37. Kapitel

Ein Affe stirbt und sieht den König der Unterwelt. Er fragt ihn, ob er als Mensch wiedergeboren werden könne.

Der König sagt: »Wenn du ein Mensch sein willst, dann musst du all deine Haare entfernen.«

Dann ruft er den Yecha um die Haare des Affen zu entfernen. Dieser zupft ihm ein Haar aus und der Affe schreit vor Schmerz.

Der König der Unterwelt lacht und sagt: »Wenn du dich nicht einmal von einem Haar trennen kannst, wie willst du ein Mensch sein?«

Handan Chun

Javet blickte überrascht auf. Direkt neben Hong Tuzi stand ein Mann, der ganz in schwarz gekleidet war. Er hatte sich ein langes, schmales Schwert hinter ein Stoffband gesteckt, das um seine Taille gewickelt war. Am Knauf hing eine Quaste. Er war eindeutig ein Westländer, kleidete sich jedoch nicht so prächtig wie die anderen und zudem schien er auch noch Ostländisch zu sprechen. Domador griff reflexartig nach seinem Gürtel, an dem früher sein gebogenes Schwert aus Hölle gehangen hatte. Da die Triglaza es ihm jedoch weggenommen und sie bisher nicht die Gelegenheit gehabt hatten, sich Waffen zu kaufen, stieß seine Hand ins Leere. Dennoch blickte er den Fremden wachsam und voller Misstrauen an.

»Der Mann vorhin war wirklich Guangshu?«, fragte Javet zögerlich.

Der Fremde nickte.

»Was ist mit ihm passiert?«

»Das Leben«, antwortete der andere und schüttelte niedergeschlagen den Kopf. Dann streckte er Javet die Hand entgegen. »Ich bin Qing Xin. Früher war ich Guangshus Schüler, bevor... das passiert ist, was passiert ist. Vielleicht kann ich euch helfen.«

Javet sprang aufgeregt auf die Beine und schlug in die Hand ein, die ihm angeboten wurde. Dabei ignorierte er Domadors warnenden Blick. Er versteht nicht, dass wir vielleicht doch noch eine Chance haben! »Ihr seid sein Schüler? Dann wisst Ihr, wie das Heilmittel hergestellt wird, mit dem man die Strahlenkrankheit heilen kann?«

Qing Xins Lippen zuckten leicht. »Diese Geschichte...« Ein leichtes Bedauern schwang in seiner Stimme mit. »Hast du die Strahlenkrankheit? Oder dein Begleiter?«

»Nein, aber...«

»Dann kann ich dir nicht helfen.«

»Nein! Bitte!« Javet stellte sich dem Mann in den Weg, der sich bereits umgedreht hatte, um wieder zu gehen. »Ihr seid meine letzte Hoffnung! Das Leben unglaublich vieler Menschen steht auf dem Spiel!«

Qing Xins Gesichtsausdruck veränderte sich kaum. Nur in seine dunklen Augen trat ein trauriger Schatten. »Das höre ich oft. Ich habe schon viele Menschen gerettet, aber einige mussten einen hohen Preis dafür bezahlen. Wie viel bist du bereit, zu geben?«

»Alles!«, rief Javet ohne zu zögern. »Alles, was ich habe! Bitte! Gebt mir das Heilmittel oder zeigt mir, wie es hergestellt wird!«

»Bist du vollkommen verrückt geworden?« Domador ergriff ihn am Unterarm, um ihn von Qing Xin wegzuziehen, aber Javet schüttelte ihn ab.

»Er ist unsere letzte Hoffnung!«, fuhr er den Krieger aus Hölle an und wandte sich dann wieder dem Westländer zu. »Ich bin wirklich bereit, alles zu geben! Bitte, helft uns!«

Der Mann seufzte, schloss die Augen und nickte schließlich. Mit einer Hand deutete er auf die Treppenstufen. »Setz dich.«

Javet gehorchte und wartete geduldig, bis Qing Xin sich neben ihm niedergelassen und sein schwarzes Gewand geordnet hatte. Domador hielt Sult derweil immer noch an den Zügeln fest und ließ den Westländer nicht aus den Augen.

»Ich hoffe für Euch, dass Ihr kein Betrüger seid«, sprach er ihn an. »Das könnte Euch leicht den Kopf kosten.«

»Ich verachte alle Betrüger und bin daher keiner«, antwortete dieser schlicht.

»Werdet Ihr mir sagen, wie das Heilmittel hergestellt wird?«, fragte nun Javet und sah Qing Xin hoffnungsvoll an.

