17. Kapitel

Ein Kavalier von Kopf und Herz ist überall willkommen;

Er hat mit feinem Witz und Scherz manch Weibchen eingenommen.

Doch wenn's ihm fehlt an Faust und Kraft, wer mag ihn dann beschützen?

Und wenn er keinen Hintern hat, wie mag der Edle sitzen?

Johann Wolfgang von Goethe

Zwei Frauen saßen auf den Sesseln im kleinen Gästezimmer von Burg Jern. Warmes Licht schien durch die Fenster herein und erhellte den Raum noch zusätzlich zu den an den Wänden aufgehängten Laternen. Zwischen den Sesseln war ein niedriger Tisch aufgestellt, auf dem ein Brett mit schwarz-weißen Quadraten und Figuren lag. Jedoch rührte keine der Frauen es an. Stattdessen nahm eine von ihnen jetzt den daneben stehenden Kelch in die Hand und schenkte etwas Wein in die bereitstehenden Gläser ein.

»Es muss eine lange Reise für Euch gewesen sein, Königin Rafaga«, sagte sie ohne ihr Glas in die Hand zu nehmen. »Ich hoffe, sie wird nicht umsonst gewesen sein.«

Die andere Frau brachte ein gequältes Lächeln über die Lippen. Ihre dunkle Haut stand in starkem Kontrast zu der bleichen der ersten. Umso heller waren ihre Augen: Ein blasses Blau, während die der ersten Frau von einem dunklen Braun waren. Sie schienen sich perfekt zu ergänzen. Selbst ihre Kleider spielten ein Spiel der Gegensätze: Das dunkle Rot der Ostländerin traf auf das helle Grün der Nordländerin, welche gerade nach dem Medaillon ihrer silbernen Kette griff.

»Ihr meintet, es ginge um etwas Wichtiges«, fuhr sie fort. »Und dass Ihr alleine mit mir reden wollt.«

»Du brauchst mich nicht so förmlich anzusprechen, Hilgard«, sagte Rafaga. »Dafür kennst du meinen Mann schon zu lange. Und mich auch.«

»Es geht um Javet, oder?«

Die Königin stockte.

»Gerüchte verbreiten sich schnell«, erklärte Hilgard und strich sich eine Strähne ihres weißblonden Haares aus dem Gesicht, die ihrer ordentlichen, hochgesteckten Frisur entkommen war. »Und die Spione von Königin Sunna sitzen nicht untätig rum. Besonders seit ihr Mann beim Kampf gegen die Triglaza gestorben ist. Sie versucht immer noch Beweise dafür zu finden, dass Javet den Tod meines Vaters geplant hat. Dabei weiß ich, dass er das nicht tun würde.«

»Der Tod deines Vaters tut mir sehr leid.« Rafaga senkte niedergeschlagen den Kopf. »Er war sicher ein ehrenvoller Mann.«

Hilgards Blick verhärtete sich, doch sie sagte nichts dazu. Stattdessen nahm sie einen Schluck aus dem Glas und stellte es zurück auf den Tisch. »Also, die Gerüchte über Javet stimmen? Er ist wahnsinnig geworden?«

»Er ist nicht mehr er selbst«, erklärte die Königin. Ein verzweifeltes Zittern lag in ihrer Stimme. »Ich höre immer wieder, wie er mit jemandem redet. Er scheint seine erste Liebe zu sehen, Annie, die aber schon lange tot ist. Er sieht Geister. Ich weiß nicht, was Annie ihm zuflüstert, aber es macht ihn sehr traurig und wütend zugleich.«

»Und wie soll ich da helfen?«

»Du hast einen wachen Verstand. Jeder im Pazifik weiß das. Und Javet kennt dich noch länger als ich. Er wird dir eher zuhören als jedem von seinen Beratern. Du musst ihn dazu bringen, die Vergangenheit ruhen zu lassen.«

Hilgard antwortete erst nicht, zeigte keine Regung. Schließlich sagte sie: »Du weißt, dass Königin Sunna mich nicht gehen lassen wird.«

»Ich flehe dich an! Es muss eine Möglichkeit geben!«

Doch die Nordländerin senkte bedauernd den Blick. »Es tut mir leid. Das ist etwas, womit das Ostland sich selber auseinandersetzen muss.«

Rafaga vergrub das Gesicht in den Händen und schwieg.

