Vergrab mein Herz neben den Kohlen
Dezember, 2000
November ging in Dezember über. Castiel überlebte wie Sam seine Halbjahresprüfungen, und die beiden führten den Haushalt, während Dean Fortschritte bei dem Raphael-Gemälde machte. Winterferien entließen Cas aus seiner Schulpflicht, und eines Tages, ungefähr zwei Wochen vor Weihnachten, kam er nach Hause und fand Dean komplett im Malen vertieft vor. Er benutzte seine Finger und ganze Hand, um Farbe auf der Leinwand aufzutragen.
Raphael war eine majestätische afrikanisch-amerikanische Frau, groß und königlich, elegant mit einem maßgeschneiderten, auberginefarbenen Anzug bekleidet. Dean hatte sie so gezeichnet, dass ihre hellblauen, von der Gnade erleuchteten Augen gebieterisch zu dem herunterstarrten, wer auch immer zu dem Gemälde hochsah. Sie war in ihrem Auftreten und dem Ausdruck von absoluter Verachtung auf ihrem Gesicht so vollkommen anders als Lucifer.
Cas stand für eine Weile da und sah zu, wie Dean über den mittleren Bereich des Gerüsts tanzte. Er hatte ihr ein Engelsschwert gegeben, und das war es, wo das Rot auf seiner Hand hinging. Es tropfte auf etwas zu ihren Füßen, das wie eine Leiche aussah.
Ausnahmsweise einmal spielte keine Musik. Das einzige Geräusch war das raue Kratzen von Deans Fingernägeln, als er die rote Farbe auf die Leinwand brachte. Er war in seiner eigenen Welt, verloren in dem, was er tat, und er hatte Cas nicht hereinkommen, seine Sachen abstellen und die Tür schließen gehört.
Er stand da und beobachtete seine Bewegungen. Die farbbefleckte, schäbige, blaue Jeans hing tief auf seinen Hüften. Dean bewegte sich anmutig. Die Rücken- und Schultermuskeln wölbten sich gegen den abgetragenen Stoff des schwarz-roten Hemdes, das er trug. Er war wunderschön, ein Zusammenspiel aus Bewegung und purer Eleganz. Jeder Teil seines Körpers war in den Malprozess mit einbezogen.
Ich liebe ihn, dachte Cas unerwartet. Sein Herz schwoll vor Wärme an. Ich liebe ihn.
Der unwiderstehliche Drang, Dean zu berühren, ließ Cas das Gerüst hochklettern. Er räusperte sich, nachdem er die Ebene erreicht hatte, auf der sich Dean befand. Dean drehte sich um, die Hände mit roter Farbe bedeckt. Ein Lächeln erblühte auf seinem Gesicht, als er Castiel erblickte.
,,Hey. Hab dich gar nicht reinkommen gehört."
,,Du warst abgelenkt. Und beschäftigt."
Dean wischte sich mit einem Lappen das Rot von den Händen. ,,Niemals zu beschäftigt für dich." Er schnitt eine Grimasse. ,,Hat sich das so kitschig angehört wie ich denke, dass es das tat?"
,,Ja, aber das macht nichts."
Sie schmunzelten beide.
,,Das sieht wirklich gut aus." Cas lächelte.
,,Danke." Dean setzte sich auf dem Gerüst hin und starrte zu dem Bereich hoch, an dem er gerade noch gearbeitet hatte. ,,Sie ist ganz anders als Lucifer, oder?"
,,Ja, aber das sollte sie auch. Raphael war gehorsamer."
,,Mhm." Dean fuhr sich mit einer Hand durch sein Haar, und Cas brach in Lachen aus. ,,Was?"
,,Du hast rote Farbe in deinen Haaren, Dummerchen."
Dean grinste, streckte den Arm aus, ergriff Cas' Hand und zog ihn in seinen Schoß hinab. Er ließ seine Finger durch Cas' Haare gleiten. ,,So. Jetzt passen wir zusammen."
