich mit einem Nicken, bevor er den Flur entlang ging und das Haus verließ. Moyo schloss die Tür hinter ihm.
Was jetzt?
Unschlüssig ging er mit Qasi die Straße entlang, bis er wieder auf dem Dorfplatz war. Alles war leer. Die Sonne näherte sich bereits dem Horizont, weswegen die Frauen wahrscheinlich schon alle im Haus und mit dem Abendessen beschäftigt waren. Ein schwarzer Vogel, dem ein Teil der Halsfedern fehlte, hockte auf dem Brunnenrand und krächzte laut, als er den jungen Mann und die braune Stute sich nähern sah. Gleich darauf flog er etwas ungelenk davon.
Haifai hat mir nicht gesagt, dass Maua jetzt vergeben ist. Wut stieg in ihm auf. Kurz überlegte er, an die Haustür seiner Schwester zu klopfen und sie zur Rede zu stellen, verwarf die Idee jedoch schnell. Es bringt nichts mehr.
Seufzend machte er sich also doch noch auf den Weg zu seinem alten Zuhause. Er würde auf keinen Fall an die Tür klopfen und um Einlass bitten. Aber das Grundstück war umzäunt, sodass er vor Untieren geschützt war, wenn er dort irgendwo die Nacht verbrachte. Auch wenn diese mittlerweile nicht mehr so furchteinflößend für ihn waren wie früher. Er betrachtete seinen verbundenen Arm. Vielleicht hätte ich Maua und Moyo wenigstens um einen sauberen Verband bitten sollen. Er seufzte. Sie hat nicht mal gefragt, wo ich die Verletzung her habe...
Der gestreute Weg zu seinem Zuhause war genauso schlecht zu begehen wie früher. Es hatte einen Grund, aus dem Damu immer Kahawia benutzt hatte, um zum Dorfplatz zu kommen. Er erinnerte sich, dass Haifai sich einmal den Knöchel umgeknickt hatte, als sie Wasser vom Brunnen geholt hatte. Alina hatte ihr eine relativ lieblose Schiene gebastelt und ihr nur einen Tag Ruhe gegeben, bevor sie wieder hatte arbeiten müssen. Zwar hatte sie nur die Aufgabe bekommen, die faulen und vertrockneten Maisblätter zu entfernen, aber es hatte trotzdem doppelt so lange gedauert, bis ihr Knöchel vollständig verheilt gewesen war.
Die Sonne stand nun so tief am Horizont, dass sie ihn fast berührte. Und der Himmel war nicht wie sonst violett oder rosa, sondern leuchtete in einem grellen Orange und Rot. Es sah wunderschön aus und erinnerte ihn an die Sonnenuntergänge, die er oft zusammen mit Maua von einem Wrack aus beobachtet hatte. Ihr erster Kuss... Er wurde von Qasi aus seinen Gedanken gerissen, die ungeduldig an den Zügeln zerrte. Wahrscheinlich roch sie bereits Kahawia und freute sich auf Gesellschaft. Immerhin waren sie schon so nah, dass das Haus zu sehen war. Noch leuchtete Licht in einem der Fenster, aber nach ein paar Schritten die Straße entlang erlosch es. Alles war still.
Tai fühlte sich irgendwie leer und ausgelaugt, als er vor dem Zaun zu stehen kam, den er kurz vor seinem Aufbruch repariert hatte. Alle Stangen standen noch aufrecht und gerade. Genau so, wie er sie in die Erde gehämmert hatte. Das war vor sechs Monaten gewesen. Der Kreis schließt sich, dachte er und wusste zugleich nicht, warum ihm dieser Satz in den Sinn kam. Vorsichtig und langsam, damit es kein ungeöltes Quietschen von sich gab, öffnete er das Gatter und führte Qasi in Richtung Stall. Als er die Tür öffnete, erwartete ihn Kahawia, die ihn nur neugierig anschaute und keinen Laut von sich gab. Erinnerte sie sich noch an ihn?
Er führte Qasi zur gegenüber liegenden Wand und band die braune Stute dort an. Dann legte er sich auf den Haufen aus vertrockneten Maispflanzen, der Futter und Bodenstreu zugleich war. Eine Weile beobachtete er die zwei Stuten, die einander anstarrten, wobei ihre Nüstern sich weit aufblähten. Irgendwann schlief er ein.
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