•52 || „Ich habe ihn umgebracht."•
Kapitel 52
„Ich habe ihn umgebracht.“
Ich lenkte den Wagen in die Straße ein, die das Navi sagte und hielt einige Meter hinter der Kreuzung am Straßenrand. Mittlerweile war es stockdunkel, doch entgegen meiner Erwartungen konnte man die Sterne sehen. Hell leuchten sie am Himmel, doch sie veränderten nichts an meiner Stimmung. Wenn ließen sie mich noch ein wenig bedrückter sein.
Ich hatte mir das erste Mal, an dem Harry und ich uns die Sterne ansahen, definitiv anders vorgestellt.
Das Geräusch des Motors verstummte, als ich den Schlüssel im Schloss zurückdrehte. Die Lichter gingen aus und wir standen in völliger Dunkelheit da. Es dauerte eine Weile, bis sich meine Augen an die veränderten Lichtverhältnisse gewöhnt hatten und ich auch im Licht der Sterne und des Mondes meine Freunde sah.
Liam zog den Rucksack aus dem Fußraum hoch auf seinen Schoß. Er öffnete den Reißverschluss und holte vier Waffen heraus. »Hier«, sagte er und händigte jedem von uns eine der schwarzen Pistolen. »Vergisst nicht, was wir geübt haben. Beide Hände, fester Stand und zielen, bevor ihr schießt. Aber ich rate euch: schießt erst, wenn es wirklich notwendig ist. Ich weiß nämlich nicht, wie wir Tote erklären sollen, falls das hier vor Gericht geht. Versucht, eure Gegner zuerst zu Boden zu ringen und an den Stellen, die ich euch gezeigt habe, auszuknocken. Schießen erst auf Arme oder Beine, nur im allergrößten Notfall in den Bauch, Rücken oder Kopf, verstanden?«
Wir nickten. Ich zog mir die Kapuze meines schwarzen Pullovers über den Kopf und verstaute die Waffe in meinem Hosenbund am Rücken, damit sie mir nicht im Weg war, wenn wir über einen Zaun kletterten. Bereits vorher hatten wir mithilfe von Sattelitenaufnahmen abgemacht, dass wir vom Nachbarsgarten aus über den Zaun klettern würden, um uns durch den Hintereingang ins Haus schleichen konnten. Sollte die Tür zu sein, durch das Kellerfenster, das sich unter dem Wohnzimmerfenster befand und laut Liam eigentlich immer offen stand, weil der Schließmechanismus nicht mehr funktionierte.
Auch die andern Jungs zogen ihre Kapuzen über die Köpfe. Wir alle trugen dunkle Kleidung, damit wir in der Dunkelheit weniger erkannt werden konnten.
Ich öffnete gleichzeitig mit Niall die Autotür und stieg aus. Dass in dieser Straße die Beleuchtung kaputt war, kam uns sehr gelegen. Der Ire sah mich ein wenig nervös an, doch ich ging zu ihm und schloss ihn kurz in die Arme, bevor wir gemeinsam zu den anderen auf die andere Seite des Autos gingen.
In einigen Häusern der Straße brannte noch Licht. Wir huschten an diversen beleuchteten Fenstern vorbei, immer weiter hinein in die Straße, bis Liam ein leises Geräusch von sich gab und uns so bedeutete, stehen zu bleiben. Fuck, ich fühlte mich, als würde ich gleich ein Haus ausrauben.
Liam winkte uns dichter zu sich heran. »Es ist das übernächste Haus, das mit dem eingeschlagenen Fenster im Obergeschoss und den verwilderten Rosen im Vorgarten«, wisperte er, als wir nah genug beieinander standen. »Sie haben kein Licht an, weil das Haus eigentlich leer steht und es zu auffällig wäre. Wisst ihr alle, was zu tun ist?«
Ich nickte und griff noch einmal probehalber nach der Waffe in meinem Hosenbund, um sicherzugehen, dass sie nicht herausrutschen würde. Gemeinsam gingen wir geduckt an der Hecke des Nachbarshauses entlang. Durch das Gartentor schlüpften wir in den Garten und schlichen an dem von Efeuranken bewachsenen Zaun entlang.
Unter dem Wohnzimmerfenster, in dem Licht brannte, duckten wir uns, damit die Nachbarn uns nicht erkannten und gar die Polizei riefen. Dann konnten wir alles hier vergessen.