»Du musst verstehen«, fuhr Hilgard fort, »ich bin nur auf Burg Jern, weil das der letzte Wunsch meines Vaters war. Er hat Königin Sunna dazu verpflichtet, mich von der Straße zu holen, in der Burg unterzubringen und für mich zu sorgen. Ich habe zwar kein Anrecht auf den Thron, werde aber trotzdem wie eine Prinzessin behandelt. Die Menschen im Nordland nennen mich ›Bastard-Prinzessin‹.« Ihre Hand umklammerte das Medaillon kurz fester, bevor sie es losließ. »Abgesehen davon tut Königin Sunna jedoch alles, damit meine Wünsche nicht in Erfüllung gehen. Wenn ich sie darum bitte, ins Ostland zu reisen, wird sie auf jeden Fall ablehnen.«

Die Königin nickte langsam. Der Schmerz und die Enttäuschung waren ihr deutlich anzusehen. »Es war ein Fehler, hierher zu kommen.« Sie stand von ihrem Sessel auf, strich das dunkelrote Kleid glatt und wandte sich zum Gehen. »Ich danke dir trotzdem dafür, dass du mich empfangen hast. Sicher wird Königin Sunna dich fragen, worüber wir uns unterhalten haben. Ich bitte dich nur darum, ihr nicht zu erzählen, dass die Gerüchte stimmen. Wie du gesagt hast: Es ist eine Angelegenheit des Ostlands.«

Rafaga hatte die Hand schon auf die Türklinke gelegt, als Hilgard sie aufhielt.

»Warte.«

Die Königin drehte sich um.

»Es gibt nur eine Person, der Königin Sunna jeden Wunsch von den Lippen abliest.«

»Wer?«

»Ihr Sohn, Ragnar. Das letzte Andenken, das ihr von König Borne geblieben ist.« Ihre dunklen Augen wirkten nachdenklich. »Wenn er sie darum bittet, ins Ostland zu reisen, um König Javet und seine Familie zu besuchen, wird sie zustimmen. Sie selbst wird das Nordland zurzeit nicht verlassen, jedenfalls nicht für einen einfachen Besuch – es gibt zu viele Schwächlinge, die sich zusammengerottet haben und nur auf eine Gelegenheit warten, um zuzuschlagen. Also wird sie jemand anderen brauchen, der auf Ragnar aufpasst. Weil sie weiß, wie sehr ich das hasse, wird sie auf jeden Fall mich dafür auswählen.«

Allmählich schien Rafaga zu begreifen. Ihre Augen fingen an zu leuchten wie zwei blaue Quarzsteine im Licht der Sonne. »Du wirst ihn dazu bringen, ins Ostland reisen zu wollen?«

»Ja.«

»Wie?«

Hilgards Blick war undurchdringlich. »Es ist besser, wenn du das nicht weißt.«

Die Königin zögerte. »Hat es... mit deiner Fähigkeit zu tun?«

Die Bastard-Prinzessin antwortete nicht.

»Jedenfalls danke ich dir, Hilgard.« Rafaga verneigte sich in ihre Richtung. »Von ganzem Herzen.« Dann öffnete sie die Tür und verließ das Zimmer.

