22. Kapitel

Wer auf den Krieg vorbereitet ist, kann den Frieden am besten wahren.

George Washington

Der große Festsaal in Burg Dhahab war prächtig geschmückt. Zehn Reihen langer Tische waren parallel zueinander aufgestellt worden. Unzählige teure Speisen aus Fleisch und Früchten waren darauf aufgestellt, zwischen ihnen Krüge mit verschiedenen Säften. Diener und Dienerinnen, deren Haare ihnen unverdeckt auf die Schultern fielen, huschten von einem Gast zum anderen, um ihnen ihre Wünsche zu erfüllen. Schräg zu den anderen Tischen war ein weiterer aufgestellt, an dem die Königsfamilie des Südlands und ihre neuen Verbündeten aus dem Ostland saßen. Erstere wirkten durchaus zufrieden mit sich. Königin Marda hatte sich in prächtige Gewänder gekleidet und ihr Kopftuch schien aus goldener Seide zu bestehen, die bei jeder Kopfbewegung anders glänzte. Neben ihr saßen drei weitere Frauen, die ersten zwei etwa in ihrem Alter, die dritte etwas jünger – die Nebenfrauen von König Abdul. Danach folgten sein ältester Sohn und seine drei Töchter.

Königin Alina würdigte die Königsfamilie des Südlands keines Blickes. Ihre Aufmerksamkeit galt den tanzenden Adligen, die sich zum Takt der fremd klingenden Musik über die freie Fläche bewegten.

Plötzlich stand König Abdul zwei Plätze von ihr entfernt auf und hob die Arme, bedeutete allen, leise zu sein. Nachdem die Gäste verstummt waren, hob er mit lauter Stimme zu einer Rede an. Ein untersetzter Mann neben Königin Alina übersetzte ihr seine Worte ins Ostländische.

»Verehrte Anwesende, ihr seid heute Zeugen eines historischen Ereignisses!«, sagte er. »Mein zweitältester Sohn Sharaf wird die Königin Alina heiraten und somit der neue König des Ostlands! Dies ist ein Bündnis für die Zukunft, vielleicht sogar für die Ewigkeit! Hiermit schwöre ich, König Abdul des Südlands, keine Kriege gegen das Ostland zu führen und den Frieden zu bewahren! Unsere beiden Länder sind nun Verbündete und der Vertrag wird mit dieser Hochzeit besiegelt. Ich wünsche dem neuen Ehepaar alles Gute und Schöne dieser wüsten Welt! Gott ist groß!«

König Abdul hob einen Becher mit einer leicht orange gefärbten Flüssigkeit und prostete damit Königin Alina und dem jungen Mann an ihrer Seite zu. Die beiden erhoben sich ebenfalls, Trinkgläser in den Händen. »Gott ist groß!«, erwiderte Sharaf den Gruß seines Vaters, während Königin Alina ihm nur zunickte. Dann kippten sie das Getränk in einem Schluck runter. Ohrenbetäubender Jubel und Applaus brandete auf. Die anwesenden Adligen hoben ebenfalls ihre Becher, riefen »Gott ist groß!« und prosteten dem frisch vermählten Paar zu. Kurz darauf setzte wieder eine fröhliche Musik ein und die Menschen wandten sich den Speisen auf den Tischen zu.

»Nun sind wir also Mann und Frau«, bemerkte der junge Mann, der neben Königin Alina saß.

Ihre Mundwinkel zuckten nur kurz, bevor sie sich ihm zuwandte. »Ihr könnt Ostländisch?«

»Es ist die Pflicht der Mitglieder der Königsfamilie, die vier wichtigsten Sprachen des Pazifiks zu sprechen und zu verstehen«, entgegnete Sharaf. »Darf ich fragen, warum Ihr einem Vertrag zugestimmt habt, der keinen Vorteil für Euch bietet?«

»Warum sollte er mir keinen Vorteil bieten?«, fragte Königin Alina.

