40.
Zero war scheiße. Vielleicht war er scheiße, weil er Yuuki immer so ansah, als wüsste er was. Vielleicht war er scheiße, weil Yuuki seinen Blick erwiderte und grinste. Vielleicht war er scheiße, weil er sie mir in den folgenden Wochen wegnahm. Fakt war, dass sie nicht mehr bei mir war und nur bei ihm. Und Fakt war, dass ich ihn dafür hasste.
Meine Schauspielkünste waren nicht so perfekt, als würde Yuuki es nicht bemerken. Doch statt etwas zu sagen, schwieg sie einfach nur. Und dieses Schweigen regte mich so auf. Es raubte mir den Schlaf.
Zusätzlich zu Zero war da auch noch Doktor Reinhardt. Er hatte uns erstaunt empfangen und ich hatte ihn nur ohne Pause anstarren können. Tommy war ihm wie aus dem Gesicht geschnitten. Doch sein Charakter war anders. Er lachte viel, wusste viel, überhaupt konnte er ziemlich viel. Er war ein genialer Mensch und langsam verstand ich, woher Tommy seine Gerissenheit nahm. Allerdings sprachen wir nicht viel über Tommy, denn Tommy war so ein Thema, wo Doktor Reinhardt abblockte. Ich wüsste wirklich gerne, weshalb er nichts mit seinem Sohn zu tun haben wollte. Doch ich respektierte seine Privatsphäre und fragte nicht weiter nach.
Tatsächlich war es Doktor Reinhardt, der mich über all das Geschehen aufklärte. Warum ParaSyc- oder jedenfalls die Leute von ParaSyc- nicht da waren, wo sie sein sollten, nämlich hier. In Kasachstan. Anscheinend waren wir nicht die einzigen gewesen, die sich gegen ParaSyc aufgelehnt hätten. Er selbst, Zero, und all die mitgebrachten Leute hatten im Hintergrund gegen diese Organisation gearbeitet und nun eine ihrer Stützpunkte erobert. Was mit den restlichen Leuten von ParaSyc geschah, erwähnte er nicht, und ich konnte es mir auch denken.
"Und was war, wenn Braunschweidt oder Androsch hier anriefen?", fragte ich ihn eines Tages, als wir in einer der Quarantänen arbeiteten. Er schleppte die Kisten heran und ich dokumentierte alles, also schrieb die Anzahl der Pillen auf, die Kistennummer und dergleichen. Yuuki und Zero waren schon wieder über Nacht verschwunden und trieben sich da draußen rum.
Doktor Reinhardt bog den Rücken durch und massierte sich die Schulter. Er war ein relativ breit gebauter Mann, der immer einen Arztkittel um hatte und dessen Haare kein Anzeichen von weiß aufwiesen.
"Dann hielten wir sie auf dem Laufenden. Bedeutet, wir erzählten ihnen, dass alles gut lief und sich niemand Sorgen zu machen brauchte." Doktor Reinhardt grinste mich an, ehe er sich wieder dran machte, neue Kisten zu holen. Zero war zu faul gewesen, alle Kisten vom Weg unten hochzuschleppen und hatte einfach mal beschlossen, sie unten zu lassen. Son fauler Sack.
Während Doktor Reinhardt sich auf den Weg zu den neuen Kisten machte, legte ich seufzend den Stift weg und fuhr mir durch die Haare. Meine Haut war nicht für die andauernde Sonne hier gemacht und hatte einen schönen Sonnenbrand aufzuweisen. Es brannte, ich hatte Kopfschmerzen und mein Stolz war immer noch wegen Yuuki verletzt. Kurz gesagt, mir ging es dreckig.
Ich beugte mich vor und stellte den Ventilator an. Wenigstens etwas gutes. Durfte ich vorstellen: Mein neuer bester Freund. Spontan taufte ich ihn Vincent. Ich vertrieb mir die Zeit mit Klaus und Vincent, wenn das nicht total episch klang.
Die Tür knarrte und Doktor Reinhardt tauchte wieder auf. Als er mich da mit einem glückseligen Lächeln und einem verklärten Blick auf den Ventilator sitzen sah, schüttelte er lachend den Kopf.
"Schon gut, Siles. Du kannst gehen, ich bekomme das auch alleine hin."
Ich sah ihn erschrocken an. "Nein nein, ist schon okay. Ich mache das gerne. Es gab nie was interessanteres als Kisten und Zahlen." Der letzte Teil des Satzes war eindeutig Ironie, und der Herr merkte es. Trotzdem zuckte er nur mit den Schulter und stellte die nächste Kiste auf den Tisch. "Wenn du meinst."
Ich rappelte mich wieder auf und untersuchte die Kiste. Eine neue Nummer, neue Pillen, zählen, eintragen, zur Seite schieben, auf die nächste Kiste warten. Arbeit über Arbeit und eigentlich war das auch ganz gut so. Es hielt mich wenigstens davon ab, Rachepläne gegen Zero zu schmieden.
-
Ein Rufen weckte mich aus meiner arbeitsintensiven Phase. Neugierig stand ich auf und lief aus der Quarantäne raus. Die Kranken hier wurden übrigens herausgelassen und mit Xenol versorgt, weshalb Reinhardt und Co. das Gebäude zu unserem Arbeitslager umfunktioniert hatten.
