Neuland
Die Alpträume kamen nach diesem Desaster von Abendessen zurück.
An dem Abend mit Anna nach Hause zu fahren war unangenehm gewesen. Sie war sich mehr als bewusst, dass in dem Badezimmer etwas passiert war, doch sie schien nicht gewillt zu sein, nachzuhaken und zu drängeln und Antworten aus Dean herauszuquetschen. Er war sich ziemlich sicher, dass sie Angst vor den Antworten hatte und bestimmt glücklicher war, es nicht zu wissen. Nicht, dass irgendetwas passiert war, wobei...
Nein. Er wollte nicht einmal darüber nachdenken.
Sie waren einfach nach Hause gekommen, hatten sich Pyjamas angezogen und waren ins Bett gekrochen; Anna auf ihrer Seite, von Dean abgewandt, und Dean auf dem Rücken, wo er für den größten Teil der Nacht die Decke anstarrte. Als er schließlich einschlief, träumte er von Cas, wie er mit ihm stritt, wie er Ich liebe dich nicht schrie und zusah, wie sein Gesicht in sich zusammenfiel. Er träumte davon, wie er auf einem Bett saß, unfähig sich zu bewegen, sich hilflos und verängstigt fühlte.
Dean wachte nach Luft ringend auf. Seine Hände zitterten und seine Haare waren verschwitzt. Es ärgerte ihn, dass die Alpträume zurück waren, doch das Beben seiner Hände ärgerte ihn mehr.
So verging eine Woche voller Schlaflosigkeit und Alpträume. Die Ringe unter seinen Augen wurden größer.
Charlie fragte ihn nicht nach dem Abendessen. Am Montag danach war sie mit strahlenden Augen und Fragen auf ihrer Zungenspitze in seinen Klassenraum geplatzt, doch ein Blick auf ihn ließ sie ihren Mund schließen und leise rückwärts aus der Tür gehen.
Seine Schüler benahmen sich so vorbildlich wie noch nie. Andere Lehrer schienen einen großen Bogen um ihn zu machen. Es machte ihn wahnsinnig zu wissen, wie durchsichtig er sein musste, dass jeder um ihn herum sehen konnte, wie sehr er am Arsch war.
Jetzt, zwei Samstage vor seiner Hochzeit, waren er und Sam im Smokingladen in der Innenstadt von Towson und gingen durch ihre endgültigen Anproben. Victor, ebenfalls ein Mitglied von Deans Hochzeitsfeier, hätte sie eigentlich begleiten sollen, doch durch irgendeinen FBI-Notfall war er das Wochenende über nicht in der Stadt.
Dean agierte auf Autopilot. Er hatte es geschafft, Castiel in der letzten Woche kein einziges Mal zu begegnen. Er war sich nicht sicher, ob er über diesen Fakt glücklich oder unglücklich war, und die Ungewissheit ließ ihn verdammt verrückt werden, transportierte ihn in einen endlosen Kreis aus Ärger und Zweifel. Dean war unausgeglichen, abgelenkt und frustriert.
Vor zwei Wochen war sein Leben so einfach gewesen. Er würde heiraten, er war glücklich gewesen, alles lief super. Jetzt hatte sich der verdammte Cas mit seinen verdammten blauen Augen in sein Leben zurückgeboxt, und das war eindeutig die letzte beschissene Sache, die er brauchte.
Sam und er saßen im Essensbereich. Dean stocherte verwirrt auf einen mittelmäßigen Burger ein und schob die Pommes auf seinem Teller umher. Er schenkte Sam nicht wirklich seine Aufmerksamkeit, der wie ein Wasserfall über irgendein neues altes Buch redete, das er bekommen hatte, um seine magische alte-Bücher-Sache damit zu machen, und was für eine Ehre es war, mit so einem historischen Buch betraut worden zu sein. Dean hatte Sam nicht ausblenden wollen, wirklich nicht. Er wusste, wie sehr Sam es hasste, wenn er das tat.
,,Hast du bei irgendeiner verdammten Sache zugehört, die ich erzählt habe?", fragte Sam schließlich gereizt.
,,Ja, du hast ein neues altes Buch bekommen. Unglaublich."
