DAY 1O /1
Der zehnte und letzte Morgen auf der mallorquinischen Finca beginnt zu einer unchristlichen Uhrzeit. Um Punkt vier Uhr weckt mich das laute Klingeln meines Weckers. Es ist noch dunkel draußen, und die Müdigkeit hängt schwer über mir. Ich quäle mich aus dem Bett und ziehe mir den grauen Jogginganzug über, der seit gestern Abend über dem geflochtenen Korbsessel hängt. Nicht gerade mein elegantestes Outfit, aber im Flugzeug muss es vor allem warm und bequem sein.
Unten im Flur herrscht bereits geschäftiges Treiben. Die Jungs sind damit beschäftigt, die Koffer zum Auto zu bringen. Vito, Nino, Pepe und Sean stemmen die schweren Gepäckstücke in den Kofferraum des Mietwagens, während Asya und Kayla verschlafen am Küchentisch sitzen und gerade vermutlich alle ihre Lebensentscheidungen überdenken.
"Hast du jetzt alles?", fragt Asya, als ich mit meiner großen Handtasche die Treppe herunterkomme.
"Ich glaube ja", antworte ich und strecke mich. An Hunger ist um die Zeit nicht zu denken, aber ich hätte unheimlich gerne einen heißen Kaffee.
Nachdem alle Koffer verstaut sind und ich wehmütig noch einen letzten Blick auf die Villa geworfen habe, die die letzten Tage über unser gemütliches Zuhause war, steigen wir in die Autos. Es ist still. Niemand spricht, außer den gelegentlichen Anweisungen der weiblichen Stimme des Navigationssystems, die uns in Englisch den Weg zum Mietwagenzentrum am Flughafen weist.
Ein letztes Mal schlagen die Türen der Jeeps zu, die uns zu so vielen Abenteuern gefahren haben. Sean begleitet Pepe ins Innere des Blechcontainers, um die Autoschlüssel abzugeben und die Rückgabe der Wagen abzuwickeln.
Als die beiden Männer wieder zu uns stoßen, laufen wir gemeinsam mit unserem Gepäck in Richtung Terminal. Die Luft ist kühl, und das Grau des Morgens drückt zusätzlich auf die ohnehin schon getrübte Stimmung.
Am Flughafen ist es schon geschäftig, Menschen eilen an uns vorbei, manche mit Koffern, andere nur mit Handgepäck. Wir reihen uns in die Schlange bei der Gepäckaufgabe ein, und ich beobachte, wie das Band die aufgegebenen Gepäckstücke langsam wegzieht. Eins nach dem anderen werden sie auf die Waage gehievt, bevor sie mit Aufklebern versehen und zu den jeweiligen Flugzeugen transportiert werden.
"Und Ladies, wer von euch wird die Spitzenreiterin sein?", grinst Nino, der von uns allen wie immer die beste Laune hat.
"Hör auf, ich hoffe ich habe kein Übergepäck", murmelt Asya und reibt sich müde über die Augen.
"Bestimmt du, du hast am meisten geshoppt", denkt Kayla laut und deutet mit einem halbherzigen Kopfnicken zu mir.
"Ach, die knappen Fummel wiegen schon nicht so viel", entgegne ich schulterzuckend und stütze mich optimistisch auf den Hartschalenkoffer.
Als wir an der Reihe sind, hebt Pepe seinen Koffer zuerst auf das Band. "19,1 kg", zeigt die Wage in digitalen Buchstaben.
"Easy", kommentiert er zufrieden. "Wie viel darf man denn haben, wenn du schon 19 kg hast?", zischt Asya ihm nervös zu. Die schöne Dunkelhaarige, die eine Yankees-Cap tief in ihr Gesicht gezogen hat, scheint beunruhigt zu sein.
"23 kg", antwortet ihr Freund und greift nach ihrem silbernen Hartschalenkoffer.
