DAY 4 /2
Sein Geständnis zieht mir den Boden unter den Füßen weg. Mein Herz schlägt schneller und meine Finger werden feucht.
"Ich konnte nach dir keine Frau mehr an mich ranlassen. Ich war so kaputt nach unserer Trennung und dem was passiert ist, dass bei der Bundeswehr anzufangen eher eine Flucht war. Hauptsache weg - weg von dir, weg von unserem Umfeld, wo mich alles an dich erinnert hat. Jede Ecke meines Zimmers war ein Relikt unseres Scheiterns."
"Ich habe auch niemanden mehr an mich rangelassen", gebe ich zu. "Aber die fehlende emotionale Nähe habe ich umso intensiver mit körperlicher Zuneigung ausgeglichen. Ich habe meine ganze Energie aus männlicher Aufmerksamkeit gezogen, bis ich mich intensiv mit mir selbst auseinander gesetzt habe, und bemerkt habe, wie falsch das ist. Ich habe wieder angefangen, mich selbst zu lieben. Naja, zumindest versuche ich es", lächele ich schwach.
"Ich weiß echt nicht, an welchem Punkt wir falsch abgebogen sind."
Ich schüttele beipflichtend den Kopf. "Ich auch nicht. Ich wollte das alles gar nicht. Das ist uns irgendwie aus den Händen geglitten. Ich wollte mit dir glücklich sein, aber immer, wenn du mich verletzt hast, sind bei mir alle Sicherungen durchgebrannt. Ich wollte das friedlich lösen, aber habe es nicht geschafft. Wenn du mir weh getan hast, wollte ich dir noch mehr weh tun. Und du hast mitgemacht, wir haben uns gegenseitig hochgeschaukelt, sodass es immer schlimmer wurde. Keiner von uns hat klein beigegeben, man musste immer noch einen drauf setzen."
Vito nickt nachdenklich. Immer wieder nimmt er Sand in die Hand und lässt ihn durch seine Finger rinnen. "Du sagst eigentlich genau das, was ich auch reflektiert habe. Ich war jung, dumm und verrückt nach dir. So verrückt, dass du mich verrückt gemacht hast", er schmunzelt. "Ich hatte keine Ahnung, was ich anrichte. Natürlich habe ich mich wie der letzte Vollidiot verhalten, und ich bereue das. Ich habe mich schon tausendmal gefragt, was aus uns hätte werden können, wenn wir uns nicht beinahe mutwillig zerstört hätten."
"Es war aber auch eklig von mir, immer auf deinen wunden Punkt zu gehen. Ich wusste genau, dass du Angst hast, mich zu verlieren, und habe das ausgereizt bis aufs Blut. Extra vor dir geflirtet, dir in allen Details erzählt, wenn mich ein anderer Kerl angemacht hat. Ganz zu schweigen davon, was ich dir alles an den Kopf geschmissen habe, wenn ich sauer war. Das tut mir mittlerweile wirklich leid."
Er nickt anerkennend. "Aber deshalb habe ich Ozan auch geglaubt, dass ihr gevögelt habt. Weil du ja selbst immer dieses Narrativ von der unwiderstehlichen Männerfängerin aufgebaut hast."
"Heute begreife ich das, aber damals habe ich es überhaupt nicht verstanden. Ehrlich, Vito, es hat mir das Herz rausgerissen, dass du diesem Spinner geglaubt hast, nach allem, was wir durchgemacht haben. Mir war unbegreiflich, dass du nicht wusstest, dass ich mit jeder Faser meines Körpers nur dich will."
"Weil du mir bei jedem Streit das Gegenteil suggeriert, oder knallhart in Gesicht gesagt hast." Er zuckt mit den Schultern.
"Deshalb hast du angefangen, mir meine Kleidung vorzuschreiben, mir bestimmte Freunde zu verbieten oder das Feiern-" "Das war einfach ein verzweifelter Rettungsversuch. Ich wollte mit aller Kraft vermeiden, dass ich dich verliere - und habe es damit nur noch schlimmer gemacht. Ich wollte das Feuer löschen, und habe statt zum Wasser zum Benzin gegriffen und den Brand beschleunigt."
