•55 || „Ich liebe dich über alles, mein Sonnenschein."•
Hey,
Nach einer kurzen Pause, kommt hier endlich mal wieder was. Ich war krank, aber jetzt geht's mir besser und ich kann euch wieder mit neuem Lesestoff versorgen.
Vielen Dank für die Votes, die ich jedes Mal bekomme. Ich freue mich sehr darüber :)
Bis dann,
Lea
Kapitel 55
„Ich liebe dich über alles, mein Sonnenschein.“
Als ich aufwachte, war es hell. Die Sonne schien durch das Fenster in den Raum. Langsam öffnete ich die Augen, um mich zu orientieren. Ich lag nach wie vor auf dem Boden. Mein Körper schmerzte höllisch.
Von irgendwo hörte ich ein Schluchzen. Mein Blick wanderte durch den Raum, bis ich Harry sah. Er saß auf dem Stuhl in der Mitte des Raumes, den Kopf nach vorne hängend tropften Tränen von seinen Wangen. Er wimmerte leise Worte in seinen Knebel. Ich konnte sie nicht verstehen.
Hustend machte ich auf mich aufmerksam. Sein Kopf schnellte hoch, die Augen ungläubig geweitet.
Ich schenkte ihm das, was einem Lächeln gerade am nächsten kam, auch wenn es kaum mehr als ein Zucken meines Mundwinkels war. Es dauerte lange, bis ich meine Glieder wieder fühlte und mich bewegen konnte. Ächzend und darauf bedacht, nicht zu viele Geräusche zu machen, rappelte ich mich auf. Auf den Knien schleppte ich mich auf Harry zu. Auf dem Weg sammelte ich noch meine Waffe ein, die noch immer in der Nähe des Fensters auf dem Boden lag.
Meine Kehle war trocken, lechzte nach Wasser, doch ich mochte mir gar nicht vorstellen, wie es Harry ging. Ob er überhaupt etwas zu trinken bekam? Wie hatte er es bloß geschafft, so lange zu überleben? Und warum war ich nicht tot? War das hier vielleicht doch nur eine Wahnvorstellung meines toten Ichs?
Egal.
Ich zerrte an meinen Fesseln. Die Schellen waren eng um meine Handgelenke geschlungen, doch ich war noch nie so froh gewesen, dass ich meinen linken Daumen in Folge eines Sportunfalls ein und ausrenken konnte. Ich griff mit meiner rechten Hand um meinen linken Daumen und zog einmal heftig daran. Es schmerzte und ich erntete einen verwunderten Blick von Harry, doch keine Minute später war ich befreit.
Ich brachte meine Hände vor meinen Körper und renkte meinen Daumen wieder ein. In den nächsten Tagen würde das Gelenk sicher blau werden, aber das war wirklich das kleinere Übel.
Ächzend bückte ich mich nach vorn, um den Knoten des Seils, das Harrys Beine an den Stuhl fesselte, zu lösen. Als das geschafft war, rieb ich sanft über die geschundene Haut und lehnte meinen Kopf für einen Augenblick gehen sein Knie, um Luft zu holen. Ich hatte das Gefühl, ich war soeben von den Toten wieder auferstanden, da konnte man von mir nicht erwarten, dass ich gleich wieder Höchstleistungen erbrachte.
Der Körperkontakt zu Harry war, auch wenn es nur wenig und vorsichtig war, als würde ich meine Batterien wieder aufladen. Ich hauchte einen Kuss auf seine Haut, dann rutschte ich um seinen Stuhl herum, um seine Hände zu befreien. Als ich einen Blick auf seinen Rücken werfen konnte, zog ich scharf die Luft ein. Trotz der Stuhllehne konnte ich dutzende Schnitte und blaue Flecken sehen.
Ich öffnete auch diesen Knoten. Ein erleichtertes Seufzen ertönte über mir und ich richtete mich auf. Harry ließ seine Arme zu den Seiten baumeln, erleichtert, dass kein Druck mehr auf seinen Gelenken lastete. Ich löste auch den Knoten seines Knebels und zog das Stück Stoff, das augenscheinlich einmal ein Teil seines Hemdes gewesen war, aus seinem Mund. Vorsichtig entfernte ich es von den Stellen seiner Lippen, an denen es angetrocknet war.
»Danke«, wisperte er erleichtert und erschöpft.
Auf eigenen Beinen stehend legte ich ganz behutsam eine Hand an seine Wange. Bedacht darauf, die verletzte Haut so wenig wie möglich zu berühren. »Wie geht es dir?« Die Frage war dumm, weil es ihm offensichtlich nicht gut ging, aber ich musste es aus seinem Mund hören.