Sams Seufzer sagte ihm, dass er einen Fehler gemacht hatte. Sein Bruder schob seinen leeren Salatteller zur Seite. ,,Das habe ich nicht gesagt. Ich sagte, dass ich Dad besucht habe."
,,Prima. Wie ist es gelaufen?"
,,Es war gut. So ist er meistens. Er wollte wissen, wie es dir geht."
,,Was hast du ihm erzählt?"
,,Dass es dir gut geht. Allerdings wünscht er sich, dass du vorbeikommst und ihn besuchst."
Dean schüttelte den Kopf. ,,Wird nicht passieren."
,,Nun, vielleicht..."
,,Nein."
,,Okay, ganz ruhig. Sorry."
Deans Appetit war komplett verschwunden und er schob sein Tablett weg. ,,Und was jetzt?"
,,Was?"
,,Fahren wir zu meinem Haus zurück? Wir sind mit dieser ganzer Smoking-Sache fertig."
,,Weihnachtseinkäufe? Ich muss noch etwas für Ellen holen."
,,Oh. Richtig. Ich habe noch für niemanden etwas, außer für dich, Anna und Vic. Ich muss etwas für Charlie besorgen. Und anscheinend brauche ich immer noch Geschenke für die Trauzeugen. Hochzeiten, Alter."
Sam grinste. ,,Kauf mir etwas Schönes, Bruder." Er nahm einen Schluck von seiner Limonade. ,,Kommst du eigentlich an Heiligabend mit zu Ellen's?"
,,Hatte ich nicht vorgehabt."
,,Warum nicht?"
Dean seufzte und rieb sich mit der Hand sein Gesicht. ,,Sam, dieses Leben ist für mich vorbei. Du weißt das. Ich rufe alle zwei Monate an. Das reicht, richtig?"
,,Keine Ahnung, Mann, das sind wir Ellen und Bobby schuldig."
,,Sieh mal, ich – ich fahre nach Hause. Ich will das nicht mit dir machen."
Sam sah ihn verwirrt an. ,,Mit mir was machen? Ich verstehe nicht."
,,Ich begreife nicht, warum du denkst, dass es so verdammt wichtig für mich ist, wieder ins bescheuerte Remington zurückzukehren."
,,Ja, naja, ich verstehe nicht, warum du so wütend wirst. Wir quatschen doch nur. Ich meine, Mensch, Dean, wenn du bereit wärst, loszulassen, hättest du die Feuerwache schon längst zum Verkauf gestellt."
,,Okay, ernsthaft, ich bin fertig. Fertig." Der Stuhl wurde kräftig nach hinten gedrückt, als Dean aufstand und steifbeinig davonging.
Hinter ihm war ein Trampeln zu hören, und er wusste, dass Sam ihn erwischen würde. Immerhin gab es kein Entkommen, wenn ein Bigfoot auf einer Mission war.
Wie erwartet holte Sam ihn einen Moment später ein. ,,Was ist dein Problem?", schnaubte er wütend. ,,Sei nicht so gereizt und renn dann einfach ohne Erklärung weg. Was zur Hölle ist los mit dir? Hat das etwas mit dem Essen von neulich Abend zu tun?"
,,Nein", knurrte Dean und schritt den Gang des Einkaufzentrums entlang.
,,Schwachsinn", zischte Sam. ,,Du scheinst mich mit irgendeinem anderen Bruder zu verwechseln, der dich nicht in- und auswendig kennt. Was zur Hölle ist los mit dir?"
Dean seufzte und drehte sich zu Sam. ,,Sieh mal, ich habe mein Leben endlich auf die Reihe bekommen. Du weißt, wie schwer das für mich war. Jetzt ist Cas zurück, lässt mich keinen klaren Gedanken fassen, und du verlangst von mir, ich solle zu Ellen und Bobby's gehen und so wieder in mein altes Leben zurückkriechen. Ich kann nicht, Sam, ich kann nicht."
Ein trauriger Ausdruck kreuzte Sams Gesicht. ,,Alter, so ist das nicht. Sie vermissen dich halt einfach. Wir sind für sie wie Söhne, und es verletzt sie beide, dass du sie nie sehen willst."