»Nein.«

All seine Hoffnung wurde von diesem einen Wort in Stücke gerissen, noch weiter zerfetzt und flog dann im Wind der Enttäuschung davon. Javet schluckte, versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. »Warum nicht? Ihr habt doch gefragt... Ich habe doch gesagt, dass ich bereit bin, alles zu geben!«

»Ich kann dir das Heilmittel weder geben noch dir zeigen, wie es hergestellt wird«, erklärte Qing Xin mit ruhiger Stimme. »Denn es gibt keines.«

»Was? Aber...« Eine Welle der Verzweiflung überkam Javet. Dann war wirklich alles nur eine Legende? Ein Gerücht? Um den anderen Ländern zu zeigen, dass das Westland die besten Heiler hat? Hatte Königin Yin nie die Strahlenkrankheit? Was soll ich jetzt bloß machen? Niedergeschlagen senkte er den Kopf.

»Was soll das heißen: ›Es gibt keines‹?«, fuhr Domador Qing Xin an. »Es muss eines geben! Wurde eure Königin nicht von der Strahlenkrankheit geheilt?«

»Vielleicht war das alles nur eine Lüge«, sprudelte es aus Javet heraus. »Ich habe Königin Yin noch nie gesehen! Ich weiß nur davon, weil ein Geschlechtsloses aus meinem Dorf mir davon erzählt hat!«

»Du bist nur einem Gerücht nachgegangen?« Domador sah ihn fassungslos an. »Du hast alles auf Spiel gesetzt, nur wegen eines Gerüchts?«

Javet konnte ihm nicht in die Augen sehen, doch auf einmal legte eine Hand sich auf seine Schulter legte.

»Du scheinst wirklich nicht gelogen zu haben, als du sagtest, das Leben vieler Menschen steht auf dem Spiel«, hörte er Qing Xin sprechen. »Sonst würdet ihr jetzt nicht so reagieren. Ich glaube euch. Aber ihr müsst verstehen...« Er wandte sich nun auch an Domador. »Was mit einer Person geklappt hat, kann nur in den seltensten Fällen mit vielen klappen.«

Javet schaute auf. »Also wurde Königin Yin wirklich von der Strahlenkrankheit geheilt? Hat Guangshu das gemacht? Ich dachte, es gäbe kein Heilmittel! Warum lügt Ihr mich an! Ich bin den ganzen Weg aus dem Ostland bis hierhin gereist, um diesen legendären Heiler zu finden! Dann erfahre ich, dass er krank ist. Zum Glück gibt es einen Schüler, doch der weigert sich, mir zu helfen! Warum seid Ihr so...?« Ihm fehlten die Worte. Er war selbst überrascht von seinem plötzlichen Ausbruch, ballte die Fäuste und presste die Lippen zusammen, damit ihm keine Flüche entschlüpften.

»Für die Heilung von Königin Yin wurde ein großer Preis bezahlt, den nur sie selbst und Guangshu kennen«, erwiderte Qing Xin erstaunlich gelassen als würden Javets Worte ihn gar nicht kümmern. »Mein Lehrer badete damals in der Bewunderung und dem Respekt des ganzen Westlands. Alle himmelten ihn an und er lebte, wie er es für richtig hielt.« Er seufzte. »Vor neun Jahren gab es einen Krieg zwischen dem Westland und dem Südland. Seine beiden Söhne und seine Tochter wurden darin getötet. Das hat etwas in ihm zerbrochen. Er begann zu trinken und wurde zu dem Menschen, der er jetzt ist. Ich wünschte, ich wäre damals an seiner Seite gewesen, aber ich... hatte andere Sachen zu tun. Jetzt ist Guangshu nur noch ein Schatten seines früheren Selbst. Die Menschen in Chengbao kennen ihn, wissen, wo er wohnt, aber jeder weiß, dass es nichts bringt, sich um Hilfe an ihn zu wenden. Er weist jeden ab. Wenn er es überhaupt schafft, zur Tür zu kommen.«

Javet blickte betreten zu Boden. »Das tut mir leid. Ich wusste nicht, was er durchgemacht hat.«

»Es ist auch meine Schuld«, sagte Qing Xin. »Wenn ich bei ihm geblieben wäre, hätte ich es vielleicht verhindern können. Aber wir hatten schon zu Beginn viel Streit. Er ist zwar mein Lehrer, aber das bedeutet nicht, dass ich mit seinen Methoden einverstanden bin.«

Javet war verwirrt. Auch Domador zog misstrauisch die Augenbrauen zusammen und fragte: »Welche Methoden?«

»Methoden des Heilens«, erwiderte der Westländer. »Wie gesagt, man muss einen hohen Preis bezahlen. Nach dem, was ich an seiner Seite erlebt habe...« Er versank kurz in Gedanken, bevor er fortfuhr: »Deswegen werde ich euch nicht helfen. Tut mir leid.«

»Nein! Wartet!« Javet klammerte sich am Ärmel des Mannes fest, um ihn davon abzuhalten, aufzustehen. Trotzdem schaffte Qing Xin es, auf die Beine zu kommen. Jedoch ging er nicht weg, sondern schaute mit traurigen Augen auf den Jungen hinab.

