sommerregen

(An der Stelle wollte ich euch noch einmal bitten, vorsichtig mit euren Kommentaren zu sein, da viele Aktionen und Handlungen aufgrund psychischer Krankheitsbilder passieren werden, weswegen Dinge teilweise out of character wirken oder zu lasch begründet scheinen. Behaltet immer im Hinterkopf, dass nur, weil ihr persönlich nicht so handeln würdet, das niemandem vorschreibt, genau wie ihr zu handeln. Ich möchte keine despektierlichen Kommentare lesen, weil ich nicht möchte, dass Betroffene sich schlecht fühlen. Also, haltet euch bitte zurück und schreibt mir Kritik oder Fragen lieber privat, wenn es welche gibt und tut mir den Gefallen und wartet bis zum Ende, wenn es erklärt wird.)

「2012年08月25日 ○ 25. august 2012」
☆ミ 土曜日 ● doyobi ○ samstag
✎ pov。 天童 ○ pov. tendou

Ein verlassener Feldweg.
Meine Füße, die nur sanft über den Boden gleiten, den Untergrund nur flüchtig streifen, und trotzdem Kies und Staub aufwirbeln. Für die Ameisen muss es wie eine schlimme Lawine von unten aussehen.
Die Sonne im Nacken, der Geruch von frisch gemähtem Gras in der Nase.
Ein Gefühl von Glück und Wärme im Inneren, das leichte Lächeln, das dies reflektiert, sichtbar von außen.
Ein Spätsommertag am späten Abend, wenn die Sonne langsam untergeht, man die Grillen zirpen hört, an einem Baum eine Zikade sitzt, die ein ausgelassenes Lied zirpt.
Im Augenwinkel eine Springspinne, die vom Pfeiler eines Spitzpfostenzaunes ins Gras springt.
So fühlt sich Sommer an, so nehmen meine Sinne ihn wahr.

Es sind gefühlt vielleicht fünfundzwanzig Grad Celsius, im Schatten der nebenstehenden Apfelbäume ist es etwas kühler. Hätte ich die Möglichkeit, würde ich über den Bordstein balancieren, einen Fuß vor den anderen. Ich gebe mich mit einem Kompromiss zufrieden, schieße mit der Schuhspitze die Steine vor mir her, die nicht die Größe eines Kieselsteines haben und summe dazu die Melodie von arashi no atode, „nach dem Sturm".

Dieses Lied reflektiert für mich nicht wirklich das Gefühl vom Ende eines Sturmes, in mir kommen eher die Gefühle eines Sommerregens auf, denn ich höre aus der Melodie „Sommer" und „Nostalgie" heraus, auch, wenn das Lied vermutlich etwas anderes aussagen soll.

Und das wiederum weckt in mir den Grund, warum ich eigentlich unterwegs bin.
Normalerweise mache ich keine Spaziergänge in der Bauernschaft.
Ich bin auf dem Weg zu Wakatoshi, wir sind heute verabredet. Auf meinen Wunsch hin natürlich. Ich hatte die Idee, dass wir uns ein letztes Mal, bevor wir endgültig "erwachsen" würden, noch ein mal wie Kinder verhalten würden. Wir hatten beide nicht die Kindheit, wie andere sie in den meisten Fällen hatten.

Wir beide gehörten nicht zu den Kindern, die von morgens bis abends mit ihren Freunden in der Nachbarschaft rumliefen und spielten, ihr Essen teilten, Abenteuer erlebten und es das schönste Gefühl war, wenn man sich hatte, bei den Nachbarn mitessen durfte oder selbst Freunde nach Hause mitbrachte, oder wenn ein netter Vater für die ganze Gruppe ein Eis ausgab und es das schlimmste Gefühl war, wenn man als erstes Kind abends zum Essen reinkommen sollte oder als einziges Kind nicht die Straßenseite überqueren durfte. Wakatoshi und ich waren beide nicht so aufgewachsen.

