DAY 1O /2

Als ich aufwache, befinden wir uns bereits im Landeanflug. Das vertraute Ruckeln und die Durchsage des Kapitäns holen mich aus meinem Schlaf. Vito hält mich immer noch fest in seinen Armen, hat mich keine Sekunde losgelassen. Ich spüre seinen Atem und sehe aus dem Augenwinkel sein Handy, auf dem irgendeine Serie läuft. Als er merkt, dass ich wach bin, dreht er den Kopf zu mir und lächelt liebevoll.

"Guten Morgen, Schlafmütze", flüstert er und drückt mich noch ein bisschen fester an sich.

Ich lächele schwach zurück. Sein Daumen streicht sanft über meinen Arm, dann löse ich mich von ihm, um mir die verschlafenen Augen zu reiben und mich zu strecken.

Als wir gelandet sind und die Boeing gerade noch über die Landebahn rollt, springen die anderen Passagiere schon hektisch auf, schnappen sich ihre Sachen und stehen mit scharrenden Hufen im Gang.

Wir sieben sind so ziemlich die einzigen, die entspannt sitzen bleiben. Nino reckt sich ebenfalls verschlafen neben mir, nimmt seine AirPods heraus und murmelt: "Was für Idioten. Können es nicht erwarten hier rauszukommen, damit sie die gewonnene Zeit gleich am Gepäckband stehen."

Schließlich, als fast alle das Flugzeug verlassen haben, stehen auch wir auf, nehmen unsere Sachen aus den Hanpäcksfächern und steigen aus dem Flieger. Draußen werden wir mit typisch deutschem Regen begrüßt. Natürlich. Vito zieht sich mit leidendem Gesicht die Kapuze seines Hoodies über, ich schlüpfe tiefer in den meinem und ziehe die Bündchen der Ärmel über meine Hände. Zusammen mit den anderen fünf laufen wir zum Gepäckband.

Am Kofferband stehend bin ich noch immer müde, während das monotone Summen der Maschine durch die Halle dröhnt. Das Band dreht sich träge im Kreis, doch keiner unserer Koffer ist bisher in Sicht. Vito lehnt lässig mit verschränkten Armen an einer der Säulen und schaut gedankenverloren in die Leere, während Asya und Pepe darüber diskutieren, was sie gleich zu essen bestellen.

Um uns herum stehen andere Reisende, einige hektisch, andere genauso erschöpft wie ich, alle wartend auf ihre Taschen und Koffer. Der Regen draußen prasselt gegen die großen Fensterfronten, und es scheint, als würde er die allgemeine Stimmung noch zusätzlich dämpfen.

Nach einer Weile kommt auch mein Koffer angefahren. Vito greift danach, hebt ihn hoch und stellt ihn mit einem schiefen Grinsen vor meine Füße. Aus seinen grüngrauen Augen bedenkt er mich mit einem tiefen Blick. Wir wissen beide, was das bedeutet.

Es geht um die eine Frage, die schon die letzten Tage unbeantwortet in der Luft lag. Seine Augen blitzen herausfordernd, als würde er endlich wissen wollen, was Sache ist. Ich weiß, was er hören will; worauf er geduldig gewartet hat.

Die Entscheidung, ob wir uns heute zum letzten Mal gesehen haben, oder ob es nach dem Urlaub ein Wiedersehen gibt. Ob es vielleicht darüber hinaus sogar eine zweite Chance für uns als Paar gibt.

Ich habe viel gezweifelt, viel nachgedacht, mir stundenlang den Kopf zerbrochen. Doch mittlerweile kenne ich die Antwort. Sie steht glasklar in meinem Kopf.

Aber ich will sie ihm nicht geben - nicht hier, nicht jetzt. Nicht am Flughafen, mit all den Leuten um uns herum. Ich will in Ruhe mit ihm reden.

"Pepe hat mich für den Hinflug abgeholt. Kannst du mich nachhause fahren?", frage ich stattdessen ruhig, ohne auf das einzugehen, was er wirklich wissen will. Ein vielversprechendes Lächeln liegt auf meinen Lippen und ich weiß, dass er es sieht.

Seine Augen funkeln, er versteht sofort. "Na klar", antwortet er nur, ohne weiter nachzuhaken. Es ist eine stille Vereinbarung zwischen uns.

Nachdem die letzten Koffer eingesammelt wurden, machen wir uns auf den Weg zum Ausgang. Der Regen prasselt auf das Dach des Flughafens und ich halte kurz inne. Ich habe das Gefühl, dass bei uns allen der gleiche Film vor dem inneren Auge spielt. Es sind Bilder der vergangenen Tage, von Spaß und Freundschaft, Freiheit und Abenteuerlust. Beeindruckende Landschaften, unendlich weites Meer, strahlende Sonne, heißer Sand. Der Geschmack von Alkohol und köstlichem Essen auf der Zunge. Ruhe und Entspannung, aber auch Adrenalinkicks, Lachen bis der Bauch weh tut und tanzen bis die Füße schmerzen.

