Kapitel 45
-Linea, 22. Januar, 54 nach Gründung-
„Komm", ruft mir Kian zu und stürmt los. Die Soldaten in ihren bronzefarbenen Uniformen sind nicht besonders gut getarnt, in der Ebene sowieso nicht. Da waren wir mit unserer braunen Kleidung besser dran. Von hinten springt Kian einen von ihnen an, beide fallen zu Boden. Er schlägt ihm mit der Waffe brutal gegen die Schläfe. Der Soldat schreit vor Schmerz auf, versucht aber weiter, sich zu befreien. Trotz der Verletzung, die nicht lange her ist, ist er ziemlich Ich kann nicht länger nutzlos herumstehen. Ich muss den anderen helfen. Schnell lade ich meine Waffe nach und schieße auf einen Soldaten, der auf Siena losgegangen ist. Ich treffe ihn nur in die Schulter, aber er schreit vor Schmerz auf. Die Kleidung hält nicht alles ab, aber wenigstens durchdringt ihn der Schuss nicht. Immerhin weiß ich dann, dass es mir auch zugute kommen könnte. Noch einmal löst sich ein Schuss aus meiner Waffe, aber dieser trifft ihn noch nicht einmal.
Als der Soldat sich umdreht, um zu sehen, wer auf ihn schießt, reißt Siena ihm die Beine weg, und er fällt zu Boden. Grinsend sieht sie ihm ins Gesicht, zieht ihre Waffe und drückt ab. Blut und festere Substanz spritzen heraus, treffen auch ihr Gesicht, laufen ihr über das Kinn und tränken die braune Kleidung an ihrem Körper. Doch das scheint sie nicht zu stören. Lässig wischt sie es mit einem Ärmel aus ihrem Gesicht und packt mich am Arm. Widerstandslos lasse ich mich ziehen.
Ich merke, wie es leiser wird. Kian liegt immer noch im Gras. Für einen kurzen Moment überkommt mich Panik, schließlich war er es, der uns durch das Lager führen wird. Zugegeben, es gibt auch andere Gründe für meine Panik. Er liegt reglos da, doch dann merke ich, dass er atmet. Seine Schulter blutet, offensichtlich hat er einen Schuss abbekommen, aber wenigstens ist er nur verletzt und nicht tot. Ich spüre dennoch die Tränen in meinen Augen aufsteigen, es ist viel zu kurz her seid seiner letzten Verletzung, ich kann es noch förmlich vor mir sehen. Für einen Moment schließe ich die Augen, dann wische ich mir mit dem Ärmel meine Augen trocken.
Hastig schiebt er den toten Soldaten von sich und steht mit Sienas Hilfe auf. Dankbar schaut er sie an. Sie nickt ihm nur zu und schaut sich um. Ich suche den Platz nach Rosalie ab. Obwohl ich auf das Schlimmste gefasst bin, wird mir übel, als ich ihren Körper sehe, der unnötig viele Löcher hat. Die Soldaten haben viel öfter getroffen, als ich ihnen zugetraut hätte. Die Schutzkleidung hält nicht alles ab. Es schaudert mich bei dem Gedanken, dass ich genauso hätte enden können. Ich hoffe nur, dass sie nicht lange leiden musste.
„Wir müssen los, wir haben nicht mehr viel Zeit", sagt Kian streng, aber in seiner Stimme schwingt Traurigkeit mit. Es tut ihm auch leid, aber er muss das Ziel im Auge behalten. Ich nicke und stehe auf, werfe der Toten einen letzten Blick zu und renne Kian hinterher. Er wird langsamer und dreht sich zu mir um. Aber ich bin schon so nah, dass er mich nicht belehren muss. Stattdessen nickt er mir zu und streicht im Gehen über meine Hand.
„Das hast du gut gemacht", sagt er so leise, als wolle er nicht, dass ich es höre. Ich lächle erleichtert, auch wenn ich meine, dass sein Atem vor Anstrengung rasselt. Mich überkommt Panik, immerhin hatte seine Lunge nicht lange Zeit zum heilen, doch er lächelt schnell, als würde er beweisen wollen, dass alles in Ordnung ist.
,,Du auch", sage ich nervös.
,,Hm, das ist nichts Neues für mich", meint er spöttisch und legt mir eine Hand auf den Rücken, um mich zum Weitergehen zu bewegen. Seine Berührung macht mich noch nervöser. Ich wehre mich gegen seine Hand und schaue ihn an. Schnell, als würde er sich verbrennen, zieht er seine Hand von mir weg und stammelt irgendeine Entschuldigung. Dann geht er weiter. Ich folge ihm, wenn auch kopfschüttelnd. Er benimmt sich wirklich seltsam.
