DAY 1 /1

"Endlich Urlaub", seufze ich und lasse mich kraftlos auf die Rückbank des schwarzen SUV fallen.

"Das sagst du was." Asya, meine beste Freundin, die ich vor rund vier Jahren in der Ausbildung kennengelernt habe, dreht sich vom Beifahrersitz nach hinten und strahlt mich an. Wir haben beide im selben Salon unsere Ausbildung zur Friseurin gemacht und uns auf Anhieb gut verstanden. In den drei Jahren, in denen wir tagtäglich viele Stunden aufeinander hockten, hat sich zwischen uns die liebevollste und loyalste Freundschaft entwickelt, die ich jemals hatte.

Die schöne Türkin und ihr neuer Freund Pepe, der gerade meinen viel zu schweren Koffer in den vollgepackten Kofferraum hievt, haben eine kleine Villa auf Mallorca gemietet, und mich eingeladen, gemeinsam mit seinen zwei Freunden, Nino und Sean, und Seans Freundin Kayla dort zehn Tage schöne Tage zu verbringen.

Bisher kannte ich Pepes Freundeskreis nicht wirklich, weil Asya und der schöne Dunkelhaarige erst seit knapp einem halben Jahr zusammen sind.

Sean und Kayla, das süße Pärchen mit afrikanischen Wurzeln, habe ich erst vor kurzem kennengelernt, als wir zur Einstimmung auf den Urlaub gemeinsam in einen Club gegangen sind. Zum Glück hat der Vibe-Check sofort gestimmt und wir waren gleich auf einer Wellenlänge.

Wen ich allerdings schon relativ gut kenne, ist Pepes bester Freund Nino. Der blonde Beau mit den strahlend blauen Augen und dem charismatischen Lächeln, der gut gelaunt neben mir auf der Rückbank sitzt, und ich haben schon öfter etwas zu viert mit Asya und Pepe unternommen und uns richtig gut ergänzt. Nino ist charmant, herzlich und ein humorvoller Mann, der es einem schwer macht, ihn nicht zu mögen. Nur deshalb habe ich mich auch darauf eingelassen habe, mit ihm und zwei Pärchen in den Urlaub zu fliegen.

"Yuna, was zur Hölle hast du in deinem Koffer? Hast du deinen halben Hausstand eingepackt?", schimpft Pepe, als er wieder hinter dem Lenkrad Platz nimmt und wirft mir einen tadelnden Blick durch den Rückspiegel zu.

"Fast", grinse ich schief und unterdrücke ein Gähnen. Um 5 Uhr morgens das Haus zu verlassen ist nichts für mich. Ich brauche gleich dringend einen Kaffee um wachzuwerden, auch, wenn das bedeutet, für mittelmäßige Plörre am Flughafen gleich fünf Euro hinzulegen.

Ich ziehe die schwarze Yankees-Cap tiefer in mein verschlafenes Gesicht und kuschele mich in den weichen, hellblauen Hoodie.

Bereits seit Wochen freue ich mich auf diesen Trip. Zehn Tage in der heißen Sonne von Mallorca entspannen. Baden im Pool, der beeindruckende Ausblick aufs Meer, köstliches Essen, leckere Drinks und coole Leute. Die perfekte Mischung aus Party und Erholung schürt meine Vorfreude ins Unermessliche.

Nach einer guten Stunde Fahrt parkt Pepe auf einem der Langzeitparkplätze am Flughafen und Nino zieht zuvorkommend neben seinem eigenen auch meinen schweren Koffer zum Eingang.

Schon von weitem entdecke ich Sean und Kayla. Die beiden stehen in matchenden grauen Jogginganzügen und mit riesigen Hartschalenkoffern in der Eingangshalle. Kayla hat ihre wilden Afrolocken zu einem Zopf zusammengebunden, um ihren Hals hängt ein schwarzes Nackenhörnchen und sie klammert sich müde an einen Kaffeebecher aus Pappe.

Ein Lächeln schleicht sich auf mein Gesicht. Direkt bei unserem ersten Treffen hat die Chemie zwischen uns stimmt. Sie ist offen, herzlich und locker, genau wie ihr Freund Sean.

Ich drehe mich im Laufen zu Nino und blinzele ihn verschwörerisch an. "Ist dir eigentlich bewusst, was wir uns da antun? In den Urlaub mit zwei frisch verliebten Pärchen? Jeder wird denken, wir seien das dritte Paar der Runde, dabei sind wir nur zwei einsame, verzweifelte Singles in einer temporären Schicksalsgemeinschaft."

