DAY 5 /3
Ohne zu zögern, schwimmt Vito zu mir. Seine Bewegungen sind ruhig und entspannt, bei seinem muskulösen Körper wirkt jede Bewegung einfach, als würde ihn nichts anstrengen. "Klar, ich bin bei dir." Seine Stimme ist so sanft, so beruhigend, dass ich Mut schöpfe.
Ich atme tief ein und lasse mich vorsichtig von dem Felsvorsprung ins Wasser gleiten. Aber kaum spüre ich das kalte Wasser und merke, dass ich keinen festen Boden mehr unter den Füßen habe, überkommt mich die Panik. Instinktiv klammere ich mich an Vito, meine Finger graben sich in seine Schultern, und mein Herz schlägt wie verrückt.
Er reagiert sofort, zieht mich näher zu sich und umarmt mich fest. Ich fühle seine starken Arme um mich, die mich sicher halten, und seine Hand, die sanft über meinen Rücken streicht. "Alles ist gut. Ich hab dich. Du bist sicher", flüstert er mir beruhigend ins Ohr.
Es dauert einen Moment, doch ich schaffe es tatsächlich, mich wieder zu beruhigen.
Ich spüre, wie die Angst nachlässt, und wage es, meine Beine auszustrecken, bis meine Füße endlich wieder den festen Grund spüren. Erleichtert atme ich aus.
"Du machst das richtig gut", lobt mich Vito, während er mich ein wenig loslässt. Er hält meine Hände in seinen, unsere Finger fest ineinander verschlungen. Ein zaghaftes Lächeln breitet sich auf meinem Gesicht aus. Ich stehe tatsächlich im Wasser, das mich vorhin noch eingeschüchtert hat.
Ein See wie dieser ist nicht mein Endgegner, aber mich ihm zu stellen ist ein Fortschritt.
"Unglaublich", murmele ich, selbst überrascht von meinem neugewonnenen Mut, und sehe zu ihm auf. Mir wird plötzlich bewusst, wie nah wir uns sind, mein nasser Körper an seinen geschmiegt. Mein Herz schlägt schneller, aber diesmal ist es nicht aus Angst.
"Oh ja", antwortet Vito leise und blickt mir tief in die Augen. "Stark von dir, dich zu überwinden. Ich bin stolz auf dich."
Ein warmes Gefühl durchströmt meinen Körper. Ich erwidere seinen Blick und fühle mich für einen Moment unbesiegbar. In diesem Augenblick gibt es nur uns beide und das klare, ruhige Wasser, das uns umgibt. Alles andere tritt in den Hintergrund.
Je länger ich hier verweile, desto sicherer fühle ich mich. Ich traue mich zwar nicht tiefer rein, und entspannt durch den See zu schwimmen erscheint mir weiterhin unmöglich, aber am Rand klappt es erstaunlich gut.
"Das ist aber nicht das Meer", erinnere ich ihn ernst. "Ich weiß, aber du hast den ersten Schritt gemacht und kannst stolz auf dich sein. Spiele das jetzt nicht herunter. Das hat dich eine Menge Überwindung gekostet."
Ich kann nicht anders, als ihn dankbar anzustrahlen. Meine blauen Augen funkeln und meine Wangen röten sich vor Aufregung.
Als unsere Gruppe von ihrer Wanderung zurückkommt, berichten sie begeistert von dem beeindruckenden Blick über den Wasserfall und beteuern, dass wir richtig was verpasst haben. Ich werfe Vito einen schuldbewussten Seitenblick zu. "Ich fand das auch sehr beeindruckend, was ich gesehen habe", entgegnet er lässig und zwinkert mir zu. Dann lässt er mir den Vortritt, aus dem Wasser zu steigen und folgt mir.
"Ach so, wisst ihr, was Alvaro uns auf dem Weg erzählt hat?", fragt Kayla. Es ist eine rhetorische Frage, und so antwortet keiner von uns. Ihre dunkelbraunen Augen leuchten vorfreudig. "Er begleitet die Quadtouren, aber sein Bruder Diego veranstaltet Katamaran-Touren."
Asya tritt neben sie und schüttelte ihre langen, schwarzen Haare, sodass kleine Wassertopfen durch die Luft fliegen. "Richtig cool. Man fährt nachmittags los, steuert verschiedene Buchten an, in denen man schwimmen oder schnorcheln kann. Abends gibt es ein Tapas-Dinner auf dem Boot und danach wird gefeiert. Hättet ihr Bock darauf? Alvaro meinte, morgen ist wieder eine Tour und es gibt noch freie Plätze."
Ich beiße mir auf die Unterlippe und spüre, dass Vito auf meine Reaktion wartet. Er kann nicht einschätzen, ob das für mich ein Problem ist, und wird sich meiner Entscheidung einfach anschließen.
Mein Fantasie erzeugt Bilder, in denen wir auf dem Sonnendeck eines großen, weißen Katamarans liegen und entspannen, wie wir leckere Tapas und eiskalte Drinks genießen und später zu spanischer Popmusik mitten auf dem Mittelmeer feiern.
