Kapitel 19
Tief atmete ich durch und schlang die zu große hellblaue Sweatshirtjacke enger um mich. Kurz überlegte ich doch umzudrehen. Verwarf den Fluchtgedanken aber sofort wieder und öffnete die Milchglastür zur Aula.
Ich fühlte mich verloren! Ich hatte mit niemandem mehr Kontakt gehabt, somit auch niemanden zu dem ich mich hätte setzten wollen oder können ohne, dass es mir komisch vorgekommen wäre.
„Na sieh mal an!" vernahm ich eine überraschte Stimme links von mir. Sofort wandte ich meinen Kopf in die Richtung und musste ernüchtert feststellen, dass es Regina war die mich angesprochen hatte. Sie hatte mich regelrecht gehasst in unserer Schulzeit. Leider hatte sie sich nicht verändert. Perfekt manikürte Krallen und perfekt gezogener matter roter Lippenstift, dazu ihr typischer etwas überheblicher Gesichtsausdruck und ihre alte Clique um sich. Warum musste sie mich anquatschen?!
„Komm setzt dich doch zu uns" bot ihre Freundin Clarissa an. Ich wollte erst den Kopf schütteln, entschied mich dann doch dagegen, wollte ich doch nicht mehr so verloren in der Gegend rumstehen. So ließ ich mich zu ihnen an die Zusammengeschobenen Tische fallen, an denen wir vor fünf Jahren in jenem Raum unsere Abiklausuren geschrieben hatten.
„Hallo" grüßte ich bemüht freundlich in die Runde. Regina musterte mich, ebenso Clarissa und Kris, mit dem ich in Schulzeiten eigentlich ganz gut zurecht gekommen bin. „Seit wann arbeitest du bei Maibachs?" fragte Kris sichtlich verwirrt. Seine Eltern hatten zu Schulzeiten Pferde gezüchtet, somit wunderte mich seine Frage keines falls. „Äh... das ist nicht meine Jacke. Die gehört meinem Verlobten" erklärte ich etwas kleinlaut. „Ach" kommentierte Regina abfällig, wahrscheinlich dachte sie ich würde einen einfachen Bereiter heiraten. Kris hingegen schien zu überlegen. Clarissa warf sich ihren dunklen Pferdeschwanz über die Schulter „Was machst du jetzt eigentlich? Ich hab gehört du hast dein Studium geschmissen" „Ich arbeite mit im Stall und stelle momentan einen Hengst bei einigen Internationalen Prüfungen vor. Und du?" antwortete ich aus reiner Höflichkeit. „Naja was soll ich sagen? Ich lebe jetzt in Berlin und bin voll im Marketing Business." redete sie etwas leer dran lang. „Warte mal du arbeitest mit bei Maibachs im Stall und reitest eines ihrer Pferd?" Kris schien noch verwirrter als vorher. „Ja" antwortete ich ebenfalls verwirrt. „Komm Kris ist doch egal! Sie heiratet doch bestimmt einen ihrer Bereiter und nimmt dem ein bisschen was ab" Regina störte es wohl nicht im Mittelpunkt zu stehen. „Dann würde sie keines der Pferde reiten! Ich kenne die Maibachs leider." erklärte sich ihr Kris und wandte sich dann wieder an mich „Du hast was mit Joshua, oder?" seine braun-grünen Augen funkelten mich an. Ich nickte einfach nur und sah mehr oder weniger in eine andere Richtung. „Das glaube ich nicht!" Kris schien ja richtig aus allen Wolken zu fallen. „Was ist an dem Typen so besonders" Regina klang gelangweilt. Kris ignorierte sie jedoch und sah mich eindringlich an „Malar, ich sage das nur weil ich dich in der Schulzeit für sehr vernünftig gehalten habe. Du tanzt mit dem Teufel!". Miss rote Lippen, falsche Krallen meinte nur „Wer außer dem Teufel hätte Malar auch haben wollen!" Sie war echt überhaupt nicht erwachsen geworden. „Weist du was sie meiner Familie angetan haben? Allen voran Joshua?!" da klang jemand aber wirklich sehr besorgt um mich. „Wir hatten Geldprobleme und die Maibachs haben uns alles ohne mit der Wimper zu zucken mehr oder weniger unter dem Hintern weggekauft! Meine Eltern hatten keine Wahl, sie mussten an diese Bonzen verkaufen. Dank deines Joshua, der uns gezielt den Ruf ruiniert hat, arbeite ich jetzt als Bereiter in Bayern und habe kein wirkliches zuhause mehr zu dem ich zurück kommen kann. Der feine Herr meinte wohl an uns ausprobieren zu müssen was er an der piekfeinen Privatuni gelernt hat. Verdammte Manager. Von nix ne Ahnung außer wie man Andere ruiniert." seine Handfläche traf schallend die Tischplatte.