Das Ich liebe ihn-Gefühl wallte wieder auf, während Cas in funkelnde grüne Augen schaute. Deans hübsche Lippen verzogen sich zu einem hinreißenden Grinsen, als er zu Cas hochsah. Er lehnte sich vor und küsste ihn. Deans Hände glitten hinab, blieben auf seinen Hüften liegen und zogen Cas näher heran, als sich der Kuss vertiefte.
Castiel nahm sich die Zeit, jeden Zentimeter von Deans Mund zu schmecken, bevor er seine Zunge hineingleiten ließ und sanft auf seine Unterlippe biss.
Dean öffnete Cas' Hoodie und schob ihn von seinen Schultern. Seine Hände rutschten unter Cas' T-Shirt. Er konnte die klebrige Farbe an Deans Fingern an seiner Haut haften bleiben fühlen und er lächelte in den Kuss. Seine eigenen Hände umrahmten Deans Gesicht und hielten ihn still, während er die Kontrolle über den Kuss an sich nahm.
,,Verdammt, Cas", murmelte Dean und riss sich für einen dringenden Atemzug los. Seine Sommersprossen zeichneten sich gegen seine erröteten Wangen ab und er atmete schwer.
,,Wo ist Sam?", fragte Cas und fuhr mit den Lippen Deans Hals entlang nach unten.
,,Oben. Lernt."
,,Müssen also leise sein, oder?"
,,Fuck", stöhnte Dean.
,,Mhmm."
Cas schob Deans Hemd von seinen Schultern, ergriff dann den Saum seines abgetragenen T-Shirts, zog es hoch und aus und warf es beiseite. Dean erwiderte den Gefallen und schmiss Cas' gelbes Pearl Jam T-Shirt achtlos über den Rand des Gerüsts.
Er drückte Dean auf seinen Rücken, während er sich breitbeinig auf ihn setzte. Dean streckte den Arm aus und strich mit den Fingern über Cas' Kinn und runter über seine Brust. Seine Augen waren geweitet und verfolgten Cas' Bewegung, doch da war ein seltsamer Ausdruck auf seinem Gesicht, den Cas nicht zuordnen konnte.
,,Alles okay?", fragte er sanft.
,,Ja, Cas, mir geht's gut."
,,Bist du sicher?"
Dean nickte. ,,Ich bin sicher." Er griff hoch, umklammerte Cas' Nacken, zog ihn herunter und presste ihre Lippen zusammen. Sein anderer Arm schlang sich um Cas' Taille, der das Gleichgewicht verlor. Seine Hände schossen hervor, um ihn davon abzuhalten, mit seinem ganzen Gewicht auf Dean zu landen.
Eine Handfläche kam in Kontakt mit etwas Feuchtem und Klebrigen. Cas setzte sich wieder auf und starrte seine Hand an.
,,Alles in Ordnung?"
Cas zeigte Dean seine mit Farbe bedeckte rechte Hand, und der andere Mann fing an zu lachen.
,,Hab dich auf frischer Tat ertappt!", gluckste er.
,,Du bist ein Idiot."
,,Du bist der, der seine Hand auf meine Palette getan hat!"
,,Du bist der, der mich mein Gleichgewicht verlieren lassen hat!"
Er starrte Dean an, doch es lag kein Feuer darin, obwohl Dean viel zu zufrieden mit sich aussah. Cas griff nach unten, packte Deans linken Arm und hinterließ einen großen, roten Handabdruck auf seinem Bizeps. ,,So, jetzt wurdest du auch erwischt!"
Dean blickte an seinem Arm herab und starrte ihn für einen langen Moment an, bevor sich ein weiterer unlesbarer Ausdruck auf sein Gesicht legte. Als er jedoch wieder hochsah, waren seine Augen dunkel und die Pupillen geweitet. Cas war von der ungezügelten Wildheit in seinem Blick überrascht. Dann bewegte er sich unglaublich schnell, und Cas fand sich auf dem Rücken wieder, während er zu einem intensiven Ausdruck hochstarrte. Seine Finger fuhren die Innenseite seines Oberschenkels entlang und über seinen Hosenstall. Er öffnete die Jeans und glitt hinein, schwielige Fingerspitzen schlangen sich um sein bereits hartes Stück.