Ich beiße mir auf die Unterlippe. "Bis jeder Funken Hoffnung restlos niedergebrannt ist", vervollständige ich sein Bild. "Das habe ich nie so gesehen. Ich dachte, du wolltest mir einfach eins reinwürgen."
"Weil wir auch nie kommuniziert haben. Dieses Gespräch hätten wir eigentlich vor sechs oder sieben Jahren führen müssen." Vito streicht sich mit der Hand durch seine kurzen dunkelblonden Haare. Sein Blick schweift in die Ferne, wo bereits die nächsten zwei Personen klein wie Playmobilfiguren unter dem bunt gestreiften Fallschirm hängen.
"Konnten wir aber nicht. Wir waren zu jung, zu unerfahren, zu verletzt. Woher sollten wir vernünftig streiten können? Zuhause hat uns das doch auch nie jemand vorgelebt", gebe ich zu Bedenken.
Wir hatten beide weder stabile familiäre Beziehungen, noch ein intaktes Elternhaus. Mein Vater ist ein gewalttätiger Alkoholiker, den meine Mutter viel zu lange zuhause geduldet hat, während Vito seinen Vater gar nicht erst kennengelernt hat und stattdessen ständig wechselnde Männerbekanntschaften seiner Mutter ertragen musste. Der Grund für seine Verlustängste und die Eifersucht, wohingegen ich immer gelernt habe, um die Aufmerksamkeit der Männer in meinem Leben kämpfen zu müssen.
"Deshalb war ich ja so krankhaft verliebt in dich. Weil du mir die Nähe gegeben hast, die ich immer gesucht habe. Du hast mich geliebt, ohne dass ich mich verstellen musste. Du hast mir gezeigt, dass ich überhaupt liebenswert bin. Du warst der erste Mensch, der mich gesehen hat."
Ich schlucke hart. Tränen füllen meine Augen, während Vito bereits eine über die Wange läuft. "Das ging mir doch genauso", schluchze ich. "Du warst doch alles, was ich hatte. Als ich dich auch noch verloren habe, ist eine Welt für mich zusammengebrochen."
Vito streckt seine Arme nach mir aus und zieht mich wortlos an sich. Sein warmer, nackter Oberkörper berührt den meinen, und ich lasse es einfach geschehen. Ich genieße seine Nähe, die sich so viel vertrauter anfühlt, als ich gedacht hätte. Er riecht nach Sonnencreme, Weichspüler und Resten des Parfums letzter Nacht, die sich hartnäckig in seinen Haaren gehalten haben.
Seine Haut ist weich und er streichelt zaghaft meinen Rücken, während er mich mit dem anderen Arm an sich drückt und mir das schützende Gefühl gibt, nichts und niemand kann mir etwas anhaben.
Tränen fließen über meine Wangen, tropfen an seine Brust und laufen an seinem Körper hinunter, während er sein feuchtes Gesicht in meine Haare drückt.
Wir halten uns eine Weile einfach nur fest. Der Moment ist so intensiv, dass ich beinahe vergesse, wo wir sind. Die Welt um uns herum scheint stillzustehen, nur unser Atem und das Rauschen des Meeres füllen die Luft, alles andere blende ich aus. Schließlich löse ich mich ein wenig von ihm, sehe ihn an und wische ihm vorsichtig mit meinen Daumen die Tränen aus dem Gesicht.
Vor vierundzwanzig Stunden hätte ich ihn am liebsten erwürgt, doch plötzlich fühlt er sich altvertraut an und seine Nähe tut mir gut. Es scheint, als wäre ein Knoten in mir geplatzt. Der Hass und die Wut auf ihn sind verraucht.
"Das war richtig gut und richtig schlecht zugleich", stöhnt Vito und man sieht ihm an, dass er emotional ausgelaugt ist. Mir geht es ähnlich. Das Gespräch war befreiend und heilsam, aber auch schmerzhaft zugleich und das, obwohl wir den Elefanten im Raum noch gar nicht angesprochen haben.
Er löst sich von mir und streckt sich. Die karamellbraune, tätowierte Haut spannt über seinen drahtigen Muskeln und scheint im Sonnenlicht.