»Ihr habt die Kutu-Hügel freiwillig an meinen Vater abgegeben und damit eine wertvolle Wasserquelle verloren«, fing Sharaf an, an den Fingern abzuzählen. »Im Ostland steht der König über der Königin. Damit habt ihr dem Südland praktisch ein weiteres Land geschenkt und Eure Macht abgetreten. Und zuletzt...« Er blickte sie direkt an und offenbarte damit die Narbe, die seine ganze linke Gesichtshälfte entstellte. Das normalerweise dunkelbraune Auge war milchig weiß und blind. »Ihr heiratet jemanden, der nicht gerade eine Augenweide ist. Wie verzweifelt seid Ihr?«

»Gar nicht«, sagte Königin Alina. Ihr Gesicht offenbarte nicht, was sie eigentlich dachte. »Ich bin nur froh, dass Ihr von königlichem Blut und kein Bleichgesicht seid.«

»Also stimmt es, dass Ihr so einen Hass auf Bleichgesichter habt?«, erkundigte Sharaf sich, erhielt jedoch keine Antwort. »Wisst Ihr, im Südland sind es die Ehrlosen, die nicht zu den Adligen gehören. Sie glauben nicht daran, dass es einen Gott gibt, der sie beschützt und predigen von seinem Tod und weiterem Quatsch. Wie kann Gott sterben, wenn er doch unsterblich ist? Sein Glanz wird nie erlöschen. Nein, diese Ungläubigen kennen keine Ehre. Gott wird sie alle bestrafen. Sie werden die Brücke in den Himmel nie überqueren können, sondern hinabfallen und in der Dschahannam ewige Qualen leiden. Aber sie wollen sich nicht von ihrem falschen Pfad abwenden. Ich kann verstehen, warum sie weniger Rechte haben als wir Adlige. Aber Eure Bleichgesichter im Ostland? Was ist so schlimm an ihnen? Stellen sie eine Gefahr für Eure Gesellschaft dar oder warum verachtet Ihr sie so sehr?«

»Das hat Euch nicht zu interessieren«, meinte Königin Alina und starrte stur nach vorne, wo jetzt eine Zirkusgruppe ihren Auftritt hatte. Ein Mann, der offensichtlich aus dem Nordland kam, führte einige Kunststücke mit einem riesigen Tier auf, dessen Fell ein zottiges Chaos aus braun und weiß war.

»Eigentlich schon«, sagte Sharaf. »Wie ich bereits sagte: Wir sind jetzt Mann und Frau.«

»Dass wir verheiratet sind, bedeutet gar nichts«, erwiderte Königin Alina scharf. »Es geht nur um den Vertrag und darum, das Volk des Ostlands zu beruhigen.«

»Wie schade.« Sharaf nahm eine Gabel in die Hand und spießte damit eine Weintraube auf. »Ich habe gehofft, ein paar schöne Nächte mit Euch zu verbringen.« Die Traube wanderte in seinen Mund.

»Nach der Hochzeitsnacht wird es keine weitere geben«, stellte Königin Alina mit schroffer Stimme klar. »Euer Benehmen ist schon widerlich genug.«

Sharaf hob überrascht die Augenbrauen und zog sie dann wütend zusammen. »Noch sind wir im Südland und auf unserer Hochzeit, sodass ich nichts machen kann, aber wartet nur, bis wir im Ostland sind.«

»Und was dann?«, fragte sie provokant. »Was werdet Ihr dann machen? Die Garderitter von Burg Fedha gehören immer noch mir und gehorchen nur meinen Befehlen.«

»Ihr scheint Euch ziemlich sicher zu sein«, bemerkte Sharaf. »Aber denkt daran, dass ich auch meine Garderitter mitbringen werde.«

»Hat Euer Vater nicht vor wenigen Minuten noch gesagt, dass er schwört, den Frieden zu bewahren?« Königin Alina hab ein verächtliches, kurzes Lachen von sich. »Ihr werdet weder mir noch meinen Leuten schaden und mich erst recht zu nichts zwingen können. Auch nicht zum Glauben an Euren Gott.«

Sharaf setzte gerade zu einer scharfen Erwiderung an, als ein junger Mann ihm von hinten auf die Schulter schlug. Er trug ein teuer aussehendes Gewand, das jedoch leicht schief saß und einen Teil seiner muskulösen Brust frei ließ. Mit einem Blick auf Königin Alina fragte er auf Ostländisch: »Warum sieht mein kleiner Bruder so griesgrämig aus? Kommt er jetzt schon nicht mit seiner Frau zurecht?«

»Halt die Klappe, Aswad!«, fuhr Sharaf ihn an und schüttelte seine Hand ab.