,,Checkst du es nicht? Da unten schickt mich alles direkt wieder in die Vergangenheit, aber ich versuche etwas aus dem Rest meines Lebens zu machen, der noch übrig ist! Ich lasse all diesen Scheiß hinter mir. Ich will nicht zurückkehren, ich will unseren beschissenen Vater nicht besuchen und ich will garantiert auch nicht- "
Oh Scheiße. Nein. Nein, nein, nein.
Cas kam mit mehreren Tüten in der Hand aus einem Laden heraus, gefolgt von seinem älteren Bruder Gabriel, der auf den Tasten eines Handys herumdrückte. Blaue Augen begegneten seinen, weiteten sich überrascht. Dean spürte, wie das Blut aus seinem Gesicht wich.
,,Was? Was ist los, du siehst aus, als würdest du kotzen müssen." Sam folgte seinem Blick. ,,Oh Scheiße. Cas."
,,Er stalkt mich, verdammt nochmal", flüsterte Dean.
Er machte auf der Stelle kehrt und flitzte den Gang entlang. Er hörte Sam nach ihm rufen, doch er ignorierte ihn. Sie waren beide mit ihren eigenen Autos gekommen, und Dean war fort. Auf keinen verdammten Fall würde er hierbleiben. Nee. Weg. Er holte nicht wirklich Luft, bis er im Parkhaus war und sicher im Impala saß. Sein Handy summte.
-Also ich schätze, ich sehe dich später?
-Ja. Sorry. Musste da raus.
-Ok. Ich ruf dich später an.
-Ok.
Dean startete das Auto. Der Sender mit klassischem Rock war in seiner Stereoanlage bereits eingestellt und In My Life lief. Er schnaubte und stieß mit seinem Finger auf den Aus-Knopf.
Es war, als ob die ganze beschissene Welt entschlossen war, seine Vergangenheit noch einmal aufleben zu lassen.
_____
,,Ist also nicht so gut gelaufen, was? War die Verlobte ein Miststück?"
,,Nein, sie war wundervoll. Liebenswürdig, lustig, charmant. Anna ist eine sehr nette Frau."
,,Halb so wild, dass sie zwischen dir und Dean steht."
Cas seufzte, drehte den Ständer mit Krawatten und versuchte eine passende für Michael zu finden. ,,Dean will nichts mit mir zu tun haben, Gabe. Das hat er sehr deutlich gemacht. Anna ist wundervoll. Ich hoffe, dass sie sehr glücklich werden." Cas nahm eine rote Krawatte vom Ständer. ,,Die wird für Michael reichen, oder? Ich weiß nicht, was ich ihm kaufen soll."
,,Krawatten passen immer. Und du wechselst das Thema. Ich will nicht von Anna hören, erzähl mir von Dean."
,,Ich weiß nicht, was du von mir willst, Gabe, ich werde ihre Ehe nicht zerstören." Cas ging zur Kasse. Er bezahlte die Krawatte und lächelte der Angestellten sein Danke zu, als sie sie vorsichtig in eine Geschenkbox packte. ,,Ich brauche Kaffee. Auf meine Rechnung?"
,,Sicher", sagte Gabe schnell und folgte ihm aus dem Laden heraus, während er auf die Tasten seines Handys drückte.
Die Samstagnachmittagsmenge im Kaufhaus lächelte und lachte. Ihre Arme waren voller Pakete, während sie ihre Runden durch die Läden und Buden machten. Cas kämpfte sich auf dem Weg zu Starbucks durch die Menschen, als er eine vertraute Gestalt nur ein paar Meter entfernt stehen sah. Grüne Augen trafen auf seine und ein entsetzter Ausdruck trat auf Deans Gesicht. Er drehte sich um und flitzte den Gang entlang, weg von ihm und dem großen Mann, der ihm hinterherrief.
Sams Schultern sackten frustriert nach unten und er drehte sich, um die Novak-Brüder anzusehen.
,,Wow, ist er groß geworden!", sagte Gabe fröhlich. ,,Und hübsch."
,,Nein, Gabe, nein. Einfach nein."
Sam begann mit einem Ausdruck von Aufruhr auf seinem Gesicht auf sie zuzukommen. Cas sah fasziniert zu, wie er sichtbar seinen Ärger hinunterdrückte. Seine Züge glätteten und entspannten sich, bevor sie sich vor dem Essensbereich trafen.