Darauf bedacht, immer im Schatten zu bleiben, tippelten wir auf Zehenspitzen durch das Blumenbeet recht weit hinten auf der linken Seite des Gartens. So konnten wir im Schutz der großen Bäume unentdeckt auf das andere Grundstück gelangen.
Zayn griff als erster nach den dicken Efeuranken über seinem Kopf und suchte nach einer Lücke zwischen den Brettern des Zaunes, die sich dazu eignete, seinen Fuß hineinzustellen. Mit einem kleinen Sprung kletterte er hinauf, schwang erst ein dann das andere Bein über den Zaun und sprang so leise wie möglich auf der anderen Seite hinunter. Das dumpfe Geräusch seines Aufpralls verriet uns, dass er gelandet war.
»Leute, schnell«, hörte ich ihn im Flüsterton rufen.
Als nächster kletterte Niall über den Zaun, danach war ich dran. Vergeblich versuchte ich, mich an den Ranken festzuhalten, die auch Zayn und Niall genutzt hatten, aber ich kam nicht dran. »Ach, verfluchte…«, murmelte ich und schnappte nach Luft, als sich plötzlich zwei große Hände an meine Hüfte legten und mich ein Stück nach oben beförderten, damit ich mich festhalten konnte.
Ich griff nach den obersten, dicken Ranken und erklomm die letzten paar Zentimeter, bevor ich meine Beine auf die andere Seite schwang. Von meiner hohen Position aus erkannte ich Niall und Zayn hinter einem Busch hocken. Im Gegensatz zu den beiden suchte ich nach Stellen, in die ich meine Füße haken konnte, um herunterzuklettern. Den letzten Meter sprang ich dann doch, blieb allerdings an einem Ast des großen Baumes hängen. Ein Zweig peitschte mir ins Gesicht.
Ein stechender Schmerz ließ mich japsen und ich hielt mir die Wange, als ich mich vom feuchten Rasen aufrappelte und geduckt zu Niall und Zayn huschte. Dicht gefolgt von Liam, der direkt nach mir auf dieser Seite des Zaunes gelandet war. Er drückte mich an der Schulter vorwärts zu den anderen.
»Alles okay?«, wisperte Zayn und beäugte von seiner Position neben Niall mein Gesicht. »Es blutet nicht, ist nur ein wenig rot, soweit ich das erkennen kann.«
Ich nickte und ließ meinen Blick durch die Zweige des Busches zum Haus wandern. Im inneren war es stockfinster, doch der Mond schien in eines der Fenster. Im trüben, weißen Licht konnte ich eine Silhouette ausmachen. »Da ist jemand.«
Niall zupfte an meinem Ärmel und deutete durch den Busch auf das große Wohnzimmerfenster. Auch dort befand sich ein Schatten. Die vermummte Person ließ ihren Blick immer wieder durch das Fenster nach draußen schweifen.
»Ich gehe vor«, murmelte Zayn.
Liam nickte, er wusste, dass Zayn die Wachen ausknocken konnte, ohne dass es jemand anderes mitbekam. Wir warteten ab, bis eine vorbeiziehende Wolke den Mond verdeckte und den Garten fast in völlige Dunkelheit tauchte. In genau dem Moment, in dem man kaum noch seine Hand vor den Augen sehen konnte, kamen wir aus unserem Versteck hervor und liefen möglichst geräuschlos im Schutz einiger großer Bäume, die sich durch den ganzen Garten bis zum Haus zogen, los.
Als wir am Haus ankamen, ohne gesehen zu werden, pressten wir uns gegen die kalten Ziegel der Fassade. Liam, der rechts neben mir an der Ecke stand, lugte um sie herum. »Der Mann aus dem Wohnzimmer ist gerade gegangen, heißt, er dürfte uns nicht sehen oder gesehen haben. Die Tür ist zwei Meter von hier entfernt«, flüsterte er uns zu, nachdem er sich wieder zu uns gedreht hatte. Er stieß sich von der Wand ab und tauschte mit Zayn die Plätze.
Auf drei liefen wir um die Ecke, so dicht an der Hauswand, dass der raue Stein an den Fasern meines Pullovers zupfte. Dicht hinter mir schlich Niall, ich spürte seine eine Hand auf meinem Oberarm. An der Tür angekommen, drückte Zayn sich bei der Türklinke gegen die Wand und drückte sie lautlos runter, sodass sich die Tür ein Stück öffnen ließ.
