Kapitel 26
-Linea, 8. Oktober, 53 nach Gründung-
Das war wirklich das Dümmste, was ich seit langem getan hatte. Gleichzeitig das wahrscheinlich wichtigste. Ich bleibe in der Dunkelheit verborgen und starre ängstlich nach oben. Das Haus schien vollkommen unbewohnt zu sein, jedenfalls heute Nacht. Nur ein schwacher Lichtschein aus der zweiten Wohnung von unten zeigte, dass es nicht so war. Auch wenn die Person, für welche das Licht brannte hier nicht wohnt. Kian hatte nur einige Minuten gebraucht, um den Schichtplan abzurufen und einen Plan zu erstellen. Er tat das öfters aber das war so wie ich ihn einschätzte bisschen durchdachter und vor allem geplanter als das hier. Das hier war absolut dämlich. Trotzdem bekomme ich das dumme Grinsen nicht aus dem Gesicht. Ich blicke auf die Uhr, welche er mir gegeben hatte. Sieben Minuten nach Mitternacht, was bedeutete, dass er bereits 34 Minuten da oben war. Solangsam werde ich nervös, denn im Gegensatz zu ihm habe ich sowas noch nie getan. Natürlich nicht.
,,Kian verdammt", murmle ich erleichtert, als das Licht gelöscht wird. Nur noch zwei Wohnungen. Für jede restliche Etage hatte er etwa fünf Minuten gebraucht, was bedeutet, dass er gleich wieder hier unten war. Ich schließe für einen Moment die Augen, dann richte ich sie wieder auf die Umgebung, auch wenn ich nicht genau wusste, was das bringen sollte. Schließlich kann ich nicht einfach hereinspazieren und ihn warnen. Wenn es nach mir gegangen wäre, wäre ich mit ihm gegangen. Doch er hatte darauf bestanden, dass ich hier draußen blieb und im Notfall abhauen konnte. Als würde ich das ernsthaft in Betracht ziehen. Ich würde ihn nicht einfach alleine lassen, wenn er dabei war alles zu riskieren. Ungeduldig laufe ich auf und ab und zucke zusammen, als ich einen älteren Mann erblicke. Schnell verberge ich mich selbst wieder im Schatten, doch zu meiner Erleichterung läuft er einfach weiter. Genau in dem Moment, in dem der alte Mann außer Sichtweite ist tritt Kian aus der Tür hinaus. Kurz sieht er sich um, dann läuft er genau auf mich zu. Mir fällt ein riesiger Stein vom Herzen und hingegen jeder Vorsicht taumle ich auf ihn zu, um ihm um den Hals zu fallen. Er umschlingt mich, aber schiebt uns beide dabei in Sicherheit zurück.
,,Das war...unglaublich. Verdammt. Ich hatte Angst", flüstere ich. Ich spüre sein Lächeln an meinem Ohr, sehen kann ich es nicht. Zum einen, weil ich mich noch immer an ihn klammere und zum anderen, weil es stockdunkel hier im Hinterhof eines der anderen Gebäude war.
,,Ich hoffe das reicht für heute Nacht", meint Kian und zieht eine der Milchflaschen aus einem der beiden Rucksäcken heraus, welchen wir uns von Josh ausgeliehen haben.
,,Wie viel hast du?", frage ich gespannt. Er überlegt kurz, dann löst er sich aus unserer Umarmung.
,,Knapp 20 Liter", meint er nachdenklich. Auch ich denke darüber nach, doch jeder einzelne Liter den wir mehr hatten wäre mehr als gut.
,,Danke", sage ich überschwänglich. Er stellt die beiden Rucksäcke ab und setzt sich auf den Boden. Sein Atem geht flach, sicherlich war es auch für ihn nervenaufreibend gewesen. Immerhin begleitete ihn normalerweise Ethan und der war sicherlich hilfreicher als ich. Doch er hatte es geschafft. Langsam lasse ich mich neben ihn fallen. Er greift nach meiner Hand und hält sie einfach nur fest. Ich zögere, dann lehne ich meinen Kopf an seine Schulter. Auch wenn ich nichts getan hatte bekam auch ich vor Erschöpfung kaum Luft.
