||

Da mir nicht wirklich eine andere Wahl bleibt folge ich Henriksons Wegbeschreibung. Nach nur wenigen Minuten stehe ich vor einem alten Backsteinhaus, welches sich nur durch seinen Gestank und Lärm von den umstehenden Gebäuden abhebt.

Die metallenen Eingangstüren stehen halb offen. Laden Fremde nach innen ein, aber bieten den „Anwohnern" noch genügend Privatsphäre.

Ich kann nicht glauben, dass ich wirklich hier gelandet bin. Dass ich so schnell wieder so tief gesunken bin. Andererseits hätte mir das doch von Anfang an klar sein müssen, nicht wahr?

Wenn ich so darüber nachdenke, bin ich selber Schuld an dieser Situation. Ich hätte die wenigen Dollar, die ich bei meinem Knastjob in der Putzkolonie verdient habe, sparen sollen. Stattdessen habe ich mir lieber hin und wieder einen Schokoriegel gegönnt, Ohrenstöpsel und echtes Shampoo anstelle der Seifenstücke, die jeder Häftling kostenlos bekommt.

Aber wie schon immer habe ich auch hinter Gittern nicht an meine Zukunft gedacht, oder überhaupt überlegt. Ich hab getan was mir in dem Moment genützt hat. Was mir zu dem Zeitpunkt zu Gute kam. Dass das Geld wann anders nützlicher wäre, soweit habe ich nicht gedacht.

Ich ärgere mich über meine eigene Dummheit, aber vor allem darüber, dass sie mich an so einen Ort treibt. Nur widerwillig betrete ich die stickige Halle, in der wirres Treiben herrscht. Neben den unzähligen, heruntergekommenen Männern, – auf den ersten Blick kann ich nur wenig Frauen ausmachen – die auf ihren Pritschen sitzen oder liegen, wartet eine Reihe Penner vor langen Tischen auf ihr Abendessen.

Während ich beobachte wie die Schlange nur schleppend voran schreitet, da die Frau an der Essensausgabe mit jedem einzelnen eine Unterhaltung führen muss, werde ich etwas unsicher. Kann ich mir einfach einen Platz suchen oder muss ich mich irgendwo anmelden?

Scheinbar erkennt auch eine jugendlich aussehende Frau wie verloren ich da stehe, als sie mit einem Lächeln von Ohr zu Ohr auf mich zukommt.

Von ihrem überfreundlichen Gesichtsausdruck wandert mein Blick auf ihre Brüste. Nicht weil sie eine beachtliche Größe haben – okay vielleicht ist das einer der Gründe – sondern weil ein ebenso viel zu glücklicher Smiley das blaue T-Shirt prägt.

„Guten Tag, Sir. Ich bin Emmy und freiwillige Helferin bei den Smilers. Ein Lächeln für jeden! Kann ich Ihnen helfen?"

Seufzend sehe ich mich noch einmal um. Mir gefällt diese Situation ganz und gar nicht. Nicht nur, dass diese Emmy viel zu aufgedreht ist, aber auch dass ich um Hilfe bitten muss und man mir anscheinend auch noch ansieht, wie erbärmlich ich mich fühle. „Ich schätze schon", gebe ich seufzend als Antwort.

Worauf die Blondine nur wieder viel zu breit lächelt und mir versichert, dass sie eine gute Lösung für mich finden würden. Auf dem Weg durch die Halle erklärt sie mir, dass das nicht nur ein Dach auf vier Wänden sei. Hier gäbe es essen, psychologische Hilfe, Treffen für Abhängige, Kleidung und Unterstützung bei der Job und Wohnungssuche. Bei so viel Gemeinnützigkeit wird mir ganz schlecht.

Niemand kann mir erzählen, dass die all das freiwillig, aus reiner Nächstenliebe und ohne irgendwelche Profite machen. Mindestens wollen diese Leute doch ihr Gewissen reinigen oder einen Pluspunkt in ihren Lebensläufen. Kein Mensch macht sowas uneigennützig.

