Kapitel 38
-Linea, 4. Dezember, 53 nach Gründung-
Ich habe es wirklich versucht, ich habe alles versucht, um zu helfen, aber ich habe es nicht geschafft. Eigentlich hatte ich schon zum zweiten Mal versagt und die Zeit verging wie im Flug. Gestresst warte ich, bis Jaron das Krankenzimmer verlässt. Sein Blick ist besorgt, aber als er mich warten sieht, huscht doch ein trauriges Lächeln über seine Lippen.
,,Du bist wieder da", stellt er fest und kommt zu mir. Ich nicke langsam und starre auf meine ineinander verschränkten Hände.
,,Ich muss kurz zu ihm", sage ich, ohne mir irgednwelche Ausreden zu überlegen, um ihn nicht weiter zu verletzen. Er ist nunmal verletzt und ich konnte es nicht ungeschehen machen. Ich konnte jetzt nur ehrlich sein. Jedenfalls in manchen Situationen.
,,Wie geht es dir?", fragt er. Ich zucke mit den Schultern und schaue an ihm vorbei, denn ich will nicht, dass er die Wahrheit in meinem Blick erkennt.
,,Gut."
Er schaut mich wenig überzeugt an, nickt aber schließlich. ,,Gut, das ist wirklich gut."
,,Jaron, ich... ich habe die Medikamente bekommen. Danke, dass du mir geholfen hast, den Plan auszuarbeiten. Das hätte sicher nicht jeder gemacht", sage ich schließlich leise und beiße mir auf die Lippe. Ich kann wirklich nicht lügen. Aber er beachtet mich sowieso kaum, sondern starrt auf seine Füße. Dann hebt er den Kopf und schaut mich überrascht an, als hätte er selbst nicht an den Plan geglaubt. Er lächelt und wendet sich dem Krankenzimmer zu, scheint zu überlegen, was er jetzt tun soll.
,,Es hat hingehauen? Der Plan hat funktioniert?", fragt er erleichtert.
,,Hm.", gebe ich lediglich als Antwort und lächle verkrampft. Er sieht mich mit einem durchdringenden Blcik an, zuckt dann aber mit den Schultern, als würde er überhaupt nicht genau wissen wollen, was mein Problem jetzt war.
,,Hast du herausgefunden, wie oft die Medikamente verabreicht werden?"
,,Drei Mal am Tag", sage ich schnell. Endlich schaut er mich wieder an und nickt langsam.
,,In Ordnung. Ich werde Benedikt Bescheid geben", sagt er und macht einen Schritt zur Seite, als wolle er den erfahreneren Arzt holen. Besorgt halte ich ihn an seiner Jacke fest und schüttle den Kopf.
Nein", rufe ich beinahe, räusper mich dann aber und fahre in ruhigerem Ton fort: ,,Nein, ich... halte es für das Beste, wenn so wenig Leute wie möglich davon erfahren."
,,Aber Benedikt?"
,,Nein.", sage ich kopfschüttelnd. Er zieht eine Augenbraue hoch.
,,Dann Eleonora?"
,,Nein, ich denke, dass wir das nicht tun sollten"
,,Du meinst also nur wir beide?", ein leichtes Lächeln breitet sich auf seinem Gesicht aus, als wäre es eine besondere Ehre. Ich nicke langsam.
,,Genau, es kann unser Geheimnis bleiben."
Er seufzt langsam und nickt schließlich ergeben. ,,In Ordnung, Linea. Wirst du mir dann wenigstens sagen, warum es so wichtig ist, dass es niemand erfährt?", fragt er unglücklich. Ich schüttle den Kopf.
,,Jaron, bitte... bitte lass es einfach gut sein", flüstere ich. Er starrt mich lange an und nickt schließlich.
,,Ich hoffe du weißt was du tust."
,,Nein", flüstere ich leise und greife in die tiefe Tasche meiner Jacke, um das Schraubglas mit den Tabletten herauszuholen. Er nimmt es wortlos, ohne mich auch nur anzusehen. Sein Kiefer ist angespannt, er scheint sichtlich damit beschäftigt zu sein, ob er das wirklich tun soll. Doch als er den Kopf senkt, weiß ich, dass er es tun wird. Das schlechte Gewissen überkommt mich, aber Kian zu verlieren wäre für uns alle katastrophal. Vielleicht rede ich mir das auch nur ein, um mein Handeln zu rechtfertigen. Ich weiß es nicht. Ohne ihn zu berühren, ohne ihn anzusehen, gehe ich an ihm vorbei ins Krankenzimmer. Es ist schwach beleuchtet. Schließlich braucht er kein Licht, wenn er ohnehin nicht wach ist.
Wie beim letzten Mal setze ich mich zu ihm und nehme seine Hand. Tränen stürzen auf mich ein, obwohl ich nicht vorhatte zu weinen. Eigentlich hatte ich den ganzen Tag nicht so geplant. Ich verberge mein Schluchzen, indem ich mein Gesicht in sein Kissen drücke. Warum nur? Es war unglaublich dumm gewesen. Andererseits vielleicht auch nicht anders möglich. Langsam hebe ich den Kopf. Mein Blick ist tränenverschleiert. Aber entschlossen wische ich mir die Tränen aus dem Gesicht und atme tief durch. Sein regloser Körper scheint in einer anderen Welt zu sein. Vielleicht doch nicht so dumm. Vielleicht die einzige Chance. Für einen kurzen Moment keimt in mir die Hoffnung auf, das Richtige getan zu haben, auch wenn ich innerlich weiß, dass es das Falsche war. Jetzt war es zu spät. Vielleicht hatte ich uns zum Scheitern verurteilt. Ich frage mich, was er wohl in meiner Situation getan hätte? Wahrscheinlich wäre er überhaupt nicht in so eine Situation geraten, weil er im Gegensatz zu mir die Allgemeinheit im Kopf hat und nicht eine einzelne Person. Es fällt mir schwer darüber nachzudenken, doch er hätte mich geopfert ohne mit der Wimper zu zucken. Einfach, weil er kein Idiot ist.
,,Ich wünschte, du würdest mir sagen, was ich jetzt tun soll, Kian", flüstere ich, auch wenn ich genau weiß, dass ich keine Antwort zu erwarten habe. ,,Es tut mir jedenfalls leid, was ich getan habe. Es tut mir leid, dass ich nicht schon früher da war. Vielleicht wäre es alles anders verlaufen. Es tut mir leid, dass du leiden musstest, ich...", ich stoppe abrupt, da mir die Worte fehlen. ,,Weißt du, wenn ich ehrlich bin mag ich dich noch nichtmal wirklich. Ich weiß nicht, warum ich das alles überhaupt getan habe. Aber ich weiß, dass du dich klüger verhalten hättest", seufze ich und drücke ihm einen Kuss auf die Stirn, welche förmlich glüht. Es läuft mir eiskalt den Rücken herunter, als ich mich erhebe und der Monitor anzeigt, dass sein Herzschlag für einen Moment aussetzt.
Warum zum Teufel hatte ich das getan?
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top