Kapitel 5
-Kian 25. Juli, 50 nach Gründung-
Langsam verliere ich wirklich die Geduld. Nicht nur, dass diese Kinder viel aktiver und anstrengender sind, als ich gedacht habe, nein, sie sind auch viel untalentierter, als ich es je für möglich gehalten hätte. Und das, obwohl sie schon 9 Jahre alt sind, also seit drei Jahren trainieren. Ich weiß nicht mehr, wie ich damals war, aber ich war bestimmt besser. Das hoffe ich jedenfalls, denn ich könnte es nicht ertragen, wenn meine Lehrer damals so über mich gedacht hätten.
Seufzend schicke ich die Jungs in die Pause und überlege, was ich tun könnte, damit der Tag wenigstens für einen von ihnen etwas bringt. Mir ist bewusst, dass ich hier bin, um ein Waffentraining zu leiten. Ich hatte es schon für eine dumme Idee gehalten, als ich gefragt wurde. Hätte ich nur auf mich gehört. Langsam frage ich mich, ob ich nicht lieber etwas anderes machen sollte.
Man muss aber auch sagen, dass ich das heute zum ersten Mal gemacht habe. Man hatte mich gebeten, weil der eigentliche Lehrer verhindert war. Ich habe mich schon gefragt, warum sie ausgerechnet mich gefragt haben. Jetzt kenne ich die Antwort: Um mich davon abzuhalten, jemals Ausbilder oder Lehrer zu werden. Nicht, dass ich das je vorhatte. Aber ich habe es mir anders vorgestellt. Ich hatte mit älteren Kindern gerechnet. Oder zumindest mit begabteren.
Aber ich wollte nicht aufgeben, so weit hatten sie mich noch nicht gebracht. An das Training kann ich mich nicht mehr erinnern, aber sonst weiß ich noch ganz genau, wie ich in dem Alter war. Eher ein Außenseiter, aber weil ich es so wollte. Auch wenn mir das wahrscheinlich keiner abgekauft hat. Ich war klein und dünn. Die anderen hatten mich um mindestens einen Kopf überragt. Aber mein Wille war größer gewesen, ich hatte mich in den ersten Jahren so angestrengt und es hatte sich gelohnt. Ich war der Beste in unserer Gruppe gewesen und hatte anscheinend einen guten Eindruck hinterlassen, denn ich war schon kurz nach meinem Abschluss in den Silberrang befördert worden. Das kam zwar immer mal wieder vor, hatte mich aber trotzdem mit Stolz erfüllt. Genauso wie Isabella, meine einzige Vertraute, auch wenn sie nicht der größte Fan von Soldaten war.
Die Frau, die immer für mich da war, in einem anderen Leben wäre sie wohl so etwas wie eine Ersatzmutter gewesen. Aber so etwas hatten wir hier in Zone 1 natürlich nicht, wir lebten im Kinderheim und wurden von Kindermädchen großgezogen. Isabella war so eine. Ich habe ihr viel zu verdanken und auch in dieser aussichtslosen Situation, in der ich mich jetzt befinde, hilft sie mir, aber nicht aktiv. Es war mehr ein Gedanke, der mir kam.
Als ich jünger war, wusste ich oft nichts mit mir anzufangen, war zu abgelenkt, um etwas wirklich verfolgen zu können. Ich habe erst in der Ausbildung gelernt, mich zu konzentrieren. Isabella hat sich in solchen Momenten zu mir gesetzt und einfach geredet, das hat mich runtergebracht. Vielleicht habe ich zu viel von den Jungs erwartet. Aber ich wusste auch nicht wirklich, worüber ich reden sollte. Ich weiß nicht, worüber Kinder in dem Alter reden, ich glaube nicht, dass ich in dem Alter viel geredet habe. Allerdings hoffe ich, dass mir noch etwas einfallen wird. Die Tür geht auf und die ersten kommen langsam zurück in den Übungsraum. An ihren Gesichtern kann ich deutlich ablesen, dass sie nicht mehr viel Lust haben. Zum ersten Mal kann ich verstehen, was sie denken. Wahrscheinlich sind sie froh, dass wir überhaupt etwas gemacht haben.
