17
Ich befolgte seinen Befehl, nahm Tommy auf den Arm und folgte ihnen. Mit einem leisen Klick schlossen sie die Tür. Yuuki nahm sich einen Hockeyschläger, der in der Ecke stand, Tommy rutschte unter das Bettgestell, Zac stellte sich vor mir.
„Wer ist Sie?", flüsterte ich fragend. Mein Herz klopfte so laut und schnell, dass es eigentlich jeder hören musste.
„Die Docs. Braunschweidt."
„Ich kenne Braunschweidt."
„Schön für dich."
Es ertönten nun Schritte auf dem Flur. Wir hörten ein gedämpftes Murmeln von mehreren Männern. Laut über ihnen konnte ich die Stimme von einem mir bekannten Menschen hören. „Androsch wird sich damit abfinden müssen. Er meinte lebend. Aber gewisse Verletzungen müssen doch sein... so als Strafe, Sie verstehn? Damit sie mir nicht nochmal ein Krankenhaus in die Luft sprengt."
Ich hielt den Atem an. Das war Braunschweidt und er redete über Yuuki.
„Ihre Kräfte sind viel zu gefährlich. Sie Idiot hätten ihr niemals das Zhalphetikranus geben sollen. Zusammen mit den anderen Stoffen in ihren Körpern hat es genau das erzielt, was wir eigentlich verhindern wollten."
„Es war nicht meine Schuld. Reden Sie nicht so über mich.", murmelte eine andere Stimme. Sie liefen an unserem Zimmer vorbei, doch hören konnten wir sie immer noch gut. „Sie sind mindestens genauso dran beteiligt. Ich hatte ihnen doch gesagt, dass Patient 1 höllische Angst vor Spritzen hat."
„Aber dass sie dann gleich den ganzen Trakt in die Luft jagt!" Braunschweidt wurde lauter. Wahrscheinlich redete er sich in Rage. „Hat sie denn gar kein Verantwortungsgefühl? Wegen ihrem kleinen Aussetzer sind 24 Insassen ums Leben gekommen. Wegen diesem vermeintlichen Kind."
Eine Tür wurde geöffnet. Stille. „Hatten Sie nicht gesagt, sie wäre hier?", brüllte Braunschweidt los. Der Kollege fing an, mir leid zu tun.
„Ich sagte bereits, reden Sie nicht so mit mir. Wir sind gleichgestellt.", stellte dieser fest. „Und sie ist kein Wesen, das sich nicht bewegen kann. Bestimmt hat sie uns gesehen und hat sich versteckt."
Scheiße. Mein Mitleid versiegte. Der Kollege war mir viel zu schlau.
Ein Rascheln zog meinen Blick auf sich. Yuuki, wegen der schwarzen Sachen kaum zu sehen, bewegte sich auf die andere Seite der Tür zu und hob langsam den Hockeyschläger. Sie hatte Angst, das sah man an dem Zittern ihrer Hände und dem Gesichtsausdruck, aber war auch genug entschlossen, um jederzeit zuzuschlagen.
Hektisch versuchte ich mir eine andere Lösung einfallen zu lassen- ich war, wie erwähnt, kein Freund von Gewalt- aber da war es auch schon zu spät. Die Tür wurde aufgestoßen und Yuuki schlug zu. Das widerliche Knacken war bis zu meinem Standpunkt aus zu hören, als der Kollege mit der Oberfläche des Hockeyschlägers in Kontakt kam und einige Sekunden später laut aufprallend auf den Boden landete. Yuuki schrie erschrocken auf und wich vor dessen Körper zurück, als auch Braunschweidt folgte, rasend vor Wut. Er holte aus, um Yuuki seine Faust ins Gesicht zu rammen, und da machte es in meinem Kopf klick!. Kurzschluss.
