🖤18

"Wann ziehst du eigentlich hier ein?", fragt Momo unvermittelt.

Ich huste meinen Tee aus. Ein Teil davon läuft aus meiner Nase. Inho reicht mir ein Papiertaschentuch über den Tisch. "Danke."

"Schatz, er hat auch noch ein eigenes Leben", gibt er zu Bedenken.

"Aber wir waren uns doch einig, dass er zur Familie gehört."

"Hyunuk wohnt bei sich und wir hier, und falls sich was ändert oder was Wichtiges ansteht, sagen wir dir in jedem Fall Bescheid", beendet Inho das Thema. Momo schmollt.

"Aber schläft Nuknuk heut hier?"

"Mal sehen."

"Dann müsste Nono sein Bett mit mir teilen", sage ich dazu. "Oder ich müsste wieder auf dem Sofa schlafen."

"Ach stimmt. Wie blöd", findet der Kleine. "Kommst du morgen wieder?"

"Momo, es ist gut jetzt", ermahnt Inho ihn. Momo wirft ihm einen eingeschnappten Blick zu, eh er die Arme verschränkt. Teddy katscht derweil seelenruhig an ihren letzten Brotstücken.

"Nunu morgen spielen!", sagt sie, bevor sie sich noch eine Minitomate in den Mund stopft und dann um ein Schälchen Milchreis bittet, das Inho ihr füllt.

"Er spielt nicht den ganzen Tag mit euch."

"Du kriegst auch Zeit mit ihm, versprochen!", tönt Momo. Süß, wie sie sich um mich streiten.

"Denkt ihr bitte auch mal an Hyunuk? Vielleicht hat er schon was vor. Und Zeit zum Entspannen braucht er auch."

"Morgen kommt mein Neffe zu mir", informiere ich sie. Allerdings erst abends, aber das zu erwähnen wäre für Inhos Argumente jetzt nicht hilfreich.

"Na guuuut... aber Sonntag? Kann Nuknuk mit zum Gottesdienst kommen?"

"Es gibt aktuell keinen Gottesdienst, wegen Corona. Kam heut in den Nachrichten", informiert Inho ihn.

"Und in Nuknuks Kirche? Gibt's da noch Gottesdienst?"

"Nein. Gottesdienst wurde überall abgesagt, aber man kann noch zum Beten in die Kirche", sage ich.

"Können wir in deine Kirche?"

"Können wir gern machen, wenn ihr wollt." Fragend sehe ich Inho an. Er nickt. Die Kinder zappeln erfreut in ihren Stühlen.

Nach dem Abendessen schauen wir zusammen einen Disneyfilm, den ich aussuchen darf. Mich wundert es, dass die Eiskönigin nicht im DVD-Regal steht. Ich dachte, auf den fahren alle Kinder total ab. Inhos Kinder wohl nicht so. Sie zeigen abwechselnd auf jede DVD und sagen mir, wie toll der jeweilige Film ist.

Als ich Vaiana aus dem Regal ziehe, brechen beide in Begeisterungsstürme aus. Dann gucken wir wohl den. Wir machen es uns auf dem Sofa zu fünft gemütlich. Momo sitzt zwischen Inho und mir, Teddy auf seinem Schoß, und ein großer Plüschdelphin, den die Kinder sich teilen, liegt quer über uns. Ich darf seine Flosse halten, damit ich auch was davon abhabe und beim Kuscheln nicht nur zusehen muss. Sehr nett.

"Gibs Snacks?", fragt Teddy, sobald der Vorspann anfängt und Inho die Fernbedienung beiseite legt.

"Es gab gerade Abendbrot", erinnert er sie.

"Aber... aber... Snacks!" Mit tieftrauriger Schmollschnute schaut sie zu ihm hoch. Ich würde sofort nachgeben, aber da ich nicht hier wohne, weiß ich nicht, wo die Snacks sind.

Momo macht neben ihr: "Pssscht!" Inho streichelt ihr Köpfchen. "Und heut Nachmittag hattest du Eis. Sogar zwei Kugeln", erinnert er sie leise. Sie gibt sich nicht zufrieden und schielt nun mit ihren Bambiaugen zu mir herüber. "Papa Snacks?", fragt sie ganz leise.

Inho amüsiert sich offenkundig darüber. Entschuldigend schüttele ich den Kopf und sage auch nein, da er bereits nein gesagt hat. Und er ist hier der Boss. "Dein Bäuchlein sagt nein. Das ist schon ganz voll. Da ist dein Käsebrot... dort der Milchreis... hier das Eis...", flüstert er ihr zu, während ein Erzähler die Vorgeschichte beginnt, und tippt verschiedene Stellen ihres Bäuchleins an. Sie kichert. "Hier Tomati!", sagt sie und piekt irgendwo in die Mitte. Dann kuschelt sie sich bequem an ihn und verfolgt die Handlung.

Ich glaube, ich habe etwas verpasst, aber es geht anscheinend um einen Halbgott, der einer Inselgöttin ihr Herz, einen grün leuchtenden Edelstein, gestohlen hat. Ein Feuergott begehrt das Herz ebenso, seinetwegen sind sowohl der Halbgott sowie das Herz verschwunden.

Der Erzähler ist eine Omi und die Zuhörer sind kleine Kinder, halb so alt wie Teddy. Ich habe die leise Vorahnung, dass das kleine Mädchen, das gerade von Teddy angehimmelt ist, Vaiana ist und dass sie das Herz finden wird. Ich bin sehr gespannt. Wie toll, gleich zu Beginn begeht sie eine Heldentat und rettet eine Babyschildkröte!