Wakatoshi, der ohne Mutter aufwuchs und von seiner Großmutter immerzu zu Leistung gezwungen wurde, immer funktionieren musste, der in dem einzigen Haus lebte, an dem sich kein Kind traute, anzuklingeln, „sonst schlägt die alte Hexe uns!" - Ja, sie hatte sogar versucht, ihn zum Rechtshänder zu erziehen - hatte auch nicht so eine Kindheit, wie sie im Buche steht. Doch das Älterwerden war nicht nur wegen seiner sowieso schon versäumten Kindheit ein Segen für ihn, denn irgendwann konnte er sich durchsetzen und zog zu seinem Vater, der die kleine Farm bis dato allein am Leben erhielt, seitdem er aus dem Ausland zurückkehrte. Auch er musste funktionieren, funktionieren, funktionieren.
Aber sobald Wakatoshi wieder da war, hatte er jemanden, der mit anpackte, der Aufgaben alleine übernahm und seinem Vater die Stunden zurückgab, die er bereits abgearbeitet hatte. Ein guter Sohn, wie ich finde.

Auch ich habe nicht wirklich eine Kindheit gehabt. Ich wurde zwar mit beiden Elternteilen groß, beide waren gute Eltern, ich wurde nicht von jemandem unterdrückt und zu Höchstleistung gezwungen und war eigentlich ein glückliches Kind, das alles hatte und sich nicht beschweren konnte. Relativ unspektakulär also, aber etwas, das ich nicht hatte, waren Freunde. Ich war der „Dämon" in der Nachbarschaft, vor dem sich alle Kinder fürchteten, der Geist in der Schule, den niemand wahrnahm und zuhause einfach nur der gut erzogene, eher introvertierter Junge. Ich habe meine Kindheit in meinem Zimmer verbracht, denn auch an meiner Haustür klingelte nie ein Kind.
„Mutprobe, wer bei Satori klingelt und wartet, bis die Tür sich öffnet, kriegt ein Eis spendiert."
„Mit dem will ich nicht spielen, der ist gruselig."

Tja, vergangene Zeiten sind temporär vergangen, jedoch spürbar präsent, allgegenwärtig.
Aber das ist kein Grund, Trübsal zu blasen, denn heute ist das anders, ich habe Freunde, stehe zu mir selbst, habe ein besseres Selbstwertgefühl und ich bin frei von jeglicher Schüchternheit- aber höflich bin ich geblieben, zumindest meistens.

Wir sind nun beide dabei, erwachsen zu werden, müssen uns reif verhalten, sollen plötzlich Entscheidungen fällen, die lebensverändernd sind, obwohl wir trotzdem noch um Erlaubnis bitten müssen, um das Haus für eine Nacht zu verlassen. Doch das alles tun wir eigentlich schon unser ganzes Leben. Also kann und will ich das nicht hinnehmen; nicht, ohne zu wissen, wie es ist, Kind zu sein. Ich will es das erste, einzige und letzte mal spüren, wie es ist, nur um zu wissen, ob ich etwas verpasst habe. Ich will das Leben nachholen, das ich nicht hatte, auch, wenn es nur für einen Tag ist. Auch, wenn Ushijima dem nur widerwillig zustimmte, war es ein Ja von ihm und das lasse ich mir nicht nehmen. Ich will ihn aus seiner Schale holen, will ihn auch in diese Welt entführen, die auch er nie mit eigenen Augen gesehen hatte.