,,Ich bin nicht giftig", rufe ich ihm zu und gehe mit erhobenem Kopf an ihm vorbei. Ich höre sein höhnisches Lachen.
,,Du musst dir schon einig werden."
,,Worüber?", frage ich verwirrt und drehe mich zu ihm um. Er sieht mich durchdringend an.
,,Ob ich dich anfassen soll oder nicht. Oder muss ich das erst mit Jaron besprechen?", fragt er genervt.
,,Kannst du Jaron nicht mal beiseite lassen?"
,,Aber du hast offensichtlich keine eigene Meinung oder passt dich ihm zumindest hundertprozentig an", ich sehe ihn verletzt an und will gerade etwas erwidern, als Siena an uns vorbeiläuft.
,,Könnt ihr euch bitte später streiten? Ich glaube, es gibt gerade Wichtigeres als eure Bettgeschichten", meint sie spöttisch. Fragend schaue ich sie an, doch sie läuft einfach weiter und ich zerbreche mir den Kopf darüber, was sie damit meint. Ich schaue zu Kian, doch auch er starrt nur geradeaus.
Aaron hat den Transporter schon vor dem Camp geparkt und wartet ungeduldig auf uns. Im fliegenden Wechsel übernimmt Kian wie gewohnt die Führung und rennt durch einen großen Gang. Ich habe nicht viel Zeit, mich umzusehen, aber ich bin überrascht. Das habe ich mir ganz anders vorgestellt. Hohe weiße Betonwände ragen über unsere Köpfe. Sie sind mindestens doppelt so hoch wie ich. Noch sind sie glatt, aber in der Ferne erkenne ich Vertiefungen. Darin sind Bücher und andere Dinge gestapelt. Ich bin so gespannt, was wir hier finden werden. Schließlich werden wir keine Zeit haben, genau zu schauen, was wir hier finden. Wir müssen einfach hoffen, dass das, was wir hier mitnehmen, wichtig ist.
„Jeder soll so viel wie möglich mitnehmen und in den Transporter legen. Aaron wird euch helfen", weist uns Kian an. Unnötig, schließlich hören wir den Plan nicht zum ersten Mal. Doch er selbst läuft weiter. Ich frage mich, was er vorhat. Unschlüssig sehe ich von ihm zu den anderen und wieder zurück. Was hatte er gesehen?
„Komm mit", ruft er mir genervt zu. Zögernd folge ich ihm.
„Wo willst du denn hin?", frage ich, schließlich bewegt er sich so zielstrebig, als wäre er diesen Weg schon hundertmal gegangen.
„Sie lagern immer ein paar wertvolle Sachen, vielleicht können wir ein paar davon tauschen, das könnte uns auch nützen", meint er. Das war zwar nicht der Plan, aber ich kann und will auch nicht einfach umkehren. Er hat Recht, es könnte nützlich sein.
„Gut", antworte ich nur, obwohl er keine Antwort erwartet hat. Er führt mich tief in den Bunker, vorbei an unzähligen Betonregalen. In den meisten stehen Bücher, Figuren, Bilder und andere Dinge aus vergangenen Zeiten. Alles gut erhalten. Wahrscheinlich hat man die zerstörten Sachen gar nicht erst aufbewahrt. Zu gerne hätte ich mir alles genauer angesehen, aber Kian scheint ein anderes Ziel zu haben. Er läuft so weit, dass ich schon befürchte, er habe sich verlaufen. Doch dann bleibt er vor einer massiven Tür stehen.
Schnell zückt er einen Ausweis, der offensichtlich nicht ihm gehört. Ich frage mich kurz, warum er das tut, aber eigentlich ist es offensichtlich. Man könnte herausfinden, welcher Soldat daran beteiligt war, und dann würde er nicht mehr lange leben. Wahrscheinlich hat er es einem der toten Soldaten abgenommen. Langsam öffnet sich die Tür und gibt den Blick auf einen kleinen Raum frei. Staunend blicke ich mich um. Als erstes fallen mir die goldverzierten Vasen ins Auge. Jede einzelne muss unglaublich wertvoll sein.