Ich sah alles nur noch in Zeitlupe, das rasend vor Zorn gerötete Gesicht von Braunschweidt, die ängstlich geweiteten Augen von Yuuki, und diese Faust, die auf sie zuraste. Und so Mainstream das auch klang, ich dachte wirklich: „ Niemand tut Yuuki was zuleide" und warf mich gegen den erwachsenen Mann. Ich sollte wirklich aufhören, Heldenfilme zu schauen. Das tat meinem Gehirn und meinem Körper nicht gut.
Braunschweidt war mehr als überrascht, als er von einem eher schmächtigen Jungen mit einer Wucht in den Gang zurückgeschubst wurde, die eigentlich gar nicht möglich war. Ich war ebenfalls sehr überrascht, allerdings hatte ich nicht die Zeit, mich darüber zu freuen.
„Siles!" Braunschweidt rappelte sich auf und wischte sich etwas Blut aus dem Mundwinkel. Er bemerkte meinen entsetzten Blick. „Ach, hast du dich etwa noch nie geprügelt?" Er lachte höhnisch. Son richtig fieses Lachen.
Muahaha. Alter, Siles, das ist nicht normal. Das wird ja immer mehr zu einem dieser Fieslinge, wie sie in Filmen immer vorkommen.
Ausnahmsweise waren Klaus und ich einer Meinung. Ich schwieg einfach nur und stellte mich vor Yuuki, die sehr wütend aussah. Wahrscheinlich verfluchte sie sich gerade selbst.
„Ach, du kennst dieses Mädchen?" Der Mann zwinkerte mir amüsiert aus seinen blauen Augen zu. Dann verzog sich sein Gesicht aber wieder. „Sie hat Martin umgebracht. Gerade eben. Vor deinen Augen! Wie kannst du da noch auf die Idee kommen, dich vor sie zu stellen?", rief er.
„Weil das Notwehr war.", entgegnete ich, „und Sie ihr ansonsten wieder schädliche Stoffe zugefügt hätten."
Braunschweidt hob eine Augenbraue und grinste schmierig. „Nicht nur das."
Die Wut überrollte mich wie ein Tsunami das Land. Ich spürte sie in jeder Ader in meinem Körper. Ohne nachzudenken lief ich auf Braunschweidt zu- der sehr gelassen schien- holte aus und schlug mit voller Kraft zu. Es knackte an meiner Hand, der Kopf des Mannes flog zur Seite, ein paar Zähne flogen aus seinem Mund. Sein Kopf knallte gegen die Wand hinter ihm. Er war sofort bewusstlos.
„Er hat mich unterschätzt.", sagte ich nüchtern zu Zac, der herauskam und auf den Körper von Braunschweidt starrte. Meine Hand brannte schrecklich. „Vielleicht sollte ich nächstes Mal nicht meine Hand benutzen."
Zac reckte mir seinen Daumen entgegen. „Läuft bei dir. Nichts gegen dich, aber ich dachte auch zuerst, du wärst ne Pussy. Beweis A, dass du es nicht bist." Er lief zum Körper, packte den bulligen Mann unter der Schulter und versuchte ächzend ihn fortzubewegen. Auf halber Strecke knickte er plötzlich ein, wurde aber von Yuuki aufgefangen.
„Ich hasse mein Leben..." Zac starrte auf seine Beine. „Jetzt sind auch noch meine Beine lahmgelegt."
„Das wird schon." Yuuki half ihm auf.
Ich wandte mich von der Szene ab und holte Tommy. Er hatte es irgendwie geschafft, sein T-shirt im Bettgestell zu verheddern und weinte. „Komm schon, Tommy. Das schaffst du. Du bist doch ein großer Junge.", versuchte ich ihn zu beruhigen.
Tommy schniefte, half mir dann aber, sein T-shirt auszuziehen. Mit einem Schnaufen zog er sich unter dem Bett hervor und blieb dann einfach nur sitzen. Mit traurigen braunen Augen sah er mir dabei zu, wie ich sein T-shirt rausholte und murmelte ein „Danke!", als ich es ihm gab.