Als ich in der Einfahrt stehe, vor der nur ein Gartentor mich davon abhält, den Doppel-T-Verbundpflastersteinboden zu betreten, der an der Kuhweide und dem Wohnhaus von Wakatoshi und Herrn Utsui vorbeiführt und schließlich in einen Hof mündet, von dem aus man in den Heuschuppen und das Lager kommt, in welchem sich Tierfutter und Reitzeug der Pferde befindet, die aufgrund der Geldprobleme auf einer Auktion versteigert wurden, versuche ich, jemanden auf der Farm zu erspähen, um nicht einfach das Grundstück zu betreten, ohne, dass jemand von meiner Ankunft weiß. Aber ich suche nicht lange, denn Wakatoshi sitzt nur ein paar Meter weiter auf dem angrenzenden Weidezaun, den Blick auf die Kühe gerichtet, die grasen. Wenn ich still bin, kann ich ihn vielleicht erschrecken.

Ich öffne leise das Tor, schließe es, drücke mich an der Hauswand vorbei, bis ich direkt hinter ihm stehe und nur noch bis zum Zaun vortreten muss. Nur erschrecken oder gleich Schubsen? Ein verschmitztes Lächeln liegt auf meinen Lippen. Es gibt nie genug Schabernack und Wakatoshi hat davon noch nicht genug erfahren. Ich will ihm zeigen, wie es ist, mich als Freund zu haben.

„Ich weiß schon, dass du da bist, seit du den Feldweg in deine persönliche Karaoke-Bar verwandelt hast."

Gespielt frustriert lasse ich die Arme sinken, die kurz davor waren, auf seinen kräftigen Schultern zu liegen, nur um ihn zu erschrecken. Jetzt bin ich es, der sich erschreckt hat. Kein Wunder, er sprach mit mir, ohne den Kopf zu drehen.

„Unsere durchnässten Herzen gehen aneinander vorbei...", summe ich den Text weiter, an der Stelle, an der ich aufgehört hatte, um meinen Schock zu überspielen.
„Durchnässt... Was meinst du, was das heißen soll? Du bist doch so ein Poet.", frage ich ihn, in der Hoffnung, dass er irgendetwas sagt, das uns zu denken geben kann.

„Na ja, ich glaube nicht, dass es in dem Lied wirklich um richtigen Regen geht. Die Herzen, von denen gesprochen wird, sind sicherlich nicht vom Regen durchnässt, das wäre ja bizarr. Vielleicht handelt es von Traurigkeit, Nostalgie. Mit Durchnässt ist das Blut gemeint. Nicht das Blut, von dem sie umgeben sind, sondern das Blut, das die Herzen zusätzlich ausbluten. Herzschmerz, verstehst du? Und der Auslöser ist der Moment, in dem man aneinander vorbei geht und das die Wunde wieder aufreißt."

„Eine wirklich interessante These. Aber der nächste Teil lautet doch, „aber trotzdem siehst du glücklich aus". Widerlegt das deine Theorie nicht?"
„Ein wenig, stimmt. Dann ist es entweder gespielt, oder die Akzeptanz der Situation. Der Moment, in dem man sagt, ja, es tut weh, aber das ist nicht schlimm. Weil man weitergemacht hat und die Vergangenheit hinter sich lässt."

Ich setze mich neben ihn auf den Weidenzaun. Seine Antworten lassen mir zu denken übrig. Er klingt so erfahren bei dem, was er sagt. Ich halte es nicht länger aus als ein paar Sekunden, bis ich aufspringe und mich vor ihm positioniere, die Hände hinter dem Rücken verschränke, mich leicht nach vorne beuge und mich langsam von links nach rechts bewege und mit säuselnder Stimme frage, wie der Plan aussieht.

„Gegen halb sieben wollten wir das Essen machen, errechnet sind wir dann um siebzehn nach acht fertig. Die Sonne soll um zwanzig Uhr dreißig untergehen, uns bleiben also dreizehn Minuten draußen, bis-"

„Stopp, lass die ganzen Zahlen daraus! Wir sind Kinder, schon vergessen? Du musst dich an keinen Zeitplan halten und erst Recht keine Regeln befolgen. Wir essen, wenn wir Hunger haben, sind fertig, wenn wir fertig sind und müssen auch nicht bei Sonnenuntergang im Haus sitzen. Lass uns draußen bleiben und vergiss diese blöden Regeln und Zeitpläne. Es gibt keinen Plan für heute. Es lebe die Spontanität!"