An einer kleinen Tischgruppe setzten wir uns. Emmy drückt mir ein paar Zettel in die Hand, die ich gut durch lesen und ausfüllen soll. Kurz überfliege ich den viel zu langen und kleingedruckten Text, ohne die Worte wirklich zu verstehen. Am Ende der Seite unterschreibe ich einfach. Das ist sowieso nur eine dieser Erklärungen, dass man niemanden verklagt sollte man bei lebendigen Leibe verbrennen oder sich die Pest holen. Die folgende Seite besteht aus lauter Fragen die zu beantworten sind.

Während Name, Geburtsdatum und letzte Wohnanschrift einfach sind, stocke ich bei der Frage nach Kontaktpersonen. Immer wieder setzte ich den Stift auf das Papier auf, bevor ich ihn kopfschüttelnd hochnehme.

„Sie können das auch noch nachträglich ausfüllen, oder mehrere Namen eintragen, wenn Sie sich nicht sicher sind." Leicht nicke ich, bevor ich fortfahre.

Für den Rest brauche ich nicht mehr lange und schiebe der jungen Frau den fast leeren Zettel hinüber. Die Fragen über Berufserfahrungen und Schulabschlüsse konnte ich überspringen, was mir einiges an Arbeit erspart hat.

Auch Talente und Hobbys habe ich ausgelassen. Zwar habe ich mal Football gespielt, und das nicht schlecht, allerdings glaube ich nicht, dass ich immer noch so gut bin wie damals.

Emmy sieht einmal kurz über meine Antworten drüber, bevor sie mir zu lächelt. „Super, das hätten wir dann auch schon mal. Wie gesagt, Sie können immer wieder etwas nachtragen. Aber lassen Sie mich Sie erstmal rumführen."

Stumm folge ich der Blondine durch das überschaubare Gebäude. Neben der großen Halle, gibt es lediglich noch zwei Gemeinschaftsbäder, einen Gruppenraum, einen Vorratsraum - da könnte ich mich wohl auch gleich einkleiden lassen – und einen kleinen Büroraum, mit einem Computer für Bewerbungen und so.

„Also Mister Styles" „Harry", unterbreche ich sie. Mit einem Nicken fährt sie fort: „Also Harry, da drüben ist deine Pritsche. Ich bringe dir gleich noch eine Decke und ein Kissen. Wenn du irgendetwas brauchst oder Fragen hast, kannst du gerne zu mir oder einem meiner Kollegen kommen."

Meinen Rucksack schmeiße ich auf die schlammgrüne Pritsche, um mich im nächsten Moment neben ihn fallen zu lassen.

Ein paar Minuten später bringt Emmy mir wie versprochen das Bettzeug und eine Flasche Wasser. Bevor sie mich für den Abend allein lässt, rät sie mir auf meine Wertsachen acht zu geben.

Ich beobachte noch wie sie davon geht und neige anerkennend meinen Kopf. Arsch und Titten hat sie, das muss man ihr lassen. Zwar ist ihr Bauch nicht so flach wie der von diesen Magermodels, aber wer will schon nur Haut und Knochen? Ich will etwas zum anfassen und angucken. 

Schade eigentlich, dass sie nie ihren hübschen Mund halten kann.

Schnell schüttel ich meinen Kopf. Nur weil ich jetzt nach fünf Jahren das erste Mal wieder eine recht attraktive Frau in meiner Umgebung habe, brauche ich nicht Not geil werden. Außerdem ist sie wahrscheinlich grade erst volljährig, wenn überhaupt.

Aus meinem Rucksack suche ich mir mein Portmonee und das alte Handy, dessen Akku sowieso leer ist, und stecke mir beides in die Hosentaschen, wobei mir auffällt, dass ich schlecht in Jeans schlafen kann. Aber nur in Unterhose möchte ich hier natürlich auch nicht rum rennen. Also sammle ich all meine verbliebene Motivation um die Halle zu durchqueren und in diesen Vorratsraum zu gelangen. Als ich die Tür öffne, erwartet mich bereits ein weiterer übereifriger Helfer in Mitten von Kleidung, Nahrungsmitteln und kleineren Gegenständen.