,,Bist du bereit?", fragt Kian.
,,Nein", flüstere ich. Er bewegt den Kopf um mich anzusehen, auch wenn er genauso wenig sehen wird wie ich es tue, doch ich spüre seinen Blick dennoch auf mir ruhen.
,,In Ordnung"
Wir verharren nur ein paar wenige Augenblicke hier draußen, bis wir endlich losgehen. Immerhin hatten wir nicht ewig Zeit und die Jungen genauso wenig. Natürlich nehmen wir nicht den direkten Weg, da wir nunmal mit 20 Litern gestohlener Milch herumliefen. Stattdessen nehmen wir sicherere Wege. Kian ist der geborene Verbrecher, denn er denkt an wirklich alles, was mir nichtmal im Traum einfallen würde. Scheinbar machen die Soldaten immer zur vollen Stunde Rundgänge, welche in jedem Bereich zwischen 10 und 15 Minuten andauern. Da diese Zeit gerade vorbei ist, bleiben sie im Schatten verborgen, wir können sie nicht sehen. Doch auch da weiß Kian wie wir vorgehen sollen. Beziehungsweise er kennt die Standorte der Soldaten. Ich bin dennoch froh, dass er sich nicht täuscht. So langsam wird mir der Rucksack zu schwer, auch wenn ich sicher bin, dass Kian mir weniger Flaschen reingepackt hatte, als sich selbst.
,,Lass uns da durch", meint Kian und zeigt auf einen Hauseingang. Verwirrt sehe ich ihn an, doch er zuckt nur mit den Schultern. ,,Da vorne an der Ecke steht ein Soldat, er wird uns sehen", flüstert er.
,,Und was bringt es uns, wenn wir in das Haus reinlaufen?", zische ich.
,,Ich zeig es dir", meint er grinsend und zieht mich mit, bevor ich protestieren kann. Glücklicherweise ist in dem riesigen Haus auch nur im oberen Stockwerk Licht zu sehen, die anderen Hausbewohner waren entweder nicht zuhause oder schliefen bereits. Was ich auch hätte tun sollen, denn Kian geht nicht, wie erwartet durch einen Hinterausgang raus. Es gibt hier nichtmal einen Hinterausgang. Nein, er ist der Meinung, dass es am sinnvollsten ist die Treppen zu nehmen. Der vorhandene Aufzug würde scheinbar mehr Aufmerksamkeit erregen, als zwei Fremde, die mit zwei ausgebeulten Rucksäcken, welche beim gehen klapperten, die Treppen hochschlichen.
Wir waren auch noch in einem Regierungsgebäude gelandet, was mir die Schilder vor den Treppenaufgängen bewusst gemacht haben. Erst in der obersten Etage legt er einen Finger auf seine Lippen, als Zeichen leise zu sein, dann sieht er sich um. Doch die Luft scheint rein zu sein. Dennoch zieht er sich sie Kapuze übers Gesicht und sieht mich abwartend an. Fragend sehe ich ihn an, doch er flucht leise auf.
,,Du hast keine?", fragt er und zeigt auf seine eigene Kapuze. Langsam schüttle ich den Kopf.
,,Nein, ich hatte nicht geplant gehabt heute Nacht irgendwo einzubrechen, Clark", sage ich gereizt. Er scheint nachzudenken, dann nickt er und ergreift wieder meine Hand.