Cas keuchte, und Dean küsste ihn, drückte ihn mit seinem gesamten Körper auf das Gerüst. Der Kuss war wild und leidenschaftlich, die rauen Bewegungen an seinem Schwanz unerbittlich. Deans eigene Erektion presste sich gegen Castiels Oberschenkel und wurde in sein Bein gedrückt. Er war wie ein besessener Mann, etwas hatte das bei ihm ausgelöst. Es war nicht so, dass Cas sich beschwerte, aber in all der Zeit, in der sie Sex gehabt, einander Vergnügen bereitet hatten, war es nie so gewesen – dieser harte, brutale Anspruch auf seinen Körper, eine Intensität, die ihn weit schneller über den Rand zu spülen drohte als er es gerne hätte.
,,Dean, Dean, oh- Oh!", brabbelte Cas. Seine Finger krallten sich sinnlos in Deans nackte Schulter, hilflos gegenüber dem Angriff. Lippen fanden erneut seinen Mund, leckten und knabberten. Dean war Feuer auf seinem Mund, Feuer auf seinem Schwanz, er war überall und alles: besitzergreifend, fordernd, zügellos. Die Hitze sammelte sich schnell und kompromisslos, und Castiel kam heftig. Seine Hüften wölbten sich über den Holzbrettern des Gerüsts, seine Fingernägel hinterließen kleine Blutspuren auf Deans Schulterblättern. Dean rieb sich hart an seinem Bein, nur einmal oder zweimal, dann war auch er verloren. Er kam mit einem gequälten Stöhnen und brach auf Cas' Körper zusammen.
Für eine Weile lagen sie so da. Deans Herz schlug so sehr, dass Cas es gegen seine eigene Brust fühlen konnte. Er fuhr mit den Fingern durch Deans verschwitzte Haare, während die klebrige Sauerei zwischen ihnen abkühlte. Auf seinem Hals war heiße Nässe, und er realisierte, dass Dean weinte.
,,Dean? Geht's dir gut?", fragte er besorgt.
,,Ja, ich bin nur...", schniefte er. ,,Alles okay, Cas, ich schwöre."
Cas hakte seine Finger unter Deans Kinn und hob seinen Kopf. Deans Augen waren wunderschön, wenn er weinte, da das Grün durch das Salzwasser noch verstärkt wurde. Allerdings machte er keinen traurigen Eindruck. Er sah, wenn auch nicht wirklich glücklich, zufrieden aus.
,,Wir sollten duschen gehen, bevor Sammy uns findet", sagte Dean leise.
,,Okay."
Sie setzten sich auf und Dean küsste ihn sanft, bevor er sich hochrappelte und seine weggeworfenen Kleidungsstücke einsammelte. Cas beobachtete seine Bewegungen, verfolgte mit den Augen den eleganten Bogen seiner Muskeln. Sein Blick blieb an dem perfekten roten Handabdruck auf seinem linken Arm hängen.
,,Komm schon, lass uns duschen gehen."
Castiel nickte, sprang vom Gerüst, rutschte nach Dean die Stange herunter und folgte ihm die Treppe hoch. Sams Tür war geschlossen. Dean huschte für einen Moment in sein eigenes Zimmer, kam dann zurück, nahm Cas an der Hand und führte ihn in die Dusche.
Sie drehten erneut alle acht Hähne auf und ließen den Raum mit Dampf füllen, bevor sie hineinstiegen.
Dean murmelte die Worte von Wonderwall vor sich hin, obwohl er behauptete, er hasse den Song. Dann zog er Cas in seine Arme und vergrub das Gesicht in seinem Hals.