Sobald sie gegangen war, stand Hilgard auf und ging hinüber zu dem Ölgemälde, das neben einem der beiden Fenster hing und fast bis zur Decke reichte. Es zeigte eine korpulente Frau mit großer Oberweite und breiten Hüften. Ihre vollen, roten Haare waren zu einer kunstvollen Frisur geflochten, die einen starken Kontrast zu ihrem grünen Kleid bildeten, in das goldene Muster eingestickt waren. Auf ihrem Haupt ruhte eine massige, eiserne Krone. Neben ihr stand ein Mann, der angesichts ihrer eindrucksvollen Präsenz beinahe verblasste. Ein rundes Gesicht, weißblonde Haare, Hemd und Hose ebenfalls in Grün, aber ohne besondere Verzierungen. Das ungleiche Paar hielt zwischen sich einen Säugling, der in ein Tuch eingewickelt war. Aus seinen Augen sprach eine tiefe Unzufriedenheit, die der Künstler gut festgehalten hatte.

»Du warst schon seit deiner Geburt stets unzufrieden, kleiner Feigling«, murmelte Hilgard, den Blick starr auf den gemalten Säugling gerichtet. »Wenn du nur wüsstest, dass ich für all deine Makel verantwortlich bin. Schönheit, Klugheit und Gesundheit ist nunmal nicht das einzige, was einen guten Menschen ausmacht.«

***

Die zwei Garderitter, die vor dem Schlafzimmer des Prinzen Wache standen mussten, fühlten sich sichtlich unwohl in ihrer Haut. Lautes Stöhnen und das Hämmern einer Bettkante gegen die Wand drang hinter der Tür hervor. Es war offensichtlich, dass der Prinz des Nordlandes zurzeit sehr viel Spaß hatte. Einige Zeit später gab es einen lauten Schrei der Erlösung und die Geräuschkulisse ebbte allmählich ab, bevor die Tür geöffnet und zwei spärlich bekleidete Frauen in den Flur geschoben wurden. Die Garderitter würdigten sie keines Blickes und warteten, dass auch die dritte rausgeschmissen wurde, aber das war nicht der Fall.

Die dritte der käuflichen Frauen lag nämlich immer noch im Bett des Prinzen und beobachtete ihn aufmerksam, während er sich anzog. Ihre braunen Haare fielen wie eine Löwenmähne über ihre Schultern und ihren Rücken, die geschwollenen Lippen hatte sie gespitzt. Als Ragnar ihren Blick bemerkte, hielt er inne und drehte sich um. Den Morgenmantel hatte er nur locker zugeknotet, sodass seine nackte, muskulöse Brust unübersehbar war.

»Du findest immer etwas, womit du dir eine weitere Nacht mit mir verdienst, Irma«, sagte er und lächelte zufrieden. »Die wievielte Nacht ist das mittlerweile?«

»Die fünfte, mein Prinz«, antwortete Irma und drehte sich auf den Rücken, sodass ihre vollen Brüste wie Hügel von ihrem wohlgeformten Körper aufragten. »Ich werde nie aufhören, mich nach Euch zu sehnen. Es erfüllt mich mit Freude, wenn Ihr mir Eure Gunst erteilt.«

»Das möchte ich doch meinen.« Der Prinz leckte sich über die Lippen und konnte seinen Blick nicht von der Frau auf seinem Bett abwenden. »Noch nie hat jemand es geschafft, mich fünf Nächte lang für sich zu begeistern.«

»Dann muss ich wohl etwas Besonderes sein.« Irma drehte sich wieder zurück auf den Bauch und stützte ihren Kopf auf den Händen ab. Ein schelmisches Funkeln lag in ihren dunkelbraunen Augen. »So wie Ihr etwas Besonderes seid, mein Prinz. Denkt Ihr nicht, dass das ein Zeichen ist, um weitere Nächte miteinander zu verbringen?«

Ragnar runzelte die Stirn. »Du bist nur ein Schwächling. Ich hingegen ein adliger Prinz! Was erlaubst du dir?«

»Ich kenne alle Eure Gespielinnen. Wie Ihr schon gesagt hat: Keine von ihnen hat je fünf Nächte mit Euch verbracht.« Sie erhob sich vom Bett und näherte sich dem Prinzen, bis sie direkt vor ihm stand. Quälend langsam löste sie den Knoten seines Morgenmantels und fuhr dann seine Bauchmuskeln entlang bis ganz nach unten. Mit der anderen Hand nahm sie seine Linke und legte sie sich auf die Brust. »Ich habe Euch so gut gedient. Denkt Ihr nicht, es wäre Zeit, auch mir einen Wunsch zu erfüllen? Ich wäre Euch für immer dankbar...«

Ragnar stöhnte auf, als sie sein hartes Stück umfasste und über dessen Spitze strich. Seine Hand knetete ihre Brust, mit der anderen zog er sie näher an sich heran, doch sie wich seinem Kuss aus.

