🖤 07

Die acht Minuten sind sicherlich vorüber. Ich wende mich ab, um den Teebeutel zu entfernen, da dreht Inho sich zu mir. Seine Augen sind offen und schauen leicht verwirrt zu mir hoch. "Du bist noch da."

"Ja..."

"WLAN-Passwort steht unterm Router, falls du hier arbeiten willst." Er zeigt ans andere Ende des Sofas. Dahinter steht ein kleines Schränkchen, auf dem sich Telefon und Router befinden.

"Äh. Danke. Ich schau mal. Schlaf ein bisschen, okay?"

Inho nickt und schließt die Augen. Ohne meine Hand bewusst zu steuern streiche ich ihm über die Haare. "Hyunuk... du bist ganz schön unfair", murmelt er fast lautlos und dreht sich dann auf die andere Seite, wodurch er von mir abgewandt liegt. "Steck dich nicht an."

"Mhm", erwidere ich. Unschlüssig knie ich noch eine Weile vor der Couch, dann hole ich meinen Laptop und mache mich an die Arbeit. Ich könnte auch zurück ins Büro fahren, habe aber keine Lust. Inho hat mich ja eingeladen hierzubleiben.

Wie ein Schmarotzer, eine dicke Made, schleiche ich mich in sein Leben und mache mich dort breit. Ich sollte gehen. Ich hab mein eigenes Leben, um das ich mich kümmern muss.

"Warum lässt mich jeder allein?", ruft Inho unerwartet und setzt sich auf. Erschrocken fasse ich mir an die Brust, doch er fällt bereits zurück ins Kissen, als wäre nichts gewesen, und schläft weiter.

"Nicht jeder...", murmle ich. Ich kann mich nicht mehr konzentrieren. Zeit für eine Pause. Der Tee ist mittlerweile kalt, deshalb trinke ich aus seiner Tasse und mache für Inho frischen Kamillentee. Als ich das heiße Wasser in eine neue Tasse gieße, kommt er verschlafen in die Küche getappt.

"Du bist noch da", stellt er fest. Déjà-vu.

"Jaaa...", sage ich langgezogen. Der Parasit, der sich hier einnistet und nicht gehen will, ist noch da.

"Du kannst gern gehen, ich komm allein zurecht."

"Was, wenn du wieder umkippst?"

"Hyunuk", meint er in genervtem Tonfall. "Das war eine einmalige Sache. Mir geht's jetzt besser."

"Schön."

"Kann ich dir nicht einfach egal sein?"

"Bist du aber nicht. Seltsam, oder?"

"Spar dir dein Mitleid."

"Ich würde nicht sagen, dass das Mitleid ist. Keine Ahnung, ich mag dich und deine kleine Familie einfach. Nur..."

"Was?", fragt er und kommt näher. Mit verschränkten Armen lehnt er sich neben mich an die Theke.

"Es gibt noch einiges, das mir nicht ganz klar ist."

"Es gibt einiges, das dich nichts angeht."

"Zum Beispiel, dass du etwas mit deinem Schwager hattest?" Mit meiner vagen Vermutung treffe ich voll ins Schwarze. Augenblicklich ist Inhos Gesicht wie versteinert. Nur die Ader an seinem Hals zuckt.

"Wie kommst du darauf?", fragt er tonlos und funkelt mich mit zusammengekniffenen Augen an.

Intuition, würde ich sagen. "Allgemein deine Reaktion, aber es gab auch gewisse Andeutungen, die Momo gemacht hat. Wusste er davon?"

"Er wusste gar nichts. Niemand wusste etwas. Ich war immer nur der liebe Onkel Nono, der ständig zu Besuch war. Momo hat das erst kurz vor ihrem Tod mitbekommen, aber ich hab von allen Küsschen bekommen, von Omi, von den Kindern, von meiner Schwester... ich denke, es wäre nie jemandem aufgefallen."

"Hasst du mich deswegen so sehr? Weil ich nicht er bin?"