„Setzt euch auf den Boden", fordere ich sie auf und merke, dass ich wieder in den Befehlston verfalle. Draußen bei den anderen Soldaten habe ich ihn vielleicht gebraucht, aber hier ist er fehl am Platz. Auch wenn es hier eindeutig an Strenge fehlt, aber das wird ab morgen nicht mehr mein Problem sein. Wahrscheinlich bin ich genauso nervös wie die Kinder hier. Auch wenn ich es mir nicht eingestehe. Sanfter fahre ich fort: „Wir machen jetzt etwas anderes. Ich bin mir sicher, dass ihr in den letzten drei Jahren sehr wenig Freizeit hattet und dass eure Lehrer sehr streng mit euch waren.Zumindest, wenn es heute noch so wäre wie bei mir", sage ich, obwohl ich das nicht glaube. Aber ich habe gelernt, dass es manchmal gut ist zu lügen, um das zu erreichen, was man will.
Zustimmende, aber auch verwirrte Ausrufe erklingen. Sie wundern sich wohl über meinen plötzlichen Richtungswechsel. Wissend sehe ich sie an und setze mich schließlich zögernd zu ihnen auf den Boden, so dass wir einen Kreis bilden.
„Wenn ihr mir versprecht, niemandem davon zu erzählen und euch beim nächsten Schießtraining mehr Mühe zu geben, können wir es heute entspannter angehen. Ausnahmsweise", sage ich.
Ich sehe förmlich, wie die Anspannung von den Schultern der meisten Jungen fällt. Sie tauschen Blicke aus, aber keiner wagt ein Wort zu sagen, als ob sie eine Falle befürchten.
Ich kann es ihnen nicht verübeln, vielleicht hätte ich das auch gedacht. Aber ich versuche, ihre Zweifel zu zerstreuen und zwinge mich zu einem Lächeln. Unbehagen steigt in mir auf, ich hoffe wirklich, dass die Jungs ihren Mund halten können. Ich habe noch nie wirklich mit Kindern zu tun gehabt, außer natürlich, wenn ich sie ihren Müttern weggenommen habe. Deshalb weiß ich nicht wirklich, wie ich mit ihnen umgehen soll. Soll ich mit ihnen etwa so reden wie mit Erwachsenen? Andererseits will ich auch nicht zu locker mit ihnen umgehen. Vielleicht eine gute Mischung aus beidem? Ich schaue jeden von ihnen kurz an.
„Okay, wie wäre es, wenn ihr mir ein paar Fragen stellen würdet, zum Soldatsein? Zu eurer Zukunft?", will ich von ihnen wissen. Zustimmendes Nicken ist zu meiner Erleichterung die Antwort. Zufrieden, dass sie mein Angebot nicht ablehnen, fällt auch mir eine Last von den Schultern.
Auch wenn ich nicht ahnen kann, welche Fragen sie stellen werden. Aber was soll schon passieren? Der erste Junge schaut mich an, dann zu Boden. Dann zwingt er sich, mir wieder in die Augen zu sehen, so wie er es gelernt hat. Er ist der Größte, aber genauso dünn wie die anderen. Kein Wunder, das Essen wurde immer knapper. Außer für die Höhergestellten, die bekamen Extra-Rationen. Und uns in der Zone 1 ging es noch sehr gut, ich frage mich, wie es in den Außenzonen aussah.
„Irgendeine Frage", versuche ich ihn zu überreden und werde langsam nervös. Die Zeit könnte langsamer vergehen als gedacht, wenn das so weitergeht .Der Junge mit den dunkelbraunen Haaren räuspert sich, dann stellt er endlich die Frage, die ihm schon auf der Zunge lag.
,,Ist es sehr schlimm, jemanden umzubringen?", mit so einer Frage hatte ich nicht gerechnet, zumindest nicht auf Anhieb. Aber ich schüttle den Kopf.