Die Sonne blendete mich, als ich aus dem Schatten hervortrat. Ich hob die Hand und hielt sie vor meinen Augen- und sah einen LKW unten an der Einfahrt. Mein Herz fing an zu klopfen. Könnte das...? Ohne es zu bemerken fing ich an, den schmalen Pfad herunter zu rennen.
Doktor Reinhardt unterhielt sich mit dem Fahrer und winkte mich grinsend herbei. "Wir haben neue Mitarbeiter."
Ich lächelte dem Fahrer zu und rannte um den LKW, um dessen Türen aufzumachen. "Tommy-"
Ein Stück Holz traf mich an der Stirn. Der Schmerz raubte mir für kurze Zeit die Sinne und ich stolperte ein paar Schritte zurück. Als sich meine Augen wieder auf die Ladefläche fokussierten, erkannte ich Tommy, der erschrocken aus der Ladefläche sprang. "Sorry Siles, ich dachte..."
Als er seinen Vater erblickte, verstummte er. Doktor Reinhardt hatte ihn noch nicht bemerkt, und redete weiter mit dem Fahrer. Langsam machte Tommy ein paar Schritte auf ihn zu. "Papa..?"
Mit einem erstaunten Blick drehte Doktor Reinhardt sich um. Tommy fing an, auf ihn zuzurennen. "Papa!" Mit einem glücklichen Schrei warf er sich auf seinen Vater, der ihn lachend auffing und ihm Kreis drehte. "Tommy!"
Ich beobachtete die beiden mit einem warmen Gefühl im Herzen, doch trotz dem Lachen von Doktor Reinhardt konnte ich auch seine traurigen Augen erkennen. Und ich verstand es nicht.
Dennoch drehte ich mich wieder zur Ladefläche um und lugte hinein. "Zac?"
Ich bekam keine Antwort. Vielleicht erlaubte er sich ja einen Schwerz mit mit, dieser Hurensohn.
"Komm schon! Ich weiß, dass du da drin bist." Als er immer noch nicht herauskam und ich auch keinen Rollstuhl erkennen konnte, stieg ich beunruhigt auf die Ladefläche. "Zac..?"
Nichts. Ich durchsuchte den ganzen Wagen und konnte ihn nicht finden. Aus purer Verzweiflung fragte ich den Fahrer. "Sir, haben Sie vielleicht noch jemanden mitgebracht? Einen circa neunzehnjährigen mit Rollstuhl?"
Sein Kopfschütteln ließ mein Herz sinken. Das konnte nicht sein. Nein.
Ich sprang aus dem LKW, rannte zu Tommy und schüttelte ihn an der Schulter. "Wo ist er? Tommy, was ist aus Zac geworden?!"
Tommys Lachen erlosch und machte einem tieftraurigen Blick Platz. "Er ist tot. Er... er wollte nicht mitkommen. Ich hab gebettelt, aber er meinte nur: Lass mal, du kleiner Pisser. Ich würde dich nur behindern, und ich finde, wenigstens einer sollte hier rauskommen."
Ich blickte ihn an und konnte es nicht fassen. Zac... tot? Einfach so? Mal nebenbei aus dem Weg geräumt? Ich starrte Tommy ungefähr zehn weitere Sekunden an, doch die Sekunden kamen mir wie Stunden vor. Stunden, in denen ich mir Zac immer wieder ins Gedächtnis rief, diesen Hurensohn, diesen Typen, der vielleicht mein Kumpel gewesen war, auf einer etwas merkwürdigen Weise. Es war die Träne, die an Tommys Wange herunterrann, die ein Stück meines Herzens abbrechen ließ, die mich realisieren ließ, wie leicht es ging, jemanden zu verlieren. Ich wollte schreien. Weinen. Um mich schlagen. Wegrennen. Ich wollte so viel auf einmal tun, doch konnte nur da stehen, in der sengenden Sonne und auf den zwei Köpfe kleineren Tommy starren, der sich nun die Träne abwischte und an die Hand seines Papas umschlang. Bis ich plötzlich eine Stimme hinter mir hörte.
"Was ist denn hier los? Ihr seht alle so aus, als wäre jemand gestorben."
Es war nicht die Stimme von Yuuki. Es war das Strahlen in ihren Augen und die Hand, die sie fest umschlang, Die Hand, die auf ihrer Taille saß und nicht die meine war. Es war dieses dreckige Grinsen von diesem Zero, dass den Knoten in meinem Hals löste. Ich bewegte mich vorwärts, rammte Zero dabei absichtlich und rannte los. Kümmerte mich nicht um den überraschten Blick Yuukis und rannte, rannte, rannte immer weiter. Ich wusste nicht, wie lange und in welche Richtung ich rannte, doch irgendwann konnte mein Körper nicht mehr und ich knickte ein. Fiel der Länge nach in den Sand und spürte den Schmerz. Doch es war mir egal.
Was machst du denn für ein Drama? Ich dachte, du konntest Zac nicht leiden?, meldete sich Klaus. Oder ist es, weil der nächstbeste Typ dir Yuuki weggeschnappt hat?
Beides, dachte ich und fing an zu weinen. Ich dachte wirklich, dass ich Zac nicht leiden konnte. Und ich dachte wirklich, dass Yuuki nur mir gehören würde. Aber wie so oft, lag ich falsch.
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