Sind am Ende keinen Schritt weiter
September, 2001
Castiel setzte sich gerade im Bett auf, schweißgebadet und zitternd. Er hatte einen Alptraum gehabt. Ein sehr verschwommener Albtraum, aber immer noch ein Alptraum. Er tastete nach seinem Handy auf dem Nachttisch und checkte die Uhrzeit. Es war weit nach zwei Uhr morgens. Cas legte es wieder hin, drehte sich um und griff nach Dean, doch er fand nichts außer einem leeren Bett.
Er hatte vergessen.
Dean hatte die letzten zwei Tage nicht in seinem Bett geschlafen. Sie stritten sich. Seit Victor wieder aufgetaucht war, war Dean abweisend und kalt. Und dann dieser Abend. Cas hatte Essen gemacht. Dean aß nicht. Zu Beginn war er aufgewühlt aufgetaucht, doch Cas wusste nicht, was das verursacht hatte. Auch Sam schien ratlos.
Dean war zu Benny's gegangen, hatte Cas gesagt, er solle ihn in Ruhe lassen, und war nicht nach Hause gekommen, bevor Cas schließlich aufgegeben hatte und schlafen gegangen war.
Er knipste das Licht an und blinzelte mehrere Male, während sich seine Augen an die Helligkeit gewöhnten. Cas schwang seine Beine aus dem Bett, stand auf und griff nach dem T-Shirt, das über dem Fußende hing. Er öffnete die Tür zum dunklen Wohnzimmer und machte sich vorsichtig auf den Weg ins Badezimmer.
Ein seltsam gedämpfter Ton war aus Deans Zimmer zu hören, dann ein dumpfes Geräusch, doch er dachte nicht weiter darüber nach...bis zu dem tiefen, schmerzvollen Stöhnen, welches auf dem Rückweg an seine Ohren drang.
Dean hatte einen Alptraum.
Sofort vergaß Cas, dass er sauer auf ihn war, als Sorge durch sein noch schlaftrunkenes Bewusstsein sickerte. Statt zu seiner Tür ging er zu Deans, drückte sie auf und wartete darauf, dass sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnten.
Doch es war nicht dunkel.
Ein Licht brannte auf Deans Nachttisch und beleuchtete einen sehr nackten Dean – und die Blondine, die gerade um ihn geschlungen war.
,,Oh mein Gott", flüsterte Cas. Sämtliche Luft verließ seine Lungen.
Dean öffnete seine Augen und fuhr zusammen. Er schob das Mädchen von sich herunter, fiel vom Bett und zog die Bettdecke mit sich.
,,Cas! Oh, scheiße, scheiße."
Das Mädchen drehte sich um und zwinkerte ihm zu. Er erkannte sie sofort; sie war dieselbe Blondine, die sich in dieser Nacht bei Benny's in Deans persönlichen Freiraum gedrängt hatte – Lilith? – dieselbe Nacht, als sich alles für sie verändert hatte. Und jetzt war sie wieder hier. Dieselbe Blondine. Und wieder, wieder war ihre Beziehung dabei, sich zu verändern.
Cas schüttelte den Kopf. Tränen, von denen er nicht wusste, dass sie sich gebildet hatten, tropften von seiner Haut. ,,Nein. Nein, nein, nein", murmelte er und stolperte, als er das Zimmer rückwärts verlassen wollte.
Dean versuchte aufzustehen, versuchte seine Füße unter sich zu bekommen, doch er war offensichtlich betrunken und sank wieder auf seine Knie.
,,Cas", sagte er schwach.
,,Wenn du dich dann besser fühlst...", spottete das Mädchen, stand vom Bett auf und ging nackt zu einem Fetzen roten Stoffes, das über einem Stuhl hing, ,,...es ist nichts Richtiges passiert. Der Loser ist so betrunken, dass er nicht einmal hart werden kann." Sie zog sich das Kleid an, bückte sich und ergriff ihre High Heels. ,,Tschau, Dean. Ruf mich an, wenn du nüchtern bist." Sie warf ihm eine Kusshand zu und grinste Cas auf ihrem Weg zur Tür raus an.
,,Was zur Hölle ist hier los?" Ein schläfriger Sam stand in der Türöffnung seines Zimmers. Seine Augen waren besorgt geweitet. ,,Was läuft hier?"
Sarah erschien hinter ihm. Eines von Sams T-Shirts hing ihr bis zu den Knien.
