Das Innere des Katamarans ist einladend und gemütlich gestaltet. Über dem Deck spannt sich ein weißes Segel, das den gesamten Bereich in weiches, warmes Licht taucht. Polierte Holzböden erstrecken sich unter unseren Füßen, und an den Seiten sind bequeme Sitzgelegenheiten mit blauen Polstern angeordnet. An den Relings hängen vereinzelt bunte Handtücher der Gäste zum Trocknen in der Sonne, die im sanften Wind flattern.
In der Mitte des Decks steht ein langer Tisch, auf dem ein beeindruckendes Buffet mit einer Vielzahl von Tapas aufgebaut ist. Die Auswahl ist überwältigend: Es gibt in Knoblauchöl gebratene Garnelen, die in kleinen Tonschälchen dampfen. Direkt daneben liegen goldbraune Patatas Bravas, garniert mit einer pikanten Tomatensoße und Aioli. Auf einem anderen Teller türmen sich frisch aufgeschnittene, rote Tomaten, die mit cremigem Mozzarella und frischen Basilikumblättern serviert werden.
Weiter hinten entdecke ich noch kleine, grüne Pimientos de Padrón, die leicht gesalzen und in Olivenöl geschwenkt wurden. Für die Fleischliebhaber gibt es Chorizo, deren würziger Duft in die Luft steigt, und hauchdünn geschnittenen Serrano-Schinken, der fast durchsichtig auf den Platten liegt. Die Brotkörbe sind gefüllt mit Baguettescheiben und knusprigem Brot, das man in aromatisches Olivenöl, oder cremige Dips tauchen kann. Verschiedene Käsesorten, von mildem Manchego bis zu einem würzigen Blauschimmelkäse, runden das Angebot ab.
Wir bedienen uns, füllen nach Herzenslust unsere Teller und quetschen uns zu siebt an einen der Tische, die eigentlich nur für sechs Personen gedacht sind. Es ist ein wenig eng, aber wir schaffen es, uns irgendwie zu arrangieren.
Die Stimmung in unserer Gruppe ist noch immer ein wenig gedämpft wegen des Vorfalls zuvor, ein leichtes Schweigen liegt in der Luft. Doch als wir anfangen, die verschiedenen Tapas zu probieren, taut die Atmosphäre langsam auf.
Asya reicht eine Schale mit grünen Oliven herum. Sean greift nach ihr und bietet sie Kayla an, ohne sich selbst zu bedienen. Sie lächelt und nimmt eine, bevor sie die Schale an mich weitergibt.
"Kennt ihr eigentlich die Oliventheorie?", fragt Pepe.
Ich runzle die Stirn und frage: "Die Oliventheorie? Was ist das?"
Pepe lehnt sich zurück, offenbar bereit, uns aufzuklären. "Die Oliventheorie besagt, dass ein Paar besonders gut zusammenpasst, wenn einer von beiden Oliven mag und der andere nicht."
"Und wie ist das bei euch? Asya liebt doch Oliven", antworte ich. "Ich hasse sie", grinst er.
Kayla legt den Kopf schief. "Jetzt wo du es sagst.. Das ist bei uns auch so. Ich liebe sie, und Sean hasst sie."
Ich nehme demonstrativ gleich drei der kleinen, grünen Steinfrüchte aus dem Tonschälchen und lege sie auf meinen Teller. "Ich liebe sie auch."
"Und du, Vito?", grinst Asya und schiebt die Schale zu ihm. Er schüttelt den Kopf und schiebt sie weiter zu Nino. "Es gibt nicht viel, was ich nicht esse, aber Oliven stehen ganz oben auf dieser Liste."
Kayla kichert. "Oh, ein Zeichen! Ihr ergänzt euch also perfekt."
Pepe lacht. "Genau," fügt Sean mit einem Augenzwinkern hinzu. "Ich wusste doch, ihr beide würdet gut zusammen passen. Jetzt ist es auch Oliventheorie-geprüft."
Vito rollt mit den Augen, aber ich sehe das leise Schmunzeln, das sich in seinen Mundwinkeln versteckt.
Nino, der bisher schweigend zugehört hat, lehnt sich plötzlich vor und sieht sich auffällig in der Runde um. "Alles klar, Leute," sagt er mit einem breiten Grinsen. "Dann haltet mal die Augen offen. Welche Dame hier isst Oliven? Vielleicht ist das meine zukünftige Frau Di Fiore."
Alle brechen in Gelächter aus, und Asya deutet auf die Schale vor dem blonden Schönling. "Na, dann musst du wohl damit anfangen, diese Theorie zu testen, Nino."
Er nimmt die Schale in die Hand, schaut hinein und grinst spitzbübisch. Dann schaut er zum Nachbartisch, an dem vier junge Frauen sitzen. Er erhebt sich und geht an ihren Tisch. Lasziv stellt er die kleine braune Schüssel in die Mitte und fragt auf Englisch: "Hi Ladies, would one of you like some olives?"