Ich beende meine theatralische, dramatische Rede mit der Hand auf meiner Brust und bestimmtem Blick nach vorn.
Er sieht mich mit ernstem Blick an und sieht weder begeistert, noch angewidert aus, also ist das wohl ein okay.

„Also gut. Ich bin zwar kein Freund von Plänen, Struktur und Zeitplänen, aber was hätten wohl zwei beste Freunde zwischen acht und zehn Jahren getan, wenn sie auf einer Farm sind und was ist für uns umsetzbar?"
„Also, ich habe immer-"
„Ich meinte etwas, was auch mir Spaß machen würde."
Daraufhin schweigt er. Schon irgendwie traurig...

Da habe ich einen Geistesblitz.
„Lagerfeuer und Äste."
Er schaut mich ausdruckslos an, aber fragend-ausdruckslos.
„Na ja, also, wir könnten Äste sammeln und dann beliebiges Essen über dem Lagerfeuer grillen."
„Ich weiß nicht... Das muss alles vorbereitet werden und bis halb acht sind wir bestimmt nicht fertig damit."
„Ah-ah-aaaah, es lebe die Spontanität, vergessen? Wir haben alle Zeit der Welt, wofür Zeit planen, wenn sie sowieso immer gleich schnell vergeht?"
Ein tiefes Seufzen ertönt von meinem Gegenüber.
Tja, ich bin wohl ein hoffnungsloser Fall.
Aber ich habe es geschafft, er springt, mit weniger Schwung als ich, vom Holzbalken und übernimmt die Führung.
„Na schön. Ich habe mich darauf ja eingelassen. Aber in Zukunft werde ich mich nicht so kommandieren lassen."
„Wir sind Kinder, schon vergessen? Welche Wahl hast du schon?", säusele ich grinsend und trotte amüsiert hinter ihm her.
„Ja, aber ich hatte dem nicht zugestimmt, um wieder kontrolliert zu werden.", sagt er etwas verbittert. Daraufhin greife ich sein Handgelenk und bringe ihn zum Stehen.

„Hey, so war das nicht gemeint. Du sollst auch Spaß hierbei haben. Ich will nicht, dass du das Gefühl hast, dass es nicht anders als früher ist, deshalb will ich, dass wir instinktiv und spontan handeln und nicht geplant und strukturiert. Ich will dich nicht kontrollieren, ich will dir nur zu deinem Glück verhelfen. Das ist keine Kontrolle, ich will nur, dass wir einen spaßigen Abend haben."
„Schon gut, mein Fehler. Ich weiß es ja. Ich bin nur kein Freund von Spontanität, gleichzeitig aber auch nicht von Kontrolle. Lass uns das vergessen und die Äste sammeln, okay?"
Ich nicke, balle eine Faust, schlage ihm sanft gegen die Schulter und als er sich umdreht, schiebe ich ihn mit voller Motivation vorwärts.

Irgendwann biegt er dann nach links ab, vermutlich, weil dort das Tor zum Ausgang der Weide ist, aber ich stelle mich ihm sofort in den Weg, indem ich jetzt neben ihm herlaufe und ihm so den Weg abschneide. Ich lege zusätzlich auch meine Armbeuge freundschaftlich um seinen Nacken und mit einem leichten Hüftschwung zwinge ich ihn sozusagen, weiter vom Weg anzukommen.
„Was tust du denn da?", fragt er, wehrt sich aber nicht und folgt meinen indirekten Anweisungen einfach.
„Wir holen uns Äste, was denkst du denn?"
„Im Hinterhof steht ein Apfelbaum."
Ich nehme meinen Arm runter, um am anderen Ende der Weide dann über den Zaun zu klettern.
„Ja, schon. Aber wer wären wir denn, würden wir Kohle für das Feuer benutzen? So viele Äste, wie wir für meinen Plan brauchen, würden dem Apfelbaum seinen Körper nehmen. Wir gehen in den Wald und holen da Äste."