»Es gibt kein Heilmittel. Lass mich los.«

»Aber Königin Yin wurde geheilt!«, rief Javet. »Ihr wisst, wie! Selbst wenn es kein Heilmittel gibt: Ihr wisst, wie Guangshu es getan hat! Ihr seid... wart sein Schüler! Bitte! An einem Ort werden hunderte Menschen sterben, wenn sie nicht rechtzeitig geheilt werden und das Totenland verlassen können! Ich flehe Euch an!«

Qing Xins Lippen zuckten. Er schien sich sichtlich unwohl zu fühlen. »Du weißt nicht, was du von mir verlangst.«

»Bitte!« Javet wusste nicht mehr, was er noch sagen konnte. In seiner Verzweiflung löste er den Geldbeutel mit den hundert Münzen von seinem Gürtel und hielt ihn dem Westländer hin. »Bitte! Wenn Ihr mir nicht helft... Es werden so viele Menschen sterben...«

»Ich werde Euch auch mit Gewalt zu diesem Ort schleppen, das schwöre ich«, fuhr Domador nun ebenfalls dazwischen. Drohend baute er sich vor Qing Xin auf. »Es ist das Leben meiner Leute, das auf dem Spiel steht.«

»Menschen im Totenland?« Der Westländer wich keinen Schritt zurück und schien nicht im Mindesten eingeschüchtert zu sein. Seine dunklen, fast schwarzen Augen musterten Domador von oben bis unten.

»In Ordnung«, sagte er dann auf einmal. »Ich komme mit euch. Aber ich kann nichts versprechen.«

»Wirklich? Danke! Danke, danke, danke!« Ohne nachzudenken stürzte Javet auf den Mann zu und umarmte ihn. »Danke! Ihr seid unser Retter! Nein, der Retter vieler Unschuldiger!«

Qing Xin klopfte ihm beruhigend auf den Rücken. Als der Junge zurücktrat, stellte er jedoch fest, dass ein gequälter Ausdruck auf dem Gesicht des Westländers lag. Warum sieht er nicht glücklich aus? Eher so, als hätte er gerade eine schreckliche Nachricht bekommen. Auch Domador lächelte nicht. Ihm war anzusehen, dass er der ganzen Sache immer noch nicht ganz traute. Aber es ist seine einzige Chance, die Menschen aus Hölle zu retten.

»Was ist der Preis?«, fragte Javet schließlich stockend.

Statt einer Antwort wanderten Qing Xins Augen zu Hong Tuzi. Der Hengst mit dem rötlichen Fell schüttelte seine Mähne und schnaubte. Seine Hufe scharrten ungeduldig über den Stein der Straße. Möchte er ihn haben?, fragte Javet sich. Aber Qing Xin wandte den Blick im nächsten Moment ab und sagte: »Ich werde mir ebenfalls ein Pferd besorgen. Dann brechen wir auf.«

»Und der Preis?«, schaffte Javet es noch, ihm hinterher zu rufen, bevor er wegging.

Qing Xin blieb kurz stehen. »Das ist eine Sache für später.«

In Gedanken versunken wartete Javet darauf, dass der Westländer wiederkam.

»Irgendwas an ihm ist seltsam«, meinte Domador. »Er meint, es gibt kein Heilmittel, aber er kann andere trotzdem heilen. Wie soll das gehen?«

»Ich weiß es nicht«, gab Javet zu. »Vielleicht ist das Rezept auch einfach ein so großes Geheimnis, dass er es niemandem verraten darf.«

»Mir gefällt das nicht.«

»Haben wir eine Wahl?«

Domador schnaubte nur.

Kurze Zeit später kehrte Qing Xin auf einem Hengst zurück, dessen Fell von einem extrem hellen, fahlen Braun war, sodass es fast weiß wirkte. Am Sattel war eine Reisetasche befestigt. Er nickte Javet und Domador auffordernd zu, woraufhin sie sich ihrerseits auf Hong Tuzi und Sult schwangen. Schweigend ritten sie nebeneinander die Straße entlang in Richtung Stadttor. Aus dem Augenwinkel beobachtete Javet, wie Qing Xins Gesicht finsterer wurde, je weiter sie sich von Guangshus Haus entfernten, aber er sagte nichts. Am Tor wurden sie erneut von einem Krieger angehalten.

»Er möchte eure Aufhaltsgenehmigung sehen«, übersetzte Qing Xin.

Javet und Domador kramten hastig ihre Pergamentstücke raus, die sie bei ihrer Ankunft in Chengbao bekommen hatten, und reichten es dem Mann. Daraufhin wurde ihnen das Tor geöffnet. Sobald sie Chengbao verlassen hatten, lenkte Javet Hong Tuzi in Richtung Osten und übernahm die Führung. Wartet nur, ihr Menschen von Hölle. Wir sind auf dem Weg.

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