Cas konnte nicht sprechen. Konnte nicht denken. Er starrte den Mann auf dem Boden an, seine unkoordinierten grünen Augen, und ein ungebetenes Schluchzen drang aus seiner Kehle.
Er drehte sich auf dem Absatz um, rannte in sein Zimmer zurück, schlug die Tür zu und verschloss sie hinter sich, bevor er sich auf das Bett warf.
Mit im Kissen vergrabenem Gesicht ließ er die Schluchzer die Oberhand erlangen, bis der Schlaf ihn wieder einholte.
Am nächsten Morgen wachte er zu lauten, streitenden Stimmen, schlagenden Türen und Deans wütender Stimme auf, die sich über Sams erhob. Momente später hörte und spürte er das Brüllen des Impalas, der gestartet wurde. Die Autoreifen quietschten auf dem Asphalt, als Dean aus der Feuerwache schoss.
Cas ignorierte das leise Klopfen an seiner Tür und das geflüsterte ,,Cas, bist du wach?" Nicht lange danach hörte er Sam und Sarah weggehen.
Als er sich sicher war, dass die Feuerwache leer war, kroch er aus dem Bett und in die Dusche. Während das Wasser auf seinen Nacken und seine Schultern herunterprasselte, ließ Cas sich wieder gehen, ließ die Tränen kommen. Er lehnte seinen Kopf gegen die Fliesenwand und schluchzte.
Sein Kopf schmerzte. Sein Herz schmerzte. Doch am allermeisten wollte er wissen, warum. Warum hatte Dean... Warum hatte er... Cas schaffte es nicht einmal, es zu denken.
Seine erste Liebe. Und sein erstes gebrochenes Herz.
Dean war unglaublich betrunken gewesen. So viel war klar. Also vielleicht, vielleicht konnten sie das wieder hinbekommen. Aber er war in der letzten Zeit so komisch gewesen, so distanziert-
Frustriert schlug Cas mit der Faust gegen die Kacheln. Er wusste nicht, was er tun sollte, wusste nicht, was er fühlen sollte. Cas war verletzt und wütend und sehr, sehr zerbrochen.
Er musste mit Dean reden. Punkt.
Der Tag verging langsam. Sam kam zuerst zurück, ohne Sarah, und zusammen machten sie ein kleines Abendessen. Der jüngere Mann schien keine Worte zu finden, also redeten sie überhaupt nicht viel. Allerdings entgingen Cas nicht die kurzen Blicke von Mitgefühl, die Sam ihm zuwarf, wenn er glaubte, dass Cas nicht hinsah. Ihm entging nicht die Sorge in seinen haselnussbraunen Augen. Ihm entging nicht die Art, wie Sam immer wieder sein Handy checkte, oder sein Blick, oder wie er ständig zu den Fenstern lief und auf Remington hinausstarrte. Sie hatten sich gerade mit Schüsseln von Spaghetti in ihren Schößen auf die Couch gesetzt, als sich der Impala selbst ankündigte. Die Spannung in der Luft verdreifachte sich.
Cas' Magen zog sich zusammen und das Herz schlug ihm bis zum Hals. Er stellte die Schüssel auf den Kaffeetisch.
Sam berührte leicht sein Knie. ,,Das wird schon", sagte er sanft und beruhigend.
Dean war nicht allzu leise, während er mit mehreren Schlägen und geknurrten Flüchen die Treppe hochstieg.
,,Er ist betrunken", seufzte Cas. ,,Schon wieder."
,,Scheiße."
Sie hatten sich beide gerade dem Treppenhaus zugewendet, als Dean auftauchte. Sein weißes T-Shirt war beschmutzt und an den Rändern zerrissen. Auch seine Jeans war dreckig. Er war ein Wrack.
,,Werde duschen gehen", grunzte er.
,,Dean-"
,,Was, Sammy?", fragte Dean müde, auf halbem Weg zum Badezimmer. Sein Blick war argwöhnisch.
Sam zuckte mit seiner Schulter in Cas' Richtung, der erstarrt am Rande der Couch saß. ,,Denkst du nicht, wir sollten, du weißt schon, reden? Über letzte Nacht?"
,,Was gibt es da zu bereden? Ich habe es verbockt. Mal wieder. Ist das nicht Standard bei mir?" Er wankte leicht. Cas konnte den Alkohol an ihm riechen.
Anscheinend konnte Sam das auch. ,,Du bist betrunken. Du Arsch! Du bist Auto gefahren, obwohl du betrunken bist! Wo zur Hölle warst du überhaupt den ganzen Tag?"