Widerwillig springt er hinter mir über den Zaun und übernimmt schließlich die Führung. Es ist ein schönes Gefühl. Ich kann die Rolle des Anführers übernehmen, zu dem alle in der Freundesgruppe aufsehen, denn bei Wakatoshi würde es sicher nicht zu Eifersucht kommen. Für mich ist das hier ein voller Erfolg. Ich habe das Gefühl, zu leben. Draußen, Sonne, mein bester Freund, Natur, frische Luft. Ich wünschte, ich wäre so aufgewachsen, hätte diese Gefühle früher gekannt. Aber was nicht sein soll, soll nicht sein. Dafür lebe ich jetzt mein bestes Leben. Ich habe tatsächlich Spaß, etwas, das ich früher nicht für möglich hielt. Ich weiß, ich bin vielleicht kindisch, vielleicht bin ich wirklich anders. Aber mit der Zeit lernte ich, es zu akzeptieren und zu lernen, dass andere Menschen davon profitieren. Andere lachen über mich und mit mir, nicht mit böser Absicht oder aus Mitleid.
Hinter Wakatoshis Rücken springe ich in seine Fußstapfen, die er im lockeren Erdboden hinterlässt, und fühle mich dabei nicht albern.
Und wenn man mich dafür auslacht, dann ist das wohl so. Was für mich zählt ist, dass es mir Spaß macht. Wer wäre ich, mir das verbieten zu lassen? Wer wäre ich, wenn ich blöde Kommentare ernst nehmen würde? Nicht der Tendou Satori, der ich heute gelernt habe, zu sein.

Obwohl Ushijima nur 1,8 Zentimeter größer ist als ich, sind seine Füße viel größer als meine, zumindest passen meine Schuhe nicht in die Abdrücke seiner. Ganz vertieft in meine wichtigen Schätzungen seiner Schuhgröße, achte ich nicht auf mein Umfeld und remple ihn dann schließlich an, als er stehen bleibt, sich bückt und einen Ast aufhebt. Er merkt das scheinbar nicht, dreht sich um, vermutlich, um mir seinen Ast zu zeigen, sticht mir damit aber aus Versehen in die Armbeuge. Vor Schreck nehme ich einen Schritt zurück, stolpere, und falle.
„Alles geplant!", rufe ich schnell, bevor es unprofessionell wirkt.
Er lacht leise auf, sodass man es kaum hört, und reicht mir einen Arm.
„Scheu wie ein Reh... Ich dachte, du wärst kein Freund von Plänen und Struktur?"
„Bin ich auch nicht, aber..."
Mir fällt nichts ein, um mich zu rechtfertigen. Ich nehme also einfach wortlos seine Hand, die sichtlich rau ist. Kein Wunder, er hilft schließlich seit Jahren auf der Farm. Mit dem linken Arm zieht er mich wieder hoch und präsentiert mir dann stolz seinen Stock.

„Ist der zu lang oder zu dick? Was meinst du?"
„Bedenke, dass wir die Äste später spitzen werden. Mit der Länge sollte das wohl gehen, aber der ist zu dick. Das ist eher ein Speer. Such nach etwas, das vielleicht in etwa so dünn wie dein kleiner Finger ist. Aber bei dem Feuerholz ist das fürs erste egal."
Er nickt und geht dann weiter, wir suchen nun also gemeinsam nach Ästen, mit denen wir die Marshmallows aufspießen können, sowie nach dem Feuerholz.
Nach ein paar Minuten haben wir einen ersinnlichen Stapel Äste gesammelt und treten dann den Rückweg an.
„Uuund, war das jetzt so schlimm?", erkundige ich mich, während ich neben ihm herlaufe und aufpasse, dass mir die Äste nicht runterfallen.
Er antwortet nicht darauf und ich nehme das mal so hin.
„Hey, Tendou. Ich habe eine Idee."
Oh, er hat mal einen Vorschlag? Freut mich, wenn er mal die Leitung übernimmt.
„Lass uns von der Nachbarfarm ein paar Maiskolben mitgehen lassen."