"Hyunuk, mir ist völlig klar, dass du nicht er bist. So ähnlich bist du ihm nicht einmal. Du hast nur auf den ersten Blick eine ähnliche Ausstrahlung, aber je länger ich dich kenne, desto mehr Unterschiede fallen mir auf. Und ich hasse dich nicht. Mich hasse ich vielleicht ein bisschen."

Nachdenklich nicke ich. Ich kann mir schon vorstellen, dass es hart ist, der Geliebte von jemandem zu sein und zu wissen, dass die eigenen Gefühle eine Familie kaputtmachen könnten. "Weil du in ihn verliebt warst?"

"Weil ich für ihren Tod verantwortlich bin", sagt er leise und senkt den Blick. "Meinetwegen haben zwei Menschen ihr Leben gelassen und zwei Kinder ihre Eltern verloren. Manchmal denke ich, dass es meine Strafe von ihrem Gott ist, dass ich sie aufnehmen durfte. Ich meine, ich hab zwar dafür gekämpft... aber sie sind so lieb, man könnte meinen, er will mir damit zusätzlich eine reinwürgen."

"Wieso du?", frage ich entsetzt.

Seine kalte Maske fängt an zu bröckeln. "Er hat einen Tag vorher mit mir Schluss gemacht."

Ich traue mich kaum zu fragen, was genau passiert ist. Er erzählt von selbst weiter: "Sie sind 160 auf der Autobahn gefahren. Bei Regen. Er hat ihr wohl gerade gesagt, dass er eine Affäre hatte, dann haben sie gestritten und er hat die Kontrolle über das Steuer verloren. Meine Schwester..." Inho kommt ins Stocken und wedelt hilflos mit der Hand, während er angestrengt blinzelt.

"Sie... sie ist noch am Unfallort verstorben, und er dann später im Krankenhaus. Ich wollte ihn sehen, doch die Ärzte haben mich nicht zu ihm gelassen, sie haben nur später der Familie erzählt, dass er etwas von einer Affäre gefaselt hat und dieser die Schuld für den Tod seiner Frau gibt." Ein Schluchzer dringt seine Kehle hinauf, während die erste Träne über seine Wangen rinnt. "Es hat nie jemand erfahren, dass ich gemeint war, aber ich muss jetzt mit dieser Schuld leben. Hyunuk, ich habe meine Schwester auf dem Gewissen!"

Nun fängt er richtig an zu weinen und lässt sich widerwillig von mir den Arm streicheln. "Es ist seine Schuld", flüstere ich. Wer fährt schon 160 bei Regen? Das allein ist bereits äußerst dumm. Und wer sagt bitte seiner Frau im Auto, dass er eine Affäre hatte? Das sollte man niemals in einer gefährlichen Situation machen. Ich will ihm nicht unterstellen, dass es Absicht war, kann aber nicht verhindern, dass dieser Gedanke mir durch den Kopf schießt. Offenbar hat Inho auch schon darüber nachgedacht.

"Meinst du, es war Absicht?", fragt er erschüttert.

"Es war dumm, Inho."

"So dumm kann man doch gar nicht sein! Andererseits wundert mich bei dieser Menschheit fast gar nichts mehr. Im Grunde", schluchzt er, "versuche ich auch, mir nicht die Schuld zu geben. Er war ein Arschloch. Ich hasse ihn, und ich hasse es, dass ich ihm so lange hinterhertrauere!"

"Seinen Kindern zuliebe hätte er sich sicher nur schwer für dich entscheiden können."

"Nimm ihn nicht in Schutz! Du kennst ihn nicht! Er hat mich nie geliebt. Klar, er war gut zu meiner Schwester, aber mit zwei kleinen Kindern ist es schwierig, ein zufriedenstellendes Sexleben zu haben, und dann taucht dauernd der süße kleine Bruder seiner Frau auf, der von Kopf bis Fuß in ihn verschossen ist. Er hat die ganze Zeit mit mir gespielt, Hyunuk. Fast drei Jahre lang, selbst bei Teddy hat er behauptet, das wäre ein einmaliges Wunder gewesen, dabei hat er meine Schwester zu der Zeit ständig gef¡ckt und mir trotzdem die große Liebe vorgespielt!", redet er sich in Rage und heult dabei.