Vorsichtig lugte er durch den Spalt, der gerade groß genug war, dass eine Maus hindurchflitzen konnte. Mit seiner freien Hand, die nicht auf der Klinke lag, hielt er drei Finger hoch. Also drei Männer. Mit einem Wink bedeutete er uns, zu sich zu kommen. Auf Zehenspitzen und den Blick zwischen dem Boden und Zayn hin und her huschend, um wirklich kein Geräusch zu machen und zu sehen, falls er uns ein Zeichen gab, kamen wir zu ihm.
Kaum standen wir alle an der Tür, zog Zayn sie weiter auf. Er schlüpfte hindurch und durch den Spalt konnte ich sehen, wie er sich von hinten an einen der Männer heranschlich. Mit einem gezielten Griff in den Nacken, drückte er auf einen ganz bestimmten Punkt, von dem er mir einmal erzählt hatte. Der Mann verlor jegliche Körperspannung und sackte gegen Zayn, der ihn langsam und leise zu Boden gleiten ließ.
Den nächsten knockte er auf dieselbe Weise aus. Blöd war nur, dass er nach vorne fiel und Zayn ihn gerade noch so am Kragen packen konnte, sodass der Kerl nur mit dem Kopf auf den abgelaufenen Holzboden aufschlug statt mit dem ganzen Körper. Das leise Geräusch, das durch die mit dem Boden kollidierende Stirn ertönte, zog jedoch die Aufmerksamkeit des dritten Mannes auf uns.
Er verengte seine Augen und hob seine Waffe, doch in Windeseile entwaffnete Zayn ihn und brachte ihn mit einigen gekonnten, leisen Schlägen zu Boden. Mein bester Freund wandte sich uns zu und winkte, damit wir ihm folgten.
An der Wohnzimmertür stoppten wir. Zayn warf einen prüfenden Blick hinein, nicht dass dort eine weitere Wache war, die uns meldete. Doch scheinbar war der dritte Mann aus eben diesem Raum gekommen, weshalb wir an der geöffneten Tür vorbeihuschten.
Der Flur knickte nach links ab und endete an der Haustür. Dort standen ebenfalls zwei Männer. Zayn pirschte sich an sie heran und ich konnte kaum so schnell sehen, da lagen sie schon auf dem Boden. Die Waffen nahm Zayn ihnen aus den Händen und entfernte die Munition. Liam hinter uns ließ seinen wachsamen Blick immer wieder durch den Raum schweifen, damit wir nicht überrascht wurden, die Waffe im Anschlag.
»Die Küche ist sicher«, brummte er uns leise zu.
Ich streckte den Daumen nach oben und nickte im selben Moment zur Treppe, die nach oben führte. Das Geländer war ordentlich in Mitleidenschaft gezogen worden. Einige Bretter hingen gebrochen an der Seite herunter und dunkle Flecken verzierten die weiße Tapete an der Wand und die Stufen aus hellem Holz. Die Handabdrücke, die sich wie in einem Horrorfilm an der Wand entlangzogen, ließen mich darauf schließen, dass es Blut war. Harrys Blut.
Einige Bilder lagen auf dem Fußboden und auf den Stufen. Sie waren von der Wand gefallen oder heruntergerissen worden. Die Glasscheiben gesplittert und die Bilder teilweise zerrissen. Im Schein einiger Mondstrahlen, die von oben auf die Szene fielen, konnte ich Familienfotos erkennen. Fotos von einer älteren Frau, vermutlich Harrys Mom, und einem Mädchen. Gemma. Aber auch Kinderfotos von Harry, auf denen er lächelte und mit seinen Freunden draußen im Garten spielte.
Es schmerzte mich, zu wissen, dass Harry all diese Erinnerungsstücke sehen musste, als er nach oben geschliffen wurde. Er hatte sich gewehrt und ich glaubte fast, panische Schreie zu hören. Doch es war still im Haus. Kein Mucks war zu hören, was es uns deutlich schwerer machte, ungehört nach oben zu kommen.
Liam drängte sich an Zayn vorbei, dicht nacheinander gingen wir die Treppe nach oben. Ich passte auf, wo ich hintrat. Meistens setzte ich meine Füße an den Rand der Stufen, da dort die Gefahr, dass sie knarzten, am geringsten waren. Die blutigen Handabdrücke, die von Harry stammen mussten, jagten mir kalte Schauer über den Rücken.
Wüsste ich es nicht besser, könnte man meinen, das hier wäre ein Horrorhaus an Halloween.