Vito drückt sich vom Boden hoch. Der feine, helle Sand klebt an seinen Beinen. Er klopft ihn sich ab und hält mir dann seine Hand hin. "Komm, das reicht für heute an Therapiegesprächen. Lass uns noch was Schönes machen, die anderen brauchen bestimmt noch ein bisschen."
Ich greife nach seiner Hand und lasse mir von ihm hochhelfen.
Wir ziehen uns was über und spazieren gemeinsam die Playa entlang, laufen Slalom um ballspielende Kinder, aufdringliche Strandverkäufer und ausgebreitete Handtücher, bis wir an der lebendigen Strandpromenade ankommen.
Hier findet sich eine Vielzahl von Geschäften, Boutiquen und Souvenirläden, die Kleidung, Sonnenbrillen und Schmuck verkaufen, lokale Produkte wie Keramik, Lederwaren und handgefertigte Souvenirs anbieten oder typische Urlaubsartikel wie Luftmatratzen, Sonnencreme und Sandspielzeug. Dazwischen finden sich kleine Cafés und Restaurants, die zum Verweilen einladen und einen schönen Blick auf den Strand bieten.
"Sollen wir ein bisschen hier entlang bummeln?", schlage ich vor. "Vielleicht finde ich ja ein süßes Souvenir."
Vito ist einverstanden und wir schlendern durch einige der farbenfrohen Lädchen, betrachten Postkarten, Magneten und Muschelarmbänder.
"Der ist hübsch", sage ich verzückt und nehme einen der kunstvoll verzierten Fächer in die Hand. Der hauchdünne Stoff ist rot und mit bunten Blumen bedruckt, der Griff mit kunstvollen Aussparungen verziert.
"Und was machst du ab nächster Woche damit bei 20 Grad und Regen in Deutschland? Dir deine Suppe kalt fächern?", entgegnet Vito trocken.
Ich lache auf. "Wenn es hübsch ist, muss es nicht unbedingt Sinn ergeben", kläre ich ihn auf.
"Dann solltest du dir lieber da vorne ein heißes Flamencokleid kaufen und uns heute Abend etwas vortanzen. So haben wir alle etwas davon."
"Vito - Uneigennützigkeit hat einen Namen", spotte ich. Dann nähere ich mich ihm, damit nur er mich hören kann und wispere in sein Ohr: "Flamenco kann ich auch in dem rotem Kleid von gestern tanzen."
Die Luft knistert zwischen uns, als ich mich wieder von ihm löse, doch ich tue so, als würde ich es nicht bemerken. Stattdessen stecke ich den Fächer zurück in den Bastkorb, in dem er lag und stöbere weiter.
Am Ende entscheide ich mich für einen kleinen, handgefertigten Reibeteller aus Keramik, der sich ideal zum Reiben von Ingwer oder Knoblauch eignet. Der Teller ist in Blau, Gelb und Rot gestaltet und zeigt eine Sonnenmusterung und bunte Ornamente.
Wir laufen zurück zu unserem Platz am Strand und ich bin selbst überrascht darüber, wie harmonisch die Stimmung zwischen uns ist. Wir verstehen uns gut, haben sogar den ein oder anderen Scherz miteinander gemacht.
Schon von weitem sehen wir unsere Freunde, deren Aktivität scheinbar beendet ist, sodass sie es sich wieder auf den Handtüchern gemütlich gemacht haben.
Wir nähern uns der Gruppe und kaum sind wir in Reichweite, ruft Nino grinsend: "Ach schau an, die Eheleute Ventura. Ich hatte schon Angst, ihr hättet euch gegenseitig umgebracht."
"Wolltest du uns deshalb nicht im Auge behalten?", gebe ich frech zurück.
Nino zuckt mit den Schultern und zieht uns mit einem schelmischen Grinsen auf: "Wer hätte denn ahnen können, dass ihr euch heimlich versteckt, um eure Zweisamkeit zu genießen?"
Vito legt sich auf sein Handtuch und unterbricht das Spektakel. "Erzählt uns mal lieber, wie das Parasailing war", fordert er interessiert und versetzt damit Kayla und Asya in einen aufgeregten Redeschwall. Sie sprudeln vor Begeisterung über das besondere Erlebnis, während Pepe mit einem blassen Gesicht zugibt, dass ihm dabei schlecht geworden ist.
