🖤 10

Vorlesen ist anstrengend, aber zwischen den einzelnen Seiten habe ich längere Redepausen, weil die Kinder jedes Bild genauestens inspizieren. Es ist schon spät, als wir schließlich fertig sind. Normalerweise muss Teddy eher ins Bett und Momo darf eigentlich noch ein bisschen länger aufbleiben als sie, aber ausnahmsweise kann ich die beiden zugleich ins Bett bringen, meinte Inho, und die Kinder machen klaglos mit.

"Es ist ja nur ausnahmsweise, da geht das", findet Momo. Er putzt heute alleine Zähne, auch ausnahmsweise, bei Teddy helfe ich aber mit. Beide zeigen mir hinterher ihr schönstes Zahnpastalächeln, damit ich bewundern kann, wie sauber die Zähne sind.

"Haben wir alle fein gemacht", lobe ich und werde dann ins Kinderzimmer geführt, wo die beiden sich ihre Schlafanzüge anziehen. Teddy verheddert sich in den Ärmeln und Momo steckt beide Füße ins selbe Schlafanzugbein. Wir haben sehr viel Spaß dadurch. Bevor ich die beiden in ihren Betten zudecken darf, wird noch kurz zusammen in Teddys Bett gekuschelt.

"Du, Momo?"

"Mhm?"

"Magst du mir Momo zeigen?"

"Hä?"

"Dein Kuscheltier."

"Ja!" Sofort springt er auf und holt es aus seinem Bett. Teddy krabbelt derweil über mich drüber und greift nach einem dicken, hellen Tier, das sechs Beine und eine braune, pfeilförmige Fellzeichnung hat. "Appa", stellt sie mir vor. Dann gesellen sich Momo und Momo dazu.

"Die sind beste Freunde", erklärt er und hält mir einen Lemuren dicht vors Gesicht, der ähnliche Farben wie Appa hat. "Appa ist eigentlich riesig, und Momo ganz klein."

"Momo ist ein Lemur und was ist Appa?", frage ich.

"Wieson", antwortet Teddy.

"Das ist ein fliegender Luftbison", erläutert Momo genauer.

"Ah ja."

"Die sind aus einer Serie. Nono sagt, die ist für größere Kinder, aber eine Folge durfte ich schon gucken! Da haben Appa und Momo gekämpft. Du darfst bestimmt alle Folgen gucken."

"Ja, ich schau es mal im Internet nach."

"Nono hat Prime, da kann man das gucken. Vielleicht könnt ihr das zusammen gucken."

"Ich frag ihn mal."

"Magst du noch Klaus sehen?"

"Klaus!", ruft Teddy und springt auf. Sie eilt in den Flur zu ihrem Kindergartenrucksack, wo sie erst zwei Schnuffeltücher und dann einen Plüschweihnachtsmann rausholt. "Klaus", sagt sie und wedelt ihn in der Hand.

"Schön. Der passt im Kindergarten auf dich auf, ja?"

"Jaaa!" Teddy knuddelt ihn kurz, dann stopft sie ihn zusammen mit den Schnuffeltüchern wieder rein und tätschelt ihn kurz, eh sie den Rucksack zumacht und zurück ins Bett kommt.

"Schläfst du in Nonos Bett?", erkundigt sich Momo, als ich aufstehe und sie beide in ihren jeweiligen Betten zudecke.

"Nein, auf dem Sofa."

"Du kannst doch im Bett schlafen."

"Es ist sein Bett, und so lange kennen wir uns noch nicht, dass ich das einfach machen würde."

"Mh, na gut."

"Schlaft gut, ja?"

"Du auchhhrrrr", sagt Teddy und nimmt dafür sogar kurz ihren Schnuller raus.

"Gute Nacht und schöne Träume", sagt Momo.

"Euch auch." Ich mache das Licht aus und leise die Tür zu.

Gern würde ich Inho anrufen, doch er braucht Ruhe und ich weiß nicht, ob ich ihn nerve. Daher liege ich unschlüssig auf dem Sofa und scrolle durch meine Mails. Nichts Interessantes dabei, nur Spam.

Dann höre ich Geräusche aus dem Flur. Klingt nach Teddy. Es folgt ein Klopfen an der Tür. "Ja?", frage ich und erhebe mich.

Teddy öffnet die Tür und hält mir ihren Schnuller hin. "Runtafallen", sagt sie mit trauriger Schnute und tappst dann ins Bad. "Brauch Wassa, muss das pülen." Ich folge ihr und schaue zu, wie sie ihr Schemelchen vors Waschbecken stellt, draufsteigt und den Schnuller abspült. Sie schüttelt ihn kurz, damit er abtropft, und dreht sich dann zu mir.

Mit gespitzten Lippen reckt sie sich mir entgegen. Wir tauschen einen nassen Schmatzer, dann steckt sie den Schnuller in den Mund und geht zurück ins Bett. "Gute Nacht", rufe ich hinterher und wische mir den Mund ab, als sie außer Sichtweite ist. Kindersabber ist ja nicht schlimm, aber sooo viel brauche ich davon nicht. Da ich nun schon im Bad bin, mache ich mich bettfertig, obwohl es für meine Verhältnisse noch früh ist. Eine Zahnbürste darf ich mir aus dem Badschrank nehmen und ein Schlafshirt vom Wäschestapel auf dem Wohnzimmersessel.