„Da hinten ist der Schmuck, das ist am einfachsten", er zeigt auf einige Vitrinen. Hastig nicke ich und laufe darauf zu, als plötzlich ein lauter Knall ertönt. Nicht von uns, sondern von weiter weg. Erschrocken zucke ich zusammen und halte mir vorsichtshalber die Hand vors Gesicht. Nicht, dass das sinnvoll wäre, eine Explosion oder ähnliches würde mich sowieso umbringen, aber es ist ein Reflex. Doch der Boden wackelt nur ein wenig, die Glasvitrinen vibrieren. Doch es stürzt nichts ein, kein Rauch liegt in der Luft, überhaupt nichts wirklich bedrohliches. Als ich mich in Sicherheit wähne, drehe ich mich zu Kian um, um ihn zu fragen, was los ist.
Doch statt einen dummen Spruch zu bringen ist er komplett still. Seine Augen sind weit aufgerissen und er ist zu Boden gesunken. Für einen kurzen Moment denke ich, dass es doch näher war, als ich dachte, aber außer seiner schon angeschlagenen Schulter hat er keine Verletzungen. Dennoch zittert er am ganzen Körper und sitzt einfach da, auf die Knie gesunken. Wie erstarrt. Besorgt knie ich mich zu ihm und vergewissere mich, dass er wirklich keine neuen Verletzungen hat, lege meine Hand an seine Wange und sehe ihm in die Augen, doch sie sind komplett leer, starren nur vor sich hin, ohne ein wirkliches Ziel zu haben.
„Kian?", frage ich vorsichtig und berühre seine unverletzte Schulter. Doch er reagiert nicht. Er muss unter Schock stehen. Und ich habe absolut keine Ahnung, wie ich ihm helfen kann. Jetzt packt auch mich die Panik.
So habe ich ihn natürlich noch nie gesehen, er muss etwas Schlimmes ahnen, sonst würde er sicher nicht so reagieren. Normalerweise ist er eher ein logisch denkender Mensch. Dieser Zustand passt überhaupt nicht zu ihm. Aber ich brauche ihn jetzt. Die Rebellen brauchen ihn jetzt. Wir haben keine Zeit für so etwas.
„Kian", rufe ich noch einmal energischer und stoße ihn unsanft an. Die Panik in mir will nach den anderen rufen, aber die Vernunft sagt mir, dass ich keine Ahnung habe, was da draußen los ist. Wenn die Angreifer noch nicht wissen, dass wir hier sind, dann spätestens jetzt. Und Kian wird uns nicht beschützen können. Er zittert immer noch. Mir fällt nichts anderes ein, als ihm so fest wie möglich gegen die Wange zu schlagen. Aber er zuckt nur leicht zusammen.
Als hätte der erste Knall eine Kettenreaktion ausgelöst, ertönen plötzlich drei weitere, einer lauter als der andere. Erst jetzt bewegt er sich wieder. Schweiß rinnt ihm über die Stirn und verschwindet in seiner Uniform. Doch der panische Ausdruck auf seinem Gesicht bleibt, verschlimmert sich mit jedem Knall.
„Alles in Ordnung", versuche ich ihn zu beruhigen. Ich fühle mich hilflos. Ich habe keine Ahnung, was plötzlich passiert ist. Ich lege eine Hand auf seine Wange und schaue ihm in die Augen, doch er scheint mich nicht einmal wahrzunehmen. „Kian, bitte, ich brauche dich. Du hast es mir versprochen", flehe ich, meine Stimme nicht mehr als ein Flüstern. Wir wären völlig schutzlos, wenn wir angegriffen würden. Er wegen seines Zustandes und ich, weil ich einfach zu schlecht war. Kurz flackert sein Blick, dann senkt er ihn.
,,Es ist alles gut", flüstert er, wobei es mehr wie eine Frage klingt. Erleichtert lächle ich und lasse die Fingerspitzen über seine Wange wandern.
,,Es ist alles gut", verspreche ich.
„Es tut mir leid", er verzieht das Gesicht und wirkt plötzlich verärgert. Doch schließlich löst er sich ganz aus seiner Schockstarre. Er schüttelt den Kopf, als wolle er den Rest seiner Panik loswerden.
„Was ist passiert?", frage ich vorsichtig, doch er schüttelt nur wieder den Kopf.
„Nichts, was soll denn los sein?", fragt er genervt und steht ungewohnt unbeholfen auf. Ich weiß, dass er mich wieder anlügt. Aber jetzt war keine Zeit, darüber zu diskutieren. Vielleicht später. Vorausgesetzt, wir kämen hier lebend raus.