„Nein, wir töten Verschwörer oder andere Gegner des Systems. Deshalb ist es nicht so schlimm", beantworte ich seine Frage. Tatsächlich habe ich noch nie jemanden getötet, die Verdächtigen mussten natürlich erst verhört werden. Was danach mit ihnen geschieht, kann ich nur erahnen. Sicherlich würden sie nicht mehr lange leben, sobald sie das gesagt hatten, was man von ihnen hören wollte. Aber der Junge scheint damit zufrieden zu sein, und ich erspare es mir, ihn darauf hinzuweisen, dass man mit einer Verhaftung in gewisser Weise auch für den Tod verantwortlich war.
„Und wie war das Leben vor dem System?", fragte der Große wieder. Das wissen sie natürlich noch nicht, das kommt erst später. Wenn es überhaupt noch gelehrt wurde. Das habe ich wahrhaftig großartig gemacht. Keine Ahnung, ob ich darüber reden darf, aber alle Augen der kleinen Gruppe sind auf mich gerichtet. Gespannt schauen sie mich an. Ich seufze. Das kann ich wohl nicht mehr rückgängig machen. Aber warum sind kleine Kinder so neugierig?
„Früher war das Leben ein bisschen anders, ich kenne es natürlich nur aus Erzählungen. Aber soweit ich weiß, gab es damals keine Zonen. Frauen und Männer lebten überall zusammen, also nicht nur ein paar Arbeiterinnen wie bei uns in Zone 1. Es gab Familien, also Menschen, die mit ihren Kindern oder auch ohne Kinder zusammen in einem Haus lebten", erzähle ich und bemühe mich, möglichst neutral zu klingen. Natürlich ist das Leben früher anders gewesen, ich werde es nie unserem heutigen Leben vorziehen, aber ich will nicht, dass einer der Jungs auf die Idee kommt, das zu tun.
„Die Arbeit wurde nicht nach Qualifikation und Fähigkeiten verteilt, man musste sich selbst etwas aussuchen", fahre ich fort und überlege gerade, was ich noch erzählen könnte, als mir ein anderer Junge eine Frage stellt:
„Warum gibt es überhaupt Verschwörer?", fragt ein blonder Junge mit scheuen, blauen Augen. Ich lächle leicht, wie soll ich das erklären? Eigentlich gibt es keinen vernünftigen Grund, jedenfalls keinen, den ich kenne. Es sind auch nicht viele.
„Sie sind unzufrieden, weil sie sich ungerecht behandelt fühlen. Sie wünschen sich das Leben vor dem System zurück. Zumindest zu dem, das sie zu kennen glauben", antworte ich schließlich, mein Ausbilder wäre stolz auf mich gewesen für diese Antwort. Das ist in etwa die Antwort, die er mir gegeben hat, als ich ihm vor einigen Jahren die gleiche Frage gestellt habe.
„Und warum gibt es dieses System überhaupt? Das klingt doch gut, was du da vorhin erzählt hast", sagt er überrascht. Zu meiner Enttäuschung stimmen ihm einige der anderen Jungen zu. Ich verenge meine Augen zu Schlitzen und schnaube. Wie schnell doch die Stimmung kippen kann.
„Vorsicht", sage ich leise. „Damals gab es noch Geld, mit dem man sich Sachen kaufen konnte. Das System hat alles gerecht verteilt. Aber damals war das nicht möglich. Es gab Leute mit viel Geld und Leute mit wenig Geld. Eigentlich waren es sogar Gebiete, Länder genannt, die sich irgendwann bekämpft haben. Es herrschte jahrelang Krieg, weil die Menschen so unzufrieden waren", ich schaue in die Runde, alle hängen förmlich an meinen Lippen. Ich bin froh, dass ich sie wenigstens beschäftigen konnte. Ich hoffe nur, dass sie mich nicht verraten. Andererseits würden sie mich dann wenigstens nie wieder um so etwas bitten.