,,Bist du sicher, dass es dir gut geht?", fragte Cas ihn und fuhr eine Hand seinen Rücken hinab.
,,Mir geht's mehr als gut."
,,Wirklich?"
,,Ja."
,,Okay."
In dem heißen Wasser hielten sie einander nahe bei sich. Cas' Herz war ausgefüllt und zufrieden. Er erglühte bei der Erkenntnis, dass er verliebt war.
Und er war sich sicher, dass Dean dasselbe empfand.
_____
Jetzt
,,Die Sache ist die – er war vom ersten Tag an komisch. Wir haben dir das alle gesagt, Anna." Hester lächelte kurz über den Rand ihrer Tasse. ,,Und offensichtlich ist er nicht über ihn hinweg. Ansonsten wäre das Abendessen nicht auf diese Art verlaufen."
Anna seufzte und rührte in ihrer eigenen Teetasse. ,,Ich weiß nicht... Es könnte nur der Stress sein, ihn nach all den Jahren zu sehen."
,,Hast du jemals dieses Buch gelesen?"
,,Ja", erwiderte Anna ausweichend.
,,Und du denkst immer noch, er ist darüber hinweg? Mein Gott, Anna, diese Beziehung...die war intensiv. Dean war eindeutig sehr verliebt in Castiel."
,,Das ist erfunden, Hester. Castiel hat vermutlich eine Menge davon ausgeschmückt", sagte Anna, wobei sie es hasste, wie unüberzeugt sie klang.
,,Ich denke nur, dass du einen schrecklichen Fehler machst."
Anna drehte den Diamanten auf ihrem Ringfinger und rutschte auf ihrem Platz umher. ,,Du, Mom, Rachel... Ihr sagt das alle vom ersten Tag an. Keiner von euch hat Dean jemals gemocht. Es ist alles Schwachsinn, dass Kunst zu unterrichten nicht wirklich unterrichten sei. Du hast immer auf ihn herabgeblickt. Vom ersten Tag an, Hester."
,,Naja, er ist seltsam", sagte ihre Schwester. ,,Das musst du zugeben."
,,Er hat eine Menge durchgemacht, weißt du? Er hat das Glück, überhaupt am Leben zu sein. Gib ihm eine Chance."
Hester seufzte und schob ihre Tasse in die Mitte des Küchentisches. ,,Denkst du nicht, dass er diese alte Feuerwache verkaufen sollte? Warum hält er daran fest? Das klingt nicht nach jemandem, der weitergemacht hat." Sie griff über den Tisch und nahm Annas Hand. ,,Ich liebe dich, Anna, und ich möchte nicht sehen, wie du heiratest und es dann in einer Scheidung endet." Sie steckte sich eine blonde Haarsträhne hinter ihr Ohr. ,,Du verdienst es, komplett glücklich zu sein. Du verdienst jemanden, der sich ganz dir widmet. Und wenn Dean das wäre, hätte er dich wegen seines Besuchs bei der Buchsignierung nicht angelogen und er hätte sich bei dem Essen nicht so verhalten."
,,Ich weiß nicht..." Anna begann es wirklich zu bereuen, Hester von dem Essen erzählt zu haben, wobei Deans Verhalten sie ziemlich verstört hatte. Trotzdem war es nicht fair von ihr, Hester noch etwas zu geben, das sie zu ihrer Sammlung gegen Dean hinzufügen konnte.
,,Ich meine, er war wegen allem schon immer so unentschlossen und unsicher. Du hast ihn gefragt, ob er dich heiraten wolle, es ist dein Haus, fütterst du ihn nicht praktisch durch?"
,,Nein, er ist ein Lehrer, Hester, er verdient ordentlich. Das weißt du verdammt gut! Und wen interessiert es, wer es vorgeschlagen hat? Mich nicht! Checkst du es nicht? Er ist durch die Hölle gegangen. Sein eigener Vater hat ihn fast getötet, um Himmels willen."
,,Und damit willst du dich dein ganzes Leben lang herumschlagen?"