Aswad lachte nur und beugte sich vor, um seinem jüngeren Bruder etwas ins Ohr zu flüstern. Dessen Miene hellte sich für einige Augenblicke wieder auf. Er wandte sich an Königin Alina. »Ihr entschuldigt mich. Ich muss etwas Wichtiges erledigen.«

»Natürlich«, erwiderte sie und wartete, bis die beiden Männer sich entfernt und den Festsaal verlassen hatten. Dann schob sie ihren Stuhl zurück und ging die wenigen Stufen hinab zur Tanzfläche. Die meisten Adligen bemerkten sie gerade noch rechtzeitig und machten ihr Platz. Einige verbeugten sich sogar oder knicksten hastig. Die Menschen des Südlandes konnten offenbar kein Ostländisch, weswegen sie Königin Alina nicht ansprachen, um sie nicht an ihre mangelnden Sprachkenntnisse zu erinnern. Am Kopf eines der zehn Tische blieb die Königin stehen und blickte auf Broda und Gundi hinab. Das Mädchen wirkte betrübt und versuchte ausnahmsweise nicht, die Umklammerung ihres Verlobten zu lösen.

»Broda«, sprach Königin Alina sie an. »Warum tanzt du nicht mit deinem Verlobten?«

Das Mädchen hob den Kopf und verzog wenig begeistert das Gesicht. »Muss das sein?« Sie kümmerte sich nicht darum, dass Gundi direkt neben ihr saß und platzte heraus: »Ich mag ihn gar nicht!«

»Du wirst mit ihm tanzen. Jetzt«, bestimmte Königin Alina. »Erinnere dich an das, was mit Zami passiert ist. Möchtest du so enden, wie deine jüngste Halbschwester?«

Broda schien kurz davor sein, zu explodieren, doch sie packte Gundi grob am Unterarm und zog ihn von der Bank hoch. Mit zwei Stößen drängte sie ihn in Richtung der Tanzfläche und folgte ihm. Königin Alina schaute den zwei Kindern zufrieden hinterher.

»Möchte die Königin mir die Ehre erweisen, mit mir zu tanzen?«, ertönte auf einmal eine Stimme neben ihr. Sie gehörte einem hoch gewachsenen Mann aus dem Ostland. Er war wahrscheinlich ein Garderitter, hatte seine Metallrüstung jedoch gegen eine lederne ausgetauscht und sowohl Helm als auch Schwert abgelegt. Unter seinem linken Auge prangte ein auffälliges, schwarzes Muttermal auf seiner ohnehin schon dunklen Haut.

»Warum sollte ich mit Euch tanzen, Garderitter?«, fragte Königin Alina distanziert. »Auf meiner Hochzeit gehört diese Ehre nur meinem Mann.«

»Sharaf ist nicht da«, sagte der Garderitter triumphierend. Als sie ihm nicht antwortete, legte er die rechte Hand auf seine Brust und verbeugte sich tief. »Ich bin Chui und es ist mir eine Ehre, Euch zu dienen, meine Königin. Ihr würdet mir eine große Freude erweisen, wenn Ihr mit mir tanzt.«

»Ihr wart derjenige, der mir bei meiner Ankunft aus dem Wagen geholfen hat«, erinnerte Königin Alina sich nach einer kurzen Pause.

»Eure Beobachtungsgabe kennt keine Grenzen, meine Königin.« Chui lächelte und richtete sich wieder auf, hielt ihr seine Hand hin. »Werdet Ihr mit mir tanzen, meine Königin? Es ist ohnehin unhöflich von Eurem Mann, einfach so die Hochzeit verlassen.«

Ein flüchtiges Lächeln wanderte über die Lippen der Königin und verschwand schnell wieder. »Ich denke nicht, dass ich dieses Angebot annehmen werde. Es gibt zu viele Augen, die uns beobachten.« Sie schritt an ihm vorbei, doch gerade als ihre Schultern sich fast berührten, drehte sie leicht den Kopf und flüsterte: »Kommt zu mir, sobald wir zurück in Burg Fedha sind.«

Ohne sich nach dem Garderitter umzusehen, umrundete sie die Tanzfläche und warf dabei einen Blick auf Broda und Gundi, die sich mit teils eleganten und teils unbeholfenen Bewegungen durch die Tanzenden bewegten – je nachdem, welches Lied gerade spielte. Zurück bei dem Tisch der Königsfamilie setzte sie sich wieder an ihren Platz.

Als Königin Marda sah, dass sie wieder da war, stand sie auf und schritt majestätisch auf sie zu. Die goldenen Kordeln, die von ihrer Hüfte hingen, schwangen hin und her. »Wer war das?«, fragte sie, während sie sich auf dem Stuhl neben Königin Alina niederließ.