,,Cas. Schön, dich zu sehen, Mann." Sam lächelte und hielt ihm seine Hand hin. Cas ergriff sie und lächelte zu Sam zurück. Sam hielt seine Hand dann Gabe hin, der sie mit einem viel zu erfreuten Gesichtsausdruck nahm. ,,Wie geht's, Gabe?"
,,Alles prima, Sam, alles prima."
Sam sah Gabe mit zusammengekniffenen Augen an, bevor er Cas wieder seine Aufmerksamkeit schenkte. ,,Also, äh, Dean denkt, dass du ihn stalkst."
Cas seufzte. ,,Mach ich nicht. Ich hatte keine Ahnung, dass er heute hier sein würde."
,,Ich weiß."
,,Du bist groß geworden, Bursche. Und wunderschön."
Sam errötete, seine Wangen wurden bei Gabes Worten heiß. ,,Äh", er rieb sich seinen Nacken, ,,danke?"
,,Gabe, warum fährst du nicht nach Hause? Wir sehen uns später."
,,Sicher, ich weiß, wann ich nicht gewollt bin", sagte er in einem fröhlichen Tonfall. ,,Schön, dich wiederzusehen, Sammy." Gabe zwinkerte und winkte, als er sie verließ.
,,Tut mir leid."
,,Nein, ist schon okay, er hat schon immer mit mir geflirtet. Bin das irgendwie gewohnt."
,,Es ist wirklich schön, dich zu sehen, Sam. Kann ich dir eine Tasse Kaffee spendieren? Dahin wollten Gabe und ich jedenfalls."
,,Sicher."
Eine kurze Zeit später saßen sie einander an einem Cafétisch gegenüber und tranken ihre Getränke.
,,Wie ist es dir so ergangen, Sam? Dean sagt, du arbeitest für das Smithsonian."
,,Jap. Ich wurde bei der Dibner-Bibliotheksgemeinschaft aufgenommen. Im Grunde bezahlen sich mich fürs Lesen und Übersetzten alter Bücher und Texte. Das ist so ziemlich mein Traumjob. Und du bist ein publizierter Autor. Gute Arbeit, Mann." Sams Worte waren ungezwungen, tröstlich, doch etwas versteckte sich in seinen Augen.
,,Wie geht's ihm wirklich?"
Sam seufzte und fuhr sich mit einer Hand durch sein Haar. Es war eine vertraute Bewegung, die ihn nach einfacheren Zeiten sehnen ließ. ,,Er- Es geht ihm besser. Er kommt voran."
,,Ellen sagte, er sei ganz schön durcheinander gewesen, nachdem ich gegangen war."
,,Ja. Das schwächt es allerdings ein wenig ab."
,,Wirst du es mir erzählen? Bitte?"
,,Nicht meine Geschichte zum Erzählen, Cas." Sam rührte seinen Kaffee um und starrte ins Kaufhaus hinaus. Ein distanzierter Ausdruck lag auf seinem Gesicht. ,,Er ist nicht mehr der Typ, der er war, als du gegangen bist. Und ein Teil von mir will zornig auf dich sein und hier sitzen und alle Arten aufzählen, auf die du ihn übel mitgenommen hast, aber die Wahrheit ist, dass er es dir nicht leicht gemacht hat, oder? Ich denke, dass ihr beide Dinge verbockt habt. Keine Ahnung."
,,Sam, das letzte Woche... Das war unerträglich. Ich wusste nicht, was ich sonst noch tun sollte."
,,Denkst du, ich wüsste das nicht? Ich war da, ich sah es live und in Farbe den Berg hinabgehen. Glaub mir. Ich weiß."
,,Was ist mit deinem Vater passiert? Ellen hat etwas erwähnt."
,,Er sitzt im Gefängnis", sagte Sam ausdruckslos.
,,Wofür?"
Sam lehnte sich vor. Ein sehr dunkler und gefährlicher Ausdruck schimmerte in seinen Augen. ,,Ich bin mir nicht sicher, ob ich dir das erzählen sollte. Ich denke nicht, dass Dean es begrüßen würde, wenn ich dir von dem ganzen Zeug erzählen würde. Es geht dich nicht mehr wirklich etwas an, oder?"