Sean und Kayla lösen sich zuerst und beginnen, sich von uns zu verabschieden. Ich schließe die Schwarze Schönheit mit den wilden Afrolocken liebevoll in die Arme. Sie ist mir ans Herz gewachsen und ich freue mich schon jetzt darauf, sie bald wiederzusehen.

Ich verabschiede mich auch von Nino. "Fahren wir nicht zusammen?", fragt er mich überrascht. Ich schüttele entschlossen den Kopf. "Ich fahre mit Vito", erkläre ich wie selbstverständlich und entlocke ihm damit ein Lächeln. Dann schließe ich auch Pepe und Asya in die Arme.

"Danke, dass ihr mich mitgenommen habt. Es war wirklich eine tolle Zeit", schwärme ich und drücke meiner besten Freundin einen Kuss auf die Wange.

"Das war es", antwortet Asya strahlend. "Und du rufst mich gefälligst an, wenn du wieder alleine bist", flüstert sie mir ins Ohr.

Wir lösen uns von der Gruppe und Vito bedeutet mir mit einer Handbewegung, dass er in Parkhaus 2 geparkt hat. Ich folge ihm, während er mit seinem und meinem Koffer voraus läuft.

An einem imposanten Mercedes-Benz kommt er zum Stehen. Aus der Tasche seiner Jogginghose kramt er einen kleinen Schlüsselbund und öffnet den Kofferraum des Wagens per Knopfdruck.

"Läuft bei dir, vom Twingo zum Benz", necke ich ihn liebevoll. Es freut mich für ihn, was er erreicht hat. Auch wenn ich mir nichts aus Autos mache, zeigt dieses Statussymbol seinen finanziellen Aufstieg. Im Gegensatz zu dem 18-Jährigen, der damals noch seinen Weg gesucht hat, steht er heute mit beiden Beinen im Leben.

In Vitos grauen Augen glitzert Stolz. Im Gegensatz zu mir hat er sich schon immer gewünscht eines Tages einen teuren Wagen zu fahren.

Er hebt unsere beiden Koffer in den geräumigen Kofferraum, umrundet dann den Wagen und hält mir die Beifahrertür auf. Ich schenke ihm ein ehrliches Lächeln. "Danke."

Als wir beide in die weichen Ledersitze gesunken sind, tippt Vito meine Adresse in das Navigationssystem und startet den Motor mit einem lauten Röhren.

Der Mercedes gleitet sanft aus dem Parkhaus auf die regennasse Straße. Die Scheinwerfer spiegeln sich auf dem Asphalt, während die dicken Wassertropfen weiterhin beständig auf die Windschutzscheibe prasseln. Ich lehne mich in den Sitz zurück und betrachte Vito, der auf den Verkehr konzentriert ist. Seine Hände ruhen entspannt auf dem Lenkrad, seine Miene ist ernst.

Für einen Moment herrscht nur angenehme Stille zwischen uns. Kein Drang zu reden, kein unangenehmes Schweigen - einfach friedliche Ruhe.

"Schon komisch", sage ich nach einer Weile und breche die Stille. "Gestern lagen wir noch am Strand, und jetzt sind wir wieder hier, im Regen."

Vito lacht leise und wirft mir einen kurzen Blick zu, ohne den Kopf ganz zu drehen. "Ja, die Zeit ist viel zu schnell vergangen. Ich hätte auch noch eine Woche dranhängen können. Aber ich bin schon froh, dass ich nicht vorzeitig abreisen musste, sondern den Urlaub bis zum letzten Tag genießen konnte."

Ich lege den Kopf schief und ziehe fragend eine Augenbraue hoch. "Wie meinst du das?"

"Ich habe ja nicht mit den anderen gebucht, weil ich für einen Einsatz in Afghanistan eingezogen wurde. Der Einsatzbeginn wurde aber in letzter Sekunde auf unbestimmte Zeit verschoben. Es kann jederzeit losgehen, deshalb bin ich in dem Wissen in nach Mallorca geflogen, kurzfristig die Reise abbrechen zu müssen."

Ein Stich geht durch mein Herz. "Das heißt, jeden Moment könnte dein Handy klingeln und dann musst du in nach Afghanistan?", hake ich nach.

Vito bremst den Mercedes an einer roten Ampel ab und dreht sich zu mir. Seine grüngrauen Augen fixieren mich und er nickt zerknirscht.

"Und wie lange dauert so ein Einsatz?"

Er löst seine rechte Hand vom Lenkrad, streckt sie zu mir aus und verschränkt sanft seine Finger mit meinen. "Immer vier Monate."