Ich beobachte, wie er eine der Vitrinen zerschlägt, um an den Schmuck zu kommen. Seine Hände zittern noch immer. Er lässt eine feine Goldkette mit rotem Anhänger zu Boden fallen, macht aber keine Anstalten, sie aufzuheben. Also tue ich es. Zusammen mit ein paar anderen Schmuckstücken, eines schöner als das andere, lasse ich alles in meinen Taschen verschwinden. Es ist sicher ein Vermögen wert, mehr als wir jemals dafür bekommen können. Aber was zählt, ist, dass wir es gegen Dinge eintauschen können, die wir wirklich brauchen.
„Wir müssen zurück, die Verstärkung wird bald eintreffen", sagt er. Seine Stimme hat wieder den gewohnt bestimmenden, arroganten Klang. Alles wie immer, scheint es. Ich nicke und widerstehe dem Drang, ihm seine plötzliche Panik zu verübeln. Es war ihm bestimmt schon peinlich genug, da muss ich nicht auch noch nachtreten.
Als wir fast am Ausgang sind, sehe ich drei weitere Soldaten in einer Blutlache auf dem Boden liegen. Aaron ist einer von ihnen. Ich knie mich zu ihm hin. Sein Gesichtsausdruck ist erstaunlich friedlich, obwohl er gewusst haben muss, dass er sterben wird. Er muss zu Hilfe geeilt sein, um dann selbst erschossen zu werden. Wir hatten gedacht es überstanden zu haben. Doch da hatten wir uns wohl getäuscht.
Jetzt wird mir auch klar, was die Detonationen verursacht hatte. Die Betonwände müssen den Knall der Schüsse so verstärkt haben, dass es sich angehört hat, als wäre etwas explodiert. Ich merke, dass auch Kian begreift, was passiert ist. Er wirkt erleichtert, aber sein linkes Bein beginnt wieder zu zittern, stärker als je zuvor. Aus Angst, dass er stürzt, gehe ich an seine Seite, um ihn zu stützen. Doch da taucht wieder der alte Kian auf und verscheucht mich mit einem bösen Blick. Als ob ich ihm etwas antun wollte.
„Schon gut, es ist nur mein blödes Bein", faucht er und klingt dabei ziemlich genervt. Ich ziehe die Augenbrauen hoch und sehe ihn hoffentlich genauso böse an wie er mich.
„Kein Problem", fauche ich ebenfalls zurück und wende mich von ihm ab. Statt auf ihn zu hören, greife ich in eines der Regale und ziehe einen weiteren Stapel Bücher hervor. Schließlich kann ich nicht mit leeren Händen zu den anderen gehen.
Die Sonne steht noch hoch am Himmel, aber es kann kaum mehr als eine Stunde vergangen sein, seit wir Joshs Haus verlassen haben. Es kommt mir nur länger vor, weil so viel passiert ist.
„Da seid ihr ja endlich. Wo wart ihr?", begrüßt uns Siena wenig herzlich. Misstrauisch schaut sie erst mich, dann ihn an. Doch dieser schüttelt nur den Kopf.
„Schon gut, wir dachten, es kann nicht schaden, auch wertvolle Dinge mitgehen zu lassen", sagt er und zieht zur Demonstration einen wunderschönen, silbernes Schmuckstück an einer Kette hervor, welcher mit einem großen, durchsichtigen Stein verziert ist. Zuerst denke ich, dass es ein Anhänger ist, doch es ist eindeutig ein Ring. Der große Stein wird von mehreren, immer kleiner werdenden Steinen verziert und Strängen, welche aussehen als wäre sie feine Äste. Erstaunt sieht sie ihn an.
„Nicht schlecht", grinst sie und greift danach. Schnaubend schließt er die Finger um den Ring und entreißt ihr seine Hand, läuft dann nach vorne und öffnet die Tür auf der Fahrerseite.
„Solltest du wirklich fahren?", frage ich ihn schnell, ohne groß über meine Worte nachzudenken. Er verdreht die Augen, als er mich ansieht. Ich sehe ihm an, dass er mich am liebsten umbringen würde.
„Warum, was ist passiert?", fragt Meghan. Ich weiß, dass er mich innerlich verflucht.
„Ich... naja, ich meinte wegen seiner Schulter", antworte ich schnell, was eigentlich keine schlechte Ausrede ist. Aber ich senke den Blick, weil ich fürchte, dass sie mir die Lüge von den Augen ablesen können. Sie nickt verständnisvoll.