,,Nein", sagte Cas leise. ,,Ich schätze nicht." Er rutschte unbehaglich auf dem harten Plastikstuhl umher.
,,Du liebst ihn immer noch." Sam verkündete es als Fakt, nicht als Frage.
,,Das spielt keine Rolle. Sam, was ist mit ihm passiert?"
Der andere Mann starrte für lange Zeit, ohne etwas zu sagen, in seine Kaffeetasse. Schließlich hob er den Kopf. ,,Ich werde dir alles erzählen. Ich weiß nicht, warum, aber ich werde. Doch ich schwöre bei Gott, Cas, wenn du ihn wieder verarschst, wenn du das versaust, was er die letzten Jahre versucht hat sich aufzubauen, scheiße, wenn du ihn irgendwie verletzt, dann schwöre ich, dass ich..." Er verstummte.
,,Sam, ich will sein Leben nicht durcheinanderbringen. Wenn er glücklich ist, dann ist er glücklich. Ich werde sein Leben nicht ruinieren. Ich will nur wissen, was passiert ist."
Er schien Cas' Worte für einen Moment zu überdenken, während er sich abwesend mit seinen Fingern durch seine Haare fuhr. ,,Okay", sagte Sam schließlich. ,,Aber wir werden irgendeinen Ort mit Alkohol finden müssen, weil ich ihn brauchen werde. Und du kannst mir das Essen bezahlen."
,,Deal."
_____
November, 2000
Dean starrte im Benny's auf die Menge und grinste, als er noch ein paar Töne auf seiner Stratocaster spielte. Der glitzernde weiße Lack reflektierte die Bühnenlichter. Er spielte selten im Benny's, da er die kleinere Menge am Abend bei Ellen's bevorzugte, doch die bestellte Band für diesen speziellen Freitagabend hatte abgesagt. Außerdem hatte Benny darum gebeten, weshalb Dean die letzten zwei Stunden damit verbracht hatte, sich selbst durch eine Reihe seiner liebsten Classic Rock Lieder zu begleiten. Gerade hatte er Carry On My Wayward Son beendet.
Ein hübsches Mädchen mit langen, blonden Haaren und einem engen, roten Minikleid grinste ihn vom Tisch nahe der Bühne an. Ihre Zunge schoss heraus und sie leckte sich provokativ ihre Unterlippe, während weiterhin ihr Blick auf ihm lag. Dean lächelte zu ihr zurück und zwinkerte. Sie zog das Rührholz aus ihrem Getränk und leckte es langsam ab.
Sein Schwanz zuckte in seiner Jeans interessiert. Er beendete den Song, dankte der verständnisvollen Menge, legte seine Gitarre nieder, stieg von der Bühne und ging zur Bar hinüber. Benny schob ihm einen Whiskey zu.
,,Danke Bruder, weiß deine Hilfe zu schätzen."
,,Kein Problem", sagte Dean abgelenkt und suchte die Menschenmassen nach dem Mädchen ab.
,,Wo ist eigentlich Cas?", fragte Benny demonstrativ.
,,Äh, keine Ahnung. Zu Hause, schätze ich?"
,,Mh."
Das Mädchen kam auf ihn zu. Ihre Hüften schwangen, während sie den Raum durchquerte. Sie setzte sich auf den Hocker neben ihn.
,,Hi." Sie lächelte und fuhr mit einer Hand seinen Arm hoch. ,,Ich bin Lilith. Du bist sehr talentiert", fügte sie hinzu.
,,Dean", sagte er, ,,und danke."
,,Spendierst du mir einen Drink, Dean?"
,,Sicher", sagte er locker. ,,Benny, bring der Dame, was sie möchte."
Lilith lächelte, perfekte weiße Zähne schimmerten im Halbdunkeln der Bar. Sie rückte näher, ihr Knie streifte seinen Oberschenkel. ,,Also stell dir mal vor, einen so talentierten Mann in solch einer Kneipe zu treffen."
Benny knallte ihren Gin Tonic auf den Tresen und grummelte vor sich hin, als er davonging. ,,Ich würde es nicht als eine Kneipe bezeichnen", teilte Dean ihr mit, von Bennys Reaktion amüsiert.