Aber ich wusste es besser, und das jagte mir eine gehörige Angst ein. Fast oben angekommen, bedeutete Liam uns, stehen zu bleiben. Er streckte sich ein wenig und lugte nach oben. Dann streckte er zwei Finger in die Luft. Okay, also zwei Wachen. So weit so gut.
Liam und Zayn gingen weiter, dicht beieinander, um die Männer schnellstmöglich außer Gefecht zu bringen.
Niall, der vor mir lief, warf einen Blick über seine Schulter nach hinten. Plötzlich riss er die Augen auf, was mich dazu brachte, mich herumzudrehen. Unten an der Treppe stand ein Mann. Groß und dunkel gekleidet, das Gesicht vermummt. Langsam hob er einen Finger und zeigte auf mich, die Augen zusammengekniffen. Lächelte er unter der Maske?
Fuck, wir waren von verdammten Psychopathen umgeben!
Mein Atem setzte aus, als er, den Blick direkt auf mich gerichtet, die erste Stufe bestieg. Kurz blickte ich zu Zayn oder Liam, doch die zwei waren bereits oben verschwunden und lieferten sich lautlos Kämpfe mit den Wachen. Wie erstarrt sah ich Niall an. Schock und Panik standen in seinem Blick und ich war mir sicher, dass er sich gerade wünschte, doch einfach in London bei El geblieben zu sein.
Schluckend hörte ich das heftige Pochen meines Herzens in meinen Ohren, machte mich taub für jegliche andere Geräusche. Ich spürte, wie das Adrenalin durch meine Blutbahnen gepumpt wurde. Ich wollte lossprinten, doch den Weg nach unten versperrte der Mann und oben saßen wir in der Falle.
Mein Blick fiel wieder auf ihn.
Er ging langsam, als würde das hier ihm einen Heidenspaß machen, eine Stufe nach der anderen hoch. Ich hatte das Gefühl, dass meine Füße auf der Stufe unter mir festgeklebt waren. Angst packte mich, als er statt einer Schusswaffe ein etwa zehn Zentimeter langes Messer hinter seinem Rücken hervorholte.
Der blanke Stahl der Schneide funkelte durch das wenige Mondlicht bedrohlich auf.
Scheiße, ich war doch nur ein einfacher Autor!
In diesem Moment, in dem ich unweigerlich in Gefahr schwebte und vielleicht sogar sterben würde, wünschte ich mir nichts sehnlicher, als dass ich Zayns verdammter Bitte nachgekommen wäre, damals mit ihm Karate anzufangen. Dann könnte ich mich jetzt verteidigen und stände nicht gelähmt vor Angst da und sah meinem potentiellen Mörder in die Augen, während dieser Stufe für Stufe näher kam.
Ich wusste, dass eine Flucht nach oben sinnlos war. Erstens war es eine Falle, immerhin wussten wir nicht, wie viele Männer dort noch auf uns warteten, und zweitens erkannte ich anhand seiner Statur, dass er um einiges sportlicher und damit ausdauernder und definitiv schneller als ich war. So oder so, eine Flucht wäre aussichtslos.
Verdammte Scheiße, Liam hatte uns beigebracht, wie man Leute mit Schusswaffen entwaffnete und jemanden ausknockte, aber der Typ hier hatte ein Messer. Ein fucking Messer!
Sein Blick war starr an meinen geheftet, er wandte sich nicht ab, blinzelte nicht einmal, kam es mir vor. Seine Augen kamen mir seltsam bekannt vor, doch ich konnte mir nicht ausmalen, wer unter der schwarzen Ski Maske steckte.
Langsam ließ ich meine rechte Hand an meinen Rücken wandern. Ich umfasste den Griff der Pistole, die nach wie vor in meinem Hosenbund ruhte. Von oben hörte ich das Geräusch von Fäusten, die auf Gesichter und andere Körperteile einschlugen. Scheinbar waren Zayn und Liam beschäftigt. Gut, dann musste ich das hier eben alleine durchziehen.
In einer einzigen schnellen Bewegung zog ich meine Waffe hervor und entsicherte sie, während ich sie auf den Mann vor mir richtete. Hinter mir hörte ich ein Rascheln, dann sah ich den Lauf einer weiteren Pistole neben mir. Niall.
»Bleib stehen«, zischte ich, den Finger am Trigger und den Lauf mitten auf seine Stirn gerichtet. Wenn ich schoss, wäre er sofort tot. Doch ich hoffte, dass es nicht soweit kam.
