25. Kapitel
Wir wollen keine halben Taten,
Wir wollen keinen halben Mut.
Soll unsre Sache je geraten:
Hinein dann in des Kampfes Glut.
Franz Eichert
Javet wusste, dass es so weit war, als die Garderitter nacheinander Leonardo, Peter und Aveline aus ihren Zellen holten und den Gang an ihm vorbei zur Treppe stießen, die aus dem Kerker führte. Allen dreien waren Ketten angelegt worden, die jedoch nicht so robust und schwer wie die von Hilgard zu sein schienen. Trotzdem schepperten sie bei jedem Schritt, wenn sie über den steinernen Boden gezogen wurden. Von den dreien sah Leonardo am schlimmsten zugerichtet aus. Sein Hemd war an der Seite vollständig mit Blut getränkt. Offenbar war seine Wunde in keiner Weise versorgt worden.
»Hilgard«, flüsterte Javet durch die Lücke zur Nachbarzelle. »Das sind die, mit denen ich hier unten gelandet bin. Ich werde auch bald geholt werden. Jetzt sag mir schon deine Idee! Wie kann ich gegen den Berserker gewinnen?«
In der Nachbarzelle regte sich erst nichts. Javet dachte schon, Hilgard würde schlafen oder ihn absichtlich überhören, als sie doch noch antwortete. Ihre Stimme war leise und schwach, als hätte sie keine Kraft mehr. Das Gesicht tauchte jedoch nicht in der Lücke auf. »Leonardo war der mit der Wunde, oder?«
»Ja«, antwortete Javet. »Aber was hat das mit deiner Idee zu tun?«
Gehetzt blickte er durch das Gitter auf den Gang hinaus. Er hörte schon, dass ein Garderitter sich seiner Zelle näherte.
»Verdammt, Hilgard!«, zischte er. »Willst du mich in den Tod schicken? Ich dachte, ich wäre dein Schlüssel zur Freiheit!«
»Alles wird gut. Mach dir keine Sorgen«, ertönte die gepresste Stimme des Mädchens.
Ich soll mir keine Sorgen machen? Im selben Moment erschien der Garderitter, den er bereits gehört hatte, vor seiner Zelle. Nacheinander schloss er alle Schlösser auf und öffnete die Tür. Javet wich ein Stück zurück, obwohl er wusste, dass das wahrscheinlich nichts bringen würde. Eher würde er den Mann damit dazu provozieren, ihn zusammenzuschlagen, weil es dann so aussah, als würde er nicht freiwillig mitkommen. Sein Herz klopfte wie verrückt, als er sich dazu zwang, still zu stehen, während der Garderitter ihm die Ketten anlegte und ihn mit kräftigem Griff am Oberarm packte, in Richtung Treppe stieß.
Mehrmals stolperte Javet fast über die hinter ihm her schleifenden Ketten. Der Garderitter zerrte ihn durch Flure, schmale und breite, und dann in Richtung eines großen Hofs, den er durch die Fenster zuvor schon gesehen hatte. Zu seiner Überraschung überquerten sie ihn aber und verließen die Burg über eine Zugbrücke. Links und rechts davon war ein Graben ausgehoben, in dem jedoch kein Wasser war. Stattdessen ragten spitze Metallpfähle aus dem Boden, bereit, jeden aufzuspießen, der versuchte, den Graben nicht über die Zugbrücke zu überqueren.
Schon von Weitem hörte Javet das Gemurmel und begeisterte Rufen einer großen Menschenmenge. Unzählige Adlige des Nordlandes mit blonden oder rötlichen Haaren und schweren Pelzmänteln hatten sich auf dem Platz vor Burg Jern versammelt. Sie hieben mit den Fäusten in die Luft und schrieen etwas, das Javet wegen des Lärms nicht verstehen konnte. Das Blut gefror ihm in den Adern, als der Garderitter ihn ein paar Stufen hinauf stieß, die zu einer Tribüne führten, auf der am äußeren Rand ein einfacher Metallblock aufgestellt war. Neben ihm stand ein Korb, in dem etwas lag. Javet wandte schnell den Blick ab, doch er hatte es bereits gesehen. Sie haben Aveline geköpft!
Der Garderitter drängte ihn nun ebenfalls in Richtung des Metallblocks. Die Menge brüllte begeistert auf. Jemand warf faule Gemüsereste nach ihm, als Javet sich mit den Füßen gegen den Boden stemmte. »Nein!«, rief er. »Nein! Lass mich los! Lass mich los!«
Wird es keine Anhörung geben? Wann soll ich denn dann sagen, dass ich gegen den stärksten Krieger der Königin kämpfen möchte, um zu beweisen, dass ich nicht getötet werden darf? Verzweifelt wand er sich im Griff des Garderitters, doch dieser war viel zu stark. Kurzerhand rammte er dem Jungen das Schwert mit der flachen Seite in die Kniekehle, sodass er stöhnend zu Boden fiel. Genau vor ihm befand sich der Metallblock. Daneben der Korb. Nicht nur Avelines Kopf lag darin, auch der von Peter. Javet fühlte eine ungeheure Angst in sich aufsteigen.