,,Halt den Kopf gesenkt und halt dir die Hände vors Gesicht", weißt er mich an. Ich nicke langsam auch wenn mich das noch mehr verunsichert. Doch er hatte Recht, in Gebäuden wie diesen gab es meistens zusätzlich Überwachungskameras. Auf der Straße wäre das zu aufwendig und die Mittel reichten nicht dafür aus, doch in Gebäuden welche mit der Regierung zusammenhingen war es scheinbar notwendig. Er gibt mir ein kurzes Zeichen, dann sprinten wir gemeinsam zum nächsten Aufzug, welcher ein Stück versetzt, auf der gegenüberliegenden Seite angebracht ist. Kian hält zuerst vor dem Aufzug, dann auch im Aufzug einen Ausweis an ein Kartenlesegerät. Ich muss nicht hinsehen, um zu wissen, dass er sicherlich nicht so blöd ist den eigenen zu nutzen. Er legt seine Hände unter meine und seine Stirn an meine. Dann schiebt er meine eigenen Hände von seinen herunter. Kurz zucke ich zusammen, doch ich weiß, dass er sicherlich einen Grund dafür hat.
,,Du musst gleich mitspielen okay? Der Aufzug hält im nächsten Stockwerk", meint er. Die Angst packt mich.
,,Nein, ich...", doch der Aufzug hält bereits mit einem leichten ruckeln. Kian zieht mich an sich und presst mich mit seinem Körper gegen die Wand des Aufzugs. Am liebsten würde ich ihm für diese Frechheit eine reinhauen, doch seine Gründe sind relativ klar. Ich kann nicht in einem Aufzug stehen und mir die Hände vors Gesicht halten, während jemand zu uns einsteigt. Er verändert ein wenig seine Position, wahrscheinlich um mich besser verbergen zu können und ich presse ganz automatisch mein Gesicht in seine Brust.
,,Verzeihung, ich dachte ich kann der Kleinen hier die Stadt von oben zeigen", meint er und klingt dabei absolut widerlich, zudem verstellt er leicht die Stimme, ich glaube nicht dass es großartig auffällt aber mir tut es das. Gelächter ertönt von der Gegenseite.
,,Wir waren doch alle schonmal in dieser Lage.", lacht der Mann.
,, Wohl wahr",meint eine weitere Stimme.
,,Ist sie schüchtern oder einfach nur entstellt?"
Ich zucke leicht zusammen, was den beiden Männern wohl erneut den Anlass gibt zu lachen. ,,Nein, sie ist einfach nur schüchtern, sie macht das hier noch nicht so lange", meint Kian trocken, woraufhin ich ihm so in die Seite zwicke, dass die anderen es nicht merken dürften. Doch, dass Kian ebenfalls zusammenzuckt zeigt, dass es weh getan haben durfte, was mich zu einem zufriedenen Grinsen verleitet.
,,Na dann, seid nicht so laut, die Nachbarn schlafen.", tönt einer der beiden, als der Aufzug endlich wieder hält und sie beide aussteigen, was ich daran merke, dass Kian sich sichtlich entspannt.
,,Arschloch", zische ich.
,,Gern geschehen.", flüstert Kian, wieder so nah an meinem Ohr, dass sich mir sämtliches Haar aufstellt.
,,Warum haben wir nicht die Treppe genommen?"
,,Ganz nach oben fährt nur der Aufzug.", erklärt er und schiebt mich schließlich mit sich raus, als der Aufzug bereits im nächsten Stockwerk hält. Kühle Nachtluft umgibt uns wieder, doch ich traue mich nicht zu schauen, falls es hier auch Überwachungskameras gibt.
,,Du kannst, hier ist nichts", meint er. Zögernd nehme ich die Hände von meinem Gesicht und staune nicht schlecht, dass wir tatsächlich auf einer riesigen Dachterrasse stehen. Niemand ist hier, doch der Ausblick ist überwältigend. Tatsächlich, wie er gesagt hat, kann man von hier aus die Stadt von oben sehen, sogar die Mauern zu Zone zwei sind zu sehen. Von Zone zwei jedoch kann man nicht viel sehen. Enttäuscht wende ich den Blick ab und lasse ihn stattdessen über die Stadt wandern, bis er wieder auf Kian fällt. Er steht einfach nur da und schaut mich an. Ich lächle und trete auf ihn zu.