„Was machen wir jetzt mit der Leiche?", wandte ich mich ratlos an Yuuki. Mir graute davor, sie anzufassen. Um den Kopf herum war eine Blutlache entstanden. Yuuki hatte denselben Blick wie ich drauf. Er war durchzogen von Horror.
„Scheiße, ich hab ihn umgebracht."
„Wie gesagt, es war Notwehr..."
„Ich hätte mir was anderes einfallen lassen müssen." Sie blickte auf den Hockeyschläger in ihrer Hand und warf ihn von sich weg.
„Leuts, lasst ihn doch einfach liegen.", rief Zac von seiner Stelle aus. „Ihr seid zu schwach, um ihn wegzuschleifen oder gar anzufassen. Der Geruch später wird echt übel, ihr müsstet dann noch zusätzlich kotzen. Ich glaub, darauf hat niemand Bock. Lasst ihn hier unten. Sobald der Arsch da wieder aufwacht, wird der sich schon um ihn kümmern." Er machte eine Kopfbewegung in Richtung Braunschweidt.
Tommy schien nicht viel mit der Leiche anfangen zu können und stieg über sie hinweg, um in den Gang zu kommen. In der Hand hielt er eine kleine Packung mit weißen Pillen. „Xenol."
„Tommy!" Yuuki hockte sich hin und nahm sich eine. „Du bist klasse. Woher hast du die?"
Er zeigte auf den toten Menschen vor uns.
„Oh." Yuuki legte die Pille wieder in die Packung zurück.
„Sagt mal... wie konnte er eigentlich so schnell gesund werden? Gestern lag der doch noch halbtot in meinem Bett.", meldete ich mich wieder zu Wort.
„Tommy wurde gleich als erstes von den Docs behandelt.", antwortete mir Zac. „Während die mich regelrecht vergessen zu haben scheinen. Kein Wunder, bin ja schon so gut wie tot."
„Hör doch einfach mal auf, dauernd in Selbstmitleid zu versinken." Yuuki stand genervt auf. „Ich muss mir das jetzt schon seit gestern Abend anhören."
„Hättest ja nicht mit mir in einen Raum schlafen müssen.", gab Zac eingeschnappt zurück. Seine langen Haare hatte er mit einer Schnur zu einem Zopf gebunden.
In der folgenden Stille hörte ich das Ticken meiner Armbanduhr überdeutlich, und das jagte mit einen verdammten Schreck ein. „Fuck!"
„Was?"
„Ich hab die Zeit vollkommen vergessen..." Ich sah auf meine Uhr. Dann grinste ich schief. „Sollte eigentlich schon vor ner Stunde Zuhause sein..."
Meine Freunde- wenn ich sie so nennen konnte- sahen mich ungläubig an.
„Alter, dein Ernst?", sagte Zac. „Vor dir liegt ne Leiche und du denkst an... Siles...."
„...du Schwachmatt.", beendete Yuuki kopfschüttelnd.
„Na, ist ja jetzt auch egal." Ich zuckte mit den Schultern. Dann hockte ich mich vor Braunschweidt. „Ich hätte nicht gedacht, dass jemand so durchtrieben sein kann. Das mit meiner Menschenkenntnis sollte ich noch mal üben."
Yuuki schwieg und hockte sich neben mich. Mit systematischen Griffen suchte sie den Körper ab und wurde schließlich in einer der Jackentaschen fündig. Mit einem Lächeln nahm sie einen kleinen Schlüssel heraus und hielt ihn hoch. „Hab ihn."
„Was ist das?"
„Bist du blind? Ein Schlüssel."
„Nein, ich meinte wofür?"
„Zum Türen aufschließen."
„Das ist so unlustig."
Sie streckte mir die Zunge raus. „Wirst du schon sehen." Damit stand sie wieder auf und lief los. Ich sah unschlüssig zwischen ihr und Zac, der wegen seiner Beine immer noch an der Wand gelehnt saß und missmutig auf eben diese starrte. Mit einem Seufzen hockte ich mich neben ihn. „Hey, Zac. Soll ich dir helfen?"