»Die älteste Tochter von König Miro und ihr Verlobter«, erwiderte diese. »Ihr kennt sie bereits.«

»Ihr wisst genau, wen ich meine.«

»Ihr meint den Mann?«, hakte Königin Alina nach. »Ein einfacher Garderitter. Er wollte mit mir tanzen. Ich habe abgelehnt.«

»Ich hoffe für Euch, dass das stimmt«, sagte Königin Marda. »Sharaf wird leicht eifersüchtig.«

»Was nicht gerade verwunderlich ist. Bei seinem Gesicht.«

»Er mag nicht der schönste sein, aber er hat ein gutes Herz.«

»Das sagt jede Mutter von ihrem Sohn.«

Königin Marda runzelte leicht verärgert die Stirn. »Ich habe Euch noch nie von Eurer Tochter reden hören. Liebt Ihr sie nicht? Wo ist sie überhaupt?«

»Bei ihrer Erzieherin und Amme«, antwortete Königin Alina.

»Das Bleichgesicht?«, fragte Königin Marda nach.

Sie bekam keine Antwort.

»Nun, Ihr solltet Euch entscheiden, wen Ihr hasst und wen nicht«, sagte Königin Marda und stand auf. »Wem Ihr die Treue haltet und wem nicht. Und zwar möglichst schnell. Es wäre eine Schande, wenn der Vertrag wegen einer Dummheit Eurerseits gebrochen wird. Ihr erinnert Euch doch, was Ihr alles unterschrieben habt?«

Königin Alina nickte.

»Das ist gut. Dann wisst Ihr, was Euch erwartet, wenn Ihr einen dummen Fehler begeht wie zum Beispiel...« Die Augen von Königin Marda wanderten in Richtung Chui, der sich zu den anderen Garderittern des Ostlands gestellt hatte. Die Frau ließ ihren Satz unbeendet und ging stattdessen zurück zu ihrem Platz an der Seite von König Abdul. Von dort aus konnte sie nicht sehen, wie die Finger von Königin Alina sich unter dem Tisch in ihr eigenes Kleid krallten. Doch ihr Gesicht blieb entspannt und ausdruckslos wie zuvor.

Irgendwo im zweiten Stock von Burg Dhahab führte Aswad seinen jüngeren Bruder durch die Flure. In einer abgelegenen Ecke blieb er stehen, bedeutete Sharaf, zu warten, und kehrte wenig später mit einem selbstgefälligem Grinsen im Gesicht zurück. In seiner Hand trug er etwas, das in ein rotes Stofftuch eingewickelt war.

»Was ist das?«, fragte Sharaf mit gerunzelter Stirn, nahm den Gegenstand aber entgegen.

»Mein Hochzeitsgeschenk an dich«, grinste Aswad. »Das habe ich dir doch schon vorhin gesagt. Was hast du denn anderes erwartet?«

Der Jüngere schlug das Stofftuch zurück und sog scharf die Luft ein, als er den spitzen Dolch sah, der sich ihm offenbarte. Der Griff schien aus einem gelblichen Knochen zu bestehen, in den ein Totenkopf eingekerbt war. Sharaf berührte ihn und zog die Klinge vorsichtig aus der Scheide. Eine dunkle Flüssigkeit sickerte in das Stofftuch. Schnell steckte er den Dolch wieder zurück in die Scheide und sah ungläubig zu seinem Bruder auf.

»Du schenkst mir Marad?«, stieß er im Flüsterton hervor. »Was wird Vater dazu sagen? Gehört Marad nicht ihm? Du kannst nicht einfach etwas verschenken, das dir gar nicht gehört!«

»Vater hat ihn mir gegeben, nachdem Aljasus zurückgekehrt ist«, sagte Aswad. »Von seinem Auftrag, du weißt schon.«

Sharaf nickte.

»Aljasus wird auch mit dir ins Ostland gehen«, fuhr Aswad fort. »Vorsichtshalber.«

Das rechte Auge des Jüngeren leuchtete auf. »Das ist mir eine Ehre.« Er wickelte den Dolch wieder in das Stofftuch ein und steckte ihn sich hinter den Gürtel. »Danke. Auch für Marad.«

»Du weißt, dass du ihn nur im Notfall ziehen darfst?«, hakte Aswad ernst nach.

»Natürlich weiß ich das«, zischte Sharaf. »Auch die Klinge darf ich nicht berühren.« Wieder leuchtete sein Auge auf. »Wer sie berührt, ist ein toter Mann. Oder eine tote Frau.«

»Eine Schande, dass sie damals überlebt hat.«

»Aber ihr Gesicht ist für immer markiert«, entgegnete Sharaf mit einem grausamen Zug um die Lippen, nickte seinem Bruder zum Abschied zu und ging den Flur, den sie zuvor gekommen waren, zurück. Seine Gestalt verschwand um die Ecke.

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Was für ein interessanter Dolch, findet ihr nicht auch? O.o 

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