Erstaunt drehe ich mich zu ihm. Dass gerade er so etwas vorschlagen würde, wundert mich.
„Ganz schön kriminell unterwegs. Darf ich fragen, weshalb?"
„Na ja, ich will nicht kontrolliert werden und wer nicht kontrolliert werden will, sollte auch mal Vorschläge machen. Erstens fällt das nicht auf, zweitens haben wir dann noch mehr für heute Abend und drittens produzieren die Kühe weniger Methan, wenn sie Mais fressen und das tut der Umwelt gut."
Ich antworte mit einem „na gut" und wir unternehmen den kurzen Abstecher, nehmen ein paar Kolben mit, bis wir nichts mehr tragen können und treten endgültig den Rückweg über die Weide an.

Wir bringen seinem Vater die Kolben vorbei und ich berichte ihm von meiner Idee. Er ist sofort begeistert davon, weil er sowieso noch nicht wusste, was er zum Abendbrot machen könnte. Demnach kümmert er sich um den Mais und die Marshmallows, während ich und Wakatoshi uns zwei Messer schnappen, um die Äste zu spitzen. Mit den Materialien begeben wir uns schließlich in Richtung der Weide, um uns auf den Zaun zu setzen.
Okay... Zeit, das Messer anzusetzen.

Während ich für meinen Ast schon eine Ewigkeit benötige, schafft er in derselben Zeit zwei.
„Was ist dein Geheimnis?", frage ich, während ich seine Tätigkeiten genauestens beobachte. Analyse ist nicht so meins, ich erfasse durch Schätzung. Aber ich kann mir nicht erklären, weshalb er das so gut kann. Doch, vielleicht hat er ja Erfahrung? Aber wieso sollte er?
„Ich habe keine Geheimnisse vor dir."
„Dann frage ich anders: Was verschweigst du mir?"
„Aber das ist dann doch kein Geheimnis, wenn ich dir etwas nicht erzähle. Du fragst nur nicht."
Ich seufze, bevor ich neu ansetze.
„Also gut, für dich die Vollversion. Wieso bist du so schnell? Hast du dabei irgendeinen Trick? Machst du das öfter?"
Er wendet mir seinen Blick zu und schaut mich seriös an.
„Manchmal schnitze ich."
Im nächsten Augenblick rutscht mein Messer ab und ich schneide mir in den Daumen, was ich erst bemerke, als ich darauf angesprochen werde.
„Du blutest."
„Ach was. Aber mal ehrlich, wieso sagst du mir sowas nicht? Du hättest es mir beibringen können!"
„Ich hielt es nicht für wichtig und kann es dir auch jetzt noch beibringen, aber solltest du dich nicht um deinen Daumen kümmern?"
Ich stecke mir den Daumen einfach in den Mund, für so einen Schnitt braucht man sicher kein Pflaster, das heilt so.

„Gerne. Was schnitzt du denn so?", bringe ich, so gut es mit einem Daumen im Mund geht, hervor.
„Unterschiedlich. Tiere, Blüten, abstrakte Formen."
„Darf ich mal welche sehen?"
„Wenn du willst. Aber erst morgen."
Lächelnd wende ich meinen Blick ab. Ich schaffe es schon noch, dass er sich mir gegenüber öffnet.

„Warum lächelst du?", fragt Wakatoshi, der scheinbar beim Wegsehen schnitzen kann, ohne sich in den Finger zu schneiden.
Mein Ast ist fertig und ich werfe ihn zu den anderen, springe dann wieder vom Zaun ab, lehne mich dann dagegen und grinse ihn an.