Es ist absolut verboten, über das Leben vor dem System zu sprechen. Natürlich waren die meisten, die diese Fragen wirklich beantworten konnten, nicht mehr am Leben, aber das Verbot galt auch für die kleinste Information. Und wenn ich etwas über den Kampf gegen die Verschwörer sagen kann, dann, dass man mit ihnen nicht zimperlich umgegangen ist. Monatelange Folter, die auf die eine oder andere Weise mit dem Tod endete. Eliminierung von Familienmitgliedern. Verfolgung. Der Tod war das Beste, was einem noch passieren konnte. Ich habe bestimmt keine Lust, mit einem dieser Wichtigtuer verwechselt zu werden. Deshalb hüte ich normalerweise meine Zunge und vermeide solche Themen wie jetzt.
„Und die Gründer, wie haben die das gemacht? Wie sind die auf die Idee gekommen, das System einzuführen?", fragt ein anderer Junge und bringt mich damit wieder auf das Thema zurück. Eigentlich eine gute Frage, die sicher viele gestellt haben, aber keiner konnte oder wollte sie beantworten. Ich selbst kann auch nur Vermutungen anstellen.
„Hm, das ist eine sehr gute Frage. Vielleicht habt ihr Ideen? Ich glaube, das System, also die Idee dazu, gibt es schon lange", sage ich und schaue in die Runde.
„Warum weiß denn niemand etwas davon? Ich habe schon so viele Leute gefragt und keiner weiß etwas. Es muss doch jemanden geben", sagt der Junge, der mir die Frage gestellt hat, frustriert. Ich schaue ihn kurz an. Er scheint wirklich nicht mehr weiter zu wissen. Er wirkt fast verzweifelt. Es ist bewundernswert, dass er so weitermacht. Auch wenn er nie eine Antwort bekommen wird.
„Vielleicht ist es besser, es nicht zu wissen. So friedlich und einfach, wie es immer behauptet wird, war es bestimmt nicht", meint der dunkelhaarige Junge provokant. Ich versuche gar nicht erst, ihn umzustimmen, denn erstens würde das nichts bringen und zweitens bin ich ausnahmsweise auf der gleichen Seite. Wahrscheinlich auf der Seite, die ein Verschwörer wählen würde. Aber ich Ann dem System nicht immer blind vertrauen und alles gutheißen. Manches erscheint mir auch nicht logisch, ich habe mich nicht gegen das System gestellt, aber das heißt nicht, dass ich nie Misstrauen empfunden hätte. Aber das behalte ich wohl besser für mich. Denn so fühlen sich sicher nur Verschwörer. Und ich weiß ja, was mit ihnen geschieht.
„Ich glaube, das war von langer Hand geplant. Unser System ist riesig und gut durchdacht. Das kann nicht in ein paar Wochen oder Monaten geplant und gebaut worden sein", ruft einer der Jungen in die Runde. Automatisch nicke ich leicht, aber die Jungen sind zu sehr mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt, um es zu bemerken.
„Ich glaube, ihr spinnt alle. Das System ist toll, wir können froh sein, dass es geschaffen wurde. Wir wären alle nicht mehr am Leben, wenn es das nicht gäbe", knurrt ein Junge, der bisher nur schweigend zugeschaut hat. Ehrlich gesagt, habe ich ihn gar nicht bemerkt. Ich nicke auch hier.
„Das ist eine sehr gute Antwort", stimme ich zu. Könnte ich doch auch so sein. Das ist genau das, was man von jemandem erwartet, der eines Tages in die Führungsetage will. Und das will ich. Mehr als alles andere. Und deshalb darf ich mir keinen Zweifel anmerken lassen. Und sei er noch so klein. Aber ich schaffe es einfach nicht, jeden Tag so zu denken. Meistens schon. Aber manchmal war es einfach nicht richtig.
„Warum ist das System eigentlich so, wie es ist?", fragt einer der Jungs vorsichtig.
„Was meinst du damit?", frage ich geduldig. Er zuckt mit den Schultern.
„Alles. Warum wachsen Männer und Frauen getrennt auf? Warum gibt es so viel mehr Frauen? Warum gibt es überhaupt Frauen in Zone 1? Und... naja, das ist eigentlich alles, was mir im Moment einfällt. Ich will nur verstehen... warum es so ist", hakt er nach. Ich muss über seine Fragen schmunzeln, denn unsere Lehrer hatten solche Fragen meist mit einem „Weil es eben so ist" beantwortet. Das war nicht besonders befriedigend gewesen. Und auch heute würde mich eine solche Antwort nicht zufriedenstellen.