Der blonde, großgewachsene Mann lacht ein anziehendes Lachen. "Bisschen plumpe Art mich zu fragen, ob ich deine Urlaubsaffäre sein will", feixt er und zwinkert mir zu.

Ich zucke mit den Schultern. "Man muss sehen, wo man bleibt."

Als wir vor Sean und Kayla zum Stehen kommen, begrüße ich die beiden mit einer Umarmung.

"Achso, Yuna," sagt Pepe, unser Gespräch erneut aufgreifen, und grinst. "Falls dir Nino doch mal auf den Keks geht, habe ich noch eine Alternative für dich."

Verwirrt runzele ich die Stirn und schaue ihn fragend an.

"Ein Freund von mir, der ursprünglich mitfahren wollte, konnte nicht, weil er bei der Bundeswehr als Fallschirmjäger ist und zu einer Mission ins Ausland geschickt wurde. Aber die Mission wurde kurzfristig abgesagt, deshalb kommt er doch mit."

Auf meinem Gesicht bildet sich ein schelmisches Grinsen. Ein unbekannter Soldat also. Klingt vielversprechend.

Pepe schaut sich suchend um, dann zeigt er mit seinem Finger auf einen muskulösen, dunkelblonden Mann, der geradewegs auf uns zusteuert. "Ach, wenn man vom Teufel spricht.. Da ist er."

In der einen Hand hält er den Griff seines schwarzen Koffers, den er lässig hinter sich herzieht, in der anderen sein Smartphone, in das er konzentriert tippt.

"Ja guten Morgen", ruft Nino. Als der Unbekannte seine Stimme hört, hebt er grinsend den Kopf  und sieht von seinem Handy auf. Er schaut direkt in unsere Richtung, und in dem Moment treffen sich unsere Blicke.

Ich starre ungläubig in sein Gesicht und fühle, wie mir das Herz in die Hose rutscht. Das kann doch nicht wahr sein! Was macht er denn hier?

Auch seine Augen weiten sich, als er mich erkennt.

"Das ist unser Freund..", beginnt Pepe.

"Vito", stelle ich fest, meine blauen Augen mustern ihn argwöhnisch.

Er hat sich in den letzten Jahren optisch verändert, hat seine Muskelmasse gefühlt verdoppelt und sich die Arme großflächig tätowieren lassen, aber seine einzigartigen grüngrauen Augen erkenne ich im Bruchteil einer Sekunde.

Sein weißes Shirt spannt über seiner Brust, seine kurzen, blonden Haare sind wild verwuschelt, der kurze Bart hingegen akkurat gepflegt.

Pepe zieht skeptisch eine Augenbraue hoch und sieht zwischen uns hin und her. "Ihr kennt euch?"

"Leider", knurre ich durch zusammen gebissene Zähne. Nur zu gerne würde ich dieses Kapitel aus meinem Leben löschen.

Vito erwidert meinen Blick nicht weniger überrascht. "Yuna", stellt er fest und klingt auch nicht sonderlich begeistert.

Ich schüttele den Kopf und drehe mich zu meiner besten Freundin, die mich besorgt aus ihren dunkelbraunen Augen mustert. "Das könnt ihr vergessen. Auf gar keinen Fall verbringe ich zehn Tage mit diesem Typen in einem Haus."

Asya sieht mich fragend an. Sie kann sich meine heftige Reaktion offensichtlich nicht erklären.

"Wirklich, das wird für niemanden ein schöner Urlaub. Vito und ich sind wie Feuer und Benzin. Das geht keine fünf Minuten gut", beteuere ich und streiche mir eine hellblonde Strähne nach hinten, die mir ins Gesicht gefallen ist.

"Ich bin selten einer Meinung mit ihr, aber da hat sie Recht", pflichtet mein Feindbild mir bei.

Ich verdrehe die Augen. "Vielen Dank, aber ich brauche deine Unterstützung echt nicht." Ich finde ihn jetzt schon wieder unerträglich.

"Ihr könnt euch doch aus dem Weg gehen", beschwichtigt Asya und legt liebevoll einen Arm um mich.

Ich sehe ihr tief in die Augen. "Maus, wirklich, du hast keine Ahnung. Ich will euch nicht den Urlaub ruinieren. Das ist euer Trip, Pepes Clique, und ich habe keine Lust, euch das zu versauen. Ich bleibe hier."