,,Ich kann es nicht glauben, dass wir das geschafft haben", gebe ich zu. Er verzieht die Lippen zu einem spöttischen grinsen.
,,Von geschafft haben würde ich nicht reden, immerhin müssen wir dorthin", meint er und zeigt auf das Dach ein paar Häuser weiter. Entgeistert sehe ich ihn an.
,,Sag mir, dass das ein dummer Witz ist", flehe ich ihn beinahe an. Pure Angst steigt in mir auf, meine Knie zittern leicht.
,,Ich mache nie Witze", meint er.
,,Das kann nicht dein verdammter Ernst sein, ich werde nicht über irgendwelche Hausdächer klettern"
,,Dann müssen wir warten, bis die Wachen verschwinden, das wird in etwa sechs Stunden soweit sein. Bis dahin wird das Gebäude hier aber voll sein."
,,Die Jungen brauchen die Milch aber"
,,Dann wirst du wohl oder übel klettern müssen"
,,Du bist echt nicht ganz richtig im Kopf", sage ich sauer und inspiziere die Dächer. Tatsächlich waren die meisten Häuser in der Stadt durch die Dächer miteinander verbunden, was mir nie so wirklich klar gewesen war bis heute. Ich kannte auch den Sinn nicht dahinter, aber es vereinfachte uns die Sache ziemlich, auch wenn die meisten Dächer nicht so flach waren wie dieses hier. Doch wer wäre auch so blöd über Dächer zu klettern? ,,In Ordnung, machen wir das eben", sage ich. Auch wenn ich zuvor in meinem Leben selten klettern musste sieht es nicht ganz so schwierig aus. Vielleicht will ich es mir auch einfach nur schön reden.
,,Komm, geb mir deinen Rucksack", meint er versöhnlicher. Ich schüttle den Kopf und sehe ihn wieder sauer an.
,,Ich kann das selbst machen"
,,Wenn du das sagst", sagt er spöttisch und lässt die Hand wieder sinken, mit welcher er nach meinem Rucksack greifen wollte.
,,Geh mir nicht auf die Nerven", knurre ich ihn an
,,Soll ich vor dir oder hinter dir gehen?"
,,Mach was du willst", sage ich schnippisch und steige über den niedrigen Zaun, welcher die Dachterrasse umzäunt. Panik erfasst mich, als ich bemerke, dass doch ein kleiner Spalt zwischen den beiden Dächern ist. Nicht breit, höchstens zehn Zentimeter, aber als ich nach unten schaue wird mir schwindelig. Ich spüre eine Hand an meiner Wange und am liebsten hätte ich ihn weggeschoben, aber ich bin zu sehr damit beschäftigt mich nicht zu übergeben.
,,Schon gut, schau nicht nach unten"
Ich kämpfe gegen die Übelkeit an, halte dabei die Augen geschlossen, dennoch lasse ich es mir nicht nehmen ihm zu sagen, was ich von seiner dummen Antwort halte: ,,Bist du immer so hilfreich?"
,,Schau mich an", fordert er mich auf.
,,Mir ist schon schlecht", er lacht leise und streichelt mit dem Daumen meine Wange. Langsam öffne ich die Augen und hebe den Kopf dabei, um nicht ausversehen nach unten zu sehen. Er sieht mir in die Augen und irgendwie ist es tatsächlich beruhigend. Die Übelkeit flacht langsam ab, doch die Panik ist noch immer allgegenwärtig.
,,Du schaffst das, ich verspreche es dir. Denk an die Jungen, denk daran, dass du vielleicht einem von ihnen das Leben retten kannst. Oder, dass sie wegen dir sich nicht vor Hunger in den Schlaf heulen müssen"
,,Hör auf gute Argumente zu haben", sage ich zickig, muss dabei aber lächeln.