Asya hält sich eine Hand vor die Augen. "26,2 kg", zeigt die Waage. "Oh nein", raunt sie und schütteltet ungläubig den Kopf. Sie starrt fassungslos auf die Anzeige. "Das darf doch nicht wahr sein," murmelt sie, während sie nervös mit ihrer Kapuze spielt.
Pepe seufzt. "Das kommt davon, wenn du die halbe Insel leer kaufst."
"Sehr witzig, Pepe. Überlege lieber, was ich jetzt machen kann", entgegnet sie gereizt.
"Is it possible to add our group's luggage together? I had 4 kg less", wendet sich ihr Freund an die freundliche Dame hinterm Schalter.
"No, unfortunately not", antwortet sie mit einem höflichen Lächeln. "But maybe you can move a few things to your carry-on? Or you can pay 50 euros for the excess weight."
Asya wirft Pepe einen verzweifelten Blick zu, er hebt nur die Schultern. "Deine Entscheidung."
"Ich zahle doch keine 50 Euro für 3 Kilo Klamotten!", erwidert sie entgeistert. Sie greift gestresst nach ihrem Koffer, stellt ihn unsanft zurück auf den Boden, öffnet ihn und beginnt, wahllos Sachen herauszuziehen - Schuhe, Kleider, und ein Schmuckkästchen. Kayla und ich können uns ein mitleidiges Grinsen nicht verkneifen, während sie hektisch ihren Kram sortiert.
Nino greift kurzentschlossen nach ihren Sachen und nimmt sie an sich. Asya zieht fragend eine Augenbraue hoch. "Ich habe niemals 23 kg. Gib mir den Kram, ich packe das in meinen Koffer", bietet er an und beginnt sogleich, sein schwarzes Hartschalenmodell auf den Boden zu legen und den Reißverschluss aufzuziehen.
Meine beste Freundin schließt wiederum ihr Gepäckstück und packt es zurück auf die Waage. "22,9 kg."
"Na also" murmelt Asya erleichtert und dreht sich zu Nino, um ihm einen dankbaren Kuss auf die Wange zu drücken. "Du hast was gut bei mir", raunt sie ihm zu.
"Da fällt mir bestimmt was ein", antwortet er und zwinkert ihr zu. Sein Koffer ist der nächste und hat tatsächlich selbst mit Asyas Zusatzgepäck keine 20 kg.
"Sparsam bis zum letzten Gramm", lobt der Blonde sich selbstgefällig.
"Lasst uns mal Kaylas und Yunas Koffer als nächstes wiegen, damit wir da notfalls auch noch was verteilen können", schlägt Sean vorausschauend vor.
Das Gepäck seiner Freundin hat ein halbes Kilogramm zu viel, doch die Angestellte der Airline drückt in Anbetracht der Schlange hinter uns ein Auge zu. Ein halbes Kilo Übergewicht ist wohl besser, als die nächste Umpack-Aktion, die den ganzen Verkehr aufhält.
Als nächstes hievt Vito meinen riesigen Koffer auf das Gepäckband und beißt sich grinsend auf die Unterlippe. "Wenn das weniger als 23 kg sind, fresse ich einen Besen."
"27,0 kg", lese ich laut ab und schlage mir im gleichen Moment die Hände vor den Kopf.
Die Dame hinterm Schalter sieht mich fragend an. Ich greife in meine Tasche und ziehe mein Portemonnaie heraus. "Was machst du?", fragt Asya skeptisch.
"Ich habe keine Kraft für den Stress." Dann zücke ich meine Kreditkarte und halte sie der Angestellten hin. "Take all my money, just let me go", seufze ich resigniert, was meine gesamte Freundesgruppe zum lachen bringt.