„Lass nur." Wir blickten jetzt beide Yuuki hinterher. Dann sah Zac mich an. „Keine Ahnung, ob du das auf die Reihe bekommst. Aber da ich ja bald nicht mehr bin... Pass auf sie auf, klar? Äußerlich mag sie zwar so stark aussehen, wie sie sich gibt. Aber sie hat schon zu viel erlebt, als dass sie keine inneren Schäden davongetragen hätte. Sie hat Talent, ihre Probleme zu verdrängen. Und irgendwann wird sie zusammenbrechen. Du musst dann für sie da sein."
„Okay." Nach einer Weile: „Ich werde für sie da sein. Ich verspreche es." Damit stand ich auf und lief ihr hinterher. Im Hintergrund konnte ich Tommy unbegründet lachen hören, was mich aber nicht beunruhigte, sondern eher erleichterte. Es war gut, dass er wieder zu seinem alten Lachen gefunden hatte.
Yuuki hielt vor einer Tür, die nicht viel anders aussah, als die anderen. Abgesehen von der Tatsache, dass sie ein Schloss besaß. Dieses öffnete meine Freundin entschlossen. Es quietschte, als das Mädchen sie aufstieß und ins Innere lief. Gespannt trat ich hinter ihr ein. Vor mir stapelten sich Kisten um Kisten, eine größer als die andere. Staub wirbelte auf, als ich an einer entlang strich, um das Etikett drauf zu lesen. Xenol.
„Wie viel gibt es von diesem Medikament?", fragte ich fassungslos, als ich die Reihen an Kisten entlang sah.
„Siehst du doch. Das ist glaub ich aber auch nur ein kleiner Teil. Es gibt noch andere Schlupfwinkel von ParaSyc." Yuuki öffnete eine Kiste und griff sich eine Handvoll Pillen, um sie sich einzuwerfen. Das erinnerte mich wieder an die Datei, die ich von ihr gesehen hatte. Patient Nr. 1. Befindet sich im Sterbejahr. Tiefe Traurigkeit befiel mich.
„Ist was?", fragte sie.
Ich schüttelte den Kopf und sah ihr weiter dabei zu, wie sie die einzelnen Kisten überprüfte. Sie schien noch nichts von ihrem Schicksal zu wissen, was mich fragen ließ, ob die Daten auf dem Laptop von Androsch wohl auf dem neusten Stand waren.
„Yuuki...."
Sie hielt inne. „Sag bitte nichts. Nur für einen Augenblick."
Ich nickte. Der Augenblick verstrich und sie atmete aus. „Was wolltest du sagen?"
„Nicht wichtig."
Yuuki schien sich gerade erst von ihren traumatischen Erlebnissen zu erholen. Sie begann langsam wieder an das Leben zu glauben. Da wollte ich ihr das nicht mit den paar Worten wegnehmen.
Ich trat einen Schritt auf sie zu und legte meine Arme um sie. Yuuki verspannte sich, lockerte sich aber recht schnell und drückte sich enger an mich. Ich atmete den Duft von Chemikalien ein und musste an mich halten, um nicht in Tränen auszubrechen.
„Soll ich dir den Pullover eigentlich wieder zurückgeben?", fragte sie auf einmal. „Wenn dann tut es mir leid. Er befindet sich jetzt in so einem Müllbeutel der Docs."
Ich lachte zittrig. „Unter den Umständen lieber nicht. Was willst du jetzt eigentlich mit dem Xenol anfangen?"
„Selbst benutzen. Und so viel sammeln, wie nur möglich. Für die Menschen in den Quarantänen."
„Erlaubst du mir, dir zu helfen?"
Sie lachte. „Da fragst du noch? Ich kann jede Hilfe gebrauchen, die sich mir anbietet."
„Okay."
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