,,Was tut das zur Sache? Hä? Wann bist du zu meiner Mutter geworden, Sam?" Deans Augen verdunkelten sich verärgert, als er sich zu voller Größe aufrichtete und seinem jetzt stehenden und viel größerem jüngeren Bruder gegenübertrat.
,,Was ist los mit dir? Du bist Cas verdammt nochmal fremdgegangen, oder warst du zu betrunken, um dich daran zu erinnern?"
Ein unlesbarer Ausdruck kreuzte Deans Blick. Cas wollte wegrennen. Er wollte nichts von dem hören, was Dean zu sagen hatte. Cas begann rückwärts auf sein Zimmer zuzugehen.
,,Ich hab also ein Mädel gefickt. Na und?"
,,Dean...", wimmerte Cas. ,,Nicht. Wir können das wieder geradebiegen. Wirklich."
Deans Augen waren kalt und wütend. ,,Vielleicht möchte ich das nicht."
,,Was zur Hölle, Dean?"
,,Geht dich nichts an, Sam. Hör mal, Cas, es hat Spaß gemacht, okay? Aber es ist vorbei."
Der Boden glitt ihm unter den Füßen weg.
,,Warum bist du so, warum bist du so kalt? Du kannst, du kannst, du kannst das nicht ernst meinen, Dean, bitte, nein, nein-"
,,Ich liebe dich nicht."
Stille legte sich über die Feuerwache. Sams Augen waren aufgerissen und sein Blick ungläubig. Deans hingegen war kalt und wütend.
,,Du m-meinst d-das n-nicht so", stammelte Cas. Seine Stimme brach.
,,Doch, tue ich. Es tut mir leid." Und damit drehte Dean sich um, ging mit sechs langen Schritten in sein Zimmer und schloss entschieden die Tür. Der Schlüssel wurde hinter ihm umgedreht.
Cas konnte sich nicht bewegen. Konnte nicht atmen.
,,Cas, ich werde mit ihm reden, er meint das nicht ernst, tut er nicht, kann er nicht, kann er nicht..."
,,Nein, Sam. Er meinte das so. Er meinte jedes Wort ernst. Er meinte jedes Wort ernst."
,,Cas..."
Er hörte Sam nicht, sondern ließ ihn einfach machtlos und mit aufgerissenen Augen in der Mitte des Wohnzimmers stehen, als er betäubt und benommen in sein Zimmer zurückging, die Tür hinter sich schloss und verschloss.
In dieser Nacht schlief er nicht. Bis zum Morgengrauen hatte Castiel gepackt und war fort.
_____
Jetzt
Dean zerrte die Mülltonne auf die Gasse hinter der Feuerwache hinaus und lächelte zu den winzigen weißen Flocken hoch, die zu fallen begonnen hatten. Es war der 23. Dezember, und trotz seiner größten Bemühungen hatte Sams Weihnachtsenthusiasmus ihn schließlich erwischt. Er hatte mit seinem Bruder Cookies gebacken und ihm sogar geholfen, den Baum zu schmücken. Eingewickelte Päckchen waren unter den Zweigen aufgestapelt, Lichterketten hingen in den Fenstern und der Boiler funktionierte dieses Jahr tatsächlich.
Im Innern des Gebäudes roch es gut und sah sogar noch besser aus. Dean fand sich in der besten Stimmung vor, in der er seit langer Zeit gewesen war.
Hatte er etwas mit dem Mann zu tun, dem er ständig in ganz Baltimore über den Weg lief?
Vielleicht, dachte er und lächelte.
Dean wusste nicht, wie es immer dazu kam, nur, dass es das tat. Er hatte aufgehört, sich unbehaglich zu fühlen, seit er vor zwei Tagen in White Marsh sein Mittagessen halb aufgegessen hatte. Am 22. war er im Barnes & Nobles am Harborplace gewesen und hatte von sich aus Cas angeschrieben und gefragt, ob sie sich zum Mittag treffen wollten.
Der Nachmittag war dahingeflogen, während sie in Cooper's Tavern in Fells Point gesessen und eine Pizza mit ein paar Bierchen, Gelächter und Erinnerungen geteilt hatten. Alles kam zurück. Jede Kleinigkeit. Vor allem die Gründe, warum er sich in Cas verliebt hatte. Sein Lächeln, die Art, wie sich Fältchen um seine Augen bildeten, wenn er lachte, wie blau diese Augen waren, sein scharfer Verstand und die Art, wie er Dean ansah... Es kam alles zurück.
