Ein Anruf - 23. Januar 2016
So jetzt kommt das erste Kapitel. Es ist länger als der Prolog ;) und ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen.
Ich wählte die Nummer. Einen Moment schwebte mein Finger über der grünen Taste, als ich zögerte. Wenn ich ihn jetzt anrief bedeutete das, dass alles was meine Mutter dafür getan hatte, dass ich keinen Kontakt zu ihm hatte, umsonst gewesen war.
Sophie, die beste Freundin meiner Mutter, hatte gesagt, ich musste es schon selber tun, sonst würden die Ärzte aus dem Krankenhaus es tun. Sie war es auch gewesen, die seine Briefe in Mums Schlafzimmer gefunden und mir ins Krankenhaus gebracht hatte.
Es war einfach nur schrecklich, wenn man heraus finden musste, dass die eigene Mutter einen Jahre lang belogen hatte und nur ihr Tod dazu führte, dass man die Wahrheit erfuhr. Mein Dad, Adam Roberts, hatte meine Mutter nie sitzen lassen, wie sie immer behauptet hatte. Zumindest schrieb er das.
Ich holte tief Luft, dann drückte ich die Wahltaste und hielt mir das Handy ans Ohr.
Tuut
Vielleicht sollte ich einfach wieder auflegen? Ich war eindeutig noch nicht bereit hierfür.
Tuut
Ich wusste ja nicht einmal was ich sagen sollte!
Tuut
Vielleicht war er ja auch gar nicht da?!
Tuut
Oder hatte eine neue Telefonnummer...
Tuut
Das hier war eine ganz dumme Idee!
Tuut
Ich würde jetzt auflegen!
Knack "Hallo hier ist Jess".
Die Stimme klang nach einem kleinen Mädchen. Hatte ich mich verwählt? Oder war...meine Gedanken wurden unterbrochen:
"Haaalllooo? Ist da jemand?"
Ich musste jetzt etwas sagen! "Ist Adam Roberts zu sprechen?"
"Ja, klar! Warum hast du das denn nicht gleich gesagt?"
Ein Rascheln.
Vermutlich hielt Jess das Telefon von ihrem Ohr weg, denn ihre Stimme klang gedämpft, als sie wieder sprach.
"Daddy! Telefon für dich".
Daddy? Jess war seine Tochter! Ich hatte noch eine Schwester!
Gepolter! Mehrere Stimmen, die durcheinander redeten.
Dann hörte ich eine Männerstimme im Hintergrund.
"Wer ist denn dran?"
Jess antwortete nicht gleich, stattdessen hörte ich ihre Stimme wieder klar.
"Wer ist dran?"
Oh ich hatte vergessen meinen Namen zu sagen. "Kylie! Kylie Pazific!"
Rauschen.
Erneut klang Jess Stimme gedämpft.
"Kylie Pazific."
Dann wieder die Männerstimme. "Oh mein Gott!"
Rauschen. Knacken.
"Hallo? Kylie?"
Es war der Mann. Mein Dad. Adam Roberts. Arzt für Allgemeinmedizin. 44 Jahre alt. Hobbysegler und Baseballfan.
"Ähm Hi", brachte ich heraus. Ich wusste nicht was ich sagen sollte.
"Bist du es wirklich? Ich kann nicht glauben, dass du anrufst".
"Ja, ich bin's", brachte ich heraus, schluckte einmal schwer und holte tief Luft, "ich brauche deine Hilfe!"
"Was ist los?"
Seine Stimme war total besorgt. Sollte ich einfach mit der Tür ins Haus fallen? Oder versuchen es ihm schonend bei zu bringen?
"Du musst mich abholen". Am Ende des Satzes brach meine Stimme.
"Was? Warum? Was ist passiert?"
Ja? Was war eigentlich passiert? Die letzten Tage kamen mir vor wie ein Albtraum aus dem ich einfach nicht aufwachen konnte.
"Kylie? Was ist passiert?"
