23. Kapitel

Nur das Unbekannte ängstigt den Menschen. Sobald man ihm die Stirn bietet, ist es schon kein Unbekanntes mehr.

Antoine de Saint-Exupéry

Es waren drei Menschen und drei schwarze Pferde, deren Köpfe seltsam unförmig aussahen, die am Ufer eines fast vollkommen bewegungslosen Flusses lagerten. Der einzige Mann saß einem Stein etwas abseits und schaute grimmig in Richtung der aufgehenden Sonne. Ihre ersten Strahlen färbten den Himmel blutrot. Als er das sah, verfinsterte sich sein Gesicht weiter und er stand auf, den Griff des gebogenen Schwerts an seiner Seite fest umklammert. Die Metallplatten, die seine Kleidung wie Schlangenschuppen überzogen, reflektierten das rote Licht, sodass es den Eindruck machte, er würde glühen.

»Domador?«

Bei der Stimme der Frau, die sich ihm genähert hatte, stand er abrupt auf und drehte sich um. Sie schaute ihn mit einem freundlichen Lächeln an, das aber leicht gequält wirkte. Mit einer Handgeste bedeutete sie ihm, sich wieder hinzusetzen. Als er das getan hatte, ließ sie sich neben ihm auf einem anderen Stein nieder. Eine Weile herrschte bedrücktes Schweigen, während die Sonne immer weiter aufging und aus dem blutigen Rot ein sanftes Orange wurde.

»An dem Tag, an dem Amante gestorben ist, sah der Himmel genauso aus«, sagte Domador in die Stille hinein und ließ den Kopf hängen. Es war jedoch zu sehen, dass er aus dem Augenwinkel Sera musterte, die nun zu ihm blickte.

»Ich weiß«, antwortete sie leise. »Es war ein schrecklicher Tag.«

»Für dich bestimmt nicht.«

Sera runzelte die Stirn. »Warum denkst du so? Warum denkst du, es würde mich freuen, dass deine Auserwählte gestorben ist?«

»Es ist nur logisch«, meinte Domador und richtete seinen finsteren Blick auf sie. »Danach hat mein Vater dich ausgewählt, um Kinder mit mir zu zeugen. Du bist eine starke Kriegerin, einen guten Körper und breite Hüften. Deine Blutungen kommen regelmäßig. Die perfekte Frau für mich.«

Sera biss sich auf die Lippen, als er fortfuhr: »Aber noch sind wir nicht verheiratet. Ich werde dich vielleicht dulden, aber nie...«

»Lieben?«, unterbrach sie ihn. »Mögen? Ich denke, du verbietest es dir, weil du insgeheim mir die Schuld für Amantes Tod gibst.«

»Ist es nicht so?«

»Nein.« Sera blickte ihm direkt in die Augen, das Kinn leicht vorgeschoben. »Es gab keinen Befehl, die Patrouille von Vernichtung anzugreifen. Wir waren an der Grenze. Keiner von uns hatte sie überquert, aber Amante wollte den anderen unbedingt eine Lektion erteilen. Sie ist rüber und ist gestorben, nachdem sie einen getötet hat.«

»Und du hast nur zugesehen.«

»Hätte ich einschreiten sollen?« Sera stand auf und baute sich mit in die Hüften gestemmten Armen vor ihm auf. Ihre dunkelbraunen Augen funkelten verärgert. »Dann wäre es zu einem Krieg gekommen, das weißt du ganz genau! Vielleicht wäre Hölle dann schon lange von Esperar erobert worden! Wir würden heimatlos auf dem Kontinent umher wandern. Immer auf der Flucht vor Zorros Lobo und Garras! So aber wurde ein Leben gegen ein anderes Leben getauscht. Und Vernichtung hat diesen Tausch akzeptiert. Deine geliebte Amante hätte mit ihrer Hitzköpfigkeit beinahe einen Krieg ausgelöst!«

Domador schwieg, die Kiefer fest zusammengepresst.

»Ich verstehe, dass du einen Schuldigen suchst«, fuhr Sera schließlich fort. »Aber manchmal gibt es einfach keinen. Amante war zu leichtsinnig und hat dafür bezahlt.«

Mit diesen Worten wandte sie sich um und ging zurück zu ihrer Schwester, die bereits aufgestanden war und die Decken wieder zusammenrollte, um sie in den Satteltaschen der Pferde zu verstauen. Estrella begrüßte sie mit einem knappen Nicken. »Wie lief es?«

»Ich habe ihm alles gesagt.«

»Gut so.« Die Frau mit der Narbe im Gesicht zwinkerte Sera zu. »Jetzt hat er wenigstens was zum Nachdenken, bis wir auf der anderen Seite des Pazifiks sind.« Sie beugte sich verschwörerisch rüber. »Nebenbei gesagt: Männer wie Domador finden Frauen, die eine starke, eigene Meinung haben, attraktiver.«

Sera lächelte belustigt. »Woher weißt du denn sowas, kleine Schwester?«

Estrella zuckte zwar die Schultern, aber in ihren Augen funkelte eine freche Herausforderung.