„Weil es effizienter ist. Früher gab es wohl oft Probleme, wenn Frauen und Männer zusammenlebten. Nur die Frauen werden Mutter, die laut Test am besten geeignet sind. Psychisch und physisch. Sie brauchen den besten Schutz. Sie garantieren den Fortbestand des Systems, sind aber gleichzeitig das schwächste Glied. Deshalb müssen sie am meisten geschützt werden. Unsere Ärzte haben ein eigenes System entwickelt, mit dem sie die Frauen direkt nach der Geburt wieder künstlich befruchten können, das ist sehr effektiv. Auch Erbkrankheiten konnten so verhindert und schließlich ausgerottet werden. Warum weiß auch nicht genau, was und wie so etwas gemacht wird. Es gibt mehr Frauen, das ist wahr, den Grund dafür kenne ich aber auch nicht. Weil es eben mehr Frauen gibt, müssen manche Tätigkeiten in Zone 1 auch von Frauen gemacht werden. Es sind nicht viele, aber es sind auch wichtige. Die meisten Frauen bleiben in den Zonen, um auf den Feldern zu arbeiten oder um Vieh zu züchten oder was auch immer", sage ich etwas mehr, als der Junge vermutet hat, denn er schaut mich überrascht an. Ich glaube, ich habe noch nie so lange am Stück geredet, aber der Junge scheint nicht wirklich zufrieden zu sein. Was mich nicht wundert.
„Aber wäre es nicht effizienter, wenn alle Frauen Kinder bekämen?", schüttle ich den Kopf.
„Nein, wer soll dann den Rest der Arbeit machen? Eine Frau kann ihre Kinder nicht mit zur Arbeit nehmen. Und das Kinderhaus ist nicht unendlich groß, um die vielen Jungs aufzunehmen, wenn noch mehr kommen. Das ist genau die richtige Balance."
Er nickt, aber er hat immer noch diesen unzufriedenen Ausdruck im Gesicht. Aber den kann ich ihm heute nicht nehmen. Er ist einfach zu neugierig. Ein anderer hätte ihn sicher darauf hingewiesen, aber damit hätte ich mich selbst verraten. Ich kann mich nicht darauf verlassen, dass die anderen Jungs meinetwegen lügen und behaupten würden, er sei ganz allein auf das Thema gekommen. Irgendwann wird er auffallen, und dann werden sie dafür sorgen, dass seine Fragen verstummen. Zugegeben, früher, als ich in dem Alter war, war das alles nicht so streng gewesen. Solche Fragen waren zwar nicht gern gesehen, aber niemand hätte einen Neunjährigen deswegen umgebracht. Aber seit die Verschwörer größer geworden waren, ist man vorsichtiger geworden. Man will nicht, dass diese Kreaturen in die Lage kamen, Schaden anzurichten. Vielleicht ist es nicht klug, ihn damit durchkommen zu lassen.
„Hat noch jemand eine Frage?", frage ich in den Raum. Ein Junge meldet sich.
„Glaubst du, dass das System ewig halten wird?", fragt er ängstlich. Ich kann nicht sagen, ob er Angst davor hat, dass es bestehen bleibt oder dass es zusammenbricht. Ich hoffe, er hat Angst vor letzterem.
„Ja, ich glaube daran. Solange wir bereit sind, alles zu tun, um es zu schützen. Es kann nur von innen zerstört werden. Deshalb müssen wir vorsichtig sein und verdächtige Personen melden. Niemand sollte einfach wegschauen, egal ob man die verdächtige Person kennt oder nicht. Lieber einmal zu viel melden als zu wenig", antworte ich ernst. Aber man würde es ihnen sowieso noch einmal sagen. Sicher hat es nicht geschadet, es etwas früher zu hören. Gerade bei einigen von ihnen bin ich mir sowieso unsicher, sie scheinen nicht alle unbedingt systemtreu zu sein. Vielleicht bin ich auch wieder zu paranoid. Schließlich sind es ja nur Kinder, was können die schon groß machen?