„Die Frage ist: Warum lächelst du nicht?"
Ich gebe zu, er lächelt nur selten, was ich irgendwie schade finde. Ich habe es vorhin gesehen. Sein Lächeln ist wunderschön, so voller Liebe und Wärme, das Gegenstück seiner Ausstrahlung.

„Weil ich keinen Grund dazu habe, offensichtlich."
„Hast du denn keinen Spaß? Bist du betrübt?"
„Nein, so ist das nicht. Das ist mein neutraler Gesichtsausdruck. Du bist eben gelassen, das bin ich auch, aber ich muss das nicht zeigen."
„Du bist immer so ernst, Waka-Baka."
„Nenn mich nicht so."

Triumphierend darüber, einen Nerv getroffen zu haben, entscheide ich, ihn noch weiter zu ärgern.
„Ach, komm schon. Redest immerzu von Stärke, bietest aber doch eine große Angriffsfläche. Da frage ich mich, ob du ein zu hohes Bild von dir hast und dich in deiner Ehre gekränkt fühlst, oder ob du gar nicht so stark bist, wie du immer vorgibst. Ohne Zweifel bist du ein starker Spieler, aber ich glaube, du bist eher jemand nach dem Prinzip "harte Schale, weicher Kern". Willst kein Kind sein, schnitzt aber Blümchen. Willst immer nach Strategie und Plan vorgehen, sagst aber, was du denkst, gerade heraus, glaubst, dass wir nur nach Exzellenz streben müssen, es geht immer nur um Stärke, Weiterbildung, Wachstum, Verbesserung, Talent. Für dich sind alle schwach, die nichts Besonderes sind. Bist immerzu fokussiert auf deine, ich wage zu behaupten, viel zu hoch gesetzten Standards. Strebst nicht nach Idealen, sondern nach Überdurchschnitt. Du bist zweifellos, wer du sein willst, aber ich frage mich: Weiß dein Herz, was deine Hände da tun? Weiß dein Kopf, wofür dein Herz schlägt? Siehst du hinter Fassaden oder hinterfragst du Dinge auch? Siehst du nicht auch, dass vielleicht auch du dich überschätzt?"

Während er sich meinen Vortrag, der leicht in die falsche Richtung abgerutscht ist, anhört, sehe ich auf seinem Gesicht keinerlei Regung. Sein oliv-braunes Haar weht im Wind, wird durcheinandergewirbelt, die Falten, die seine Klamotten schlagen, verändern sich im Wind. Er starrt bloß direkt in meine Augen. Für uns beide gibt es keinen Grund, jetzt wegzusehen.

„Du bist manchmal wirklich gruselig. Einschüchternd und vor allem vorlaut."
Aber er streitet es nicht ab, weicht meinem Blick schließlich als erster aus.
„Aber sag, ist es so schlimm, wie ich zu sein?", fragt er, ein wenig verunsichert. Ich hatte also Recht, auch er ist nicht bloß stark und unnahbar.
„Nein, das habe ich nicht gesagt. Aber vielleicht solltest du mal sehen, wie es ist, wenn jemand nicht sofort das glaubt, was man sieht. Viele sehen keinen tieferen Sinn in Dingen, die offensichtlich einen doppelten Boden haben. Im literarischen Sine kannst du das, aber hinterfragst du auch Gefühle, Gesichtsausdrücke und Aussagen? Ich kenne dich, vergiss das nicht. Die Aufgabe eines besten Freundes ist es, dir zu zeigen, wofür dein Herz schlägt, wenn du es selbst nicht mehr weißt. Auch, wenn du denkst, dass man dich so sieht, wie du es glaubst und gern hättest, kann ich das sehen, was du nicht zeigen willst."