"Du musst mich abholen, weil Mum nicht mehr da ist", stieß ich hervor, schloss gequält die Augen und riss sie dann wieder auf, als er fragte: "Was soll das heißen, sie ist nicht mehr da?"
"Sie hatte einen Autounfall", mir kamen die Tränen und ich fummelte an dem Reisverschluss meiner Kapuzenjacke herum.
"Oh Gott"
Sein Entsetzten war fast greifbar.
"Ist sie...? Ist sie...? Hat sie den Unfall überlebt?"
Ich atmete tief durch. "Nein!" Das Wort kam nur als Flüstern heraus. Aber er verstand mich trotzdem.
"Wann?"
"Vor fünf Tagen! Ihre Beerdigung war heute!" Ich schluchzte auf. Verdammt ich wollte doch eigentlich nicht weinen. Mit meiner freien Hand wischte ich mir meine Tränen ab.
"Wer hat sich die letzten Tage um dich gekümmert?"
Er rang deutlich um Fassung.
"Sophie! Eine alte Freundin von Mum", sagte ich.
"Ja, ich kenne Sophie!"
Das überraschte mich. Ich hätte nicht gedacht, dass meine Eltern noch immer den gleichen Bekanntenkreis hatten.
"Und natürlich die Ärzte", fügte ich hinzu.
"Bist du im Krankenhaus? Geht es dir gut? Bist du verletzt?"
"Ja, bin ich. Mein eines Bein ist gebrochen, aber ansonsten hatte ich Glück."
Glück, was war das schon. Mum hatte es nicht gehabt. Nie. In ihrem Leben hatte sie nur Pech. Mit dem Job, den Männern, der Wohnung, den Eltern, alles war irgendwann schief gelaufen. Genauso wie jetzt mit dem Unfall.
Sky brauchte jetzt verdammt viel Glück um durchzukommen. Oh Sky!
Ich hörte wie er am Telefon aufatmete.
"Gott, sei dank! Wann wirst du entlassen?", fragte Adam, ich konnte einfach keinen wildfremden Mann, Dad nennen.
"Ich darf Morgen raus, werde aber wahrscheinlich länger hier bleiben. Zu Sophie kann ich nicht. Sie muss sich um ihre Kinder kümmern", erklärte ich.
"Ich hole dich Morgen ab, wenn das für dich okay ist?!", sagte er unsicher.
Ich nickte zögernd, bevor mir einfiel, dass er das gar nicht sehen konnte.
"Ist okay!"
"Gut! Ist Sophie bei dir?", wechselte er das Thema.
"Nein", sagte ich langsam, weil es nicht ganz der Wahrheit entsprach. Sie war drinnen in meinem Zimmer und wartete auf mich.
"Hast du ihre Nummer?"
"Nein."
Seufzer! "Ich bin Morgen früh da!"
"Mhm."
"Kann ich einen von den Ärzten sprechen? Ich möchte wissen, ob es okay ist, wenn ich dich mit nach New Orleans nehme. Ich rufe dich Morgen noch einmal an, wenn ich weiß wann genau ich da bin!"
Hatte er gerade gesagt New Orleans? Ich konnte hier doch nicht weg! Nicht jetzt wo Sky mich brauchte. Ich schalt mich selbst für diese Dummheit. Wie hatte ich denken können, dass er noch in der Nähe lebte. Ich dachte an die vielen Briefe in meinem Zimmer. Noch nicht einmal einen Bruchteil davon hatte ich geöffnet und auf die Adresse des Absenders hatte ich natürlich auch nicht geachtet. Dafür war ich einfach viel zu aufgewühlt gewesen.
"Okay!"
"Brauchst du noch etwas? Soll ich dir irgendetwas besorgen?"
Meine Mum! Sky! "Nein."
"Bist du dir sicher? "
"Ja."
"Du musst es nur sagen!"
"Ich brauche nichts", sagte ich mit Nachdruck.
"Oh...okay!"