"Und in den vier Monaten sieht und hört man dann nichts von dir?"

Er lacht auf, seine Mundwinkel umspielen leichte Grübchen. "Quatsch! Man kann E-Mails, Briefe und Pakete hin- und herschicken. Ich war letztes Jahr für einen Einsatz im Irak, da hatten wir sogar E-Sims mit denen wir Nachrichten schicken oder telefonieren konnten. Wie das in Afghanistan ist, weiß ich nicht genau. Es kommt immer etwas auf die Lage an, aber es wird ähnlich sein."

Ich schweige nur. Ich muss diese neue Information erstmal sacken lassen. Vitos Finger brennen auf meiner Haut, Sorgenfalten bilden sich auf seiner Stirn.

"Das ist ein Problem für dich, oder?", stellt er fest. Die Ampel springt auf grün und er beschleunigt den Wagen wieder.

"Ich weiß nicht", lüge ich. Es ist ein Problem für mich, aber ich will es nicht zugeben. Ich will mir nicht eingestehen, wie sehr ich schon wieder an ihm hänge. Und dass er schon morgen für vier Monate weg sein könnte, noch dazu in einer potentiell lebensbedrohlichen Situation, mischt die Karten nochmal ganz neu. Es wirbelt meine Gedanken durcheinander und lässt mich an meiner getroffenen Entscheidung zweifeln. Plötzlich scheint sie gar nicht mehr so klar zu sein, wie ich dachte.

Der Blonde drückt meine Hand sanft und schüttelt den Kopf. "Du warst noch nie eine gute Lügnerin. Man kann dir jede Stimmung vom Gesicht ablesen, Daisy", schmunzelt er und mir wird ganz warm ums Herz. Ich liebe es, wenn er mich so nennt.

Ich atme tief durch, schaue aus dem Fenster und sehe die Straße vorbeiziehen.

Es vergehen noch einige Minuten, während wir durch die Stadt fahren, doch wir sind beide still geworden. Vito scheint genauso seinen Gedanken nachzuhängen, wie ich.

Die Erinnerung an die letzten Tage lässt mich nicht los. Die Nähe, die wir zueinander aufgebaut haben, diese unausgesprochenen Gefühle, die nun zwischen uns hängen. Die Frage, die er mir nicht direkt gestellt hat, aber die in jedem seiner Blicke mitschwingt.

"Was bedrückt dich?", fragt er plötzlich, und seine Stimme klingt ruhig, fast vorsichtig.

Ich drehe meinen Kopf zu ihm und erwische ihn dabei, wie er mich aus dem Augenwinkel betrachtet. Für einen Moment zögere ich, überlege, was ich sagen soll.

Ein Blick aufs Navi verrät mir, dass wir in zwei Minuten bei mir sind. Ich räuspere mich kurz. "Du bist wahrscheinlich müde von dem Flug und allem, aber willst du vielleicht noch mit zu mir kommen? Dann können wir in Ruhe über alles reden, nicht hier im Auto."

"Klar, gerne." Er lächelt, doch ich sehe, wie seine Kiefermuskeln sich leicht anspannen. Er weiß genau, worauf ich hinaus will, aber er drängt mich nicht.

Als wir bei mir ankommen, schaltet Vito den Motor aus und steigt aus dem Wagen, um meinen Koffer aus dem Kofferraum zu holen. Ich gehe voraus und schließe die Haustür auf. Das Neubau-Mehrfamilienhaus wirkt von außen schlicht, fast unauffällig, ganz im Gegensatz zum Innenbereich meiner Wohnung. Vito folgt mir mit meinem Koffer die Treppe hinauf in die erste Etage.

Ich öffne die Wohnungstür und trete in den Flur. "Stell den Koffer einfach irgendwo ab", bitte ich ihn und lasse meine Handtasche achtlos fallen. Er nimmt die Umgebung auf, und ich sehe, wie seine Augen kurz über die Einrichtung schweifen. Die Wohnung ist modern und stilvoll eingerichtet, alles in klaren Linien und mit einem kühlen, eleganten Touch.

Verspiegelte Kommoden reflektieren das Licht der minimalistischen Designerlampen. Glasflächen ziehen sich durch die gesamte Wohnung - vom Couchtisch im Wohnzimmer bis zu den Regalböden. Der schwarze Schieferboden verleiht dem Raum eine edle Atmosphäre. Überall finden sich silberne Akzent, dezent, aber bewusst platziert.

"Hier sieht es aus wie in einem Katalog", stellt Vito bewundernd fest.

Ich lache leise, ein bisschen nervös und bedeute ihm, ins Wohnzimmer zu gehen. Wir lassen uns auf meiner großen, L-förmigen Couch nieder, deren schwarzes Leder im Licht glänzt. Vito lehnt sich entspannt zurück, während ich mich an eine Ecke setze und haltsuchend ein Kissen in den Arm nehme.

