5. Kapitel

Etwas Warmes strich mir über die Wange. Was war das? Ich erschrak ziemlich heftig, und setzte mich ruckartig auf.
Mist, ich war wohl eingeschlafen.
,,Pax...ich bin es nur. Tut mir leid, dass ich dich geweckt habe...", hörte ich ein leises Flüstern.
Es war nur Ylva.
Und scheiße, es klang, als hätte sie noch mehr geweint...
Stimmt, ich war ja noch bei ihr.
,,Alles gut. Ich wollte eigentlich nicht einschlafen. Aber naja..."
Ich seufzte leise, und streckte mich.

,, Wolltest du nicht Hausaufgaben machen?", fragte ich dann das Mädchen, um die Stille zu überbrücken.
Sie seufzte leise, und antwortete mir: ,,Ja, schon. Aber ich komm nicht weiter. Ich kann Englisch nun man nicht so gut..."
Warte, warum Englisch? Hä? Wir hatten nicht einmal Englisch gehabt. Vielleicht hatte sie sich selbst Hausaufgaben gegeben...
Nein, Scherz. Für so komisch hielt ich sie dann doch wieder nicht. Doch ich zog es vor, sie nicht danach zu fragen, sondern nickte nur mit meinen Kopf.
,,Ich könnte dir helfen, wenn du willst. In Englisch bin ich halbwegs gut", murmelte ich leise und seufzte. Zwar hatte ich keine Lust Hausaufgaben zu machen, aber es war immer noch besser als diese Stille hier anhören zu müssen.
Wie gesagt, ich hasste Stille. Vorher hatte ich unser Schweigen noch als angenehm empfunden, doch jetzt löste es eher das Gegenteil in mir aus; Ich wurde nachdenklich. Und ich dachte über all das, was passiert war nach. Das war nicht gut für mich, machte mich traurig.
Ylva lächelte wohl, denn sie antwortete nichts mehr, dann stand sie auf, und kurz darauf vernahm ich, wie ein eher dünneres Buch oder Heft zugeschlagen wurde. Nun kam sie wieder zu mir zurück, setzte sich wieder neben mich.
,,Aber wie kannst du mir helfen, du siehst es ja nicht"
Stimmt, da hatte sie recht...
Nachdenklich kratzte ich an meinen linken Arm und überlegte.
,,Ich hab's. Ich lese es dir einfach vor", meinte Ylva und klatschte, wie ein kleines Kind, in ihre Hände, weshalb ich grinsen musste. Das war tatsächlich eine gute Idee, keine Frage. Aber die Vorstellung von einem Mädchen, dessen Aussehen ich ja nicht einmal wusste, das neben mir saß, und wie eine Verrückte in ihre Hände klatschte, und mir dann wohl aus ihrem Englisch Heft vorlas, amüsierte mich ziemlich.
Doch sie schien es nicht zu merken, oder sie ignorierte es einfach, denn sie begann die erste Nummer vorzulesen. Konzentriert schloss ich meine Augen.