Es war Totenstill am Tisch.
Sogar Regina hielt mal ihre Klappe.
Clarissa fand als erste die Sprache wieder „Wie hast du diesen Joshua kennengelernt?" Ich erzählte ihr unsere offizielle Geschichte. „Ist ja irgendwie süß. Klingt gar nicht nach Teufel" murmelte sie und sah Kris dabei an „Wann heiratet ihr?" „Nächste Woche Samstag" ich spürte quasi wie mir das Blut in die Wangen schoss. Ich hatte jetzt schon verdammte Angst vor dem Tag.
Kris schien sich auch wieder gefangen zuhaben „Wie kann man so jemanden heiraten?" Das reichte jetzt auch wenn er in der Schulzeit immer nett zu mir war, hatte er kein Recht so über Joshua zu sprechen! „Ganz ehrlich Malar. Er ist ein groß kotziger Macho mit zu viel Geld. Einer zu großen Klappe. Für ihn viel zu guten Pferden und nem Ego, das so groß ist, dass es eigentlich ein eigenes Schlafzimmer bräuchte. Er brauchte doch nur ein kleines verzweifeltes Mädchen, für das er den Helden spielen kann, damit dieses arme etwas ihm ja das Ego streichelt und ihm immer sagt was für ein toller Typ er doch ist. Malar, wir wissen doch alle wie du in unserer Schulzeit drauf warst." redete er jedoch einfach weiter ohne mich zu Wort kommen zu lassen. „Erstens ich bin nicht verzweifelt gewesen, als wir uns getroffen haben! Im Gegenteil ich hatte Hoffnung. Zweitens sind seine Pferde nicht zu gut für ihn. Er kann wirklich reiten, sonst hätte er Amsterdam wohl nicht gewonnen. Drittens ist er kein Arschloch, ansonsten hätte er mich als ich vor zwei Wochen vom Pferd gefallen bin nicht zum Arzt geschliffen und viertens ist er nur im Bett ein absoluter Teufel, weil er genau weis wie er mich zu allem bekommt was er will!" „Was für einer Gehirnwäsche hat man dich, denn unterzogen?" motzte Kris weiter. „Lass mich raten, als du mal wieder nicht nach seiner Pfeife getanzt hast hat er dir erst eine links und dann eine rechts gescheuert?! Ich kenne die Gerüchte Malar!" „Wie du schon sagst Gerüchte!" Regina sah blass zwischen uns hin und her. „Aber an jedem Gerücht ist etwas wahres dran." Kris blickte mir unentwegt in die Augen.
Clarissa ging dazwischen und ich unterhielt mich mit ihr und einigen anderen bis die ersten gingen und ich eine Nachricht von Joshua bekam, dass er unten auf mich warten würde.
Zu meiner Überraschung dackelte Kris mir hinter her, als ich über den Hof zum Parkplatz lief. Er hatte wohl eine geraucht. Mit schnellen Schritten schloss er zu mir auf „Ich meinte das gerade ernst. Joshua Maibach ist der Teufel!" „Lass gut seien Kris" meinte ich säuerlich und beschleunigte meine Schritte. Jedoch tat er es mir gleich „Malar, pass bitte auf dich auf!" „Das muss ich nicht!" knurrte ich wütend. „Doch das musst du. Du kennst ihn nicht richtig!" „Woher willst du das wissen?! Und jetzt lass mich in Ruhe!" er dachte jedoch gar nicht dran und fasste mich an der Schulter. Ich wirbelte herum und fauchte „Was hast du nicht verstanden! Lass mich in Ruhe!" „Das kann ich nicht. Du siehst wieder so unglücklich aus wie früher. Ich mochte diesen Ausdruck in deinen Augen nie. Dabei bist du so hübsch!" zutiefst verwirrt stand ich da und wusste nicht was ich sagen sollte.