»Natürlich wird Eure Mutter Euch nie erlauben, einer Hure wie mir einen Wunsch zu erfüllen«, flüsterte Irma ihm ins Ohr. »Aber sie muss ja nicht wissen, dass es mein Wunsch ist.« Sie beugte sich noch weiter vor. »Ich wünsche mir von tiefstem Herzen, einmal ins Ostland zu reisen. Burg Fedha mit eigenen Augen zu sehen. Und Menschen, deren Haut so dunkel wie fruchtbare Erde ist. Und ich denke, auch Ihr seid neugierig darauf, wie es ist, die Nacht mit einer Ostländerin zu verbringen. Schließt die Augen.«

Der Prinz schloss die Augen und stöhnte erneut, als Irma die Bewegungen ihrer Hand beschleunigte. »Hör nicht auf«, keuchte er und krallte sich an sie.

»Stellt Euch eine Ostländerin vor«, hauchte sie ihm ins Ohr. »Eine stolze, unbeugsame Ostländerin, die aber ganz Euch gehören könnte. Wie sie unter Euren Berührungen erbebt, vor Entzücken stöhnt.«

Ragnar stieß einen unterdrückten Schrei aus und warf den Kopf zurück, während Irmas Bewegungen langsamer wurden und sie sich ein Stück von ihm entfernte.

»Ihr seid der Prinz«, sagte sie. »Ihr könntet Eure Mutter darum bitten, ins Ostland zu reisen, um diese Ekstase zu erfahren und mir meinen sehnsüchtigsten Wunsch zu erfüllen. Gleichzeitig würde das Nordland damit Frieden mit König Javet schließen und zeigen, dass es den Tod von König Borne vergeben hat.«

Ragnar drückte noch einmal ihre Brust und nickte zufrieden. »Geh jetzt. Ich bin müde und will schlafen.«

Die Frau schnappte sich schnell das schlichte Kleid, mit dem sie auch gekommen war, warf es sich über und verließ das Zimmer. Die zwei Garderitter, die Wache standen, strafften sich und entspannten sich erst, als Irma um die nächste Ecke war. Vor der zweiten Tür links blieb sie stehen und klopfte – einmal, Pause, zweimal. Auf einen Ruf hin betrat sie das Zimmer und verbeugte sich.

»Der Prinz ist soweit«, verkündete sie. Ihre Stimme war auf einmal nicht mehr so sanft und verführerisch wie zuvor. »Er wird Königin Sunna bald darum bitten, ins Ostland zu reisen. Ich werde ihn begleiten.«

»Gute Arbeit, Irma«, sagte Hilgard, die am Fenster auf der gegenüberliegenden Seite stand. »Natürlich werde ich dich für den Aufenthalt im Ostland ebenfalls bezahlen.«

»Danke, Herrin, aber das ist nicht nötig. Es ist Bezahlung genug, dorthin zu reisen. Ich war noch nie im Ostland.«

Hilgard nickte nur und entließ die Frau mit einer Handgeste. Ihre dunkelbraunen Augen ließen keine Vermutung über das zu, was in ihrem Kopf vorging.

Wenige Tage später klopfte es wieder an ihrer Tür. Ein Garderitter kam herein und übergab ihr den Befehl der Königin, Prinz Ragnar auf seiner Reise ins Ostland zu begleiten. Hilgard zeigte keine Regung. »Wie Königin Sunna befiehlt.«

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