So ging das eine Weile, so ziemlich bei jeder Aufgabe konnte ich ihr erklären, wie diese zu lösen sei. Und verdammt, es machte Spaß.
Verdammt, ich fühlte mich gut.
Verdammt, das durfte nicht sein...
Ich biss mir auf die Lippen, wartete auf die nächste Aufgabe. Doch es kam nichts mehr, es herrschte Stille. Schon wieder...
,,Ylva?"
Ich hörte ein leises Rascheln des Papiers, dann wurde das Heft zugeschlagen.
,,Ja?", antwortete das Mädchen nur, zu gerne hätte ich gesehen, was sie gerade machte.
Kurz räusperte ich mich, meinte dann: ,,Ähm... Bist du schon fertig mit den 'Hausaufgaben'?"
Ich konnte es mir echt nicht verkneifen, das Wort 'Hausaufgaben' ein wenig ironisch auszusprechen.
,,Nein. Nicht ich. Wir sind fertig"
Okay, das verwirrte mich jetzt entgültig. Hä? Warum wir?
Das Mädchen neben mir hatte die Verwirrung wohl gemerkt, denn kurz darauf hing sie noch etwas an ihrer vorherigen Aussage an: ,,Ich hab die Aufgaben ja nicht alleine gemacht. Du hast mir ja geholfen"
Ach so. Wenn sie unbedingt wollte, dann sollte sie es eben so nennen. Aber den Großteil hatte sie ja alleine gemacht...
Egal.
Ich wollte gerade einfach schlafen.
Ich war müde, ziemlich müde. Die letzte Nacht hatte ich nicht oder kaum geschlafen, und naja...meine vorherigen Versuche, die mehr oder weniger beabsichtigt waren, wurden unterbrochen.
Langsam erhob ich mich.
,,Dann brauchst du mich sicherlich nicht mehr...", murmelte ich, woraufhin sie mich am Arm festhielt.
,,Pax? Wohin gehst du?"
Leise seufzte ich, biss auf meine Lippen.
,,In mein Zimmer, wie du ja schon weißt bin ich ziemlich müde...und wenn ich nicht bald schlafe, bin ich ziemlich übel gelaunt. Das kannst du dir vermutlich vorstellen"
Ylva stand auf, und drückte mich sanft in eine Richtung, vermutlich zur Tür.
,,Okay, dann bringe ich dich in dein Zimmer", flüsterte sie fast. Warum war sie so leise? Es klang auch ein wenig traurig... warum eigentlich? Warum war sie traurig?
Ich war nichts Besonderes.
Ich war nicht wichtig.
Ich war Pax.
Aber ich war nicht der Frieden, auch wenn mich meine Eltern so nannten.
Ich war genau das Gegenteil von Frieden.
Warum hieß ich nicht Ares? Okay, der Name war selten, aber naja...Pax eben auch nicht alltäglich.
Ares passte viel besser zu mir.
Ares war in der griechischen Mythologie der Gott des Krieges. Außerdem ziemlich unbeliebt, was auf sein undurchschaubares Temperament zurückzuführen war.
Warum ich das wusste? Nun, früher hatte ich mich ziemlich viel für die griechische Mythologie interessiert, es hat mich einfach fasziniert. Ich wusste so ziemlich alles über die antiken griechischen Götter, und dessen Geschichten, wie Bestimmungen. Doch jetzt...war es egal. Warum sollte es wichtig sein? Ich hatte das ziemlich dicke Buch mit den ganzen Götter Geschichten schon lange nicht mehr gelesen. Genauer gesagt ungefähr drei Jahre lang. Und ich würde es wohl nie wieder lesen..

Irgendwann blieb Ylva stehen, tippte auf meine Schulter.
,,Wir sind bei deinem Zimmer", hauchte sie leise. Warum war sie so unsicher gerade? Es war, als gäbe es zwei Ylvas, die sich komplett unterschieden. Die eine war herausfordernd, mutig, etwas temperamentvoll, stark, aber trotzdem einfühlsam. Diese Ylva erinnerte mich, so komisch es auch klingen mag, an eine Wölfin, die ihr Rudel leitet. An eine starke Alpha Wölfin.
Die andere Ylva war das komplette Gegenteil von ihr.
Sie war schwach, angstvoll, unsicher, nervös, schüchtern, zurückhaltend, verschlossen. Eben ganz anders...

Ich nickte etwas, tastete mit meiner Hand nach dem Türgriff, den ich ziemlich schnell fand.
,, Danke, Ylva. Ist echt nett von dir'', murmelte ich leise, und seufzte. Kurz darauf spürte ich, wie die Wärme auf meiner rechten Schulter verschwand, scheinbar hatte das Mädchen ihre Hand zurückgezogen.
Kurz darauf vernahm ich leise, jedoch schnelle und rhythmische Schritte, die keinen Klang von Unsicherheit oder Angst hatten. Es waren Ylvas Schritte. Dieses Mädchen war ein einziges Rätsel für mich...
Langsam trat ich in mein Zimmer, schloss hinter mir die Türe, und ließ mich aufs Bett sinken.
Aber egal wie müde ich war, ich konnte nicht einschlafen...
Zu viele Gedanken spukten in mir, hielten mich wach.
Ylva hatte so recht.
Schwarz war keine Farbe.
Schwarz war nichts.
Ich war nichts.
Mein Leben war einfach wertlos, zu nichts zu gebrauchen...
Ich spürte wie eine Träne mir über die Wange lief. Und verdammt, es war nicht nur eine. Mit der Zeit wurden sie mehr und mehr. Doch ich weinte stumm, gab keinen einzigen Laut von mir.
Ich durfte nicht klagen.
Ich war es nicht wert.
Mein Körper lebte zwar, alles funktionierte, wie es sollte.
Nur zwei Dinge nicht:
Meine Augen und meine Gedanken.
Doch eines wusste ich trotzdem:
Ich war in Wahrheit schon tot...

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