Da hörte ich Schritte hinter mir und Joshuas Stimme „Ehy Helwig! Finger weg von meiner Verlobten, oder ich breche sie dir einzeln in so kleine Einzelteile, dass du nie wieder Zügel in den Händen halten kannst" Halleluja. Lass es nicht eskalieren. Ich drehte mich zu ihm um und sein Gesichtsausdruck ließ mich erschaudern. Joshua war wütend und sah dabei in seiner dunklen perfekten Jeans und dem weißen Hemd göttlich aus. „Du hast sie doch gar nicht verdient. Du Arschloch!" fauchte Kris. „Aber du oder was? Ist ja süß! Endlich mal getraut der früheren Schulliebe die Gefühle zu gestehen und jetzt ist sie auch noch an deinen erklärten Erzfeind vergeben" amüsierte sich Joshua während er besitzergreifend eine Hand auf meiner Hüfte platzierte. „Du hast mir alles genommen. Maibach, wie soll ich dich nicht hassen" „Du hast ja auch wirklich einen tiefen Fall hingelegt. Vom Gestütserben zum zweitklassigen Bereiter in Bayern. Auf eurem alten Hof ist jetzt ein Ausbildungszentrum für Berittpferde. Da ist bestimmt noch ein Job für dich frei, falls du Heimweh hast" Ich sah, dass Kris kurz davor war ihm eine reinzuhauen. „Komm Joshua das reicht." Ich sah zu ihm hoch und konnte diese Überlegenheit in seinen Augen glitzern sehen. „Du machst deinen Weg schon" überheblich grinste Joshua den vor Wut zitternden Kris an und lies seine Hand nach oben auf meine Schulter wandern um mit mir im Arm zum Auto zu gehen. Kris sah uns einfach nur wütend nach. Er tat mir leid. So von Hass zerfressen...
„Ich hätte nicht gedacht einen der Helwigs nochmal zu treffen" meinte Joshua, als er mir galant die Autotür öffnete. „Naja er war nicht gut auf dich zu sprechen" Ich sah Joshua fragend an und hoffte er würde den Wink verstehen. Doch er zuckte bloß mit den Schultern. Nach dem Motto ist halt so.
„Wie war es sonst?" fragte Joshua beiläufig, als er vom Parkplatz fuhr. „Mies. Ich habe Leute getroffen von denen ich gehofft hatte sie nie wieder in meinem Leben um mich ertragen zu müssen. Wie war es bei euch?" winkte ich ab. Joshua grinste zufrieden „Drei drei-Jährige für jeweils knapp 50.000 weggegangen." Ich kam nicht umhin beeindruckt die Augenbrauen zu heben. Die hatten wohl echt zu viel Geld! „Glückwunsch!" ich lächelte ihn kurz an, dann hatte ja zumindest einer einen guten Tag.
Bis kurz vor der Hofeinfahrt herrschte Stille. Joshua meldete sich wieder zu Wort „Sei ehrlich. Hattest du mal was mit dem jungen Helwig?" Joshua klang beängstigend ruhig. „Nicht wirklich" gab ich kleinlaut mehr oder weniger zu. Falsche Antwort! Absolut falsche Antwort! „Was heißt hier nicht wirklich?!" „Wir haben einmal besoffen rumgeknutscht. Mehr nicht!" lenkte ich panisch ein. Ein Grinsen huschte über Joshuas Gesicht. Was war denn jetzt kaputt! „Der Typ muss mich jetzt echt hassen!" freute er sich.
Der Mann den ich heiraten würde war echt nicht mehr normal! So viel war absolut sicher!
„Er nannte dich den Teufel" murmelte ich. Joshua parkte auf dem Parkplatz, neben dem Haupthaus. „Schöne Beschreibung. Gefällt mir irgendwie." Ja absolut nicht mehr normal! „Dann bist du wohl einen Pakt mit dem Teufel eingegangen. Ein gutes Pferd und ein Jahr Gefolgschaft, für etwas Hingabe und so etwas wie Liebe. Das hätte selbst Goethe nicht besser schreiben können" grinste er. „Dann wärst du wahrscheinlich auch der unwiderstehliche Jüngling, der auch mal hier und da was in Flammen setzt mit Adelstitel und ich erst ein hässliches Entlein, das zum Schwan wird dank dunkler Magie und dessen Name einer Verniedlichung gleichkommt." steuerte ich kritisch bei. Er verdrehte die Augen und beendete das Thema mit den Worten „Lass gut sein. Ich musste Faust auch lesen".
„Ich vergaß der werte Herr Maibach hat ja ebenfalls Abitur" neckte ich, als wir zum Haus gingen. „Sicher dass sie es haben verehrte Dame?" schoss er zurück und zog mich eng zu sich. Er hatte echt verdammt gute Laune. „Ziemlich sicher! Das einzige was nicht geklappt hat war der Bachelor" zerknirscht sah ich ihn an. Dieses Zugeständnis tat etwas weh. „Mit einem Bachelor of Arts kann ich zumindest aufwarten" plötzlich fühlte ich mich viel zu schlecht für ihn. Klimpernd holte Joshua die Schlüssel aus seiner Hosentasche.
Er hatte Autoschlüssel und Haustürschlüssel an zwei verschiedenen Schlüsselbunden. Das war mir vorher nie bewusst aufgefallen. Warum? Ich fand sowas eher umständlich.