Das Meer. Da war ja was.
Andererseits muss ich weder schwimmen noch schnorcheln. Bisher habe ich es auch immer geschafft, mich davor zu drücken, und im Notfall sage ich einfach, dass ich meine Tage habe. Irgendeine Ausrede fällt mir schon ein, wie immer.
Auf einem Boot zu fahren macht mir keine Angst, dort bin ich sicher.
Ich nicke zögerlich. "Klingt doch ganz gut", pflichtet Vito mir wie erwartet bei.
Pepe klatscht in die Hände. "Super, dann soll Alvaro uns mal mit seinem Bruder connecten. Ich gebe ihm Bescheid", verkündet er und läuft davon.
Wir lassen uns alle in der heißen Sonne trocknen, bevor wir uns wieder anziehen und mit den Quads zurück zum Startpunkt unserer Tour fahren, an dem unsere Mietwagen auf uns warten.
"Und, willst du das letzte Stück fahren, oder reicht es für heute mit Überwindungen?", fragt Vito und öffnet den Kinnriemen seines schwarzen Helms.
"Ich probiere es", erkläre ich, beflügelt von meinen Erfolgserlebnissen.
Ich setze mich entschlossen auf das Quad, spüre die warmen Griffe unter meinen Händen und atme tief durch. Vito schlingt seine Arme sanft um meine Taille, was sich seltsam gut anfühlt. Langsam gebe ich Gas, das Quad setzt sich in Bewegung, und der Fahrtwind streicht mir über das Gesicht, während die Landschaft an uns vorbeizieht. Mit jedem Meter wächst mein Selbstvertrauen, und ich genieße das Gefühl der Freiheit.
Auch wenn ich die Schotterwege und besonders die scharfen Kurven nicht so souverän bewältige wie Vito, und wir etwas langsamer unterwegs sind als vorhin, klappt das Fahren überraschend gut und macht sogar Spaß.
Am Parkplatz angekommen stellen wir die Quads wieder ordentlich ab, geben die Helme zurück und bedanken uns herzlich bei Alvaro für den unvergesslichen Tag. Wir verabschieden uns von ihm und steigen wieder in die zwei gemieteten Jeeps, um zu unserer Finca zurückzukehren.
Kaum, dass ich die Autotür hinter mir zugeschlagen habe, dreht Asya sich vom Beifahrersitz zu mir um. Ihre braunen Augen funkeln neugierig und ihr Blick fixiert mich aufmerksam.
"Was ist mit Vito und dir passiert? Hat euch jemand über Nacht mit einem Friedenszauber belegt oder so?"
Ich verdrehe die Augen, doch meine vollen Lippen umspielt ein zartes Lächeln. "Als ihr gestern beim Parasailing wart, haben wir uns ein bisschen ausgesprochen", räume ich ein.
"Ha!", macht Asya triumphierend. "Habe ich's dir doch gesagt."
"Aber auch nur, weil er den ersten Schritt gemacht hat. Ich hätte das nicht getan", gebe ich ehrlich zu.
"Du bist auch ein Sturkopf", erwidert meine Freundin wahrheitsgemäß.
"Ich weiß. Meine Mum hat sich von ihrem Mann immer alles gefallen lassen und ich habe sie dafür verachtet. Schon als kleines Mädchen habe ich mir geschworen, dass ich niemals so enden will wie sie. Wenn mir jemand was tut, kriegt er das doppelte zurück. Hauptsache kein Opfer sein. Es fällt mir schwer, dieses Verhaltensmuster zu durchbrechen, auch wenn ich weiß, dass ich manchmal übers Ziel hinausschieße."
"Ich verstehe dich, wirklich, aber du musst auch lernen, dass nicht jeder Konflikt eine Schlacht ist, die du gewinnen musst. Manchmal geht es darum, Kompromisse zu finden und dem anderen eine Chance zu geben, bevor man die Mauern hochzieht."
Ich lasse ihren Worten einen Moment lang nachklingen, während ich den Blick aus dem Fenster schweifen lasse. "Vielleicht hast du Recht", murmele ich, mehr zu mir selbst als zu ihr. "Aber es ist schwer, wenn man das Gefühl hat, dass man sonst seine Stärke verliert."
Asya seufzt leise. "Stärke zeigt sich nicht immer im Kampf, Yuna. Manchmal zeigt sie sich darin, wenn man loslassen kann. Und vielleicht hat Vito es ja verdient, eine zweite Chance zu bekommen. Nicht zwingend für eine Beziehung, aber als Mensch. Er bemüht sich jedenfalls ziemlich um dich."
Pepe nickt beipflichtend, seine Hände fest um das Lenkrad des Jeeps geschlossen. "Und er hat nie ein schlechtes Wort über dich verloren, Yuna, das schwöre ich dir."
Interessiert hebe ich eine Augenbraue und beobachte in. "Ihr habt über mich gesprochen?"
"Damals wusste ich ja noch nicht, dass du Vitos unbekannte Exfreundin bist, wenn er von ihr geredet hat. Hier im Urlaub haben wir dann über Yuna gesprochen", grinst er geheimnisvoll.