Annas Trennung von ihm verschwand schnell aus seinen Gedanken. Zum ersten Mal seit Jahren, Jahren, lächelte Dean wieder, lächelte so, wie er es schon lange nicht mehr getan hatte. Er freute sich auf jeden neuen Tag, freute sich auf eine Begegnung mit Cas.
Sam stolzierte diese Tage mit einem viel selbstgefälligeren Grinsen auf seiner Visage herum, doch Dean stellte fest, dass es ihn überhaupt nicht interessierte. Das Leben ging wieder bergauf. Er konnte es selbst kaum glauben.
Dean hüpfte die Treppe hoch, ins Wohnzimmer und ging ins Badezimmer. Er lief in den hinteren Teil der Umkleide und zog seine sauberen Laken aus dem Trockner. Während er Bruchstücke von Weihnachtsliedern vor sich hin summte, wechselte er seine Bezüge, sortierte den Rest seiner Wäsche ein und räumte dabei sein Schlafzimmer auf.
Als nächstes sprang er unter die Dusche und zog sich dann an, wobei er sein Outfit sorgfältig heraussuchte. Dean holte ein schönes schwarzes Hemd und seine beste dunkelblaue Jeans aus dem Kleiderschrank.
Es war kein Date, erinnerte er sich. Nur Freunde, die sich auf ein paar Drinks treffen. Er und Sam, und Gabe und Cas. Nur Freunde. Nur Drinks.
Genau. Deshalb zog er sich so hübsch an.
Scheiße.
,,Kein Date, kein Date, kein Date", murmelte er vor sich hin, während seine Finger die Knöpfe durch die Löcher zogen.
,,Hey, bist du fertig? Ich bin fertig!" Sams Stimme hallte durch die Feuerwache.
,,Ja, Mann, eine Minute!"
,,Beeil dich verdammt nochmal, Mensch!"
,,Okay, okay." Dean spritzte sich ein bisschen Eau de Cologne auf seinen Hals und griff dann wegen einer Jacke in den Schrank. Seine Finger strichen gegen warmes Leder. Er holte die Lederjacke heraus, die Cas ihm vor so vielen Jahren zu Weihnachten geschenkt hatte, und starrte sie kritisch an.
,,Komm schon, Dean!"
Ach, was soll's. Warum nicht? Er zog sie über sein schwarzes Hemd und hielt kurz an, um einen Blick von sich im Spiegel zu erhaschen.
Okay. Er sah heiß aus. Verdammt.
,,Kein Date, kein Date, kein Date."
Sam war in der Küche und trank ein Glas Wasser, als er schließlich auftauchte. Der kleine Scheißer ließ ein leises Pfeifen ertönen.
,,Was?", fragte Dean und strich sich mit seinen Händen unsicher über das Hemd und die Jacke.
,,Nichts, Mann, du siehst gut aus. Also wirklich gut."
,,Zu viel?"
,,Ach, gerade genug. Du siehst klasse aus."
Dean nickte. Sein Blick glitt über Sam. ,,Alter. Du bist auch aufgetakelt. Was zur Hölle?"
Sam errötete. ,,Naja, Gabe kommt-"
,,Oooh, ich verstehe."
,,So meinte ich das nicht", murmelte sein Bruder. ,,Will nur gut aussehen. Gabe und Cas sehen immer gut aus."
,,Sicher."
,,Dean!"
,,Was?", fragte Dean gespielt unschuldig und mit großen Augen. ,,Du siehst gut aus."
Sam sah ihn mit seinem Bitchface-Ausdruck an. ,,Komm schon, lass uns endlich gehen, Herrgott nochmal!"
_____
Cas und Gabe fanden im hinteren Teil von Benny's belebtem Pub Plätze für alle vier von ihnen. Der bärtige Barkeeper grinste und winkte von da, wo er Pintgläser mit bernsteinfarbener Flüssigkeit befüllte.
,,Dieser Laden hat sich kein bisschen verändert", sagte Gabe freudig. ,,Und wow, die Aussicht ist immer noch genauso attraktiv." Er grinste, die Augen auf die Tür gerichtet.
Cas folgte seinem Blick und lächelte, als Sam sich in einem schwarzen Caban und einem marineblauen Pullover mit V-Ausschnitt durch die Tür drängte. Die mattschwarze Jeans schmiegte sich an seine langen Beine. Sam drehte sich und strich eine Haarsträhne aus seinem Gesicht. Seine Augen leuchteten auf, als er Cas und Gabe erblickte, und er grinste breit in die Richtung von Cas' älterem Bruder.