»Beschissen«, murmelte er mit müden, geschlossenen Augen. »Ich dachte, du wärst tot.« Er sprach, ohne die Lippen zu viel zu bewegen. So trocken wie sie waren, würden sie bei jeder noch so kleinen Bewegung aufreißen.
»Glaub mir, das dachte ich auch«, antwortete ich und hauchte einen Kuss auf seine Stirn. »Ich liebe dich.«
Er hob träge eine Hand und drückte sie zart gegen mein Bein, bevor sie kraftlos in seinen Schoß fiel. »Ich liebe dich auch.«
Dass wir unser erstes „Ich liebe dich“ unter solchen Umständen aussprechen würden, hätte ich auch nicht gedacht.
»Ich bringe dich jetzt hier raus, okay?«
»Schaffst du das denn?« Harry runzelte die Stirn, ließ es aber gleich darauf wieder und zischte.
»Für dich schaffe ich alles«, sagte ich leise und stellte mich neben ihn. »Aber du musst mir ein wenig helfen, ja?«
Er nickte, die Augen noch immer geschlossen. Vorsichtig nahm ich seinen Arm, ging in die Hocke und legte ihn mir über die Schulter.
»Okay, jetzt hoch.«
Harry half so gut es ging und stemmte seine nackten Füße in den Boden. Doch kaum, dass wir standen, sackte er mit seinem ganzen Gewicht gegen mich. Obwohl er so abgemagert war, hatte ich Schwierigkeiten, uns aufrecht zu halten. Ich war immerhin auch nicht bei vollen Kräften.
Bei jedem Schritt hisste Harry auf. Seine wahrscheinlich gebrochenen Rippen schmerzten bei jeder Bewegung, aber es gab keine andere Möglichkeit, hier rauszukommen, als so. Würden wir hier bleiben, würden sie uns töten.
An der Tür machten wir Halt, atmeten tief durch. Nach einem Augenblick Verschnaufpause drückte ich leise die Klinke runter. Da die Tür nach innen aufging und glücklicherweise nicht knarzte, bemerkte uns der Wachmann nicht. Er stand direkt auf der anderen Seite der Türklinke. Lautlos hob ich meinen Arm und schlug ihm den Griff meiner Waffe in den Nacken. Er sackte nach hinten zusammen und rutschte bewusstlos an der Wand hinab.
Ich hätte ihn auch erschossen, aber es war für uns sicherer, wenn wir erstmal ungehört blieben. Dem bewusstlosen Mann kickte ich die Pistole aus der Hand, sodass sie einige Meter weiter liegenblieb.
Also ging es weiter. Harry schlurfte neben mir her, wobei ich ihn eigentlich eher zog, als was er selbst lief. Etwa einen Meter von der Tür, aus der die Wachen gekommen waren, die Liam und Zayn außer Gefecht gesetzt hatten, blieben wir stehen. Ich lugte um die Ecke, die Waffe parat. Doch der Raum war leer. Genau wie das gesamte Obergeschoss.
Bedeutete: Desmond, seine Männer und Niall, Liam und Zayn wurden unten festgehalten. Vorausgesetzt, unsere Freunde lebten noch, was ich ganz stark zu hoffen wagte.
Humpelnd schleppte ich Harry weiter bis zur Treppe. Auch dort prüfte ich, ob jemand sie bewachte, doch es war niemand da. Etwas tief in mir sagte mir, dass das mehr als verdächtig war, aber der Drang, Harry hier rauszubringen, war größer und übertönte die Stimme, die mir sagte, dass wir unsere Ärsche besser hier oben lassen sollten.
Die Treppe war schwierig. Bei jeder Stufe zischte Harry und ich wollte schreien. Die Fetzen meiner Jeans brannten in der offenen Wunde in meinem Oberschenkel und mein rechter Arm, der an der Schulter von kleinen Schnitten übersäht war, scheuerte gegen die Wand, um uns besser zu stützen.
Es dauerte eine ganze Weile, bis wir unten waren. Auf den Stufen mussten wir ungeheuer aufpassen. Wann immer ich Scherben der zersplitterten Bilderrahmen sah, hielt ich Harry an und schob sie mit dem Schuh weg, damit er sich nicht auch noch die Fußsohlen aufschnitt. Unten an der Treppe waren die Scherben der Vase, die Oliver bei seinem Sturz umgerissen hatte, grob beiseitegeschoben worden.
Insgeheim hoffte ich, dass er sich so richtig wehgetan hatte.