Vito tritt neben mich und legt mir sanft eine Hand auf den unteren Rücken. "Ich kann auch was von dir nehmen", schlägt er fürsorglich vor, doch ich winke ab. "Ich bin einfach nur müde. Mir fehlt die Energie, 4 Kilogramm auszupacken und umzuräumen. Soll sie die 50€ nehmen, hauptsache, wir kommen hier weg." Er schenkt mir ein warmes Lächeln. "Okay. Gleich sind wir im Flugzeug und du kannst schlafen."
Nachdem auch die letzten Koffer abgegeben sind, machen wir uns auf den Weg zur Sicherheitskontrolle. Die Sonne ist gerade erst aufgegangen, und das gedämpfte Licht lässt die langen Warteschlangen vor den Metalldetektoren noch endloser wirken. Wir reihen uns ein, und nur langsam schiebt sich die Masse nach vorne.
"Es gibt nichts Schlimmeres als Flughafen-Sicherheit vor dem ersten Kaffee", murmelt Kayla und ich nicke ihr zustimmend zu. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass wir gerademal 5 Uhr haben. Wer hat sich bitte für diese beschissene Flugzeit entschieden?
Als ich schließlich dran bin, schiebe ich meine Handtasche auf das Band und trete vor den Detektor. Der Sicherheitsbeamte in Uniform sieht aus, als hätte er genauso wenig Lust auf diese Begegnung, wie ich. Sein Namensschild sagt "Pedro", auch wenn der rundliche Mann mit dem glattrasierten Gesicht irgendwie zu jung dafür aussieht.
"Any liquids, electronics, or weapons?" fragt er mechanisch.
Ich rolle die Augen. "Just the will to survive this."
Pedro reagiert nicht, er bedeutet mir nur stumm und mit ausdruckslosem Gesicht vorzutreten. Ich gehe durch den Metalldetektor, der prompt laut piept. Ich bleibe wie versteinert stehen. Oh guter Gott, bitte nicht auch das noch.
"Step back, Señora," sagt er ohne auch nur einen Funken Mitgefühl.
Genervt gehe ich zurück.
"Anything in your pockets?" fragt er.
Ich taste meine Hosentaschen ab, schüttele den Kopf und murmele: "No, just my bad mood." Ich seufze und taste mich ein zweites Mal ab, als Pedro mich noch einmal von oben bis unten mustert.
"Take off your shoes", sagt er mit monotoner Stimme.
Wirklich? Ist hier irgendwo eine versteckte. Kamera?
Ungläubig starre ich Pedro an, doch er nickt nur in Richtung meiner Füße. Ich atme tief durch.
Mit einem leisen Fluch ziehe ich meine weißen Nikes aus und schiebe sie aufs Band. Jetzt stehe ich in meinen dünnen Socken auf dem kalten, dreckigen Boden und betrachte den Sicherheitsmitarbeiter aus zusammengekniffenen Augen.
Mir ist klar, dass er die Regeln nicht macht und auch nur ein ganz kleines Rad im Getriebe ist, aber er trägt mit seinem überaus freundlichen Wesen auch nicht gerade dazu bei, das Prozedere erträglicher zu gestalten.
"Alright, try again", sagt Pedro.
Ich gehe nochmal durch den Detektor. Wieder piept es. Ich starre den Apparat wütend an, als wäre es seine Schuld.
Pedro hebt gelangweilt eine Augenbraue. "Any metal jewelry?"
Ich schaue an mir runter und sehe ihm dann offensiv in die Augen. "Intimpiercing."
Seine Augen weiten sich und er sieht mich ungläubig an.
Aus dem Hintergrund ertönt Vitos raue Stimme. "Hör auf den Mann zu verarschen, sonst darfst du gleich nicht mitfliegen weil die denken, du hast.." Ich fahre zu ihm herum und falle ihm scharf ins Wort: "Sprich es bloß nicht aus!"
Dann wende ich mich wieder an Pedro und nehme die Halskette ab, die ich offensichtlich vergessen habe, und die von außen unsichtbar unter meinem Hoodie baumelt.