,,Verdammt. Das ist einfach nicht fair."
,,Was?"
,,Dass er immer noch so heiß ist und mich immer noch links liegen lässt."
,,Vielleicht bemühst du dich nicht genug."
,,Was tue ich deiner Meinung nach denn dann..."
Cas hörte den Rest von Gabes Worten nicht.
Dean kam durch die Tür. Seine Wangen waren durch die Kälte gerötet. Er sah sich um und winkte Benny zu, der fröhlich etwas durch die Bar rief, dann drehte er sich um. Seine grünen Augen fanden Cas, und ein herzliches, aufrichtiges Lächeln erhellte sein Gesicht. Erst jetzt realisierte Cas, was Dean anhatte.
,,Er trägt die Jacke, die ich ihm gekauft habe", flüsterte er, doch Gabe hörte nicht zu. Er war bereits mit Sam am Tresen und flirtete, was das Zeug hielt, zumindest falls dieser dämliche Gesichtsausdruck irgendein Hinweis war. Dean schritt in einer hautengen, blauen Jeans durch den Raum. Seine Augen leuchteten.
,,Hey, Cas", sagte er und rutschte neben ihn auf die Bank. ,,Wow, scheißkalt draußen!", stieß er aus und rieb seine Hände aneinander.
,,Hallo, Dean. Wie geht's dir?"
,,Mir geht's gut, mir geht's gut, was ist mit dir? Bereit für Weihnachten?"
,,Ja, ich glaube schon. Ich habe meine Einkäufe heute beendet. Du?"
,,Ja, ich bin fertig. Sammy und ich haben diese Woche um die acht Millionen Cookies gebacken. Werde morgen noch etwas Kuchen machen."
,,Oh, ich liebe Kuchen."
,,Ich auch."
,,Ich weiß."
Stille senkte sich über den Tisch, doch sie war kein bisschen unangenehm. Eine Kellnerin stellte ihnen zwei Bier hin. ,,Von den Jungs dort drüben." Sie lächelte und deutete auf ihre Brüder, die beide albern grinsten.
,,Idioten", murmelte Dean.
,,Allerdings." Cas hob sein Glas. ,,Frohe Weihnachten, Dean", sagte er lächelnd.
,,Frohe Weihnachten, Cas." Dean erwiderte sein Lächeln.
Es war einer der besten Abende seines Lebens – zumindest einer der besten, die er seit langer Zeit gehabt hatte. Dean war süß und lustig. Es war so, als ob er nie weggegangen wäre. Dean trank nicht annähernd so viel wie Cas, was ihm seltsam erschien, doch vielleicht war das besser so.
Er lehnte sich gegen seine starke Figur, während Dean sich über den Poolbillardtisch beugte, um seinen Stoß auszuführen. Sam heulte aus Protest heraus auf, als Dean das Spiel gewann und jubelnd Sams neuen Zwanziger einsteckte.
,,Wer rastet, der rostet, Sammy", sagte Dean fröhlich.
Gabe zog Sam herunter und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Sam errötete heftig, lachte aber. Gabe sah sehr zufrieden aus.
Langsam schlenderten sie zur Nische zurück, während Deans Hand auf Cas' Kreuz lag. Diese leichte Berührung ließ ihn Sachen empfinden, ließ Hitze seine Wirbelsäule hochwallen. Er rutschte auf die Bank zurück, sah sich nach Gabe um und fand ihn in den Schatten der Bar, hinten beim Billardtisch. Sam lehnte an der Wand und sah zu ihm hinab.
,,Alles klar?", fragte Dean.
,,Beobachte nur Gabe und Sam und versuche herauszufinden, was da läuft."
Deans Bick verfolgte die Bewegungen seines Bruders für einen Moment. ,,Ich würde mir keine Sorgen machen. Ich denke, dass da alles okay ist."
,,Gut. Das ist gut. Wirklich gut."
Dean schmunzelte und nippte an seinem Bier.
,,Was ist so witzig?"
,,Du. Du bist witzig. Du bist verdammt angetrunken, nicht wahr, Engel?"
,,Ja. Ja, bin ich." Cas dachte über Deans Worte nach. ,,Du hast mich Engel genannt."
,,Ja", sagte Dean sanft.
,,Hab das schon seit langer Zeit nicht mehr gehört."
,,Ich weiß."