Die Kleine ist wirklich süß und der Ozean ist toll animiert. Es fängt beindruckend und magisch an. Ich bekomme Lust auf Strandurlaub. Wenn ich Zuhause bin, suche ich Memes zum Film, da gibt's bestimmt einige. Das Huhn ist am Allerbesten.

Bei der Stelle mit den Rochen verdrückt Inho ein paar Tränen. Momo, der die Szene sehr schön findet und dabei sicherlich an seine Eltern denkt, tätschelt ihm den Unterarm und ich lege beiläufig meinen Arm um sie alle. Teddy ist längst eingeschlafen. Beim Abspann regt sie sich wieder. Inho steht auf und trägt sie aus dem Zimmer. "Ich geh sie mal bettfertig machen."

"Bin gar ni müde!", protestiert sie und gähnt ausgiebig. Süß. Momo wedelt mit dem Plüschdelphin vor meiner Nase herum. "Ich hab den Film schon hundert Mal gesehen!", behauptet er.

"Wie toll. Ist ja auch ein sehr schöner Film."

"Jaaa! Pyo leiht den sich auch gerne aus, aber aktuell hat er Anna und Elsa."

"Achso."

"Magst du noch was Spielen?"

"Wie wär's mit Kuscheln?"

"Na gut." Er klettert auf meinen Schoß und schmiegt sich mit dem Delphin an mich. "Du kannst dir den auch leihen, wenn du magst. Hast du auch so einen DVD-Player wie wir?"

"Nein, nicht direkt..."

"Ohje! Kannst du überhaupt DVDs gucken?"

"Ja, meine PlayStation kann DVDs abspielen."

"Wie cooool! Du hast eine PlayStation?" Begeistert rückt er herum und sieht mich an.

"Ja..." Ich hab sogar mehrere.

"Kann ich auch mal PlayStation spielen?"

"Ich muss mal schauen, ob ich ein Spiel für dich hab."

"Hast du nur Erwachsenenspiele, wo man schießt und so?"

"Autorennen hab ich auch, und irgendwo vielleicht noch 'Lars, der kleine Eisbär'."

"Wer ist das?"

"Ein kleiner Eisbär, der mit seinen Freunden Abenteuer erlebt."

"Der gefällt Teddy bestimmt auch."

"Ich schau mal nach, wo das Spiel ist."

"Schön! Magst du mir was vorlesen?"

"Lass uns erst den Abspann sehen, die Musik ist schön." In Wahrheit habe ich gerade keine Lust, etwas vorzulesen. Ich finde, heut wäre Inho dran. Zwar muss er das sicher ständig machen, aber ich war noch nie dabei.

Ganz am Ende, wie ich schon gehofft hatte, kommt eine kurze Bonusszene mit einer Anspielung auf einen anderen Film, den ich in meiner Kindheit gern gesehen habe. "Habt ihr auch Arielle?", frage ich Momo.

"Ja. Den hab ich zweimal geguckt, aber der ist ganz schön alt, der sieht nicht so schön aus wie Vaiana."

"Ja stimmt schon... wobei ich heutzutage auch nicht alles schön finde." Manche Sendungen, die ich von früher kenne, sehen sehr seltsam aus, wenn sie plötzlich keine Zeichentrickserien mehr sind, sondern als 3D-Animation neu aufgelegt wurden. Vielleicht geht es mir nur so, weil ich alt werde.

Mit Teddy auf dem Arm kommt Inho zurück ins Wohnzimmer. Sie hat ihre Schlafsachen an, zwei Schnuffelwindeln in der Hand und ihren Schnuller im Mund, den sie rausnimmt und die Lippen spitzt. Momo rennt hin und zieht mich an der Hand mit. Ich hebe ihn hoch, er gibt seinem Schwesterchen ein Kussi, dann bin ich dran. Nass und sabberig, wie immer. Er wischt sich die Schnute ab und sie steckt ihren Schnuller zurück in den Mund und winkt.

"Gute Nacht", wünschen der Knirps und ich.

"Liest du jetzt was vor?", fragt er erwartungsvoll, sobald Inho und Teddy verschwunden sind.

"Wie wär's, wenn Inho uns was vorliest?" Bevor Momo ein enttäuschtes Gesicht zieht, füge ich hinzu: "Er hat mir noch nie was vorgelesen."

"Oooohh! Magst du ein Buch aussuchen?"

"Ja gerne!"

Er schlägt mir diverse Bücher aus dem Regal vor. Gerade als wir bei einer niedlichen Geschichte von einem kleinen Eselchen angekommen sind, kehrt Inho zurück. Das ist meine Chance. "Nonooo", säusele ich und halte das Buch hoch, wobei ich meine schönsten Rehaugen aufsetze. "Wir wollten dich ganz lieb fragen, ob du uns was vorliest."

Inho atmet tief ein, doch er lächelt. Gegen meinen supersüßen Dackelblick kommt er nicht an. Was seine Kinder können, kann ich schon lange. Er nimmt mir das Buch aus der Hand und setzt sich aufs Sofa. Momo klettert auf seinen Schoß. Da würde ich auch gern sitzen, aber aus Platzgründen setze ich mich daneben.

Es ist schön, ihm zuzuhören. Worum es in der Geschichte geht, bekomme ich nicht genau mit, weil ich mich davon ablenken lasse, wie seine Lippen sich bewegen. Und von seinen dunklen Augen, die voller Zuneigung sind, wann immer sein Blick auf Momo fällt.

Ich kann meine Hände nicht bei mir lassen und lege meinen Arm um ihn. Meine Finger streichen über seine Schulter. Er lehnt sich mir entgegen, bevor er das Buch zuklappt und Momo von seinem Schoß rutscht, um es aufzuräumen. Nun fällt Inhos Blick auf mich und was ich in seinen Augen sehe, macht mich nervös.

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