,,Nun, wenn ich es nicht als Kneipe bezeichnen soll, wie sollte ich sonst dazu überleiten, dich zu fragen, ob du hier rauswillst?"
,,Verdammt, du verschwendest keine Zeit, Lady."
Sie rückte sogar noch näher. Ihre blasse Hand glitt noch oben, um über den Kragen seines Shirts zu streichen. ,,Oh, du hast keine Ahnung, Baby." Eine Sekunde später kreischte sie auf und sprang halb von ihrem Hocker.
,,Ups", gluckste Jo, die ein leeres Glas in ihrer Hand hielt. ,,Meine Schuld", sagte sie unschuldig, die Augen gespielt aufgerissen.
Lilith starrte sie an und drehte sich dann zu Dean zurück. ,,Entschuldige mich für einen Moment", sagte sie mit einem knappen Lächeln. ,,Ich muss mal kurz zur Damentoilette."
Dean sah ihr beim Weggehen zu und wandte sich dann an Jo. ,,Was zur Hölle?"
,,Komm mit. Jetzt." Sie packte ihn am Arm und zog ihn aus Benny's auf die Straße hinaus. Jo stieß die Tür zum Roadhouse auf und schob ihn hinein. ,,Setz dich."
,,Was zum Teufel, Weib?! Ich werde zu Benny's zurückgehen!"
,,Nein, wirst du nicht! Setz dich! Wir müssen reden!" Sie drehte das Geöffnet-Schild zu Geschlossen und deutete auf eine Nische. ,,Hinsetzen. Ich hol dir etwas Kuchen, okay? Setz dich einfach."
,,Gut", sagte er eingeschnappt und setzte sich auf die Bank. Einen Moment später war sie mit Kaffee und Kuchen zurück und setzte sich auf die Bank ihm gegenüber.
,,Was zur Hölle tust du, Dean?"
,,Offensichtlich Kuchen essen."
,,Nein, das Mädchen, Arschloch! Was sollte das? Ich dachte, du und Cas wärt... Du weißt schon."
,,Nein. Ich meine, ich weiß es nicht. Weil Sammy doch eingezogen ist. Keine Ahnung."
Jo seufzte und spießte ihren Kuchen auf. ,,Du bist ein Idiot, weißt du das?"
,,Hab ich schon gehört", antwortete er trocken.
,,Weißt du, warum ich vor ein paar Wochen von dir angepisst war?"
,,Nein."
,,Weil du dich durch alle meine Freunde gearbeitet hast. Du hast mit jedem Mädchen geschlafen, das ich kenne, aber du hattest keine Zeit für mich. Und das tat weh. Du flirtest nonstop mit mir, doch du warst nie an mir interessiert. Kein bisschen."
Dean wand sich. ,,Weil du wie meine kleine Schwester oder so bist. Das wäre einfach komisch, Jo."
,,Gut. Ich verstehe das. Aber jetzt ist da Cas. Und etwas ist dort passiert, da bin ich mir sicher. Ihr Jungs verbringt eure ganze Zeit miteinander, du scheinst jede mögliche Vorstellung von persönlichem Freiraum vergessen zu haben, und, Himmel, Dean, hast du gesehen, wie der Typ dich ansieht? Offensichtlich hast du ihn heute Abend nicht bemerkt!"
,,Er war da?"
,,Ja, er war da. Saß während deiner gesamten Vorstellung in der hinteren Reihe. Und dann musste ich mit ansehen, wie sein Gesichtsausdruck in sich zusammenfiel, als du angefangen hast, mit dieser kleinen, blonden Schlampe zu flirten!"
,,Oh", sagte Dean leise und starrte auf seinen Kuchen hinab. ,,Ich habe nicht mitbekommen, dass er da war."
,,Er mag dich. Und ich denke, du magst ihn auch."
,,Ich bin nicht schwul...", konterte er schwach.
,,Verdammt, na und? Wen interessiert das?"
,,Leute..."
,,Was für Leute? Dein wertloser Vater? Der, der dich regelmäßig verprügelt? Warum zur Hölle interessiert es dich überhaupt ein bisschen, was er denkt?"
,,Jo..."
,,Alter, ernsthaft, wenn es nicht daran liegt, was ist dann das Problem?"
