39. Kapitel

Entfliehen der Gefahr nennt Sieg der Kluge.

Franz Grillparzer

Burg Fedha lag wie verlassen da. Ein grauer Brocken aus Stein inmitten kleinerer Kiesel, umgeben von hohen Felsen als Mauern. Der Mann im Innenhof sah aufmerksam zum Fenster im zweiten Stock hoch, die Stirn gerunzelt, die Lippen leicht geschürzt. Im Schatten der Ställe war er kaum zu sehen. Nur die weiße Narbe auf seinem rechten Handrücken stach ins Auge. Als im Fenster der flackernde Lichtschein einer Fackel auftauchte, stieß er sich von der Holzwand des Stalls ab und glitt hinein ins Innere der Burg. Dort wartete bereits ein weiterer Mann, in die Rüstung der Garderitter des Südlands gekleidet. Ein paar Handzeichen und der Garderitter eilte davon, die nächste Treppe hoch. Der Beobachter selbst folgte ihm gemächlicheren Schrittes. Oben angekommen, erwartete ihn bereits Sharaf.

»Aljasus«, presste der neue König des Ostlands hervor. »Gute Arbeit.«

Der Mann verbeugte sich stumm.

»Wir warten, bis sie rauskommt und sich erklärt«, brummte Sharaf mit unterdrückter Wut. Im milchigen Weiß seines entstellten Auges tanzten die Reflexionen der Fackel, die der Garderitter auf seiner anderen Seite für ihn hielt. Die Blicke der drei Personen waren auf die weiße Statue gerichtet.

Fast eine Stunde war vergangen, in der keiner von ihnen sich gerührt hatte, als der Arm der Statue sich bewegte und eine geheime Tür in der Wand sich auftat. Im selben Moment zogen die drei Männer ihre Schwerter. Die scharfen Spitzen richteten sich auf den Hals der Frau, die gerade herausgetreten war. Sie schrie vor Schreck kurz auf, stolperte einen Schritt zurück und wurde sogleich von kräftigen Händen aufgefangen. An ihrer Seite tauchte ein hoch gewachsener Mann auf. Unter seinem rechten Auge prangte ein schwarzes Muttermal. Sein zuvor überraschter Gesichtsausdruck wurde finster. Schützend schob er sich vor die Frau.

»Geh zur Seite, Ehrloser!«, befahl Sharaf, das Schwert nun auf die Brust des Mannes gerichtet. »Dies ist nur eine Sache zwischen mir und meiner Frau! Wenn du schnell genug bist, schaffst du es vielleicht bis in den Innenhof, bevor Aljasus dich einholt und tötet!«

»Ich werde nirgendwo hingehen«, entgegnete der Mann mit dem Muttermal.

»Chui«, flüsterte die Frau hinter ihm und legte ihm beruhigend die Hand auf die Schulter. »Mach es nicht noch schlimmer...«

»Ich werde dich nicht diesem Monster ausliefern!«, rief Chui. »König Miro hat dir schon genug angetan! Ich werde nicht zulassen, dass dasselbe erneut passiert! Du verdienst Besseres!«

»Wer bist du, dass du für die Königin des Ostlands und meine Frau entscheiden kannst!«, fuhr Sharaf ihn an. »Alina wird ihre gerechte Strafe bekommen!«

»Ihr könnt sie nicht töten!« Chui legte nun seinerseits die Hand auf sein Schwert. »Dann hättet Ihr das Blut zweier Menschen an Euren Händen!«

Sharafs Augen weiteten sich vor Überraschung und Entsetzen. Sein Blick glitt zu Königin Alina, die ihn nur mit zusammengepressten Lippen anstarrte, die Hände vor dem Bauch gefaltet. Hätte sie etwas Anderes getragen, wäre die leichte Wölbung verborgen gewesen, aber wegen des dünnen Nachthemds war sie gut zu sehen. Sharaf zog die Lippen zurück und zeigte seine Zähne, stieß dann einen wütenden Schrei aus und stürzte vor.

Kurz bevor sein Schwert sich in den Bauch von Königin Alina gebohrt hätte, zog Chui seine eigene Waffe und lenkte den Hieb ab. Statt durch Stoff und Haut zu schneiden, krachte die Klinge gegen den weißen Stein der Statue. Splitter und Staub regneten herab, während Sharaf erneut zum Schlag ausholte. Diesmal, um Chui das Ende zu bereiten. Der hoch gewachsene Mann parierte den Angriff ohne Mühe und bewegte sich leicht zur Seite, um den Kampf von Königin Alina weg zu führen. Schlag folgte auf Schlag. Metall schepperte und klirrte, wenn die Klingen der Schwerter aufeinander stießen. Die Muskeln an den Oberarmen beider Männer zitterten vor Anstrengung und Kraft, die sie in jeden Hieb steckten.