Schweigen. Was sollte ich noch sagen? "Danke."
"Himmel, Kylie! Dafür musste du dich doch nicht bedanken. Das ist doch selbstverständlich."
Nein ist es nicht!
Wieder Schweigen.
"Dann sehen wir uns Morgen?!"
"Ja!"
"Auch wenn wir uns unter traurigen Umständen treffen, freue ich mich trotzdem auf dich."
Was sollte ich darauf antworten? Ich mich auch? Tat ich das denn? Mir fiel Jess wieder ein. Ich war gespannt darauf sie kennen zu lernen. Ob sie mir ähnlich war?
"Adam? Wie viele Geschwister habe ich eigentlich?"
"Zwei Halbgeschwister. Jess und Taylor. Und dann noch zwei Stiefbrüder. Chase und Blake. Aber habe ich dir das nicht geschrieben?"
"Ich habe die Briefe erst heute bekommen!"
Schweigen
"Was soll das heißen, du hast sie heute erst bekommen?"
"Mum hatte sie hintern ihrem Kleiderschrank versteckt", erklärte ich.
Schweigen.
"Warum hat sie das gemacht?"
Wut kochte in mir hoch und ich war froh, dass der kleine Innenhof des Krankenhauses, abgesehen von mir und einer schwerhörigen Oma, leer war, sodass niemand meine heftige Reaktion mitbekam: "Woher soll ich das wissen? 17 Jahre lang hat meine Mutter mich belogen und jetzt fragst du mich, warum sie das getan hat? Wie du weißt, ist sie nicht mehr in der Lage mir diese Frage zu beantworten!"
"Kylie."
Seine Stimme war sanft und einfühlsam. Er bildete einen krassen Kontrast zu meiner Mutter, die immer lauter geantwortet hatte, bis wir uns irgendwann anbrüllten. Ich schluckte schwer. Das würde nie wieder passieren.
"Tut mir leid! Ich wollte dich nicht aufregen. Die Frage war auch mehr rhetorisch gemeint."
Ich kam mir auf einmal dumm vor. Er konnte doch auch nichts dafür, dass alles so gekommen war. Obwohl eigentlich schon. Hätte er meine Mum damals nicht verlassen...Hatte er das überhaupt?...dann...verdammt ich war so verwirrt...Aber eins stand fest: Sky hätte es dann nie gegeben. Oh Sky. Bitte wach endlich auf!
"Kylie? Bist du noch dran? Hast du noch Fragen? Sonst lege ich jetzt auf, damit ich noch mit deinem Arzt telefonieren kann."
"Nein. Tschüss", sagte ich ein wenig schroff.
"Tschüss! Bis Morgen. Ruf an, wenn etwas ist".
"Okay!" Ich legte auf und ließ mich nach hinten gegen die Rückenlehne der Bank sinken. Es war unangenehm still hier draußen. Seit dem Unfall hasste ich die Stille.
Ruckartig stand ich auf, überquerte den Hof und trat in das hässliche Gebäude mit den grünen Wänden, dass nach Desinfektionsmittel stank.
Es hatte sich in den letzten Tag zur Ausgeburt aller schlechten Nachrichten entwickelt.
Am Ende des Flurs redete ein Ehepaar laut miteinander und ein Stück weiter plauderte ein kleiner Junge mit seiner Mutter.
Zwei Krankenschwestern unterhielten sich mit gesenkten Stimmen bei einer Tasse Kaffee.
Erleichtert atmete ich auf und ging extra langsam zurück in mein Zimmer, wo Sophie auf mich wartete.
"Und?", fragte sie.
Ich zuckte mit den Achseln. "Er holt mich morgen ab."
"Das ist schön. Ihr werdet euch sicher gut verstehen und dir wird es guttun hier heraus zu kommen", sie klang optimistisch, als würde ab jetzt an alles besser werden.
Ist das unglaubwürdig? Wie findet ihr Kylie?
Ich hoffe es hat euch gefallen :)
Eure Amber
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