Zurück auf dem Sofa fällt mir eine Nachricht von Inho auf: "Wie geht es meinen Schätzen?"

Ich schreibe zurück: "Gut. Kann ich dich anrufen?" Er liest es, schreibt mir aber nicht mehr. Ich warte. Drei Minuten später ruft er an.

"Hey."

"Hey. Die Kinder sind grad ins Bett."

"Okay. Waren sie artig? Oder gehen sie dir schon auf die Nerven?"

"Nein, sie sind ganz lieb."

Leise lacht er in den Hörer. "Auf dich hören sie ja noch. Aber wenn man jeden Tag mit ihnen diskutieren muss, sind sie irgendwann nicht mehr so lieb."

Nun lache ich. "Sie sind wahre Engel, und alles andere kaufe ich dir nicht ab."

"Na mal sehen, was du sagst, wenn du sie länger kennst."

Zufrieden schmunzele ich. Ihm fällt offenbar auch auf, was er da gerade gesagt hat, denn nun herrscht peinliches Schweigen auf seiner Seite. Ich kann mir genau vorstellen, wie er zu Boden guckt und auf seine Unterlippe beißt, so wie er es auch auf Arbeit beim Telefonieren macht, wenn etwas anders läuft, als er sich gedacht hat.

"Wie geht's dir?"

"Gut", meint er leise. "Es ist langweilig. Ich hoffe, ich kann morgen wieder gehen."

"Ja hoffentlich. Naja. Die Kinder würden dich gern besuchen."

"Hm... naja..."

"Was?"

"Ich weiß nicht... du könntest sie vielleicht abholen und herbringen, sobald ich gehen darf? Aber du musst natürlich nicht deine Pause dafür opfern. Ich weiß so schon nicht, wie ich dir das jemals zurückzahlen soll."

"Inho."

"Ja?"

"Ich mach das sehr gerne. Und..."

"Und?", hakt er unsicher nach.

"Alles, was ich will, bist du."

"Arschloch", schimpft er leise und legt auf. Zwei Sekunden später ruft er wieder an. "Ich krieg grad Gänsehaut deinetwegen."

"Ist das gut oder schlecht?"

Er seufzt. "Sche¡ße verdammte. Wieso sagst du sowas? Lass das, Hyunuk."

"Bist du eigentlich über ihn hinweg?"

"Er hat mich fallen lassen und ist dann gestorben. Und das ist bald acht Monate her. Das sollte genug Zeit sein, um es zu verarbeiten, oder?"

"Dafür gibt es doch keine vorgeschriebenen Zeiten. Wenn es noch wehtut, dann tut es noch weh. Einerseits will ich dir nicht dabei zur Last fallen oder dich zu irgendwas drängen. Andererseits... will ich nicht, dass du mich vergisst."

"Ich seh dich jeden Tag auf Arbeit."

"Das meine ich nicht", seufze ich.

"Hyunuk... Denkst du wirklich, ich könnte auch nur eine Sekunde an jemand anderen denken?"

Nun herrscht nachdenkliches Schweigen. Ich wünschte, ich wäre jetzt dort und könnte ihn berühren. Ihm über die Stirn streichen oder mit den Fingerspitzen seinen Handrücken antippen. Vielleicht würde er irgendwann meine Hand nehmen und festhalten.

"Eigentlich will ich das nicht. Ich will allein klarkommen und mich nie wieder auf jemanden einlassen", sagt er schließlich.

"Mhm", mache ich und versuche tapfer zu klingen, obwohl sich das nach einer Zurückweisung anfühlt. Aber ich kann und will ihn zu nichts zwingen. Wenn er jetzt wirklich nein sagt, trotz meiner Überzeugungsversuche, muss ich das wohl oder übel akzeptieren.

"Aber du... Hyunuk... ich bin nur ein Mensch wie jeder andere. Ich will geliebt und in den Arm genommen werden, und bei dir fühle ich mich so... das ist peinlich, vergiss das wieder. Alles. Ich will nicht mehr drüber reden."

"Darf ich dich immer noch küssen, wenn du zurückkommst?"

Er antwortet nicht. Ich höre lautes Atmen. Dann ein Vorwurf, der mich zum Lächeln bringt: "Wie soll ich denn jetzt bitte einschlafen?? Erinner mich nicht daran, dann krieg ich Heimweh. Und ja. Die Antwort lautet ja, verdammt, ja! Aber wehe, du fragst mich nochmal danach oder bringst mich jemals wieder dazu, solche peinlichen Sachen zu sagen!"

"Du bist süß, Inho", flüstere ich.

"Gute Nacht!", sagt er nachdrücklich und legt auf. Ich liege schmunzelnd da und entscheide mich irgendwann dafür, mir zum Schlafen eines der vielen Bärchen zu borgen, die auf dem Regal über dem Sofa sitzen. Zwar habe ich vergessen, Inho Bescheid zu sagen, dass Momo Bescheid weiß, aber vielleicht mache ich das lieber persönlich.

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