Die vier lachen ihn verzückt an, in ihren Augen stehen Herzchen. Nino ist einer dieser Männer, bei denen es vermutlich egal ist, wie sie eine Frau ansprechen. Er sieht aus wie ein Model, ist charismatisch, charmant und offen. Ihm liegen die Frauen reihenweise zu Füßen, das habe ich schon oft genug erlebt.
Zwei von ihnen, eine Brünette mit stylischen Bob und eine Asiatin mit seidigglatten, schwarzen Haaren und einer zierlichen Statur, greifen zu.
Er zeigt mit dem Finger auf die beiden. "Do you two know the olive-theory? It says that couples, where one person loves olives and the other hates them, are a good couple. I hate olives. Seems like one of you could be my perfect match."
Die vier Frauen lachen auf. Die Schwarzhaarige mit dem weißen Bikini zwinkert ihm zu. "Seems like we should find that out." Dann ergreift die Blondine der Gruppe das Wort: "Maybe you would like to hang out together?"
"Sounds like a plan", erwidert Nino zufrieden grinsend. "I'll meet you after Dinner."
Die Asiatin schenkt ihm einen verführerischen Augenaufschlag. "I'm looking forward to it."
Zwei Stunden später, als die abendliche Katamaran-Party bereits im vollen Gange ist, ist das Kennenlernen von Nino und Yuki, wie wir zwischenzeitlich erfahren haben, auf die physische Ebene übergegangen. Eng umschlungen sitzen die beiden in einer abgeschotteten Ecke des Bootes und testen leidenschaftlich, ob sie zumindest kusstechnisch ein Perfect Match sind.
"Hach, muss Liebe schön sein", seufze ich mit Blick auf die beiden.
Die Sonne senkt sich immer tiefer über dem Horizont, taucht den Himmel in dunkle Rottöne und spiegelt sich im glitzernden Wasser rund um den Katamaran. Lichterketten hängen entlang der Reling und werfen bei einsetzender Dämmerung ein sanftes, goldenes Licht auf die tanzenden Gäste. Aus den Lautsprechern dröhnt spanische Elektromusik, die die fröhliche Stimmung anheizt, während die Gäste sich ausgelassen bewegen, lachen und trinken.
Vito blinzelt mich frech an. "Wenn du mich unbedingt küssen willst, sag es doch einfach, Yuna. Ich tue dir den Gefallen."
Meine blauen Augen funkeln verschmitzt. "Dieses schwere Opfer musst du nicht auf dich nehmen, Vito. Ich will nicht, dass du meinetwegen leidest."
"Ich würde es machen, wenn du dann glücklich bist", bietet er grinsend an.
"Natürlich wie immer völlig selbstlos."
Er zuckt mit den Schultern. "Nur für dich."
Ich lege den Kopf schief und sehe ihn auffordernd an. Er sitzt neben mir auf einer der Bänke, nur eine Handlänge trennt uns voneinander.
Die Spannung zwischen uns ist fast greifbar, als wir uns in die Augen schauen. Ein freches Lächeln spielt auf Vitos Lippen, doch hinter seinen Augen sehe ich etwas Tieferes, Intensiveres.
Ich spüre die Hitze zwischen uns, wie eine unsichtbare Linie, die unsere Körper miteinander verbindet, und wage es, ihn enthemmt vom Alkohol herauszufordern. "Was würdest du eigentlich tun, wenn ich jetzt ja sagen würde, du Schwätzer?", frage ich mit einem liebevoll neckenden Tonfall.
Vitos Augen verengen sich leicht, sein Blick gleitet kurz zu meinen Lippen und dann zurück in meine Augen. „Ich würde dich küssen“, antwortet er trocken, und ich spüre die Ernsthaftigkeit in seinen Worten. Es knistert spürbar, meine Atmung verlangsamt sich, während plötzlich Schmetterlinge in meinem Bauch mit ihren Flügeln schlagen.
Als die Spannung beinahe nicht mehr auszuhalten ist, und ich kurz davor bin, ihn einfach zu küssen, stürzt Pepe von der Seite herbei, grinsend und ahnungslos, und ruiniert den Moment. "Was macht ihr hier alleine? Kommt mal mit Tanzen", fordert er laut, seine Stimme verwaschen vom Alkohol, und die Magie des Augenblicks zerbricht wie Glas in Abermillionen kleine Splitter.
'Verdammt, Pepe!' ist mein erster Gedanke.
'Gerade nochmal Glück gehabt' der zweite.
Zum Glück haben wir uns nicht aus einer Bierlaune heraus geküsst, das hätte nur zu Chaos geführt.
Wir sind beide sentimental von den ganzen Erinnerungen, die sorgfältig verdrängt waren, und nun plötzlich eine nach der anderen wieder ans Tageslicht befördert werden. Vor fünf Tagen am Flughafen wäre ich am liebsten nicht mal mit in den Urlaub geflogen, weil Vito aus dem Nichts vor mir stand, dann haben wir uns tagelang die Hölle heiß gemacht, und jetzt will ich ihn küssen?