"Und was hat er so-", beginne ich, doch Pepe fällt mir sofort ins Wort. "Versuch's gar nicht erst, Yuna."
"Ach komm schon, Pepe", nörgel ich und streiche mir eine blonde Strähne aus dem Gesicht. "Ich will doch nur wissen, wie er die Trennung so verkraftet hat."
"Scheiße", antwortet er trocken. "Und wenn du mehr Details willst, musst du Vito selbst fragen." Er bleibt eisern und ich ziehe einem Schmollmund. "Ich dachte wir sind Freunde."
"Sind wir auch, und deshalb verlässt nichts von dem, was du gerade gesagt hast, diesen Wagen. Genauso wie nichts, was mein Freund Vito mir erzählt hat, an deine Ohren gelangt", spielt er mich aus und zwinkert mir durch den Rückspiegel zu.
Als wir schließlich zur Villa zurückkehren, werden wir schon sehnlichst von Nino erwartet. Es geht ihm sichtlich besser, er hat wieder Farbe im Gesicht und musste sich auch nicht mehr übergeben.
Asya und ich überschlagen uns fast vor Begeisterung, während wir ihm von unserer Tagestour mit den Quads berichten, von den endlosen Weiten, den steilen Bergen, dem wunderschönen Wasserfall und dem leckeren Dinner auf dem süßen Bauernhof. Nino hört aufmerksam zu, doch ein Hauch von Traurigkeit zieht über sein Gesicht. "Ich wünschte, ich hätte dabei sein können."
"Mit dir wäre es auf jeden Fall noch schöner gewesen", antworte ich und streiche dem Schönling aufmunternd über den Arm. "Aber ich habe dich würdig vertreten und uns alles einen hausgemachten Hierbas organisiert, wie es dir gefallen hätte."
"Und für morgen haben wir spontan einen noch besseren Ausflug organisiert", muntert Pepe seinen besten Freund auf und schlägt ihm brüderlich auf die Schulter.
"Was denn?"
"Wir machen eine Katamaran-Tour, mit Tapas-Dinner, Stops an geheimen Buchten zum Schwimmen und Schnorcheln, es gibt Drinks und abends eine fette Party."
Ninos blaue Augen blitzen begeistert auf. "Wenn das so gut wird, wie es klingt, ist das wirklich der bessere Ausflug."
"Ganz sicher wird das gut, aber jetzt kümmern wir uns erst einmal um ein richtiges Abendessen", schlägt Asya vor. "Heute kochen Yuna und ich."
Wir zwei machen uns gemeinsam daran, in der Küche Spaghetti al vongole zu zaubern. Der Duft von Knoblauch, frischen Muscheln und Weißwein erfüllt bald die Villa, und wir lachen und plaudern gut gelaunt, während wir kochen.
Als die Spaghetti schließlich dampfend auf den Tellern liegen, bestreut mit reichlich Parmesan, setzen wir uns auf die Terrasse und genießen das Essen unter dem sich langsam rot verfärbenden Himmel. Die Gespräche sind angeregt, wir lassen den Tag Revue passieren und freuen uns bereits auf morgen.
Die Dunkelheit legt sich sanft über die Villa, und einer nach dem anderen verabschiedet sich in die Betten.
Als ich aus dem Bad komme, nachdem ich mich bettfertig gemacht habe, läuft Vito gerade über den Flur zu seinem Zimmer. Er bemerkt mich und hält er inne. Ich gehe auf ihn zu und schenke ihm ein ehrliches Lächeln, das er erwidert. "Danke, für den schönen Tag und danke, dass du für mich da warst und mich unterstützt hast", sage ich von Herzen.
Auch er hat sich bereits den Staub der Quadtour vom Körper geduscht, seine blonden Haare sind noch tropfnass, sein nackter Körper nur mit einem Handtuch bedeckt, das er sich um die Hüften geschlungen hat. Seine Muskeln drücken sich unter der gebräunten Haut hervor, seine Nase und seine Wangen schimmern rötlich.
Der Geruch seines maskulinen Duschgels gemischt mit seinem starken Eigenduft steigt mir in die Nase.
"Ich danke dir", antwortet er mit seiner unverwechselbaren, rauen Stimme. Er legt seine rechte Hand an meinen linken Oberarm, beugt sich nach vorne und haucht mir für den Bruchteil einer Sekunde einen federleichten Kuss auf die Wange. Seine nassen Haare streifen meine Schläfe, meine Haut brennt angenehm unter seiner Berührung und mein Herz klopft fester.
"Gute Nacht, Yuna", lächelt er mit seinen schneeweißen Zähnen, bevor er sich abwendet und in sein Zimmer verschwindet.
Ich löse mich aus meiner Starre und schüttele kurz den Kopf. Dann verschwinde ich ebenfalls in mein Zimmer und falle erschöpft ins Bett. Ich sinke in die weichen Kissen und lasse die Ereignisse des Tages in meinen Gedanken nachklingen, bevor mich der Schlaf übermannt.
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