,,Keine Ahnung, ich bin einfach... Ich habe Angst, schätze ich. Ich weiß es nicht. Sieh mal, ich mag Cas, ich mag ihn sehr, aber ich will nicht... Ich will nicht..." Er rang nach den richtigen Worten.
,,Du willst keinen One-Night-Stand. Dieses Mal denkst du tatsächlich über eine Beziehung nach, oder?", murmelte sie. ,,Heilige Scheiße, Dean. Du magst ihn wirklich."
,,Ja." Er kratzte sich geistesabwesend am Nacken. ,,Und die Sache ist die, Jo, wir waren uns neulich Morgen so nahe, als Sam aufgetaucht ist. Keine Ahnung, etwas wäre passiert. Die Wahrheit ist, Cas ist unglaublich. Er verdient etwas viel Besseres als mich."
,,Vielleicht solltest du ihn entscheiden lassen, was er verdient. Und weißt du was? Du bist auch ziemlich unglaublich. Du solltest nach Hause gehen. Geh heim und rede mit ihm. Doch wahllos mit Schlampen zu flirten? Dieser Scheiß muss aufhören. Geh nach Hause, Dean."
Er nickte und stand auf. ,,Was zur Hölle soll ich ihm überhaupt sagen, Jo?"
,,Beginne mit einem Danke dafür, dass er Michael geholt hat, um mit Sams Emanzipation zu helfen. Warte ab, was dann passiert. Eine Entschuldigung wegen des Mädchens dürfte auch nicht wehtun. Back ihm einen Kuchen, spiel ihm einen Song vor. Muss ich dir das wirklich erklären?"
,,Jo, alles, was ich je hatte, ist – Ich meine, da war Cassie, aber ansonsten..." Dean zupfte an einem Faden an seiner Jacke. ,,Denkst du, ich hätte irgendeine Ahnung, was ich hier mache?"
,,Dann sag ihm das. Sei ehrlich. Sag ihm, dass du mehr willst und nicht weißt, was du tust." Sie schob ihn sanft zur Tür. ,,Geh nach Hause. Trau dich, Winchester. Sei ein Mann."
Dean seufzte und ließ zu, dass sie ihn aus der Tür schob. Dann schloss sie hinter ihm zu. Er ging die Straße hinunter und stoppte vor der Feuerwache.
Scheiße, war er nervös.
_____
Cas schob ein weiteres Buch in den Bücherschrank seines Zimmers und gab sich größte Mühe, seine Wut zu kontrollieren. Vor sieben Tagen hatten er und Dean an der Schwelle zu etwas Neuem, etwas Unglaublichem gestanden. Dann hatte Sam Winchester an ihre Tür geklopft.
Für keine Sekunde würde er es Sam übelnehmen, der auch schnell zu einem seiner besten Freunde geworden war, die er je hatte, doch etwas an seiner Ankunft hatte Dean dichtmachen lassen. Er war verschlossen und distanziert, und dann heute Abend, heute Abend-
Cas knurrte bei dem Gedanken an diese Frau, die ihre Hände auf ihm hatte, doch schlimmer als das war, dass Dean zurückgeflirtet hatte. Als er Benny's verlassen hatte, waren sie fast verschlungen gewesen. Die Blonde hatte sich mit jeder Bewegung weiter in Deans Bereich gedrückt.
Dean hatte Angst. Er hatte Angst vor dem, was zwischen ihnen passieren könnte. Cas wusste es, Sam wusste es, jeder außer Dean wusste es.
Sam hatte ihn mit einem traurigen Blick angesehen, als er in die Feuerwache zurückgestürmt war. ,,Tut mir leid" war alles, was er gesagt hatte. Damit hatte er wieder einmal seine seltsame Neigung gezeigt, scharfsinniger zu sein als sein Alter vermuten ließ. Ganz abgesehen davon kannte er Dean. Besser als irgendjemand anders.
Cas hatte nicht geantwortet, sondern war einfach in sein Zimmer gegangen, hatte die Tür geschlossen und zu putzen begonnen. Jedes Buch zurück ins Regal, seinen Tisch aufgeräumt und die Schulaufgaben verstaut, dreckige Klamotten in den Wäschekorb, die Laken abgezogen und das Bett neu gemacht.