»Na gut, wer ist es?«, hakte Sera neugierig nach. »Kenne ich ihn? Jemand aus deiner Patrouille? Oder...«

Plötzlich veränderte sich der Gesichtsausdruck ihrer Schwester. Blitzschnell hob sie die Hand, damit Sera leise war, und deutete mit der anderen in Richtung eines Felskamms, der unweit von ihnen in die Höhe ragte. »Wir sind nicht alleine«, flüsterte Estrella.

»Strahlenkranke aus dem Grenzland?«, hakte Sera nach, während ihre Schwester Domador zuwinkte, damit er ebenfalls herkam. Auf ihrem Weg hatten sie das Totenland verlassen müssen, weil es für die Höllenrösser unpassierbar geworden war. Hoch aufragende Felsspitzen, dazwischen loses Geröll, das sich jederzeit unter den Hufen lösen und sie zum Stürzen bringen könnte. Zwar könnten sie hier eher von Strahlenkranken und anderen Menschen entdeckt werden, aber dafür war ihre Reise sicherer.

Estrella schüttelte langsam den Kopf. »Ich habe die Reflexion der Sonne auf Metall gesehen.«

»Waffen?«

»Wahrscheinlich.«

Wie auf einen stummen Befehl hin, zogen die zwei Schwestern gleichzeitig ihre langen, gebogenen Messer. Domador hielt sein Schwert schon lange in der Hand.

»Vielleicht werden sie weggehen, wenn sie sehen, dass wir bewaffnet sind«, hoffte Sera.

Sie bekam keine Antwort.

Schweigend stand die Gruppe da, den Blick fest auf den Felskamm gerichtet. Dort rührte sich scheinbar nichts, aber sie weigerten sich, ihre Waffen wieder einzustecken. Stattdessen trat Domador einen Schritt vor, sein Schwert erhoben.

Im selben Moment schwangen sich mindestens fünf Gestalten gleichzeitig über den schroffen Felskamm. Ohne innezuhalten, rasten sie auf Domador, Sera und Estrella zu, die geschockt feststellten, dass das wilde Wiehern der Höllenrösser bedeutete, sie wurden auch von hinten angegriffen. Sofort stellten sie sich Rücken an Rücken in einen Kreis.

»Wer bei Hölle ist das?«, zischte Estrella.

»Unwichtig!«, fuhr Domador sie an und schwang sein Schwert nach dem ersten Angreifer. Es waren eindeutig Menschen, doch sie hatten eckige Metallklumpen statt Mündern. Dicke Schläuche gingen von dort weg und verschwanden in einer Rüstung aus fremdem Material, die sogar über den Kopf ging, vor dem Gesicht jedoch durchsichtig war. Es schien nicht schwer oder besonders fest zu sein, aber als Domadors Schwert dagegen kam, prallte seine Klinge einfach davon ab. Als gäbe es dort eine unsichtbare Wand.

Etwas, das als verächtliches Schnauben interpretiert werden konnte, drang aus dem Metallklumpen, bevor der Angreifer mit seinem Säbel vorstieß. Domador wich aus, indem er zur Seite stolperte, wo Sera gerade ebenfalls feststellen musste, dass ihr Messer nicht gegen diese Rüstung ankam. Nur Estrella stach verbissen auf ihren Angreifer ein, hinterließ aber keine einzige Wunde, nicht mal ein Loch. Schließlich war es dem Fremden genug. Er versetzte Estrella eine heftige Ohrfeige, bei der sie zu Boden geschleudert wurde und stöhnend liegen blieb. Blut tropfte von ihrer Lippe.

Domador richtete sein Schwert auf den Angreifer vor ihm, während die restlichen sich in einem Kreis um sie versammelten und Sera sich zu ihrer Schwester hinunter beugte, um ihr aufzuhelfen.

»Wer seid ihr?«, fragte Domador. »Was wollt ihr?« Er war verwirrt, dass die Fremden offenbar keine Anstalten machten, sie zu töten. Aus dem Augenwinkel beobachtete er, wie zwei von ihnen zu den Höllenrössern gingen. Sie holten seltsame Geräte heraus – ähnlich der Funkgeräte, die Domador und Estrella besaßen – und wollten sie den Pferden vor das Maul halten. Doch als sie die gespaltenen Köpfe sahen, wichen sie zurück, als hätte jemand ihnen mit dem Tod gedroht. Fragend schauten sie zu dem Angreifer, der vor Domador stand. Er schien der Anführer zu sein und rief den beiden mit den Geräten etwas zu.