,,Dafür lebe ich"
,,Bei dir ist es immer eine Mischung aus extrem viel Überheblichkeit und ein winziger Anteil von einigermaßen nettem Verhalten"
,,Versuchst du zu flirten oder mich fertig zu machen?"
,,Ich weiß nichtmal was du mit flirten meinst", sage ich ernst. Wieder lacht er, dann lässt er mich los und zeigt auf das andere Dach.
,,Komm jetzt, wir haben keine Zeit für sowas"
,,Vielleicht kannst du es ja auch alleine machen", sage ich nachdenklich, nachdem ich erneut einen Blick riskiert habe.
,,Könnte ich und dich lasse ich hier oben, bis dich morgen jemand findet und dich ins Gefängnis steckt. Glaub mir hier abzustürzen wäre die humanere Lösung"
,,Du hast gesagt es ist nicht gefährlich"
,,Das habe ich nie behauptet, ich habe nur gesagt, dass wir es tun müssen und das du das schaffst"
,,Wenn du von schaffen redest, dann erwarte ich, dass es nicht gefährlich ist"
,,Dann hast du eine andere Meinung dazu als ich und jetzt beweg dich endlich, sonst lasse ich dich wirklich hier oben"
Missmutig sehe ich ihn an, dann trete ich probeweise auf die Regenrinne des anderen Hausdaches, da es ansonsten nicht viele Möglichkeiten zum stehen gibt. Tatsächlich wirkt sie so stabil, dass ich auch mit dem erst meines Körpers rübergehe. Kurz schwanke ich, doch dann lehne ich mich nach vorne. Auch wenn ich mir sicher bin, dass das noch das einfachste war überkommt mich die Erleichterung. Kurz schließe ich die Augen, dann überlege ich, wie ich nach oben kommen soll, denn auf der Regenrinne werde ich trotz allem nicht um das Haus herumlaufen. Das Hausdach ich nicht glatt, Ziegel sind darauf platziert, doch an einigen Stellen fehlen sie. Mutig greife ich nach einem dieser Löcher und stelle fest, dass ich mich ganz gut daran festhalten kann, ich ziehe mich weiter nach oben. Erleichtert drehe ich mich zu Kian um, was sich als blöde Idee herausstellt. Ich bin doch ein kleines Stück weiter oben, als erwartet. Ich starre genau in die Tiefe und fange augenblicklich an zu zittern. Mein Mund fühlt sich trocken an, meine Hände hingegen feucht. Wie erstarrt bleibe ich stehen. Wie aus der Ferne höre ich Kian irgendetwas sagen, doch ich verstehe ihn beim besten Willen nicht. Erst als er auf meiner Höhe ist und mich an der Schulter berührt sehe ich ihn an.
,,Alles gut. Schau nach vorne", langsam schüttle ich den Kopf.
,,Ich kann nicht"
,,Du kannst", widerspricht er mir und sieht mich durchdringend an. Ich beiße mir auf die Lippe und sehe nach oben. Langsam schiebe ich mich weiter nach oben, doch ich finde keinen fehlenden Ziegel mehr. Bevor ich wieder in Panik geraten kann spüre ich eine Hand an meinem Bein. ,,Links oben ist eine Trittstelle. Ich schieb dich ein wenig und du ziehst dich hoch, sobald du daran kommst", noch bevor ich irgendetwas erwidern kann schiebt er mich ein ganzes Stück weiter. Erschrocken kreische ich auf, doch sein Plan geht tatsächlich auf. Ich ergreife den fehlenden Ziegel und schiebe mich weiter nach oben.