Als er glaubte, dass ihm gleich jemand den Kopf auf den Block drücken würde, verstummte die Menge plötzlich. Alle starrten gebannt auf etwas hinter ihm. Im selben Augenblick ertönte eine hohe, aber sehr laute Stimme. Herrisch und daran gewöhnt, Befehle zu erteilen. Königin Sunna!, vermutete Javet.
»Zwei der Freiheitskämpfer wurden bereits hingerichtet!«, donnerte die Königin. Der Saum eines hellgrünen Kleides tauchte in seinem Augenwinkel auf und verschwand wieder. »Nun folgt ein dritter! Ein Junge aus dem Ostland, den Leonardo angeheuert hat, um sich in das Haus von Stadthalter Skyldig von Råtne zu schleichen! Ihn und seine Freundin, ein Sklavenmädchen! Was hast du dir nur dabei gedacht, Leonardo? Zwei Kindern eine solch gefährliche Aufgabe zu geben? Klebt nicht schon genug Blut an deinen Händen?«
Leonardo lebt noch? Javet drehte leicht den Kopf, wurde jedoch mit einem Schlag auf den Rücken eines Besseren belehrt. Er unterdrückte einen Schmerzensschrei. Wahrscheinlich lässt sie ihn als letztes hinrichten, weil er der Anführer der Freiheitskämpfer ist.
»Ihr Leute aus Borg, seid ihr einverstanden mit dem Tod dieses Jungen?«, rief Königin Sunna. »Er gehört offensichtlich zu den Freiheitskämpfern! Wer weiß, wie viele noch durch seine Hände gestorben wären, wenn er nicht gefangen worden wäre! Jedes Kind eifert seinen Vorbildern nach! Die Vorbilder dieses Jungen sind offensichtlich die Freiheitskämpfer!«
»Lasst seinen Kopf rollen!«, brüllte jemand aus der Menge. Andere Menschen schlossen sich ihm an.
»Kopf ab! Kopf ab!«
»Einen Kopf kürzer! Das steht ihm!«
»Sterben soll er! Sterben!«
»Schuldig! Schuldig! Schuldig!«
»Dann verkünde ich hiermit, dass der Junge sein Leben verwirkt hat!«, übertönte die Stimme der Königin alle anderen. »Garderitter!«
Javet spürte, wie sich eine kalte Hand in seinen Nacken legte und seinen Kopf auf den kalten Metallblock donnerte. Gleichzeitig hörte er das Geräusch eines Schwertes, das gezogen wurde. »Wartet!«, kreischte er in Panik und begriff erst im Nachhinein, dass er auf Ostländisch geschrien hatte. »Wartet!«, wiederholte er auf Nordländisch und schloss die Augen, fürchtete, gleich die eisige Klinge in seinem Nacken zu spüren. »Ich kämpfe gegen Euren stärksten Krieger!«
Es mussten mehr als zehn Sekunden vergangen sein, als er feststellte, dass er noch am Leben war. Vor Erleichterung traten ihm Tränen in die Augen. Noch nie in seinem Leben hatte er eine so schreckliche Angst gespürt. Javet gab keinen Laut von sich, als jemand ihn an den Haaren packte und seinen Kopf nach oben zog. Eine Frau mit rundem Gesicht und wild funkelnden Augen starrte ihn an. Zwischen ihren vollen, roten Haaren ruhte eine eiserne Krone.
»Was hast du gesagt, Junge?«, zischte sie. Die Menschenmenge war mittlerweile vollkommen verstummt.
»Ich kämpfe gegen Euren stärksten Krieger«, wiederholte Javet seine Worte, leicht stockend, damit man das Zittern in seiner Stimme nicht bemerkte. »Wenn ich gewinne, dürft Ihr mich nicht töten und ich habe einen Wunsch frei.«
Königin Sunna runzelte die Stirn, ließ seine Haare dann los und richtete sich erneut auf. Sie drehte sich den versammelten Menschen zu, schwieg erst und fing schließlich an zu lachen. Die anderen stimmten etwas unsicher mit ein. »Der Junge hat sich über unsere Traditionen informiert!«, rief sie. »Wie interessant! Ihr Leute aus Borg, wollt ihr ein spannendes Spektakel sehen?«
»Lasst ihn kämpfen!«, kam die einstimmige Antwort. »Kämpfen! Kämpfen! Kämpfen!«
»Dann soll er kämpfen!«, verkündete die Königin. Ohrenbetäubender Jubel brandete ihr entgegen.