Ihm ging die Puste aus, Müdigkeit und Enttäuschung lasteten auf ihm. Cas sank auf sein frisch gemachtes Bett und starrte aus dem Fenster. Die Tür öffnete sich, doch er sah nicht auf. ,,Was ist, Sam?"
,,Nicht Sam", sagte Dean leise. ,,Hey, Cas."
,,Hallo, Dean", seufzte Cas. ,,Was brauchst du?"
,,Ich, ähm, ich muss mit dir reden. Wenn du eine Minute hast." Er klang unglaublich nervös. Cas hob den Kopf. Dean stand in der Türöffnung, eine Hand in der Hüfte, die andere rieb seinen Nacken. Er zappelte herum und seine Wangen waren leicht gerötet.
,,Was willst du?"
,,Ich wollte dir danken. Du weißt schon, weil du Michael geholt hast, um Sam und mir zu helfen. Das war wirklich toll."
Cas nickte, sagte jedoch nichts.
,,Und, äh. Ähm. Ich, äh. Ja." Er seufzte. ,,Hör mal, es tut mir leid wegen heute Abend", stieß er schließlich aus.
,,Wegen was?"
,,Scheiße. Das Mädchen, Cas. Das tut mir leid."
,,Warum?"
,,Weil ich..." Er seufzte. Sein Blick irrte umher, sah überall hin, nur nicht zu Cas. ,,Du wirst mich dazu bringen, das alles auszuspucken, oder?" Dean holte tief Luft. Seine Wangen wurden sogar noch röter. ,,Hör mal, ich weiß nicht, was zur Hölle ich hier tue. Ich bin so verdammt verwirrt, Cas, und ich hatte noch nie eine richtige Beziehung, ganz zu schweigen davon, dass du ein Typ bist. Außerdem mag ich dich sehr, aber diese ganze bescheuerte Sache ist so verdammt verwirrend und ich weiß nicht, was zum Teufel ich hier mache. Wirklich nicht."
Oh.
,,Du hast Angst." Cas stand auf und durchquerte sein Schlafzimmer. ,,Du hast Angst", sagte er erneut, ,,weil das alles neu für dich ist. Nichts davon passt in deine sorgfältig vorbereiteten Kisten. Also bist du rausgegangen und hast vertrauten Boden gefunden. Um dich abzulenken." Dean ging rückwärts auf die Wand zu, als Cas näherkam. Er streckte den Arm aus und schloss seine Schlafzimmertür. ,,Du hast Angst, weil ich dich Dinge fühlen lasse. Es ist anders. Du weißt nicht, wie du dich verhalten sonst, weil du hier noch nie zuvor warst. Du wolltest nie mehr als eine Nacht. Doch jetzt schon, und du hast Angst. Das ist schlimmer, weil ich nichts verkörpere, was du vorher mal hattest. Habe ich recht?"
Dean drückte sich gegen die Wand, als Cas noch näher rückte, jetzt nur noch Zentimeter von ihm entfernt. Sein Blick war gleichermaßen angeturnt und entsetzt. ,,Ich weiß nicht, was ich tue", flüsterte er hilflos.
,,Mmm. Aber ich schon. Und ich kann es dir zeigen."
Cas streckte eine Hand aus, schlang sie um Deans Hals, zog ihn herunter und presste ihre Lippen zusammen. Deans Lippen waren weich und schmeckten nach Kuchen und Whiskey. Zuerst erwiderte er den Kuss nicht, doch dann schien die Anspannung von ihm abzufallen. Seine Hände bewegten sich nach oben und blieben auf seinen Hüften liegen. Schließlich küsste er ihn zurück.
Gott, er küsste zurück, und Cas war verloren. Er drückte Dean hart gegen die Wand, schob seinen Oberschenkel zwischen Deans Beine, schluckte das Keuchen, das entwich, und glitt mit der Zunge in Deans Mund.
Als sie schließlich in das Hier und Jetzt zurückkehrten, waren Deans Pupillen riesig, nur noch ein dünnes, grünes Band um sie herum. Seine Wangen waren gerötet und er atmete schwer.
,,Wow", flüsterte er mit aufgerissenen Augen.
Castiel grinste.
,,Das war noch gar nichts."
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