Königin Alina stand im ersten Moment wie geschockt da. Dann wanderte ihr Blick langsam zu den zwei Männern, die Sharaf begleitet hatten. Blitzschnell hob sie den Saum ihres Nachthemds und rannte los, den Gang hinunter zur Tür neben dem Schlafzimmer des Königspaares. Gehetzt schaute sie sich im Raum um, entdeckte die Bleichgesicht-Frau im Bett und schüttelte sie wach.

»Kate!«, schrie sie sie an.

Im selben Moment tauchten Sharafs zwei Männer im Türrahmen auf. Beide hatten ihre Schwerter erhoben, zeigten mit ihren Spitzen auf Königin Alina. Diese stolperte zum Kinderbett, in dem ein kleines Kind lag, fest in weiße Stoffbahnen eingewickelt. Sie nahm es auf die Arme und drückte es fest an ihre Brust. Währenddessen war die Bleichgesicht-Frau schon aufgewacht. Beim Anblick der zwei bewaffneten Garderitter schrie sie laut auf.

»Kommt nicht näher!«, warnte Königin Alina. Ihre Stimme zitterte leicht.

Doch die Männer dachten gar nicht daran. Schritt für Schritt gingen sie auf sie zu. Kurz bevor sie das Zimmer halb durchquert hatten, schnappte einer von ihnen allerdings entsetzt nach Luft. Die blutige Spitze eines Schwertes ragte aus seiner Brust. Als die Waffe zurückgerissen wurde, fiel er mit einem dumpfen Laut zu Boden. Der andere wandte sich ruckartigem dem neuen Angreifer zu. Es war nicht Chui, sondern ein anderer Garderitter des Ostlandes. Ohne zu zögern gingen beide gleichzeitig zum Angriff über, während aus dem Flur laute Stimmen ertönten, die Befehle riefen, gefolgt von Schwerterklirren. Die beiden Männer drängten auf den Gang hinaus, um mehr Platz zu haben.

»Meine Königin!«, rief Kate panisch. »Was passiert hier? Was ist los?«

»Wir müssen fliehen«, zischte Königin Alina. Sie drückte der bleichgesichtigen Frau das Kind in die Arme, das mittlerweile aufgewacht war und angefangen hatte, laut zu weinen und zu schreien. Die Amme wiegte es hin und her, während die Königin den Schrank aufriss und ein einfaches Kleid herausholte, das sie sich über das Nachthemd warf. Es folgte ein Mantel und ein paar Schuhe. Zuletzt streckte sie ihre Hand nach einer Schere aus, die neben Nähsachen auf einem Regalbrett lag. Kurz zögerte sie, nahm sie dann jedoch auf. Immer mehr lange Strähnen ihrer schwarzen Haare fielen zu Boden.

»Meine Königin!«, keuchte Kate entsetzt.

»Hör auf zu flennen!«, fuhr Königin Alina sie an und legte die Schere weg. Mit zitternden Fingern fuhr sie sich durch die nun schulterlangen Haare. »Nimm Haifai mit. Wir verschwinden.«

»Aber... Was passiert hier?«

Die Ohrfeige hinterließ einen roten Fleck auf der hellen Wange der Amme. Königin Alina stieß ihr drohend den Zeigefinger vor die Brust. »Hör auf zu fragen! Wir verlieren Zeit! Komm!«

Mit wehendem Kleid und Mantel eilte sie zur Tür. Ein kurzer Blick hinaus auf den Flur. Sharaf und Chui kämpften immer noch. Auf ihrem Weg zerstörten sie alle Statuen und Bilder, die ihnen im Weg waren. Schmale Kerben prangten an den Wänden um sie herum, wo ihre Schwerter abgeglitten waren. In beiden Gesichtern standen Wut und Hass. Rotes Blut tropfte aus einer Wunde an Chuis Schulter. Mittlerweile waren mehr von Sharafs Garderittern aufgetaucht. Jeder in einen Kampf mit den Garderittern des Ostlands verwickelt. Mehrere Männer lagen bereits am Boden.

Königin Alina verzog verzweifelt das Gesicht. Mit einem Ruck setzte sie sich in Bewegung, verließ das Zimmer und eilte den Gang hinunter in die andere Richtung. Kate mit Haifai in den Armen folgte ihr. Die Amme hatte dem Kind die Hand über den Mund gelegt, um die Schreie zu ersticken, aber trotzdem bemerkte einer von Sharafs Männern die zwei fliehenden Frauen. Gerade wollte er seinen König darauf aufmerksam machen, als das Schwert eines ostländischen Garderitters ihm über die Kehle fuhr.

»Hier lang«, keuchte Königin Alina und lief die Treppe hinab. Im ersten Stock waren die Menschen gerade erst dabei, zu bemerken, was vor sich ging. Die ersten Türen öffneten sich bereits. Ein junges Mädchen mit schwarzen, gelockten Haaren tauchte in einem Türspalt auf, in der Hand eine Puppe. Sie starrte die Königin und ihre Dienerin mit großen Augen an.

