🖤 06
Auch am nächsten Tag ignoriert er mich auf Arbeit. Ich bringe ihm ungefragt Kaffee, was er mit einem knappen "Danke" quittiert, ansonsten sehen wir uns kaum wegen diverser Meetings und nachmittags ist er weg. Naja, es ist Freitag, sicher holt er die Kinder eher und unternimmt etwas Schönes mit ihnen. Und ich sitze alleine rum, weil ich Single und kinderlos bin.
Bei ihm auftauchen kann ich garantiert nicht mehr. Mein Wochenende allein genießen, so wie sonst, kann ich auch nicht. Ich will auch zwei süße Kinder, die mir ihre Spielzeuge zeigen und Bücher vorgelesen haben wollen.
Ich könnte im Internet nachgucken, ob jemand in der Nähe Babysitter sucht, aber bei einem Mann Mitte 20 wirkt das irgendwie pädophil. Im Prinzip bleibt mir nur die Möglichkeit der Heiratsvermittlung, wie meine Mutter es will, aber es gibt da ein großes Problem: ihre Traumfrau gefällt mir nicht.
Mit den anderen Frauen in meinem Leben ist es auch nicht gut gelaufen, daher hatte ich mich schon halb damit abgefunden, keine Kinder zu haben, doch nun, da ich Inhos kleine Engel kenne, fällt es mir schwer, diesen Wunsch wieder in den Hintergrund zu rücken. Ich muss mir nur vor Augen halten, dass sie eigentlich gar nicht mich als Person mögen, sondern nur ihren Vater vermissen. Dann komme ich schon über diese Gedanken drüber weg.
Gern würde ich mich wenigstens nach ihnen erkundigen, doch daraus wird Montag nichts. "Du siehst fertig aus", stelle ich fest, als mein Projektleiter ins Büro kommt.
"Danke, dir auch einen tollen Tag." Er knallt mir ein paar Dokumente auf den Tisch. "Vom Chef. Viel Spaß." Dann holt er sich Tee und Kaffee und stürzt sich in die Arbeit.
Er versucht sich nichts anmerken zu lassen, doch im Laufe des Tages geht es ihm zusehends schlechter. Seine Haut ist zwar immer sehr hell, aber heute sieht er so weiß aus wie die Wand hinter ihm. Unauffällig rücke ich näher.
"Dein Platz ist einen Meter weiter drüben", erinnert er mich. War wohl doch nicht so unauffällig. Ich lehne mich rüber und lege die Hand auf seine Stirn.
"Du bist heiß, Inho."
"Wie schön, danke."
"Du solltest nach Hause gehen."
"Ich muss arbeiten."
Ich nehme einen Stapel Blätter von seinem Tisch. "Den Rest kannst du mir per Mail weiterleiten."
"Ich bin nicht krank. Mir geht's gut."
"Das sehe ich."
"Ich kann gar nicht krank sein! Ich hab viel zu tun und muss mich um zwei Kinder kümmern."
"Könnt ihr bitte leiser diskutieren? Ich hab Telko", mischt sich die Kollegin vom Tisch gegenüber ein und nimmt kurz ihr Headset ab.
"Kannst du Inho bitte sagen, dass man krank nicht arbeiten soll?", frage ich sie.
"Du siehst wirklich nicht gut aus. Geh nach Hause, Inho."
Entnervt schaut er mich an.
"Hast du niemand anderen, der die zwei in Notfällen versorgen kann?"
"Nein. Du weißt doch, meine Eltern wohnen weit weg und Inpyo und Maya sind verreist."
"Hm. Dann leg dich wenigstens tagsüber hin und ruh dich aus, wir schaffen das hier schon. Zur Not bleibe ich länger." Wenn es ihm nicht gut geht, gehört er ins Bett, da braucht er nicht zu diskutieren.
Wütend ballt er seine Finger zur Faust und springt energisch von seinem Stuhl auf. Dann schwankt er, als wäre ihm schwindlig.
"Inho?", frage ich besorgt. Dann kippt er um.
Gut, dass ich nicht einen Meter weiter drüben an meinem üblichen Platz sitze, sonst würde sein Kopf hart auf dem Boden aufschlagen.
"Wo zur Hölle bin ich?", ist das erste, was er fragt, sobald er die Augen aufmacht und mich sieht.
Ich blicke von meinem Laptop auf, den ich mit in den Meetingraum genommen hab. Inho setzt sich von dem kleinen Sofa auf, das hier in der Ecke steht. "Im Büro, aber ich bring dich jetzt nach Hause", antworte ich ihm. "Und behaupte nicht, dass es dir gut geht, du warst bewusstlos."
"Ich bin doch wieder wach. War nur bisschen Kreislauf, nichts weiter."
"Dein Verhalten ist besorgniserregend. Ich hoffe du bringst deinen Kindern bei, dass man sich ausruhen muss, wenn man krank ist."
"Mach ich."
"Aber du selber hältst dich nicht dran."
"Misch dich nicht in meine Erziehung ein und halte mir keine Vorträge über mein Leben."
"Mach ich nicht. Ich finde doch, dass du das gut hinkriegst. Nur um dich mache ich mir Sorgen."