,,Hester!"
,,Es ist nur, ernsthaft, Annie, willst du ihn wirklich heiraten? Mit all seinen komischen kleinen Problemen und seiner Hilflosigkeit, und diesem Beweis?"
,,Beweis?", fragte Anna kühl. ,,Er war einmal in jemand anders verliebt? Oh, ja, das ist ein unglaublich ausreichender Beweis. Gott bewahre, mein fünfunddreißigjähriger Verlobter hatte eine ehemalige Beziehung", sagte sie sarkastisch. Sie stand auf, schob ihren Stuhl vom Tisch weg und ergriff ihre Tassen. ,,Ich denke, du solltest gehen."
,,Schön. Aber beantworte mir das: Er war den ganzen Tag weg. Wo, denkst du, steckt er?"
Anna runzelte die Stirn, als sie die Tassen ins Waschbecken stellte. ,,Er hatte diese Smokinganprobe mit Sam. Sie sind vermutlich essen gegangen."
,,Das war um zwei, richtig? Es ist nach neun, Anna."
,,Geh einfach. Dieses Gespräch ist beendet. Geleite dich bitte selbst hinaus."
Anna stützte sich auf der Küchentheke ab und starrte hinunter ins Waschbecken. Hester schnaubte hinter ihr, und einen Moment später hörte sie, wie sich die Tür schloss.
Sie wollte es nicht zugeben, doch Hester hatte die Samen des Zweifels gesät. Verdammt, um ehrlich zu sein waren die Samen des Zweifels am Wochenende der Buchsignierung gesät worden. Alles, was Hester wirklich getan hatte, war sie zu gießen.
Ihr Telefon rang. Sie war erleichtert, Deans Namen auf der Anruferkennung zu sehen.
,,Hey, Schatz, wie ist der Smokingtermin gelaufen?", fragte sie und zwang Fröhlichkeit, die sie nicht empfand, in ihre Stimme.
,,Äh, gut. Es war, ich meine, ich, es war gut", stammelte Dean.
,,Geht's dir gut?"
,,Ja, ja, alles super. Mir geht's gut. Ähm, Sammy und ich, naja, er hat sich beim Abendessen ein wenig betrunken, und wir sind in der Feuerwache gelandet, und er schläft auf der Couch. Deswegen werde ich... Ich werde heute Nacht hierbleiben, wenn das okay ist, ich meine, wenn dir das recht ist? Ist dir das recht?"
Anna rieb sich mit ihren Fingern die Stirn und versuchte die Kopfschmerzen zu verdrängen, die sich formten. ,,Ist gut, Dean." Ja, alles war gut. Anscheinend das Wort des Abends.
,,Okay, ich sehe dich morgen, nachdem ich Sam bei seinem Auto abgesetzt habe. 'Nacht", sagte er und legte abrupt auf.
,,Gute Nacht", murmelte sie in die tote Leitung. Seufzend schaltete sie die Lichter in der Küche aus und ging ins Wohnzimmer. Die Weihnachtsbeleuchtung am Baum blinkte fröhlich, und darunter waren bereits einige Geschenke aufgestapelt, mit Etiketten für Dean, ihre Mutter und ihren Vater, Rachel, Hester und Sam.
Da war noch nichts für sie, doch Dean war ein Last-Minute-Einpacker und hielt die Sachen vermutlich irgendwo versteckt.
Anna griff hinter den Baum, zog den Stecker und tauchte das Wohnzimmer in Dunkelheit. Als sie sich umdrehte, stieß sie sich ihren Zeh am Stuhl unter dem Fenster, fegte etwas darauf herunter und fluchte, als sie realisierte, dass sie Deans Laptoptasche umgekippt hatte und der Laptop zu Boden gefallen war.
,,Oh, verdammt", murmelte sie und bückte sich, um alles wieder in die Tasche zu schieben. Sie hoffte, dass sie ihm keinen neuen Computer schulden würde.