Ein paar Sekunden verstreichen in Stille, bevor ich tief durchatme. Meine Gedanken sind schwer, und ich spüre, wie mein Herz schneller schlägt, als ich endlich den Mut fasse, das Gespräch zu beginnen.

"Ich fand die letzten Tage so schön mit dir," sage ich schließlich und sehe ihn dabei nicht direkt an. Meine Stimme ist leise, unsicher. "Ich will nicht, dass das wieder endet." Meine Hände spielen nervös am Reißverschluss des Kissens. "Ich will es noch einmal versuchen, auch auf die Gefahr hin, dass wir scheitern. Ich will nicht wieder ohne dich sein."

Vito, der bisher schweigend zugehört hat, schiebt sich ein Stück näher zu mir. Seine Augen ruhen auf mir, sie strahlen hoffnungsvoll.

"Yuna," beginnt er sanft und greift nach meiner Hand, die immer noch das Kissen festhält. "Ich habe ehrlich gesagt nicht damit gerechnet, dass du dich so entscheidest. Umso mehr freue ich mich. Ich bin so verliebt in dich", gesteht er und lässt mein Herz höher schlagen. "Du bist immer schon die Frau gewesen, die ich an meiner Seite will und du hast nie aufgehört, es zu sein."

Gerührt lehne ich mich zu ihm herüber, lasse mich von ihm in seine starken Arme ziehen und küsse ihn.

"Und der Auslandseinsatz? Kommst du damit klar, wenn ich gehen muss, und wir uns so lange nicht sehen?", fragt er vorsichtig. Seine Pupillen flackern. Er hat Angst vor meiner Antwort. "Einfach wird es mit mir immer noch nicht", schiebt er hinterher und lächelt schief. Auch wenn er es als Scherz deklariert, wissen wir beide, dass Wahrheit in seiner Aussage steckt. Mit einem Soldaten zusammen zu sein erfordert viel Geduld, starke Nerven und die Bereitschaft, sich selbst zurückstellen zu können.

Wie nervenaufreibend es wirklich ist, werde ich wohl erst noch lernen.

"Vielleicht, aber ich will dich nicht nochmal gehen lassen. Wir haben 5 Jahre gewartet, dann schaffen wir auch noch vier Monate mehr."

Vito presst mich enger an sich. "Es wird schwer, das weiß ich. Aber ich werde alles dafür tun, um es dir so leicht wie möglich zu machen und Kontakt zu halten, egal wo ich bin."

Ich nicke langsam, versuche, seine Worte zu verinnerlichen.

Ein paar Sekunden vergehen, in denen er nichts sagt. Dann huscht ein kleines, aber ehrliches Lächeln über seine Lippen. "Du bist meine große Liebe. Ich habe keine Sekunde jemals daran gezweifelt. Und jetzt, wo wir wie aus heiterem eine zweite Chance bekomme, werde ich dir beweisen, dass wir zusammengehören."

"Musst du nicht. Ich weiß es längst." Meine Worte hängen für einen Moment in der Luft, schwer und doch voller Leichtigkeit. Vito sieht mich an, und in seinen Augen spiegeln sich Erleichterung und Zuneigung wider. "Lass es uns nur langsam angehen und nichts überstürzen, damit wir uns beide an die neue Situation gewöhnen können."

Er sieht mich mit einem Blick an, der so tief geht, dass ich für einen Moment den Atem anhalte. Er hebt eine Hand, streicht mir sanft eine Haarsträhne aus dem Gesicht und lässt seine Finger über meine Wange gleiten.

"Du hast alle Zeit der Welt", flüstert er, seine Stimme rau vor Emotion. Seine Augen wandern über mein Gesicht, als würde er jeden Moment in sich aufnehmen wollen.

Dann neigt er sich langsam zu mir, sein Gesicht nur noch einen Hauch entfernt. Die Zeit scheint stillzustehen, und ich spüre, wie mein Herz schneller schlägt, als sich unsere Lippen sanft berühren.

Der Kuss ist zärtlich und doch intensiv, voller unausgesprochener Versprechen und tiefer Sehnsucht. Seine Hand gleitet in meinen Nacken, während ich mich ganz in diesem Augenblick verliere. Es ist ein Kuss, der all das sagt, was Worte nicht ausdrücken können - wie sehr wir uns vermisst haben, wie tief unsere Gefühle noch immer sind.

Als sich unsere Lippen schließlich trennen, bleibt seine Stirn an meiner, und ich öffne langsam die Augen. Ein warmes Lächeln breitet sich auf seinen Lippen aus.

"Das war erst der Anfang", flüstert er.

Und ich weiß, er hat Recht.

-ende.-

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