Er legte seinen Kopf zur Seite und ließ sein Messer in seiner Hand kreisen. Dann setzte er seinen einen Fuß auf die letzte Stufe, die uns voneinander trennte. Wenn er jetzt seinen Arm ausstreckte, könnte er mir ohne Probleme sein Messer in Bauch oder Brust rammen.
Die Stufe knarzte, als er sein Gewicht auf das andere Bein verlagerte. Hinter mir zuckte Niall zusammen. Im Augenwinkel sah ich wie in Zeitlupe, wie sein Zeigefinger den Trigger betätigte. Es war kaum mehr als ein Zucken, doch keine Sekunde später schoss nur zwanzig Zentimeter von meinem Gesicht entfernt eine Kugel nach vorn.
Ich schmiss mich gegen die blutverschmierte Wand und beobachtete mit weit aufgerissenen Augen, wie die Kugel nach vorn schoss. Es war wie in diesen Filmen, in denen der Protagonist alles in Zeitlupe sieht, damit der Zuschauer jedes Detail wahrnehmen konnte. Der Knall, der durch den Schuss entstand, traf mich vollkommen unvorbereitet.
Zu spät riss ich meine Arme hoch und verdeckte meine Ohren. Ich zuckte zusammen, hörte nur noch ein ohrenbetäubendes Fiepen. Fuck.
Ich sah, wie der Kerl die Augen aufriss. Er versuchte, sich zu ducken, schaffte es aber lediglich zu verhindern, dass sich die Kugel in seine Brust bohrte. Stattdessen schlug sie in seine Schulter ein. Der Aufprall ließ ihn nach hinten taumeln. Er verlor das Gleichgewicht, versuchte noch, sich an dem Treppengeländer festzuhalten, doch es war vergeblich. Rückwärts fiel er fast die ganze Treppe hinunter und landete laut scheppernd in dem Tischchen mit der Vase, das am Ende der Treppe an der gegenüberliegenden Wand gestanden hatte.
Die Vase ging zu Bruch und der Mann sackte zusammen, fiel zu Boden und blieb reglos liegen. Verfluchte Scheiße, hoffentlich war er nicht tot. Denn Liam meinte schließlich, dass es nicht einfach für uns zu erklären sein würde, wenn es Tote gab.
Aus der oberen Etage ertönten Rufe, dunkle Stimmen mischten sich zu einem stetigen Summen in meinen Ohren. Das Fiepen war schmerzhaft, doch ich konnte darüber hinweg hören, wie Liam fluchte.
»Fuck! Niall, was zur Hölle?«, brüllte er fuchsteufelswild, während er über die Brüstung gelehnt zu uns runter starrte. Sein Blick fiel auf den reglos liegenden Mann am Fuß der Treppe, dann sah er Niall an, der völlig geschockt dastand. Die Waffe noch immer erhoben zitterte sie in seinen Händen, seine Augen lagen geweitet auf dem Mann, den er soeben angeschossen hatte.
»I-ich hab ihn… Er ist-«, stammelte der Ire verloren mit hohler Stimme.
Ich rappelte mich auf und zischte. »Fuck.« Ich hob meine Hand, die bis eben noch auf meinem Oberschenkel gelegen hatte, vor mein Gesicht und blickte auf das im Mondschein schimmernde, frische Blut. Erst jetzt bemerkte ich, wie mein Oberschenkel höllisch brannte.
Der Mann hatte versucht, sich mit seiner linken Hand an meiner Hose festzuhalten. Die Hand, in der er das Messer gehalten hatte. Während seines Versuchs musste es sich in mein Bein geschnitten haben, jedenfalls war meine Hose über zwanzig Zentimeter zerschnitten. Ich klaffte die zerfetzten Stücke Stoff auf, um zu sehen, wie tief er mich geschnitten hatte. Zischend zog ich den Jeansstoff aus der Wunde.
Sie war nicht zu tief. Ziemlich oberflächlich, wie ich jetzt auf die Schnelle feststellte. Da sie sich jedoch quer über meinen gesamten Oberschenkel zog, trat auch entsprechend viel Blut hervor.
Kurz schloss ich die Augen, dann ließ ich die Stofffetzen los und wandte mich Niall zu. Nachdem ich meine eigene Waffe vorne in meinen Hosenbund gesteckt hatte, griff ich nach seiner. Der Lauf war heiß, weshalb ich zusah, dass ich seine Finger vom Griff löste, damit ich sie dort halten konnte.
Nialls Gesicht lag in Schatten, doch ich konnte klar und deutlich den Schock in seinem Ausdruck erkennen. Immer wieder murmelte er Worte. »Ich habe ihn umgebracht. Ich bin ein Mörder…« Es waren immer die selben zwei Sätze, die er manisch wiederholte.