Ein weißes Taschenbuch rutschte aus der Hülle. Die Abbildung des Erzengels Michael war sogar im gedämpften Licht einer Straßenlaterne vor dem Fenster sichtbar.
Sie hielt das Buch in der Hand. Die zerfledderten Kanten bewiesen, dass Dean Painted Angels mehr als einmal gelesen hatte. Die rechte obere Ecke des Covers war an einer Stelle leicht eingerissen und die äußeren Kanten der Seiten waren mit den Jahren vergilbt.
Anna sank mit dem Buch in der Hand auf die Couch und streckte abwesend den Arm aus, um eine Lampe einzuschalten, während sie das Cover aufschlug.
Die Widmungsseite war das Erste, zu dem sie kam. Der Beweis von Deans Ausflug zur Buchsignierung stand in schwarzer Handschrift da: Seite 78, C. Novak. Mit sinkendem Herzen blätterte sie das Buch zu der Seite durch und begann zu lesen.
,,Er stand da und beobachtete seine Bewegungen. Die farbbefleckte, schäbige, blaue Jeans hing tief auf seinen Hüften. David bewegte sich anmutig. Die Rücken- und Schultermuskeln wölbten sich gegen den abgetragenen Stoff des schwarz-roten Hemdes, das er trug. Er war wunderschön, ein Zusammenspiel aus Bewegung und purer Eleganz. Jeder Teil seines Körpers war in den Malprozess mit einbezogen.
Ich liebe ihn, dachte Carver unerwartet. Sein Herz schwoll vor Wärme an. Ich liebe ihn."
Darunter war eine Notiz, nur ein paar Worte. Als Anna sie las, zerbrach etwas in ihr.
Und ich empfinde immer noch so. -Cas
_____
Dean wachte desorientiert und zitternd in einem unbekannten Bett auf, das gleichzeitig auch sehr vertraut war. Seine Augen öffneten sich blinzelnd und er starrte zu den freiliegenden Balken der Feuerwache hoch, zu der Decke seines alten Schlafzimmers. Er stöhnte, rollte sich auf die Seite und vergrub das Gesicht in dem muffigen Kissen.
Ehrlich gesagt hatte er vergessen, wie ungemütlich seine beschissene alte Matratze war. Deshalb hatten sie immer in Cas' Bett geschlafen, mit seinen weichen, flauschigen Kissen und den ausgefallenen, ägyptischen Baumwolllaken, die sich an seiner Haut seidig anfühlten.
Es war mehr als zwei Jahre her, seit er eine Nacht in der Feuerwache verbracht hatte, und mehr als zehn, seit er tatsächlich in seinem Bett geschlafen hatte. Die Beulen waren seitdem nicht verschwunden, genauso wenig wie diese grässliche Feder, die ständig in seinen unteren Rücken drückte. Dean hätte auf der Couch geschlafen, doch dann hatte Sam beschlossen, die halbvolle Flasche Jim Beam auszutrinken, die er unter dem Waschbecken in der Küche gefunden hatte, und eine Bruchlandung auf dem Sofa hingelegt. Dean waren also drei Optionen geblieben. Sams altes Bett war mit Büchern und anderem Scheiß bedeckt, für dessen Wegräumen er einfach zu müde gewesen war. Er war hundertprozentig nicht dafür bereit, eine Nacht in Cas' Bett zu verbringen. Von daher war sein Zimmer die einzige Möglichkeit gewesen.
Die Feuerwache fühlte sich für ihn nicht mehr nach Zuhause an, obwohl sie immer noch die Erinnerungen an die glücklichste Zeit seines Lebens beinhaltete. Dean wollte nicht erkunden, warum die Gefühle von Haus und Wärme von den Wänden geglitten waren oder warum er scheinbar nicht das Glück finden konnte, das er einmal hier gehabt hatte.
Es ging nicht nur ihm so. Sam hatte ihm mehr als einmal erzählt, dass in seinen Erinnerungen die Tage in der Feuerwache mit goldenem Licht erleuchtet waren.