Javet merkte kaum, wie der Garderitter ihn zurück auf die Beine zog. Er musste all seine Kraft zusammennehmen, um nicht wieder auf die Knie zu fallen. Hilgard, welche Idee auch immer du hattest, ich hoffe, sie funktioniert!
»Gib ihm dein Schwert, Dømme«, befahl Königin Sunna, woraufhin der Garderitter seine Waffe zog und sie Javet reichte. Der Junge schaffte es kaum, sie hochzuheben. Das Schwert war viel zu schwer und gerade, als er es schwingen wollte, entglitt es seinen klammen Fingern und fiel scheppernd zu Boden. Ein allgemeines Gelächter ging durch die Menge, angeführt von dem der Königin. »Du kannst nicht mal ein Schwert halten, Junge!«, spottete sie. »Dann nimm wenigstens deinen Dolch! Den, den du beim Angriff auf das Haus des Stadthalters dabei hattest! Dømme, bring ihn her!«
Der Garderitter nahm seine Waffe auf, verbeugte sich und eilte davon, während die Königin einen anderen Mann zu sich winkte, der Javet die Ketten aufschloss. Das schwere Metall fiel zu Boden und wurde weg getragen. Jetzt erst konnte Javet einen Blick auf Leonardo erhaschen. Bewacht von zwei Garderittern kniete er am hinteren Rand der Plattform. Man hatte ihm die Ketten zwar abgenommen, doch er machte keine Anstalten, einen Fluchtversuch zu wagen. Er wirkte benommen, der Kopf leicht zur Seite gekippt. Die Wunde an seiner Seite hatte sich anscheinend wieder geöffnet. Frisches Blut tränkte den Stoff seines Hemdes.
»Du wolltest also gegen meinen stärksten Krieger kämpfen, Junge«, sprach die Königin Javet erneut an. Sie strich sich nachdenklich über das Kinn, doch es wirkte eher gespielt. Schließlich deutete sie entschlossen auf jemanden inmitten der Garderitter, die die Tribüne bewachten. »Brøl, komm rauf und mache deine Königin stolz!«
Javets Augen weiteten sich vor Entsetzen, als ein riesiger Hüne die Treppenstufen hoch stieg. Das Metall bog sich unter jedem seiner Schritte, was kein Wunder war. Sein gesamter Körper schien nur aus Muskeln zu bestehen, die fast schon unnatürlich wirkten. Sie spannten und entspannten sich, entwickelten fast ein merkwürdiges Eigenleben. Seine Augen waren zwei dunkle Löcher, ein krasser Gegensatz zu seinen weißblonden Haaren, die in einem langen, verfilzten Zopf seinen Rücken hinab hingen. In seinen Händen ruhte eine riesige Streitaxt, die wahrscheinlich zehn Mal so schwer wie das Schwert eines Garderitters war. Das also ist ein Berserker, dachte Javet und schluckte. Er wusste: Ein Schlag mit dieser Axt und er wäre sofort tot. Hilgard, wo hast du mich da nur reingeritten!
»Da kommt dein Dolch!«, rief Königin Sunna begeistert.
Javet spürte kaum, wie Dømme ihm seine Waffe in die Hand drückte. Er musste wie ein lächerlicher und verzweifelter Idiot aussehen. Offenbar war er nicht der einzige, der das dachte, denn die Menschen auf dem Platz lachten laut los.
»Er hat keine Chance!«, rief jemand.
»Lass ihn tanzen, Brøl!«, forderte ein anderer. »Wir wollen wenigstens ein paar Schläge sehen, bevor er stirbt!«
»Der Kampf findet nur auf der Tribüne statt!«, übertönte Königin Sunna wieder die Rufe. »Wenn du versuchst, zu fliehen, Junge, hast du verloren und wirst hingerichtet! Nur, wenn du es schaffst, Brøl zu töten, hast du gewonnen, verstanden?«
Javet nickte schwach, ließ den Berserker nicht aus den Augen und umfasste seinen Dolch fester. Hilgard! Was auch immer deine Idee war, sie funktioniert nicht! Ich werde gleich sterben!
»Sehr schön!«, rief Königin Sunna. Mit leichtem Hüftschwung stolzierte sie an die Seite eines Mannes mit weißblonden Haaren und einem langen Bart, der sie von hinten umarmte und seine Hände vor ihrem Bauch verschränkte. Die Königin wartete, bis einige Garderitter ihre Schilde vor ihr aufgestellt hatten. Dann hob sie den Arm. »Der Kampf beginnt!« Ihr Arm sauste runter. »Jetzt!«
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