Danach saßen sie für eine Weile still da. Cas kippte nach und nach zur Seite, bis er an Deans Schulter lehnte und sein Gesicht gegen den weichen Stoff seines Hemdes gedrückt wurde. Eventuell war er ein wenig eingedöst.
,,Cas?"
,,Mh?"
,,Du sabberst mich an."
,,Oh."
,,Ja, du klingst wirklich besorgt. Vielleicht sollte ich Gabe dazu bringen, dich nach Hause zu fahren?"
Cas öffnete ein Auge und spähte in der Bar nach seinem Bruder. ,,Ich sehe ihn nicht."
Deans Handy klingelte einmal. Er zog es heraus und sah auf den Bildschirm. ,,Oh Gott", murmelte er.
,,Was? Was ist los?"
Er hielt das Handy so, dass Cas den Text lesen konnte.
-Gabe und ich gehen noch bowlen. Warte nicht.
,,Oh."
,,Ja."
,,Er war meine Mitfahrgelegenheit."
,,Ich weiß."
,,Rufst du mir ein Taxi? Bitte?"
,,Ich könnte dich fahren..."
,,Hol mir bitte einfach ein Taxi, Dean."
Dean trommelte mit seinen Fingern auf den Tisch. ,,Du könntest, ich meine, dein Zimmer, du könntest, äh, du könntest-"
,,Was, Dean?"
,,Du könntest einfach nebenan schlafen", stieß er aus.
Cas setzte sich auf und blickte Dean an. ,,Bist du sicher?"
,,Ja. Ich meine, du hast da immer noch ein Bett und einige deiner Klamotten. Außerdem ist es kalt und ich kann dich morgen zum Hotel zurückfahren, aber du musst nicht-"
,,Danke. Dann machen wir das so."
,,Okay." Dean holte tief Luft. ,,Okay."
,,Komm schon." Cas schob Dean aus der Nische und lächelte, als dieser nach der Lederjacke griff. ,,Wusste nicht, dass du die immer noch hast", meinte er und beobachtete Dean beim Anziehen.
,,Ja. Ich, äh, bin sie nie losgeworden. Wie du siehst", sagte er mit einem selbstironischen Grinsen. ,,Los. Ich bin müde, und ich wette, du auch."
_____
Das war eine schlechte Idee.
Das war eine schreckliche Idee.
Von allen schlechten Ideen war dies die schlechteste.
Was tue ich hier, was tue ich hier, was denkst du dir, Winchester?!
Dean folgte Cas aus der Bar raus und lächelte, als dieser seinen Kopf in den Nacken legte, den Mund öffnete, seine Zunge hinausstreckte und Schneeflocken fing, während sie langsam auf die Erde niederschwebten.
Gott, er ist so wunderschön, dachte er, immer noch so wunderschön...
Ein unerwünschter Kloß formte sich in seinem Hals und Tränen brannten heiß hinter seinen Augen. Er war so gemein zu Cas gewesen, hatte ihn weggestoßen, ihm gesagt, er würde ihn nicht lieben.
Scheiße.
,,Hey, Cas, es wird kalt. Lass uns reingehen, ja?"
Cas drehte sich um. Schneeflocken hingen an seinen Augenbrauen und klebten an seinem Haar. Sein Mund war zu einem herzlichen breiten Lächeln verzogen. ,,Aber es schneit. Und es ist nach Mitternacht, also ist es Weihnachten! Es ist viel zu schön um reinzugehen!"
Eine Straßenlaterne stand vor der Feuerwache, und Cas rannte hinüber, ergriff sie und schwang wie ein Stangentänzer darum herum.
Dean starrte ihn an. Cas war so schön, alles war schön. Die Weihnachtslichter der Feuerwache beleuchteten den Schnee. Er trat vor. Cas drehte sich, wurde dann aber langsamer, um sich Dean zuzuwenden. Er kam so nahe, dass Dean sehen konnte, wie die farbigen Lichter von seinen blauen, blauen Augen reflektiert wurden.
,,Cas", stieß er aus, während die Zeit stehenzubleiben schien, genau wie die Luft um sie herum. Cas ließ die Stange los. Zentimeter voneinander entfernt, die Blicke verbunden, fühlte Dean sich unaufhaltsam nähergezogen, eingesaugt in Cas' Umlaufbahn.
Er würde ihn küssen. Zum ersten Mal in zwölf Jahren warf er seine Bedenken über Bord. Er würde ihn küssen. Cas lächelte zu ihm hoch, ermutigte ihn-
Eine Autotür schlug zu, eine Sirene heulte. Beide zuckten zusammen, und Dean trat einen Schritt zurück.