Am Fuß der Treppe blieben wir stehen. Ich holte möglichst leise so viel Luft, wie ging. Allein der kurze Weg aus Gemmas altem Zimmer hier runter hatte mich einiges an Kraft gekostet. Harrys Gewicht, dass immer noch voll auf mir lastete, machte es mir nicht einfacher, ich konnte ihn kaum noch halten.
Nachdem ich einigermaßen wieder zu Atem gekommen war, schaute ich mich um. Wenn wir nach rechts abbogen, kamen wir direkt zur Haustür. Es war der schnellste Weg hier raus, aber was versicherte mir, dass sie nicht knarzte? Wenn die Männer uns bemerkten, wären wir im Leben nicht schnell genug beim Auto, um abzuhauen. In unserer Verfassung waren wir zusammen kaum schneller als eine Oma mit Rollator und nur einem Bein.
Außerdem müsste ich, sobald Harry sicher im Auto saß, die anderen holen. Dafür würde ich Harry allein lassen müssen, wobei mir ganz mies zumute war. Also würden wir links herum durch den Flur und anschließend durch die Hintertür abhauen, nachdem ich die Jungs befreit hatte. Verfluchte Scheiße, ich hoffte einfach, dass dort nicht so viele Männer waren, die sie bewachten. Ich war auf mich allein gestellt und musste gleichzeitig noch auf Harry aufpassen, damit er nicht wieder verschleppt wurde. Denn in seinem Zustand ließ ich ihn definitiv nicht allein irgendwo stehen.
Ich atmete tief durch, dann tippte ich Harry sanft an, damit er wusste, dass es weiterging. Er hielt die Augen die meiste Zeit geschlossen, seinen Kopf ließ er hängen, als hätte er keine Kraft, ihn aufrecht zu halten. Mit seiner rechten Hand krallte er sich in die übrig gebliebenen Reste meines Pullovers, um mehr Halt zu haben. Träge setzte er einen Fuß vor den anderen, damit ich ihn nicht völlig hinter mir her schleifen musste.
Ich rechnete es ihm wirklich hoch an, dass er in seinem Zustand trotzdem versuchte, es mir so leicht wie möglich zu machen.
Die Waffe in meiner freien Hand gingen wir an einigen Türen vorbei. Vor der Wohnzimmertür blieben wir stehen. Ich presste mich gegen die Wand und wagte einen Blick am Türrahmen vorbei. Wie ich vermutet hatte, saßen die Jungs gefesselt auf dem Boden. Vier Wachen, darunter auch Oliver, standen um sie herum, die Waffen in den Händen. Auf dem staubigen Sofa erkannte ich Desmond. Er hielt sich das Telefon ans Ohr und sprach leise in den Lautsprecher, schien seiner Umgebung keine Aufmerksamkeit zu schenken, da er auf seine Fingernägel sah und Dreck unter ihnen hervor pulte.
Niall und Liam saßen aneinander gelehnt da, Hinterkopf an Hinterkopf, während Zayns wachsame Augen durch den Raum schweiften, bis sie auf mir landeten. Der Ausdruck auf seinem Gesicht änderte sich schlagartig, als er meinen braunen Schopf im Türrahmen ausmachte. Langsam, kaum merklich, schüttelte er den Kopf und nickte in Richtung der Männer.
Ich verstand, dass ich mich gefälligst von ihnen fernhalten und durch die Vordertür verschwinden sollte, aber mit einem sturen Blick machte ich ihm klar, dass es für mich nicht zur Option stand, meine Freunde zurückzulassen.
Ich zog meinen Kopf wieder zurück und sah zu Harry auf. Sanft tippte ich ihn an, woraufhin er die Augen öffnete und mich fragend ansah. Das Grün seiner Augen war stumpf und getrübt. In der Hoffnung, dass er verstand, nickte ich zu meiner Waffe und dann in Richtung des Wohnzimmers. Anschließend hielt ich vier Finger hoch, danach einen und deutete gleichzeitig auf die Schnitte auf meinem Bauch.
Als Harry verstand, trat ein entsetzter Ausdruck voller Panik auf sein Gesicht. Stumm schüttelte er den Kopf und wollte sich von mir losmachen, doch ich hielt ihn bei mir. Ohne mich würde er nicht stehen können und wenn er fiel, machte er auf uns aufmerksam.
Ich griff nach seiner Hand, drückte sie und sah ihm tief in die Augen. »Bleib einfach hinter mir, wir schaffen das. Ich liebe dich«, formte ich mit meinen Lippen und hauchte anschließend einen Kuss auf seine zarte Haut.