Die Tür zu seinem Zimmer ging knarrend auf. Ein gründlich zerzauster Sam steckte seinen Kopf hindurch und hielt einen Getränkehalter mit zwei Schaumstoffbechern und eine braune Papiertüte hoch.
,,Frühstück?", fragte er mit einem verlegenen Lächeln.
Dean grunzte, rollte sich auf den Bauch und versteckte sein Gesicht im Kissen.
,,Oh, komm schon, du kannst nicht immer noch so sauer sein", jammerte Sam, als er sich auf das Bett setzte. ,,Das sind Ellens hausgemachte Donuts. Du weißt schon, die, die sie nur fürs Sonntagsfrühstück macht? Wette, es ist Jahre her, seit du einen von diesen Babys hattest." Dean hörte das knisternde Geräusch der Papiertüte, als Sam sie öffnete. Selbst mit im Kissen vergrabenem Gesicht konnte er die zimtige Qualität des warmen, gebackenen Teigs riechen. ,,Mmmhhhhhhhh,. Du weißt, dass du sie willst. Sie sind noch heiß. Und ich habe auch Kaffee."
Dean bewegte sich nicht. Sam stach ihm in die Seite.
,,Komm schon, Alter."
,,Lass mich in Ruhe, Sam."
,,Nein. Komm schon. Ich sagte bereits, dass es mir leidtut, nicht wahr?"
,,Nicht wirklich."
,,Oh. Naja, dann tut es mir leid."
Dean drehte sich um und starrte zu Sam hoch. ,,Weißt du überhaupt, wofür du dich entschuldigst?"
Sam stieß den Atem aus. ,,Ähm, nicht wirklich."
Mit einem Seufzer setzte Dean sich auf, lehnte sich hinüber und riss die Tüte aus Sams Händen. ,,Nervensäge", murmelte er und griff in der Tüte nach einem Donut. ,,Gib mit den Kaffee."
Sam grinste und überreichte ihm einen der Schaumstoffbecher. ,,Bitte sehr, schwarz und eklig, genau wie du es magst."
,,Du bist der, der ihn so süß macht, dass er einen Diabetiker töten könnte. Das ist eklig."
,,Meinetwegen."
Sie legten sich auf Deans Bett zurück und aßen ihr Frühstück, während die äußeren Umrisse ihrer Oberschenkel zusammengepresst waren. Eine gesellige Stille senkte sich über sie, nur gelegentlich von den Geräuschen des Essens und Trinkens unterbrochen.
,,Ich muss nach Hause fahren", sagte Dean leise und stellte den leeren Becher auf seinen Nachttisch.
,,Was wirst du tun? Du weißt schon, wegen dir und Anna?"
,,Nichts." Dean stand vom Bett auf, öffnete die Schubläden seines Kleiderschrankes und zog eine uralte Jeans und ein fast abgetragenes AC/DC T-Shirt heraus. ,,Ich werde duschen und nach Hause fahren. Wenn ich dich zu deinem Auto bringen soll, schlage ich dir vor aufzustehen und dich fertigzumachen."
,,Dean..."
,,Nein", sagte er verärgert und wandte sich Sam zu. ,,Ich bin fertig mit Reden. Ich werde duschen und nach Hause fahren. Du wirst das Thema in Ruhe lassen und verdammt nochmal aufhören, mich wegen Cas zu nerven. Vielleicht macht es mir noch etwas aus, vielleicht... Aber ich lasse es sein. Ich habe weitergemacht. Anna und ich werden heiraten, und das ist mein letztes Wort dazu. Ich will verdammt nochmal nicht mehr darüber reden. Hast du verstanden?"
Sam war völlig perplex. ,,Dean, es tut mir leid. Ich versuche nicht, dich aufzuregen, ich schwöre. Ich möchte nur, dass du ehrlich mit dir selber bist."
,,Warum ist dir mein Liebensleben überhaupt so scheiß wichtig?"