Ihre schönen Augen verdunkeln sich. "Das kommt gar nicht in Frage, Yuna. Du gehörst genauso zu unserer Gruppe und wir fliegen alle zusammen nach Mallorca, sonst bleibe ich auch hier."

Vito tritt einen Schritt näher, lässt seinen Koffer los und verschränkt die Arme vor seiner breiten Brust. "Denkst du, ich habe mir meinen Urlaub so vorgestellt oder was?" Seine Stimme klingt gereizt, aber kontrolliert. "Ich kann mir auch Schöneres vorstellen, als meinen Sommerurlaub mit der Eiskönigin persönlich zu verbringen, aber es ist jetzt, wie es ist und wir werden es ja wohl zehn Tage schaffen, uns zusammenzureißen, oder nicht?"

Ich schnaube abfällig und verschränke ebenfalls die Arme. "Oh, natürlich, weil du ja so ein Musterbeispiel für Selbstbeherrschung bist, Vito. Ich erinnere mich noch gut an unser letztes Treffen. Der Dalai Lama ist 'n scheiß gegen dich."

"Das war vor fünf Jahren, Yuna."

"Als ob du dich seitdem geänderst hast", schieße ich spöttisch zurück. "Du bist hundertprozentig noch das gleiche selbstgefällige, ignorante Arschloch wie damals."

Vito lacht trocken. "Und du bist offensichtlich immer noch genauso harmoniebedürftig. Aber das soll mir auch egal sein. Ich bin hier, um Urlaub zu machen, und nicht, um mich mit dir zu streiten."

"Ach, wie edel von dir," kontere ich sarkastisch. "Glaub ja nicht, dass ich dir das abkaufe, wie du dich plötzlich als der große Versöhner aufspielst."

Pepe seufzt und wirft mir einen flehenden Blick zu. "Yuna, bitte. Ich habe keine Ahnung, was da zwischen euch steht, aber lass dir doch den Urlaub nicht von alten Streitigkeiten verderben."

Ich starre Vito noch einen Moment lang wütend an, bevor ich schließlich tief durchatme und nicke. "Okay. Aber nur Asya zuliebe.. Und ich kann nicht versprechen, dass wir beide die zehn Tage lebend überstehen."

Vito mustert mich mit einem schiefen Lächeln. "Keine Sorge, Yuna. Du weißt doch, ich bin ziemlich zäh. Ich habe dich schließlich schonmal überlebt." Seine Augen funkeln herausfordernd, aber auch mit einem Hauch von Humor. "Und vielleicht schaffen wir es, wenigstens diese eine Woche ohne Drama zu überstehen. Danach bist du mich mindestens für die nächsten fünf Jahre wieder los."

"Besser für dich", raune ich leise und verdrehe genervt die Augen. Kann der nicht einfach die Klappe halten?

Asya drückt liebevoll meine Hand. "Wir machen uns eine schöne Zeit. Stundenlang in der Sonne bräunen, danach im Pool oder im Meer planschen, Daydrinking, nächtelang wilde Partys feiern.. Das wird toll."

Auch Kayla lächelt mir aufmunternd zu. "Eben. Wir machen es uns schön, so wie wir es geplant haben."

Ich werfe Vito einen letzten abschätzigen Blick zu, bevor ich mich abwende und nach meinem Koffer greife. "Okay, dann los. Unser Flug geht gleich."

Während wir zum Check-in gehen, bleibt eine böse Spannung zwischen Vito und mir in der Luft hängen, die sich in diesem Urlaub auch nicht legen wird. Außer, wenn sie sich in einem gewaltigen Gewitter entlädt. Und genau das gilt es im Sinne aller zu vermeiden.

Ob wir das schaffen?

Daran glaube ich auf gar keinen Fall.

Aber ich bin gewillt, mir Mühe zu geben, dass es nicht zur totalen Eskalation kommt.

Der nächste Tiefschlag folgt allerdings nur wenig später, als wir die Tickets mit unseren Sitzplätzen erhalten. Sean und Kayla sitzen nebeneinander, Pepe und Asya, und in einer Dreier-Reihe Nino, Vito und ich.

Ich beiße mir auf die Unterlippe. Auf gar keinen Fall will ich drei Stunden mit Vito auf einem Quadratmeter verbringen, nicht mal dann, wenn Sunnyboy Nino wie ein ballistisches Schutzschild zwischen uns sitzt. Aber noch weniger will ich direkt die nächste Szene machen.