Ich lege sie in die Kiste und laufe unaufgefordert noch einmal durch den Detektor. Diesmal bleibt er stumm. Endlich. Triumphierend ziehe ich eine Augenbraue hoch und nicke Pedro auffordernd zu. "What a thrill. I love a good adrenaline rush in the morning", kommentiere ich zynisch.
Er blinzelt nur wieder und lässt mich ziehen. Auf der anderen Seite der Kontrolle sammel ich schnell mein Zeug zusammen. Vito, der parallel zu mir durch den Detektor gelaufen ist, tritt neben mich.
"Du bist echt unerträglich, wenn du müde bist", schmunzelt er und verteilt sein Handy und sein Portemonnaie wieder auf die beiden Hosentaschen seiner schwarzen Jogginghose.
"Jetzt brauche ich erstmal einen Kaffee", murrt Sean, der zu uns stößt. "Oh ja, jetzt 6€ für so 'ne dünne Brühe aus der Filtermaschine zahlen, ist genau das, wonach ich mich sehne", kommentiert Vito trocken.
"Ich würde auch 60€ zahlen, so lange er Koffein enthält", halte ich dagegen.
"Yuna hat heute die Spendierhosen an", stimmt Nino ein und grinst frech.
"Die ist einfach so müde, dass ihr Hirn noch nicht auf Betriebstemperatur ist", antwortet Vito. Ich bedenke ihn mit einem vernichtenden Blick: "Wenn du gleich im Flugzeug neben mir sitzen willst, solltest du etwas netter sein."
Er legt mir lässig einen Arm um die Schultern und schiebt mich in Richtung des nächsten Cafés an, eine der typischen Flughafen-Ketten, die überteuerte Cappuccinos und trockene Croissants verkaufen. "Komm, ich kaufe dir jetzt erstmal einen Kaffee."
Vito schmeißt für alle eine Runde Kaffee. Ich bestelle mir einen großen Americano, schwarz wie die Nacht. Die anderen entscheiden sich für verschiedene Kaffeespezialitäten, und bald sitzen wir an einem kleinen Tisch, umgeben von rollenden Koffern und vorbeihastenden Menschen.
"Irgendwie ist es surreal, dass wir in ein paar Stunden schon wieder im verregneten Deutschland sind", sagt Kayla, während sie gedankenverloren an ihrem Latte nippt.
"Ja, die zehn Tage sind wie im Flug vergangen", stimmt Vito zu, der neben mir sitzt und ebenfalls in die Ferne starrt.
Wir schweigen kurz und genießen den Moment. Das schwarze Gold haucht meinem müden Körper langsam wieder Leben ein. Der Pappbecher in meinen Händen wärmt meine Finger, während wir in der großen Wartehalle des Flughafens sitzen.
Als das Boarding schließlich auf den Bildschirmen angekündigt wird, stehen wir auf, werfen die leeren Becher in einen Mülleimer und machen uns auf den Weg zum Gate.
Die Schlange am Gate ist lang, aber auch das Boarding verläuft reibungslos. Wir zeigen unsere Bordkarten vor, scannen sie, und einer nach dem anderen betreten wir das Flugzeug. Die Sitzplätze sind eng, und der Flieger bis auf den letzten Platz gefüllt.
Vito und ich sitzen nebeneinander, und ich spüre die vertraute Nähe, die in den letzten Tagen wieder zwischen uns entstanden ist. Zu meiner rechten Seite am Gang sitzt Nino, steckt sich schon vor dem Start die Airpods in die Ohren, schließt die Augen und lässt den Kopf in den Nacken sinken.
Als das Flugzeug endlich in der Luft ist, lehne ich mich an Vito. Er legt nur zu gerne die Arme um mich und zieht mich an seine Brust. Ich kuschele mein Gesicht in seinen Hoodie, lasse mich von ihm kraulen und genieße seine Nähe, bis mir schon nach kurzer Zeit vor Müdigkeit die Augen zufallen.
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