"Dieses Gefühl, da oben in der Luft zu schweben, unter dir nichts als das weite Meer, das war atemberaubend", schwärmt meine schöne beste Freundin und rückt ihre runde Sonnenbrille auf der Nase zurecht.
"Pepe fand das auch atemberaubend. Als er seinen Mageninhalt leidenschaftlich ins Mittelmeer entleert hat, ist ihm nämlich die Luft weggeblieben", grinst Sean.
Kayla lacht und wirft einen spielerischen Blick zu Pepe, der leidend das Gesicht verzieht. "Was soll's, jetzt kriegen die Fische mal was Gutes zu fressen; das schöne Steak von gestern", sagt sie mit einem Augenzwinkern. "Aber mal ehrlich, das war wirklich ein unglaubliches Erlebnis."
Asya, immer noch voller Aufregung, dreht sich zu Vito und verkündet strahlend: "Ich muss unbedingt mal mit dir Fallschirm springen, ich glaube, das würde mir richtig gut gefallen." Ihre dunkelbraunen Augen leuchten.
Vito schenkt ihr ein herzliches Lächeln. "Jederzeit. Du weißt, du bist immer willkommen. Aber Pepe lässt du lieber zuhause, bevor der mir meine teure Ausrüstung vollkotzt", stichelt er.
Die Gruppe lacht, und die Stimmung bleibt unbeschwert, während die Gespräche hin und her fließen. Die Sonne beginnt langsam unterzugehen, und die Frage nach dem Abendessen breitet sich aus.
"Mir ist das egal, ich esse alles", verkündet Sean. "Sieht man", kommentiert Nino, seine blauen Augen funkeln verschmitzt. "Hat jemand denn einen Wunsch? Ich bin auch für alles offen", verkündet Vito. "Das wissen wir, Vito", kommentiere und schüttele lachend den Kopf. "So war das doch gar nicht gemeint", seufzt er schmunzelnd. "Was haltet ihr davon, wenn wir Pizza an den Strand bestellen?", schlägt Asya vor, vermutlich um zu unterbinden, dass Vito und ich uns wieder so lange ärgern, bis es Streit gibt.
Wir sind uns schnell einig und bald darauf ist die Bestellung aufgegeben. Während wir auf die Pizza warten, machen wir es uns auf den Handtüchern bequem, spielen Karten und hören Musik.
Der Himmel über uns färbt sich in tiefen Orange- und Rosatönen, als die Sonne langsam in den Horizont sinkt. Der warme Sand unter den Füßen und das sanfte Rauschen der Wellen schaffen eine entspannte Atmosphäre, die jeden Moment noch schöner macht. Zügig leert sich der Strand, die vielen Touristen kehren zum Abendessen zurück in ihre Hotels oder Ferienhäuser und außer unserer Gruppe ist der einst überfüllte Strand beinahe menschenleer.
Als die Pizza geliefert wird, dampfen die Pizzakartons verheißungsvoll, und der Duft von frischem Teig, geschmolzenem Käse und würziger Tomatensauce mischt sich mit dem des salzigen Meerwassers. Sean öffnet eine Flasche Rotwein und verteilt sie stilvoll auf Plastikbecher, während Pepe die Pizzen aufteilt.
Meine Pizza Funghi schmeckt köstlich - knuspriger Boden, saftiger Belag, viel Knoblauch. Der Rotwein ist samtig und vollmundig, passt wunderbar zu der Pizza und verstärkt die entspannte Stimmung. Der perfekte Abschluss für einen schönen Urlaubstag.
Während die Sonne schließlich vollständig hinter dem Horizont verschwindet und der Himmel in tiefem Blau versinkt, liegt noch immer eine wohltuende Wärme über diesem Sommerabend. Die Insel ist aufgeheizt, von der Promenade dringen Stimmfetzen und heitere Musik aus den Restaurants und Bars.
Unser Lachen mischt sich mit dem Rauschen der Wellen, und für einen Moment scheint die Welt perfekt zu sein.
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