»Sie sprechen eine andere Sprache«, murmelte Sera, die ihrer Schwester aufgeholfen hatte. »Ist es Nordländisch?«

»Hört sich nicht so an«, entgegnete Domador mit angespannter Stimme. Er ließ den Anführer vor ihm nicht aus den Augen, der jemanden zu sich winkte. Erst jetzt fiel Domador auf, dass alle Fremden Stirnbänder trugen, die im hinteren Teil ihres Helmes vermutlich zusammengebunden waren. Hatte das etwas zu bedeuten? Gereizt starrte er auf das Gerät, das der Anführer ihm nun hinhielt. Eine dünne Nadel zeigte genau in seine Richtung und bevor er etwas tun konnte, ritzte der Fremde ihm damit in die Wange. Wütend ließ er sein Schwert herumwirbeln, doch der andere wirkte vollkommen unbeeindruckt. Er hob nur die Hand und wackelte mit dem Finger, wie um »Nein« zu sagen, den Blick fest auf ein längliches Loch gerichtet, das offenbar auf der Vorderseite des Geräts war. Schließlich piepte es. Der Anführer nickte, scheinbar zufrieden, und ging dann hinüber zu Sera. Diese wich zurück.

»Was macht er damit?« Die Furcht in ihrer Stimme war unüberhörbar. In ganz Hölle gab es keine Technologie, die dieser auch nur ähnlich war. Aber es war nicht zu leugnen, dass dies von den Alten erfunden worden war. Waren diese Fremden also Menschen wie sie? Nicht aus dem Pazifik, sondern aus dem Totenland?

»Lass ihn einfach machen«, presste Domador hervor. »Wir dürfen nicht zu leichtsinnig sein. Zumal unsere Waffen hier offenbar keine Wirkung haben.«

Sera ließ also zu, dass der Anführer ihre Wange mit der Nadel einritzte. Dasselbe tat er auch bei Estrella, die ihn dabei allerdings so finster anstarrte, dass er für einen kurzen Augenblick zögerte. Beide Male piepte es. Dann steckte der Fremde das Gerät wieder ein und rief etwas.

Plötzlich wurde allen dreien so heftig in die Kniekehlen getreten, dass sie einfach in sich zusammensanken. Domador lagen unzählige Schimpfworte auf den Lippen, aber er wollte den anderen nicht den Gefallen tun, ihn schreien zu hören. Also biss er die Zähne fest zusammen. Als er jedoch spürte, wie seine Hände nach hinten gerissen und gefesselt wurden, brüllte er dennoch unwillig auf.

»Was soll das!«, schrie er den Anführer an, der sich bereits umgedreht hatte. Nun wandte er sich aber wieder zurück. Seine blauen Augen musterten Domador nachdenklich. Schließlich zeigte er mit seiner Hand, die ebenfalls in dieses undurchdringliche Material gepackt war, nach Nordwesten, hinein ins Totenland.

»Krepost«, war das einzige Wort, das er sagte. Es klang gedämpft und wie durch eine Barriere. War sein Mund vielleicht hinter dem Metallklumpen? Auch seine Nase war von ihm bedeckt.

Bevor Domador noch etwas tun oder sagen konnte, wurde er auf die Beine gehievt und nach vorne gestoßen. Ein Klicken ertönte, als seine Fessel scheinbar mit denen der zwei Schwestern verbunden wurde. Hinter sich hörte er Seras entsetztes Keuchen. »Was machen sie da? Nein!«

Er wandte den Kopf und sah gerade noch, wie die zwei Fremden, die vorher die Geräte für die Höllenrösser gehabt hatten, nun ihre Säbel herausholten. Mit einem Schlag hatten sie Susto und Asco die gespaltenen Köpfe abgeschnitten. Ihre Körper fielen sofort in sich zusammen. Doch das bewirkte, dass Noche nun an niemanden mehr angebunden war. Der viel kleinere Hengst wieherte erschrocken auf, stieg auf die Hinterbeine und schlug nach dem Fremden. Dabei rutschte ihm der Sattel mit den schweren Taschen so weit nach hinten, dass der Gurt sich löste und alles zu Boden fiel.

»Noche! Lauf!«, schrie Sera und stemmte sich fest gegen denjenigen, der sie nach vorne drängte. Die Spitze eines Säbels brachte sie jedoch dazu, weiterhin gehorsam vorwärts zu gehen.

Wenigstens hatte Noche einen der Fremden mit den Hufen am Kopf erwischt, sodass er tonlos zu Boden stürzte. Der andere hieb mehrmals nach dem kleinen Höllenross. Sein Säbel hinterließ klaffende Wunden auf dem Rücken des Tieres, doch irgendwie schaffte Noche es, im Galopp davon zu preschen. Nur eine Staubwolke und die Blutstropfen auf dem Boden deuteten an, wo er entlang galoppierte.

»Wohin bringen sie uns?«, fragte Estrella und leckte sich das Blut von ihrer aufgeplatzten Lippe.

»Das werden wir wohl bald herausfinden«, meinte Domador düster.

»Und was dann?« Die jüngere Schwester sah ihn mit funkelnden Augen an. »Unsere Waffen, die sowieso nutzlos sind, haben wir verloren. Unsere Funkgeräte werden die da«, sie nickte in Richtung der Fremden, die sie nun von allen Seiten eskortierten, »wohl einsammeln.«

»Ich werde einen Weg finden, wie wir von dort wieder weg kommen«, bestimmte Domador. »Das verspreche ich euch.«

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Neues Kapitel O.o

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