"Lass das." Seine Stimme klingt belegt und er senkt den Kopf. Verstohlen wischt er sich übers Gesicht. Achje, rührt ihn das etwa? Naja, wenn er Ewigkeiten nicht geweint hat, rührt ihn aktuell vielleicht alles Mögliche zu Tränen. Das muss eben mal raus.
"Auf nach Hause", sage ich sanft.
"Ich kann nicht krankmachen. Ich war das letzte halbe Jahr schon zu oft nicht da."
"Weiß der Chef über deine private Situation Bescheid?"
"Ja. Dieser Arsch macht mich regelmäßig dafür fertig, dass ich damit überfordert bin und mein Leben nicht auf die Reihe kriege."
"Finde ich nicht gerechtfertigt."
"Gut, danke."
"Und du bist sichtlich krank, und keiner der Kollegen will Corona von dir."
"Hör auf mit Corona!", ruft er und bewirft mich mit einem Dekokissen.
"Vorsicht, ich hab meinen Laptop auf dem Schoß!"
Eingeschnappt verschränkt er die Arme. Jetzt sieht er aus wie Momo, wenn er schmollt. Es ist unverkennbar, dass sie verwandt sind. Schon süß. Bei meinem amüsierten Lächeln hält er nicht lange durch. Sich selbst ein Lächeln verkneifend steht er endlich auf. Ich stecke meinen Laptop in meine Tasche und reiche ihm seine Jacke und seinen Rucksack.
Im Flur halte ich ihn auf, als er in den falschen Gang biegt. "Stopp, wo willst du hin?"
Stirnrunzelnd dreht er sich zu mir um. "Ich muss meinen Laptop holen."
"Du gehst nach Hause um dich auszuruhen, nicht um zu arbeiten. Der bleibt hier."
"Aber... aber... wir müssen den mitnehmen. Und ich hab keine Mailweiterleitung und keine Abwesenheitsnotiz eingerichtet."
Ich seufze. "Gut. Dann aber schnell."
Eilig läuft Inho ins Büro. Ich schmunzele, als ich ihn durch den Raum rufen höre: "Wehe, jemand erwähnt Corona!" Im Türrahmen bleibe ich stehen und warte.
"Oh hallo", grüßt mich jemand von hinten.
"Hallo Wheein."
"Was stehst du denn hier vor deinem Büro rum?"
"Ich warte, dass Inho fertig wird und ich ihn nach Hause bringen kann."
Ihr Gesicht spiegelt Überraschung und Verwirrung.
"Er hat Fieber und gehört ins Bett", füge ich hinzu.
Nun werden ihre Augen noch größer. "Ist alles okay bei euch??"
"Ja, alles gut. Wir haben alles geklärt."
"Äh, wie schön."
"Und was führt dich hierher?" Ihr Arbeitsplatz befindet sich vier Türen weiter.
"Mitarbeiterbesprechung."
"Ah. Viel Spaß."
Sie nickt. Inho steht von seinem Stuhl auf. "Fertig?", frage ich.
"Fertig", erwidert er, schultert seinen Rucksack und verabschiedet sich von den Kollegen, die ihm gute Besserung wünschen. Jetzt hab ich nicht aufgepasst, ob er den Laptop hiergelassen hat. Das Ding ist nicht in der Docking Station, also hat er es wohl eingepackt. Offiziell haben wir die Anweisung vom Chef, den immer mitzunehmen, falls es einen Coronafall im Unternehmen gibt, denn dann werden alle Standorte dichtgemacht und die Mitarbeiter müssen zwei bis vier Wochen im Home Office bleiben. Aber Inho soll heut ja die Finger von dem Gerät lassen!
In der Bahn schweigen wir uns an, auch auf der Strecke von der Haltestelle zu ihm. Drinnen lässt er sich von mir die Jacke abnehmen und gibt mir dann die Bärli-Hausschuhe, bevor er sich direkt nach dem Händewaschen aufs Sofa haut.
"Ich mach dir Tee", sage ich und lasse kurz die Türen offen. "Magst du Kamillentee?", rufe ich dann zu ihm rüber, als ich vor dem Regal stehe, in dem er Kaffee, Tee und Kakao aufbewahrt.
"Ja. Sonst hätte ich doch keinen da", ruft er zurück.
Ich setze Wasser an und schaue durch die Schränke, um eine große Tasse zu finden. Als ich mich schließlich mit dem heißen Getränk ins Wohnzimmer begebe, liegt Inho mit geschlossenen Augen auf dem Sofa. Gleichmäßig hebt und senkt sich seine Brust. Er schläft.
Leise stelle ich die Tasse auf dem Couchtisch ab. Der Tee muss noch acht Minuten ziehen. Ich knie mich zu Inho vors Sofa und betrachte ihn solange. Er schnarcht leise.
Von wegen nicht krank. Er braucht wirklich Ruhe. Ich vermute, er hat sich durch seinen ganzen Stress einen leichten Infekt eingefangen. Vorsichtig streiche ich ihm eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
In meiner Brust fühlt es sich komisch an. Hoffentlich habe ich mich nicht angesteckt.
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