Ich weiß gar nicht, was ich dazu sagen soll. Wie viel Sche¡ße ist diesem armen Mann in meinen Armen nur widerfahren?

"Und kaum hat sein Sohn uns bei einem harmlosen Küsschen gesehen, lässt er mich eiskalt fallen und sagt mir lachend, dass ich nur ein Sexspielzeug war und ich ihn und seine Famile nie wieder sehen darf! Hyunuk, er hat mir ein Billigticket nach Thailand in die Hand gedrückt, von einer Schrott-Airline, ohne Rückflug! Im Prinzip hat er mir gesagt, ich soll sterben gehen!" Wütend schlägt er auf meine Brust, obwohl ich nichts dafür kann. Ich nehme ihm das nicht übel. Ich bin geschockt und kann nicht anders, als diesen Mistkerl ebenfalls zu hassen.

"Mir tut das alles sehr leid. Das hast du nicht verdient."

"Vielleicht doch? Ich hatte zwischendurch so ein schlechtes Gewissen, dass ich meine Schwester hintergehe. Er hatte es so, so leicht, mich um den Finger zu wickeln und zu verführen und ich bin total darauf hereingefallen. Lass ja die Finger von verheirateten Leuten, als Geliebter ist man immer der Verlierer", rät er mir.

"Vielleicht hat er dich ja doch geliebt und hatte selbst ein schlechtes Gewissen?", rate ich ins Blaue hinein.

"Was bist du bloß für ein Arsch, den Ex deines... Ich hab dir gesagt, du sollst ihn nicht in Schutz nehmen. Im Prinzip hat er doch das Richtige getan, sich für seine Familie und gegen seine Affäre zu entscheiden. Es tat nur so verdammt weh. Ich kann doch nichts dafür, in wen ich mich verliebe, und ich hatte mir fest vorgenommen, ihn zu vergessen, noch bevor das angefangen hat. Ich war damals schon zwei Jahre in ihn verliebt, bevor er es mitbekommen hat. Ich war so dumm, Hyunuk. So dumm. Wegen mir ist alles kaputtgegangen."

"Es war dumm von ihm, es ihr beim Autofahren zu sagen. Bei Regen zu schnell zu fahren kann auch ohne derartige Geständnisse schlimm enden."

"Ich weiß. Ich weiß, Hyunuk."

"Es ist tragisch gelaufen, aber es war nicht deine Schuld. Und jeder macht mal Fehler, viele Leute haben Affären aus den verschiedensten Gründen, leider Gottes tun viele Menschen Dinge, die man anderen nicht antun sollte. Du bist nicht schuld, okay?"

"Das ist schwer zu glauben. Und es kotzt mich ein bisschen an, das von dir zu hören. Warum muss ich mich denn ausgerechnet bei dir ausweinen??"

"Ich will für dich da sein, Inho. Kannst du mich denn so wenig leiden?"

"Wir hatten keinen guten Start, und das ist meine Schuld, und ich wusste nicht, wie ich das wiedergutmachen soll. Das war nicht in Ordnung dir gegenüber, tut mir sehr leid. Ich finde es allerdings auch unfair, was du tust."

"Was denn?", frage ich gespannt und lasse ihn keinen Augenblick aus den Augen.

"Das zum Beispiel", erwidert er leise. "Wie du mich in letzter Zeit ansiehst."

"Wie denn?"

Wir sind uns auf einmal so nahe. Statt mir zu antworten, streckt er die Hand nach mir aus und legt sie sachte auf meine Wange. Ich lehne mich noch ein kleines Stück näher und er kommt mir entgegen, wobei er die Augenlider senkt.

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