„Ja, vielleicht könnte Luke fahren", sie deutet auf den Mann mittleren Alters.
Er ist schon ergraut, aber sein Blick ist klar und das Grinsen, das er Kian zuwirft, jungenhaft.
„Ja, klar kann ich das", antwortet der Angesprochene. Doch Kian schüttelt den Kopf.
„Nein, das schaffe ich schon. Jetzt steig ein, sonst sind wir umzingelt, bevor wir überhaupt losfahren können", mahnt der Soldat und zieht die Tür geräuschvoll hinter sich zu. Meghan sieht mich an und zuckt mit den Schultern.
„Manche können es einfach nicht zugeben", schnaubt Siena und setzt sich schließlich in den Transporter. Wir anderen folgen ihr, schließlich hat er recht, wir können hier nicht einfach stehen bleiben und diskutieren.
Die anderen reden die ganze Fahrt über die Mission, ich bin froh, dass sie keine Antwort von mir erwarten. Denn meine Gedanken kreisen um ein anderes Erlebnis. Darüber kann ich mit den anderen nicht reden. Sie haben es nicht mitbekommen und es geht sie auch nichts an. Ich werde niemandem davon erzählen, das war Kians Sache. Ich war nur zufällig dabei. Aber ich frage mich, was dort passiert ist. Es war echt, das hätte er nie spielen können, er hätte keinen Grund dazu gehabt.
Es waren Schüsse gewesen, ganz sicher. Aber er hatte es schon vorher gehört und war nicht einmal zusammengezuckt. Ja, es war viel lauter, aber ich hätte nie gedacht, dass ihn das stört. Er hatte panische Angst gehabt, war eine Zeit lang völlig regungslos. Er hatte nicht einmal auf meine Stimme oder meinen Schlag reagiert. Ich frage mich, woher diese Panik kommt. Ich muss zugeben, dass ich auch Angst hatte, aber nie in diesem Ausmaß. Aber ich weiß nicht, wie er reagieren würde, wenn ich ihn darauf anspräche. Oder ob ich es überhaupt tun sollte. Vielleicht sollte ich es sein lassen. Andererseits lässt mich sein entsetzter Blick einfach nicht los und die Neugier wird wahrscheinlich sowieso überwiegen. Ich werde ihn also fragen, aber nicht einfach so. Ich musste auf den richtigen Moment warten. Und ich durfte ihn nicht verärgern. Das würde schwierig werden, schließlich war er fast immer verärgert.
Seufzend lehne ich mich an die Wand. Der ganze Transporter ist mit Büchern vollgestopft, wir können nicht mal die Beine ausstrecken. Und wir haben zwei Leute weniger an Bord.
„Wie ist das passiert, mit Aaron?", frage ich vorsichtig. Meghan seufzt.
„Die beiden sind plötzlich gekommen, ohne Verstärkung. Sie waren auf Patrouille. Sie haben uns überrascht. Wir hatten nicht damit gerechnet, hatten unsere Waffen wieder in den Transporter gelegt. Aaron hörte einen Schuss und kam uns zu Hilfe, sie haben ihn einfach erschossen", sagt sie bedauernd. Ich nicke. So ähnlich hatte ich es mir schon gedacht. Auch wenn sein friedlicher Gesichtsausdruck nicht dazu passt. Schrecklich, dass das schon wieder passiert ist. Wir waren so kurz vor dem Ziel. Wir hatten damit gerechnet, dass Rosalie es nicht schaffen würde. Aber wir hatten angenommen, dass die anderen alle nach Hause kommen würden.Ein paar Minuten später halten wir an. Die Heckklappe ist sowieso Schrott, also müssen wir wenigstens nicht warten, bis Kian uns die Tür öffnet.
„Meghan, bring uns zum Lager", fordert Kian sie schon auf, er verschwendet wirklich keine Sekunde. Die junge Frau nickt, schnappt sich einen kleinen Stapel Bücher und wartet darauf, dass wir es ihr gleichtun. Was wir natürlich auch tun.
„Es ist nicht weit", sagt sie zu Siena, die wenig begeistert wirkt. Sie nickt nur genervt. Wir sind alle fertig, auch wenn es nicht lange gedauert hat. Aber anstrengend war es trotzdem. Kurz überlege ich zu Kian zu gehen, doch sein Blick hält mich davon ab. Ich habe bestimmt keine Lust, von ihm angemotzt zu werden. Reden würde er sowieso nicht.
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