Pepe schielt auf mein Ticket und erkennt das Dilemma auf Anhieb. Der dunkelhaarige Mann mit den mandelförmigen, braunen Augen ist wirklich ein Goldstück. Asya hat großes Glück, einen klugen, witzigen und vor allem einfühlsamen Freund wie ihn gefunden zu haben.

"Komm, wir tauschen, Yuna", bietet er ungefragt an. "Du kannst neben Asya sitzen, und ich sitze bei den Jungs."

Ich winke ab. "Du musst dir keine Sorgen machen, mein Handgepäck wird doch gescannt. Keine Chance, Waffen an Board zu schmuggeln und ihn umzubringen. Kritisch wird es erst wieder in Palma."

Selbst Vito muss lachen. "Wir setzen einfach Nino als unser Kindermädchen zwischen uns, der passt schon auf mich auf."

"Lass uns doch einfach die Reihen tauschen", schlägt Nino vor, vermutlich nicht ganz uneigennützig. "Dann kann Yuna mit euch beiden sitzen und Vito und ich sitzen auf dem Zweierplatz."

"Ja, das klingt doch super", nickt Asya und lächelt mir zu.

Der Flug nach Mallorca verläuft erstaunlich ruhig. Vito und ich schaffen es tatsächlich, uns einigermaßen zu benehmen – auch wenn ich mich mehrmals zusammenreißen muss, ihm keine bissige Bemerkung zu drücken. Stattdessen versuche ich, mich auf meine beste Freundin zu konzentrieren, die neben mir sitzt und schmiede mit ihr Pläne für den Urlaub.

"Wir müssen auf jeden Fall irgendwo eine authentische, spanische Paella essen", bestimmt sie. "Und ich will Fotos in einer dieser malerischen Buchten machen", ruft Kayla von hinten. "Klar, hauptsache der Urlaub ist instagrammable", zieht Sean seine hübsche Freundin auf. "Quad fahren", steuert Pepe zu unserer imaginären Liste hinzu. "Einen ganzen Tag mit den Dingern über die Insel heizen und die schönsten Orte erkunden." "Mir ist alles egal, so lange ich jeden Abend genug Sangria kriege", lache ich. Nino, der direkt vor mir sitzt, hebt die Hand und gibt mir grinsend ein High Five. "Deshalb verstehen wir uns auch so gut - beide stark am Glas."

Nach der Landung holen wir unser Gepäck ab. Vito macht sich sogar nützlich, indem er mir hilft, meinen schweren Koffer vom Gepäckband zu hieven. "Danke. Ich mochte es schon immer, wie du mir mein Leben erleichterst", kann ich mir nicht verkneifen, doch er nimmt es hin und antwortet nur mit einem müden Lächeln.

Vor dem Flughafen warten bereits zwei große Jeeps auf uns. Pepe, Asya und ich nehmen den einen, während Kayla, Sean, Nino und Vito das zweite Fahrzeug besetzen. Zumindest während der Fahrt zur Finca habe ich also Ruhe vor Vito.

Pepe übernimmt das Steuer unseres Jeeps, während Asya Passenger-Princess spielt und ich es mir allein auf der geräumigen Rückbank bequem machen.

Wir fahren eine gute halbe Stunde durch trockene, dicht bewachsene Landschaften und huckelige, unbefestigte Straßen. Die Hitze hängt brütend heiß über der Insel, aus dem Radio tönt spanische Popmusik. Wir haben uns am Flughafen eiskalte Drinks gekauft, Asya und ich genießen den ersten Sekt, wenn auch aus der Dose und langsam steigt meine Laune.

"Du siehst schon besser aus", meint Asya und lächelt mich an. "Woher kennt ihr euch eigentlich, Vito und du?"

"Wenn ich dir das sage, muss ich dich leider umbringen", antworte ich trocken und zucke mit den Schultern. "Ist aber auch egal. Ich bin froh, dass wir nichts mehr miteinander zu tun haben und solange er mir nicht auf die Nerven geht, werden wir die nächsten Tage überleben, bis wir wieder bis an unser Lebensende getrennte Wege gehen."

Unterdessen scheinen sich unsere Mitreisenden im anderen Jeep prächtig zu amüsieren. Kayla und Sean haben das Fenster heruntergelassen und winken uns lachend zu, während aus den Boxen des Wagens laut dröhnende Bässe ertönen.

Als Pepe den Wagen eine Auffahrt hochfährt und unser Feriendomizil sich vor uns auftut, kann ich zum zweiten Mal an diesem Tage meinen Augen kaum trauen.

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