»Rena«, fuhr Königin Alina das Mädchen barsch an. »Wo ist deine nichtsnutzige Halbschwester, die Pferdenärrin?«

Wortlos zeigte das Mädchen in Richtung einer Tür, die zum Innenhof führte.

Königin Alina stieß einen leisen Fluch aus. Grob stieß sie das Mädchen zurück in ihr Zimmer und schlug die Tür zu, bevor sie Kate am Unterarm packte und mit sich auf den Innenhof zerrte. Sobald sie draußen waren, ertönte das Klirren von Glas. Ein Fenster im zweiten Stock war zersplittert, der Körper eines Mannes fiel hinab zu Boden. Der Aufprall war hart. Langsam sammelte sich eine rote Pfütze um seinen Kopf. Ein schmales Blutrinnsal floss über die Stirn und tropfte von der Augenbraue auf ein schwarzes Muttermal. Königin Alina schrie entsetzt auf. Ihre Knie zitterten, aber sie stolperte weiter zu den Ställen. Bei einer der Boxen blieb sie stehen und riss die Tür auf. Zum Vorschein kam ein weißer Hengst, der seinen Kopf nach unten zu einem Mädchen gebeugt hatte, das ihm wohl zuvor über die Nüstern gestreichelt hatte, jetzt jedoch ängstlich bebte.

»Finis«, zischte Königin Alina es an. »Wie öffnet man das Tor?«

»Was... Was...«, stotterte das Mädchen und duckte sich leise wimmernd, als die Königin drohend die Hand hob.

»Ich weiß, dass du nachts manchmal heimlich in die Stadt reitest. Wie macht man das verdammte Tor auf?«

»Der... Der Hebel hinter dem dritten Stein an der linken Wand«, sagte Finis schnell. »Er sitzt locker und da ist ein Kreuz eingeritzt. Bitte tut mir nichts.«

»Geh zurück auf dein Zimmer und schließ die Tür ab«, befahl Königin Alina barsch, woraufhin das Mädchen hastig auf die Beine sprang und an ihr vorbei rannte. Ein spitzer Schrei ertönte, als sie die Leiche im Innenhof sah. Nun leuchteten nicht nur im zweiten Stock die Fackeln, sondern auch in den Fenstern des ersten erschien heller Lichtschein. Königin Alina wandte sich an Kate und nahm ihr Haifai aus den Armen. »Du hast sie gehört. Öffne das Tor.«

Die Dienerin nickte gehorsam und eilte davon, während die Königin sich mit dem Kind in den Armen etwas umständlich auf den weißen Hengst schwang. Mit einer Hand krallte sie sich in seine Mähne, die andere hielt Haifai an sich gepresst. Sie stieß dem Pferd die Fersen in die Seiten und es trat aus der Box. Das Tor war erst zur Hälfte geöffnet, als die ersten Garderitter des Südlands den Innenhof betraten. Sie riefen etwas, deuteten mit ihren Schwertern auf Königin Alina, die den Hengst antrieb. Mit klappernden Hufen trabte, dann galoppierte er los. Sie lehnte sich vor, damit ihr Kopf nicht gegen die untere Kante des Eisengitters stieß. Ihr Blick begegnete dem von Kate, die ihrer Herrin ungläubig hinterher blickte.

Plötzlich schwirrten Pfeile durch die Luft. Einer von ihnen traf die bleichgesichtige Frau in den Rücken. Sie riss die Augen auf, fiel dann zur Seite. Irgendwo auf der Allee der Rosen galoppierte die Königin mit ihrem Kind in Richtung des Stadttores, um Ngome zu verlassen. In ihren Augen standen Tränen, aber sie hielt nicht an. Währenddessen schwangen die Garderitter des Südlandes sich auf ihre eigenen Pferde und wollten sich an die Verfolgung machen, als ein lauter Befehl sie innehalten ließ.

Sharaf trat hinaus auf den Innenhof. Rotes Blut tropfte von der Spitze seines Schwertes. In seiner anderen Hand hielt er einen unförmigen, metallischen Gegenstand, den er jetzt jedoch sinken ließ. Neben ihm tauchte der Mann mit der Narbe auf dem rechten Handrücken auf. »Lasst sie laufen«, rief der König des Ostlandes. »Sie wird nicht mehr zurückkehren. Das weiß sie genauso gut wie ich.« Seine Augen, eines dunkelbraun, das andere milchig weiß, richteten sich auf Chuis Leiche. »Werft seine Leiche den Hunden zum Fraß vor. Riegelt die Burg ab. Keiner darf hinein oder hinaus. Noch darf niemand erfahren, dass Königin Alina geflohen ist. Das Treffen am Urberg steht kurz bevor.« Er warf dem Mann neben sich einen vielsagenden Blick zu, während er den metallenen Gegenstand hinter seinem Rücken versteckte. »Du weißt, was du zu tun hast, Aljasus.«

Der Mann verbeugte sich, ein grausames Lächeln auf seinen Lippen.

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Eines der wenigen Kapitel, die ich nicht überarbeitet habe, haha XD

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