Nach einem letzten prüfenden Blick durch den Flur, um sicher zu gehen, dass hier wirklich niemand anderes war, der uns gefährlich werden konnte, linste ich wieder um die Ecke. Sofort fand ich Zayns Blick und deutete auf meinen Hals. Er nickte leicht und begann zu husten, als ich nickte. Die Wachen zuckten zusammen und richteten alle gleichzeitig ihre Waffen auf meinen besten Freund, der einen schauspielreifen Hustenanfall vortäuschte.
In dem Moment entsicherte ich meine Pistole. Während die Männer noch abgelenkt waren, lehnte ich mich weit genug um die Ecke herum, dass ich meine Arme ausstrecken konnte. Harry hing derweil mit seinen Armen über meine Schultern gegen meinen Rücken gelehnt auf mir, damit ich beide Arme frei hatte.
Ich zielte auf den ersten Mann, schoss und beobachtete, wie er zu Boden ging und reglos liegen blieb. Er war nicht tot, durch den Schuss in die Schulter lediglich bewusstlos. Dem nächsten Schoss ich direkt darauf ins Bein. Zayn streckte sich und kickte ihm, während er sich jammernd das verletzte Bein hielt, das gesunde Bein weg, sodass er zur Seite fiel und mit dem Kopf gegen das Fensterbrett knallte.
Das alles passierte innerhalb weniger Sekunden.
Als ich sah, wie einer der anderen Männer seine Waffe hob und auf mich zielte, drückte ich mich und Harry schnell zurück hinter die sichere Wand. Ein Schuss ertönte und keine Sekunde später sah ich das gesplitterte Holz, wo sich eben noch mein Kopf befunden hatte. Ich atmete tief durch.
Adrenalin pumpte durch meine Adern. Ich beugte mich schnell wieder um die Ecke und schoss in Richtung eines weiteren Mannes. Er ging ebenfalls zu Boden. Gerade, als ich auf den letzten Mann schießen wollte, hörte ich hinter uns Schritte über den Holzfußboden donnern. Eine Tür flog auf und eine ganze Reihe an maskierten Männern kam aus dem Abgang zum Keller.
Fuck.
Ich sah wieder ins Wohnzimmer und stockte, als ich Desmond erblickte. Wütend sah er zu mir, während er vor Liam saß und dem die Mündung seiner Pistole gegen die Schläfe drückte. Der übrig gebliebene Wächter stand neben Zayn und zielte auf dessen Kopf.
Doppelt fuck.
Das Grinsen, das sich auf Desmonds Gesicht ausbreitete, als er weitere seiner Männer hinter uns auftauchen sah, bestätigte meinen Gedanken.
Wir saßen in der Falle.
Ich hatte keine Chance, so viele Männer aus dem Weg zu räumen. Nicht nur, dass etwa zehn von ihnen hinter uns im Flur standen, ihre Waffen auf uns gerichtet, auch würde meine Munition nicht mehr für alle reichen. Ich linste zu meiner Waffe. Nur noch sieben Patronen. Verdammt.
»Nimm die Waffe runter, Junge«, knurrte Desmond überlegen grinsend.
In die Enge getrieben und aus Angst, er könnte meine Freunde erschießen – ich traute es ihm nach alldem durchaus zu -, ließ ich meine Waffe sinken.
»Auf den Boden damit und dann schiebst du sie mit dem Fuß von dir.«
Ich tat, was er sagte. Harrys leises Stöhnen direkt neben meinem Ohr machte die Sache nur noch schlimmer. Ich war hin und hergerissen zwischen dem Gedanken, ob es nicht doch vielleicht besser gewesen wäre, durch die Haustür abzuhauen, Harry in Sicherheit zu bringen und dann wiederzukommen, und den Schuldgefühlen meinen Freunden gegenüber, weil ich sie dann länger einem möglichen Tod hätte ausgesetzt lassen.
Doch jetzt war die Situation, wie sie war. Aussichtslos. Wir saßen in der Falle, waren umzingelt und hatten keine Chance, abzuhauen. Ich war mir sicher, dass sie nicht zögern würden, uns zu erschießen, sollte ich auch nur eine falsche Bewegung machen.
Für einen Moment schloss ich ergeben die Augen und nahm Harrys Hand, die vorne über meine Brust hing. Wir waren gescheitert. Ich war gescheitert, hatte alles riskiert und verloren.
»Es ist okay«, murmelte Harry leise an meinem Ohr. Seine Stimme war kratzig und heiser, als lechzte seine Kehle nach Wasser. Verflucht, ich hatte gewusst, dass ihn erst ins Bad hätte bringen sollen, damit er etwas trinken konnte. »Ich liebe dich über alles, mein Sonnenschein.«
Scheiße, warum hörte sich das an wie Abschiedsworte?
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