Unsere tiefgründigen Vier-Uhr-Nachts-Gespräche werden unterbrochen, als Herr Utsui mit einem Flechtkörbchen aus der Landhausküche kommt, in welchem sich vermutlich die Utensilien für heute Abend befinden. Dann kann es also losgehen.
„Wir kommen ein anderes Mal darauf zurück.", meint Wakatoshi und beginnt damit, das Holz aufzusammeln.

Die Sonne steht bereits tief am Himmel, als Wakatoshi, sein Vater und ich schließlich um den Grill herum sitzen, in welchem kein Rost mehr hängt, sodass man vor einem offenem Feuer sitzt. Wir halten alle schon mindestens unser sechstes Stück Brot, unseren dritten Maiskolben oder unseren fünfzehnten Marshmallow über die Flammen. Während die beiden ewig dafür brauchten, herauszufinden, wann sie den Stock von der Hitze separieren sollten, musste ich keinen einzigen verbrannten Marshmallow vom Stab abkratzen.
„Wie zum Teufel macht er das bloß?", fragte Herr Utsui seinen ziemlich reservierten Sohn, der darauf nur mit einem Schulterzucken antwortete. Es war ein schönes Gefühl, mal das Paradebeispiel zu sein.
„Na ja, ich bin der Teufel höchstpersönlich. Ich spiele mit dem Feuer als wären es die Strähnen einer Perserkatze."
Wenn ich jetzt so darüber nachdenke, was ich eigentlich von mir gebe, frage ich mich immer, was sich Menschen, die mich nicht kennen, dabei denken würden.

Während wir die abendliche Ambiente weiter genießen, bemerken wir nicht, dass der Himmel nicht dunkler geworden ist, weil die Nacht sich über den Abend legt und diesen erstickt. Das dort oben sind klar erkennbare Regenwolken, die wir erst bemerken, als es zu spät ist. Tropfenweise fällt das Wasser vom Himmel, löscht die letzte, glühende Glut im Grill, prasselt auf dem Plastik der Verpackungen und zeichnet dunkle Flecken auf unsere Hosen. Wakatoshi und sein Vater stehen sofort auf, schnappen sich alles, was sie tragen können und rennen ins Haus, um alles in Sicherheit zu bringen. Aber ich bleibe einfach stehen, stelle mich ins Hohlkreuz, lege den Kopf in den Nacken und schaue in den Himmel, sodass mir die Tropfen ins Gesicht fallen und meine vom Feuer und von der Hitze glühenden Wangen etwas löscht. Wäre das hier ein Comic, wäre es möglich, dass es um mich herum dampft. Aber das tut es nicht. Ich genieße es richtig, in diesem Schauer zu stehen, es ist mir egal, dass das Wasser mein Haargel löst und mir die Haare gleich strähnig ins Gesicht fallen werden. Es kommt starker Wind auf und der einfache Sommerregen verwandelt sich in einen Sturm.

„Tendou, was machst du denn da? Komm rein!", ruft Ushijima von der anderen Seite der Weide; er ist laut, muss gegen den windigen Sturm anbrüllen.
„Ist doch schön, allein im Zentrum zu stehen, während alles andere um dich herum zusammen bricht und dich verlässt. Mach' doch mit und teile diese Erfahrung mit mir!", brülle ich zurück und grinse. Er lächelt aber nicht zurück.
Er zieht die Brauen hoch, antwortet: „Dann viel Spaß dabei.", und geht dann rein. Die Tür lässt er angelehnt, doch der Wind zwingt sie, ins Schloss zu fallen.

So bleibe ich zurück. Der Regen löscht das Feuer, in dem ich zuvor noch stand.

Allein im Zentrum. Alles um mich herum bricht aufgrund des Sturms zusammen, alle lassen mich allein zurück.
Wie so oft.

mentioned song:

arashi no atode - galileo galilei

https://youtu.be/zlZwriO-Itg

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