Von nun an bin ich schlauer, ich wage es keine Sekunde lang mehr nach unten zu schauen. Stattdessen konzentriere ich mich auf den Weg der vor mir liegt und tatsächlich geht es immer schneller. Erst als wir auf dem Dach ankommen, welches zweifellos zu dem des Kinderhauses gehört sehe ich Kian wieder an. Auch er wirkt erleichtert, dass wir es geschafft haben, auch wenn ich zuvor nie Zweifel von ihm gehört hatte. Doch anstatt mich weiter zu beschweren falle ich ihm um den Hals. Er zieht mich dicht an sich heran. Ich atme tief ein und aus, dann sehe ich Kian in die Augen. Mein Herz spielt kurzzeitig verrückt, als er die Hand hebt und mir mein Haar hinters Ohr schiebt. Seine andere Hand bleibt an meiner Hüfte liegen. Flüchtig küsse ich ihn auf die Wange, dann befreie ich mich aus seinem Griff, auch wenn er mich freiwillig loslässt. Als ich mich nach ein paar Metern, welche ich auf die Tür zugelaufen war, umdrehe steht er noch immer an derselben Stelle. Sein Blick ruht auf mir, in seinen Augen liegt Angst, wovor weiß ich nicht. Vielleicht, weil ab jetzt ich eine Berechtigung hatte hier zu sein und er nicht.
,,Komm schon, wir haben es gleich geschafft", sage ich und drücke die Türklinke. Doch sie ist abgeschlossen und ich habe sicherlich keinen Schlüssel dafür. Unglücklich drehe ich mich zu Kian um, welcher mittlerweile aus seiner Starre erwacht war und zu mir herantritt. Genau wie ich versucht er die Klinke zu drücken, was ihm einen genervten Blick meinerseits einbringt, er scheint es jedoch nicht zu bemerken. Stattdessen untersucht er das Schlüsselloch.
,,Hast du Draht oder sowas bei dir?"
,,Nein Kian, habe ich natürlich nicht, weil ich ein normaler Mensch bin."
,,Klettern normale Menschen immer auf Hausdächern herum?"
,,Scheinbar"
Er schüttelt den Kopf, doch ich sehe, dass er belustigt wirkt, auch wenn die Situation das im Ansatz nicht ist. Seufzend rüttelt er noch ein wenig an der Türe, dann geht er zum Rand des Hauses und sieht nach unten. Schon alleine der Gedanke daran lässt die Übelkeit zurückkommen. Ich muss mich davon abhalten ihn zurück zu ziehen, doch er ist nicht dumm, er befindet sich nicht in Gefahr. Jedenfalls im Moment nicht. Er legt seinen Rucksack ab und dreht sich zu mir um. ,,Warte kurz auf mich."
,,Was hast du vor?"
,,Springen", sagt er, als wäre es das normalste auf der Welt.
,,Spinnst du eigentlich?", frage ich aufgebracht und stemme die Hände in die Hüfte.
,,Wenn wir hier bleiben hätten wir auch erst gar nicht losgehen müssen"
,,Ich will nicht, dass du sämtliche Knochen auf irgendeinem Balkon zertrümmerst"
,,Sei nicht so dramatisch, bevor ich mir meine Knochen auf dem Balkon zertrümmere stürze ich eher in den Garten ab", meint er spöttisch. Ich schnaube wütend und gehe auf ihn zu, hebe meine Hand um endlich das zu tun, was ich schon länger hätte tun sollen. Doch er schnellt vor und ergreift meine Hand, drückt sie nach unten. ,,Ich bin mir bei allem sicher, was ich tue"
,,Das ist wirklich sehr beunruhigend zu hören, das bedeutet du machst solche Dinge absichtlich?"
,,Ja Linea, das mache ich scheinbar und jetzt verhalt dich endlich ruhig. Es wird nicht lange dauern.", meint er und tritt ein paar Schritte zurück. ,,Außer natürlich ich stürze ab, dann wirst du wohl oder übel warten müssen", er zwinkert mir zu, dann steigt er über den Zaun, noch bevor ich reagieren kann. Und mir bliebt nichts anderes übrig, als dazustehen und zu hoffen, dass ich gleich keine Knochen brechen höre.
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