,,Scheiße, ist das kalt hier draußen", murrte Cas und rieb seine Arme. ,,Können wir reingehen?"
,,Sicher. Los, komm."
Dean schloss die Tür der Feuerwache auf und schloss sie hinter ihnen. Cas kicherte.
,,Was ist so lustig?"
,,Es ist dunkel und ich kann nichts sehen, aber ich kann das Treppenhaus finden und es riecht noch so wie früher. Ich rieche den Impala!", gluckste Cas.
,,Komm schon, lass uns deinen betrunkenen Arsch die Treppe hochbringen."
,,Ja. Ich würde jetzt sehr gerne ein Bett sehen."
Sie schafften es ohne Probleme die Treppe hinauf. Der Weihnachtsbaum funkelte im Fenster und wurde von hinten von den Straßenlaternen und dem wirbelnden Schnee beleuchtet.
,,Lass das Licht aus", murmelte Cas, und Dean ließ seine Hand vom Lichtschalter gleiten. ,,Es ist so schön. Genau wie in meiner Erinnerung." Cas lief wie betäubt über den Flur und Dean beobachtete seine Finger, die sich nach dem Schmuck ausstreckten. ,,Ich erinnere mich an den hier", sagte er sanft und strich mit den Fingerspitzen über den Schneemann. ,,Ellen hat ihn uns geschenkt."
,,Ja." Der Kloß war zurück. Dean ging langsam zu Cas hinüber und stellte sich neben ihn. ,,Und der hier ist von Benny." Er lächelte und deutete auf den verrückten Krebs, der einen alten Matrosenhut trug, einen, wie ihn der Cajun persönlich bevorzugte.
Cas berührte einen Engel mit blonden Haaren. ,,Du hast den gemacht. Für deine Mutter."
Dean nickte.
,,Und das hier war von Pam", flüsterte er und tippte auf das Tattookünstler wissen, wo sie es hinstechen Schmuckstück. Er sah hoch. ,,Und der Engel", stieß er aus. ,,Der, den du nach meinem Aussehen gemacht hast."
,,Ja."
Cas blickte zu ihm auf. Seine Augen leuchteten, während tausende Facetten von bunten Lichtern in seinen Regenbogenhäuten tanzten. ,,Du hast sie alle behalten."
Dean nickte erneut.
,,Ich hab dich vermisst."
,,Hey, ähm, wir sollten, äh, wir sollten deine Laken wechseln, okay? Dieses Bett ist seit zwölf Jahren nicht-"
Cas schlang eine Hand um Deans Nacken und zog ihn herab. Er konnte nicht denken, er konnte nicht atmen, aber ihre Lippen berührten sich und Cas küsste ihn. Es war Weihnachten und der Schnee fiel und Cas küsste ihn.
Oh Gott, Cas küsste ihn und er könnte einfach loslassen, könnte sich von Cas mitreißen lassen und-
,,Cas, hör auf. Nicht. Nein." Behutsam schob er Cas zurück und weigerte sich, ihm in die Augen zu schauen. ,,I-Ich kann nicht. Ich kann nicht. Es tut mir leid. Ich kann nicht." Er rieb sich mit der Hand das Gesicht. ,,Ich hole die Laken, okay? Ich hole die Laken."
Und der Schisser, der er war, bewegte er sich so schnell wie möglich von Cas weg, rannte fast in sein Zimmer zu den Laken und knipste die Deckenlampe an, als er am Lichtschalter vorbeikam.
Das war eine sehr schlechte Idee.
_____
Leise Klaviermusik war zu hören. Ihm war warm und behaglich, doch er war sehr müde. Er blinzelte in der Dunkelheit und versuchte sich umzudrehen und weiterzuschlafen, doch die Klaviernoten waren beharrlich, riefen nach ihm, zerrten ihn aus seinem schläfrigen Zustand.
Cas tastete nach seinem Handy und checkte die Uhrzeit. Es war vier Uhr am Morgen. War er nicht gerade erst ins Bett gegangen? Er kroch unter den Laken hervor und zuckte zusammen, als seine Füße auf den kalten Boden trafen. Cas riss die Daunendecke vom Bett, wickelte sich darin ein und öffnete leise seine Schlafzimmertür.
,,...Questions of science, science and progress, do not speak as loud as my heart."