Ich schlage mir den Gedanken aus dem Kopf. Melancholie und Alkohol sind eine toxische Kombination.
Vito und ich haben uns in zwei Jahren genug verletzt, als dass wir ein Revival bräuchten. Die Menge an Verletzungen, die wir in diese kurze Zeitspanne gequetscht haben, reicht für ein ganzes Leben. Das bedarf keiner Wiederholung.
Vielleicht ist es wieder nur die Angst, die aus mir spricht, oder die dicke Schutzmauer, die ich hochfahre.
Ein nicht unerheblicher Teil von mir spricht auch von Hoffnung, von all den Jahren die vergangen sind, von der charakterlichen Entwicklung. Doch dieser Teil ist leise und zaghaft, der andere hingegen so laut, dass er ihn verstummen lässt.
Mit weichen Knien stehe ich auf. "Ich komme mit", antworte ich dem gutaussehenden Dunkelhaarigen. Vito lässt sich ebenfalls von ihm erweichen und folgt auf die Tanzfläche.
Die Musik dröhnt durch die Lautsprecher, und die Nacht umhüllt uns mit ihrer warmen, salzigen Luft. Die Lichter des Katamarans tanzen auf der Wasseroberfläche, während sich die Tanzfläche füllt.
Vito bleibt nie lange von meiner Seite weg, immer wieder zieht er mich zu sich, unsere Körper wie von selbst im Einklang. Wir tanzen eng umschlungen und es knistert spürbar zwischen uns. Doch keiner von uns macht den nächsten Schritt. Vielleicht traut sich auch einfach keiner, die schöne Zeit zu gefährden. Man soll sein Glück nicht überstrapazieren.
Die Nacht vergeht, die Stunden fliegen dahin. Es ist fast wie ein Traum, aus dem wir nicht erwachen wollen. Zu schön, um wahr zu sein. Erst als die ersten Strahlen der aufgehenden Morgensonne den Horizont erhellen, lassen wir langsam voneinander ab. Lachend und leicht beschwipst torkeln wir schließlich von Bord und rufen uns ein Taxi, das uns zurück zur Finca bringt.
Lachend und albernd stolpern Vito und ich die Treppen in die erste Etage hinauf. Meine Hand ruht auf seiner Schulter, während er mich leicht stützt. Sein Arm liegt fest um meine Taille, und es fühlt sich an, als wäre das die natürlichste Sache der Welt. Unsere Körper berühren sich immer wieder, jedes Mal ein kleines elektrisches Kribbeln auslösend.
"Danke nochmal, dass du mich gerettet hast", sage ich und werde plötzlich ernst, als wir meine Zimmertür erreichen. Ich werde ihm das nie vergessen. Ich dachte wirklich, ich ertrinke.
Vito grinst und zieht mich näher an sich, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt. "Und du willst mir immer erklären, dass du mich nicht brauchst", erwidert er frech, ein schelmisches Funkeln in seinen Augen.
"Für heute lasse ich dich in dem Glauben, mein Held", entgegne ich neckend, meine Stimme nuschelnd vom Alkohol. Die Spannung zwischen uns ist wieder da, dicht und knisternd. Sein Blick ruht auf meinen Lippen, und für einen Moment glaube ich, dass er mich jetzt küssen wird, nachdem es sich schon die ganze Nacht lang angebahnt hat.
Stattdessen zieht er mich plötzlich ganz nah an sich, seine Hände fest auf meinen Hüften. Sein Gesicht ist so nah, dass ich seinen Atem auf meiner Haut spüre. "Gute Nacht, Yuna", raunt er leise, sein Atem streift mein Ohr.
Dann drückt er mir einen weichen Kuss auf die Wange, seine Lippen verweilen einen Herzschlag länger als nötig. Ich kann die Wärme seines Körpers spüren, und mein Herz rast.
Vito löst sich sanft von mir, grinst mich noch einmal verschmitzt an und verschwindet dann in sein Zimmer. Zurück bleibt ein Gefühl von Leere und das unaufhörliche Kribbeln auf meiner Haut, genau dort, wo seine Lippen mich berührt haben.
Mit weichen Knien stehe ich noch einen Moment da, bevor ich seufzend in mein eigenes Zimmer gehe. Es fühlt sich an, als würde der ganze Abend, die ganze Nacht, in meinen Gedanken weiterflimmern. Das Knistern zwischen uns ist noch immer präsent, wie eine unsichtbare Verbindung, die sich nicht so leicht lösen lässt.
Als ich es endlich schaffe, mich zu lösen, falle ich erschöpft ins Bett und schlafe fast augenblicklich ein, noch immer in den Erinnerungen dieser magischen Nacht gefangen.
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