,,Weil ich möchte, dass du glücklich bist, du es aber nicht bist. Du warst es schon seit langer Zeit nicht mehr!"
,,Alter, meinst du, seit Dad mir mit einem Holzbrett eins übergebraten hat? Ja, ich versteh schon. Ich bin nicht mehr derselbe Dean, doch glaubst du wirklich, dass ich etwas daran ändern kann? Er hat meinen Kopf beschädigt, Sam, es ist ein gottverdammtes, beschissenes Wunder, dass ich überhaupt reden, alleine laufen oder fahren kann oder so. Und Anna interessiert es nicht. Sie interessiert es nicht, dass ich abgefuckt bin oder nicht mehr malen kann, sie interessiert es nicht! Aber du, du kannst die Vergangenheit nicht einfach ruhen lassen, was? Du kannst nicht aufhören, mich daran zu erinnern, dass du 'deinen Bruder vermisst', und du tust so, als ob ich gestorben wäre, doch ich bin verdammt nochmal noch hier, Sam, ich bin verdammt nochmal noch hier!"
,,Scheiße, Dean, so hab ich das nicht gemeint..."
,,Ich verstehe schon, du warst damals glücklich, doch hörst du jemals jemandem sagen, dass kein Weg zurückführt? Das trifft auch auf diese Situation zu. Cas und mich wieder zusammenzubringen wird dein Leben nicht in Ordnung bringen, Sam. Denkst du, ich weiß nicht, was du hier tust? Ich verstehe schon, du hast auch eine Menge verloren, ich verstehe, dass du scheiß einsam bist, aber ich bin nicht dafür verantwortlich, das wieder hinzukriegen, verdammt! Ich kann mich verdammt nochmal kaum selbst über Wasser halten!"
Eine einzelne Träne rollte Sams Wange herunter, als er sich scheinbar in sich zusammenfaltete. Er zog seine Knie an die Brust und schlang seine Arme darum. ,,Es tut mir leid, Dean, ich wollte nicht... Es tut mir leid. Ich schwöre. Ich wollte dir die Dinge nicht durcheinanderbringen." Er schniefte. ,,Aber er war auch mein bester Freund, weißt du? Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich mich komplett sicher gefühlt. Und du warst so glücklich. Ich war glücklich. Und die Dinge liefen gut, verdammt, die Dinge liefen hervorragend. Kannst du mir vorwerfen, dass ich das zurückhaben möchte?" Eine weitere Träne rollte Sams Wange herunter. Dean spürte, wie der ganze Kampf aus ihm herausfloss.
,,Sammy..."
,,Nein, du hast recht. Es geht mich nichts an." Er schniefte erneut und wischte sich ärgerlich die Tränen von seiner Wange. ,,Mach dich einfach fertig. Ich muss auch nach Hause. Geh einfach."
Dean seufzte und grub ein Handtuch aus dem Schrank heraus. Sein Blick streifte kurz über die Lederjacke, die dort hing. ,,Ich persönlich glaube, Sam, dass ich die Dinge ändern würde, wenn ich zurück könnte. Ich würde..."
,,Aber?"
,,Der Zug ist abgefahren. Wirklich. Ich kann nicht zurück. Und lass uns ehrlich sein, ich bin nicht der Typ, in den Cas sich verliebt hat. Er würde diesen Dean vermutlich nicht mehr mögen als du es tust."
,,Nein, Dean", stammelte Sam mit geweiteten Augen. Dean hielt eine Hand hoch, um ihn zum Schweigen zu bringen.
,,Ist okay. Ich werde duschen und dich dann mitnehmen, um dein Auto zu holen. Und dann werde ich nach Hause fahren. Zu Anna. Das war's. So wird es halt einfach sein. Ich hoffe, du respektierst mich genug, um das Thema sein zu lassen."
Und ohne ein weiteres Wort zu seinem Bruder drehte er sich um und verließ das Zimmer.
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