Corinna schoss uns, aber schon entgegen. „Gute Arbeit geleistet!" strahlte sie ihren Sohn voller Stolz an und in dem Moment hoffte ich, dass ich wenn ich jemals Mutter werden würde ich ebenso stolz auf mein Kind sein würde. Ihre blauen Augen huschten zu mir „Wie war dein Abitreffen?" Ich schüttelte einfach nur den Kopf und meinte „Ich will niemandem die Laune verderben." Sofort sah Corinna mich erschüttert an „Wie war nicht gut? Kindchen wenn du reden willst..." Ich unterbrach sie „Lasst uns doch erstmal dieses wunderbare Geschäft feiern" „Ich steuere Sekt bei. Der wird auch nicht besser wenn er ewig im Kühlschrank liegt" grinste Joshua. Seine Mutter schüttelte einfach nur grinsend den Kopf. „Dann würde ich sagen stoßen wir bei diesem traumhaften Wetter draußen an. Komm Malar dann hilft du mir draußen decken" klatschte sie in die Hände.
Ich folgte ihr in die Küche. „Wo ist Hannes?" ihn hatte ich heute noch gar nicht zu Gesicht bekommen. „Der ist bestimmt bei den Jährlingen und schaut welche er beim Jubiläum er an der Hand präsentieren lässt, quasi als Futurchampions. Joshi müsste eigentlich auch dabei sein." Sie klang komischerweise etwas betrübt. „Er hängt sich da ja wirklich richtig rein" stellte ich fest. „Es ist ja auch ein großes Jubiläum und auch mehr oder weniger eure Hochzeitsfeier." auch wenn sie nun wieder fröhlicher klang, stimme etwas nicht. Das spürte ich ganz deutlich. „Weist du was? Ich brauche eigentlich keine Hilfe beim Tisch decken. Sag du doch meinem Mann Bescheid, dass wir anstoßen und zusammen essen wollen" schickte sie mich raus, während sie vier Gabeln und vier Messer aus der obersten Schublade nahm.
So lief ich in guter Schwiegertochtermanier über den schon etwas matschigen Weg zur Jährlingskoppel. Schon von weitem konnte man Hannes dort stehen und die Pferde beobachten sehen. Alles wirkte so friedlich.
Ich blieb direkt neben ihm stehen. „Welche findest du am Aussagekräftigsten?" fragte er sofort unvermittelt ohne mich anzusehen. Nachdenklich wanderte mein Blick über die Gruppe von Pferden, die irgendwie noch wirkten als wissen Sie noch nicht recht ob sie nun Pferde werden wollten oder Fohlen bleiben. „Der Braune dahinten, sieht aus als könne er später vielleicht mal Häuser springen" ich wies auf einen langbeinigen hellbraunen dem spitzbübisch ein dichter dunkler Schopf in die Stirn fiel. „Hmh" kommentierte Hannes meine Wahl nachdenklich. Und dann sah ich ihn wieder. „Fürstentanz!" sprach ich den Namen des jungen Pferdes aus. „Joshua hat ihn mir bei unserem ersten aufeinander treffen gezeigt. Er wird mal ein wunderschönes Pferd" ein Lächeln Schlich sich auf meine Lippen. Neugierig wandte sich Hannes jetzt mir zu „Du magst ihn?" Ich nickte „Ja ich mag sowohl Joshua, wie auch Fürstentanz." nach kurzem Zögern fügte ich hinzu „Als ich klein war habe ich oft von so einem Pferd geträumt. Ich glaube aus ihm kann etwas werden" „Da teilen wir wohl eine Meinung. Auch ich glaube an diesen Hengst. Noch zwei Jahre hat er Zeit, dann muss er sich anfangen zu beweisen. Das wird ihn wahrscheinlich nicht besonders schwer fallen. Mit diesem Esprit wickelt er doch alle um den Finger" schmunzelte Hannes. „Warum bist du eigentlich hier? Jawohl nicht um mir bei der Jährlingswahl zu helfen, wobei ich neidvoll zugeben muss, dass meine zukünftige Schwiegertochter ein ziemlich gutes Auge hat." „Corinna hatte mich geschickt um dich zu holen. Wir wollen im Garten auf die Dreijährigen anstoßen und zusammen essen" „Ja das klingt wunderbar!" damit stieß er sich von Zaun ab und begab sich wieder auf den Weg zum Haus. Ich tat es ihm gleich, nicht jedoch ohne noch einen Blick auf Fürstentanz zu werfen, der friedlich grasend zwischen seinen Freunden stand.
Dieser kleine Hengst hatte es mir echt angetan!
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