„Was machen die Rebellen? Das kriegen wir hier gar nicht mit. Niemand sagt uns etwas", klagt einer der Jungen. Ich sehe ihn nachdenklich an.
„Das sind Verschwörer, keine Rebellen. Die sehen nur ihren Vorteil. Nicht das große Ganze", sage ich abnehmend. Trotzdem will ich ihnen erzählen, was sie getan haben, das ist doch gut zu wissen. Die Jungs wissen schließlich nicht einmal, was Rebellen sind.
„Es gab schon immer Reb... Verschwörer unter uns. Die meisten Gruppen haben nie lange genug überlebt, um wirklich Schaden anzurichten. Aber seit einigen Monaten gibt es wieder eine größere Gruppe. Wir wissen, dass sie Anschläge planen, die wir natürlich verhindern werden. Aber sie scheinen schlauer zu sein als andere Gruppen zuvor. Sie rekrutieren immer mehr neue Mitglieder und verüben kleinere Anschläge, von denen wir nichts wussten. Nichts Schlimmes, ein paar Überfälle auf Medikamentenlager oder Lebensmitteldepots. Aber das lässt natürlich vermuten, dass sie Größeres vorhaben. Aber mein Rang ist noch nicht hoch genug, um Genaueres zu wissen", seufze ich selbstmitleidig.
Aber ich bin auch erst 19 Jahre alt, andere in meinem Alter haben noch keinen Silberrang. Es ist unrealistisch, dass ich in den nächsten fünf Jahren den Goldrang erreiche, es sei denn, ich erreiche etwas Großes, aber ich glaube nicht, dass ich diesen Kindern Dinge beibringe, die sie noch nicht wissen sollten. Jedenfalls istmein Plan, den Platinrang zu erreichen, bevor ich 35 bin. Natürlich gibt es auch Soldaten, die ihren schon früher bekommen haben, aber meistens haben sie wirklich einen enormen Beitrag geleistet. Es ist utopisch, dass ich in eine Situation komme, in der ich so etwas leisten kann. Vor allem wird mir meine Familiengeschichte immer im Weg stehen. Ich verdränge diese Gedanken, ich habe noch genug Zeit, meine Ziele zu erreichen. Jetzt geht es nur noch um meine heutige Aufgabe.
„Aber Silberrang ist schon krass", meint ein anderer Junge. Ich schüttle demonstrativ den Kopf.
„Besser als Bronze, aber Silberne gibt es viele. Der Platinrang ist etwas Besonderes, der Goldrang auch. Aber es gibt so viele Soldaten, für die meisten wird es aussichtslos sein, diese Ränge zu erreichen", sage ich. Über den Rubinrang spreche ich nicht, der ist für uns alle unerreichbar. Der Junge zuckt mit den Achseln.
„Wie willst du den Platinrang erreichen, wenn du kleinen Jungen von den Verbrechen der Verschwörer erzählst?", fragt er spöttisch. Ich schaue ihn finster an, obwohl ich das Gleiche gedacht habe. Heute schon mehrmals. Aber es ist ja nur für einen Tag, morgen bin ich wieder draußen und habe meinen normalen Alltag.
Wahrscheinlich wird mir das auch nicht viel bringen. Im Moment bin ich dazu eingeteilt, die Jungs aus den Zonen hierher zu bringen und sie im Kinderhaus abzuliefern. Das hat mir wahrscheinlich noch weniger gebracht als meine jetzige Aufgabe. Aber es werden wieder bessere Aufgaben auf mich warten. Ich bin sicher, dass ich früher oder später eine wichtige Aufgabe bekommen werde. Jedenfalls will ich mein Leben nicht mit so etwas verschwenden.
Schließlich ertönt ein lauter, hochfrequenter Ton, der das Ende der Stunde ankündigt. Sofort stürmen alle Jungen nach draußen. Auch ich kann es kaum erwarten, hier rauszukommen.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top