Als ich seine Waffe gesichert in meiner Hand hielt, stieg ich – wenn auch unter Schmerzen, doch die musste ich jetzt ignorieren, geheult werden konnte später – auf seine Höhe und legte meine Hand an sein Kinn, um seinen Blick von dem bewusstlosen Mann zu lösen.
»I-ich habe ihn um-umgebracht«, wimmerte er. »Ich bin ein M-Mörder, ich habe ihn um-«
»Hey, Niall«, zog ich seine Aufmerksamkeit auf mich. »Es ist alles gut.«
Doch er schüttelte den Kopf und presste die Augen zusammen, wisperte wieder die Worte.
»Er ist nicht tot, er ist lediglich bewusstlos von dem Sturz«, versuchte ich, ihm einzureden. »Du hast mich gerettet, Niall, du bist ein Held, hörst du? Du hats ihn nicht getötet. Er lebt, es ist alles gut.«
Eine Träne löste sich aus seinem Augenwinkel, die ich schnell mit meinem Ärmel wegwischte.
»Niall, du musst jetzt stark sein, okay?«, rief Liam seinem Mann zu. Er selbst war gerade dabei, eine der Wachen zu Boden zu Ringen. Zayn war im Hintergrund ebenfalls in einen Kampf verwickelt. »Ich liebe dich, hörst du? Vergiss das jetzt einmal, bitte. Er lebt, es ist alles okay!«
Niall blickte zu Liam, der ihm einen ermutigenden Blick zuwarf. Es war, als schöpfte er aus dem Blickkontakt, der voller Liebe war, neuen Mut. Er sah mich an und nickte, woraufhin ich ihn losließ und ihm seine Waffe wieder in die Hand drückte.
Am Ärmel seines dunkelblauen Hoodies zog ich ihn die letzten Stufen nach oben zu den anderen, die eine Wache nach der anderen zu Boden schickten. »Durchsucht die Zimmer! Ich weiß nicht, in welchem Raum sie sich aufhalten, aber haltet eure Waffen bereit!«, rief Liam und trat seinem Gegner in den Bauch. Der dunkel gekleidete Mann keuchte auf und beugte sich nach vor, was Zayn ausnutzte und ihn mit einem geübten Schlag in den Nacken ausknockte.
Ich nickte und drängte mich an Zayn vorbei in den Flur. Die erste Tür von insgesamt sieben stand offen. Scheinbar ein Büro, aus dem die Männer, mit denen Liam und Zayn gerade zu tun hatten, gekommen sein mussten. Niall widmete sich unterdessen der rechten Seite des Flures.
»Sicher«, rief er ein bisschen heiser über die lauten Kampfgeräusche hinweg.
Ich blickte an ihm vorbei in den Raum. Ein leeres Schlafzimmer, in dem ein einzelnes Bett stand. Die Gardinen und Matratze waren feucht und schimmelten, weil das Fenster eingeschlagen war. Es musste das sein, von dem Liam draußen auf dem Bürgersteig gesprochen hatte.
Meine Waffe in beiden Händen kehrte ich auf die linke Seite des Flurs zurück. Die Türklinke drückte ich mit meinem Ellenbogen runter, um die Tür danach mit einem Tritt aufschwingen zu lassen. Es war ein Badezimmer. Wie an der Treppe waren auch hier blutige Handabdrücke. Es sah aus, als hätte sich jemand am Duschvorhang festhalten wollen, wäre jedoch abgerutscht. Jedenfalls war Blut in Schlieren unter einem Handabdruck daran zu sehen.
»Sicher«, rief ich, konnte mich aber erst nach einem Moment von dem grauenvollen Anblick lösen.
Niall checkte den nächsten Raum, ein Abstellraum. Nichts. Je mehr Türen sich öffneten, desto angespannter wurde ich. Es waren drei Türen übrig. Eine davon führte zu dem Zimmer, in dem Gemma sich umgebracht hatte. Eine weitere zu Harrys altem Zimmer. Und hinter einer von ihnen befand sich Harry.
Leise, es ging fast unter den Kampfgeräuschen unter, die das Obergeschoss erfüllten, hörte ich leises, qualvolles Stöhnen und einen Schrei. Zunächst dachte ich, es kam von den Männern, die von Liam oder Zayn zu Boden gestreckt wurden, doch dann machte es Klick.
Harry.
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