Dean saß am Klavier. Funkelnde Weihnachtslichter beleuchteten seinen Körper, während sich seine Hände auf der Tastatur hoch und runter bewegten. Er sang leise mit seiner weichen, whiskeywarmen Stimme.
,,Tell me you love me, come back and haunt me, oh and I rush to the start. Running in circles, chasing our tails, coming back as we are."
Cas stand in der Türöffnung seines alten Zimmers, gebannt von dem Spiel der Muskeln unter Deans dünnem T-Shirt, fasziniert davon, wie seine Finger die Noten kannten und sie selbst in der Dunkelheit des Raumes fanden.
,,Nobody said it was easy, oh it's such a shame for us to part. Nobody said it was easy, no one ever said it would be so hard. I'm going back to the start."
Er lief über den kalten Boden, ohne dass seine Füße ein Geräusch von sich gaben; trotzdem zuckte Dean nicht zusammen, als er sich neben ihn auf die Klavierbank setzte. Die grünen Augen funkelten durch das farbige Licht, als er sich Cas zuwandte und ihn sanft anlächelte.
,,Hab ich dich geweckt?"
,,Ja."
,,Tut mir leid. Ich konnte nicht schlafen."
,,Schon okay. Bitte spiel weiter. Ich habe das vermisst."
,,Was soll ich dir vorspielen?"
,,Erinnerst du dich an den ersten Song, den du je für mich gespielt hast?"
Dean nickte.
,,Dann bitte den?"
,,Okay." Dean spreizte seine Finger und positionierte sie über der Tastatur. Er spielte das Intro und begann dann leise zu singen:
,,There are places I remember. All my life, though some have changed. Some forever not for better, some have gone and some remain. All these places have their moments, with lovers and friends I still can recall. Some are dead and some are living. In my life I've loved them all."
Cas beobachtete seine Finger und erinnerte sich, wie sie sich auf seiner Wirbelsäule anfühlten.
,,But of all these friends and lovers, there is no one compares with you. And these memories lose their meaning, when I think of love as something new."
Er erinnerte sich an das erste Mal, als Dean für ihn gespielt hatte, das erste Mal, als er ihn singen gehört hatte.
,,Though I know I'll never lose affection, for people and things that went before, I know I'll often stop and think about them. In my life I love you more."
Er erinnerte sich daran, wie Dean um ihn herumgegriffen hatte, um Cas' Finger auf der Tastatur zu führen.
,,Though I know I'll never lose affection, for people and things that went before, I know I'll often stop and think about them. In my life I love you more."
Dean starrte ihn an. Seine Finger rutschten von der Tastatur, als er die letzte Zeile murmelte. ,,In my life I love you more", flüsterte Dean.
,,Erinnerst dich an diese Nacht, Dean? Als Victor uns unterbrochen hat?"
,,Er hatte schon immer ein schlechtes Timing..."
,,Jetzt ist er nicht hier."
,,Nein, ist er nicht... Cas-"
,,Schh, schon okay, Dean, schon okay", stieß er aus, öffnete seine Arme und zog Dean unter die Decke, zog ihn an sich. Dann küssten sie sich wieder. Deans Lippen waren auf seinen eigenen weich und sanft.
Es schien ein natürlicher Prozess zu sein, vom Klavier zu seinem Schlafzimmer zu taumeln, Dean auf das Bett zu drücken und seine Klamotten auszuziehen, während sie sich zusammen bewegten. Dean schrie unter ihm auf, als er das erste Mal seit zwölf Jahren in ihn glitt.
Die Zeit verlor an Bedeutung und sie waren wieder einundzwanzig, klammerten sich aneinander fest, die Haut rutschig durch den Schweiß. Deans Finger gruben sich in seine Hüften.
Er lächelte zu ihm hinab und beugte sich für einen Kuss vor. Seine Stöße verloren ihren Rhythmus, als er sich dem Höhepunkt näherte. Scheinwerferkegel bewegten sich durchs Zimmer. Cas' Blick fiel auf den Handabdruck und er legte seine Hand auf das Tatto. Dean schrie, wölbte seine Hüften zu ihm hoch, als er kam, schrie seinen Namen in die Nacht hinaus. Cas ließ nicht viel länger auf sich warten.
Als sie dort lagen, ineinander verschlungen und darauf wartend, dass sich ihre Pulse und Atemzüge wieder normalisierten, konnte Cas nicht anders als in die Dunkelheit zu lächeln.
Zwölf Jahre. Zwölf Jahre und er war endlich wieder zu Hause.
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