Bevor er es schaffen kann in einen Redeschwall auszubrechen, lege ich ihm mein Anliegen dar. Scheinbar scheint Bryan, so steht es jedenfalls auf seinem T-Shirt, zu verstehen, dass ich keine Lust auf endlose Gespräche habe. Mit einer knappen Antwort, dass sie sicher etwas da hätten, dreht er sich zu einem Regal um und wühlt dort ein wenig durch den Kleiderstapel, bis er eine graue Jogginghose herauszieht.

„Probier mal an."

Schnell streife ich die unbequeme Jeans von meinen Beinen und wechsle in den weichen Stoff der, zum Glück passenden, Hose. Dankend hebe ich meine Kleidung auf und wende mich zur Tür, als mir noch etwas einfällt. „Wie viele Sachen kriegt man hier also? Also, wenn ich jetzt schon die Jogginghose hab, bekomme ich dann noch-"

„Keine Sorge, wenn du was brauchst, wirst du es kriegen."

Ohne weitere Höflichkeiten begebe ich mich zurück zu meiner Pritsche, wo ich meine Wertsachen schnell wieder in der Jogginghose verstaue und alles andere unter dem provisorischen Bett.

Leider ist an Schlaf nicht zu denken, auch wenn ich nichts lieber tun würde. Die Geräuschkulisse ist einfach zu erdrückend und zudem kommt es, dass es durch die vielen Lampen, nie dunkel hier drin zu werden scheint. Frustriert stöhne ich auf und starre an die Decke.

„Die ersten Nächte sind immer die schwersten." Stirnrunzelnd drehe ich meinen Kopf in Richtung der Stimme, vermeide jede unnötige Bewegung. Ein Mann, er ist sicher über 60, mit verfilztem Bart und Haaren, die bereits alle ergraut sind, mustert mich.

„Kannst mich Morri nennen, Jungchen."

Verstehend nicke ich, bevor ich mich ihm gegenüber auf die Kante meiner Pritsche setze. „Wir teilen uns also dieses luxuriöse Doppelzimmer?" Kurz schmunzel ich über meine eigene Ironie. Der alte Mann erwidert dies. „Anscheinend schon."

Ein paar unangenehme Momente ist es ruhig, bis mein Gegenüber wieder die Stille bricht. „Und mit wem habe ich es hier zu tun?" Seine Augen scheinen jeden Zentimeter meines Gesichtes zu scannen.

„Harry." Unbehagen öffne ich meinen Zopf, um mir durch die Haare fahren zu können. „Und was schlägt dich hier her?"

„Du bist aber ganz schön neugierig", murrend ziehe ich an dem albernen, pinken Haargummi. „Ich wurde heute entlassen. Zwar nur auf Bewährung, aber frei ist frei, nicht wahr? Und naja, dieses Sternehotel hat einfach meinen Namen geschrien." Ein Lächeln, das meine Augen nicht erreicht, setzt sich auf mein Gesicht.

Überrascht sehe ich von meinem Handgelenk auf, als sich die Pritsche neben mir senkt und Morri sich dort niederlässt. „Jungchen, du solltest glücklicher sein und nicht so ein Trübsal blasen. Also was ist los?"

Schulterzuckend sehe ich den bärtigen Mann an. „Was bringt mir ein Neuanfang, wenn ich keine Chance habe, etwas daraus zu machen?"

Ein Schlag auf meine Schulter, der mehr weh tut als erwartet, lässt mich kurz zusammen zucken. „Ey", beschwere ich mich verwirrt und reibe die schmerzende Stelle.

„Dir stehen alle Türen offen, wenn du den richtigen Schlüssel hast. Und hast du keinen Schlüssel, dann tritt sie ein."

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top