Kleine Linien und Risse
Es konnte eigentlich wirklich nicht besser laufen, dachte Sam, als er einen roten Einkaufswagen durch das White Marsh Target schob. Es war so einfach, und Dean wusste nach wie vor nichts. Eine schnelle SMS, Cas würde auftauchen und Dean würde total nervös werden und erröten, dann notgedrungen zustimmen, dass Cas sie bei dem begleiten konnte, was auch immer sie gerade taten.
Sam war unglaublich zufrieden mit sich selbst. Es fiel ihm jedes Mal schwerer und schwerer, kein Grinsen auf sein Gesicht zu lassen, wenn Dean und er unterwegs waren und Cas ihnen mysteriöserweise über den Weg lief. Er hoffte, dass Dean nicht bemerkt hatte, wie viele Nachrichten er an diesen Tagen schrieb, oder dass er jedes Mal hastig Texte verschickte, wenn sie in den letzten Tagen raus gegangen waren. Allerdings war er sich ziemlich sicher, dass sein Bruder es weiterhin nicht wahrnahm.
Nach dem einigermaßen erfolgreichen Mittagessen im Whole Foods waren sie Cas auf dem Broadway-Markt 'über den Weg gelaufen' und hatten sich einen Teller Crab Cakes geteilt. Als nächstes waren es Chicken Wings und Getränke in einem Pub in der Nähe des Stadiums der Ravens gewesen. Dean hatte schockiert hochgesehen, als der dunkelhaarige Mann den Pub betreten hatte, doch er hatte sich schnell wieder unter Kontrolle gehabt. Das Ganze war es sogar wert, Gabriels lächerliches Flirten zu ertragen. Sam setzte sich damit schon auseinander, seit er ein Teenager war.
Manchmal fragte er sich, ob Gabe es ernst meinte und tatsächlich mit ihm flirtete, anstatt das Flirten nur zu spielen. Es war nicht so, dass er dagegen wäre oder so. Sam betrachtete sich nicht wirklich als schwul oder hetero oder irgendetwas anderes. Außerdem war Gabe ein netter Typ und war auch immer nett zu ihm gewesen... Das war allerdings nicht das derzeitige Problem.
Nein, das derzeitige Problem war, Dean genug wachzurütteln, um zu realisieren, dass er diese 'zufälligen' Begegnungen mit Cas genoss und auf ein richtiges Date oder so ging. Etwas anderes als dieser einander umkreisen und Löcher durch das Gesicht des anderen starren Schwachsinn, den sie im Moment taten.
,,Kleine Welt, was?", fragte Cas fröhlich und legte eine Dose Rasiercreme in seinen Korb.
,,Ja", murmelte Dean und wippte auf seinen Fersen ,,Baltimore ist nicht wirklich eine Kleinstadt."
,,Naja, weißt du, Cas brauchte vermutlich nur etwas. Dieser Target liegt nahe der 95. Ergibt Sinn für mich", sagte Sam leichthin. Dean sah ihn sehr seltsam an und griff nach seiner eigenen Dose Rasiercreme.
,,Stimmt..."
,,Auf jeden Fall, Cas, wollten wir gerade Mittag essen gehen. Begleitest du uns?"
Deans Kopf fuhr blitzschnell zu Sam herum. Die grünen Augen waren aufgerissen. ,,Ähm, hatten wir nicht...andere Dinge zu tun, ich meine, ich habe noch nichts für Jo, und was ist mit dem Shopping und dem Kram..." Dean fummelte an seiner handgeschriebenen Liste herum.
,,Oh, nun, ist schon okay. Vielleicht sehen wir uns später?" Cas lächelte Dean an, tat sein Bestes, beruhigend zu wirken, doch es funktionierte nicht. Wenn Dean nicht so verwirrt und durcheinander ausgesehen hätte, hätte Sam garantiert über ihn gelacht. Unter den gegebenen Umständen musste er sich auf seine Wangeninnenseite beißen, um nicht zu lächeln, als Dean mit seinen Armen herumfuchtelte und über die Worte stolperte.
,,Ja. Ja, später, später ist gut. Wir sollten, wir sollten gehen." Dean trat praktisch auf seine eigenen Füße, als er aus dem Gang hastete. Sam ergriff den Einkaufswagen.
,,Panera Bread", flüsterte Sam. ,,In zwanzig Minuten." Er wartete nicht auf Cas' Antwort, sondern schob den Wangen einfach in den Hauptgang und suchte die Menge der Weihnachtseinkäufer nach seinem Bruder ab. Dean war den Gang weit entlanggegangen. Sam sah ihn in einen anderen verschwinden und folgte ihm schnell.
Mit einem panischen Gesichtsausdruck ging Dean ruhelos vor der Auslage von Mixern und Rührgeräten hin und her. ,,Ich schwöre, er stalkt mich!", rief er mit geweiteten Augen. ,,Sammy, es ist so, als ob er es weiß. Als ob er weiß, wo ich bin, was ich mache... Ich habe keine Ahnung, wie er das anstellt, doch es macht mich verrückt! Ich gelange an den Punkt, wo ich nicht einmal mehr die Feuerwache verlassen will!" Er fuhr sich mit einer Hand durch seine Haare. ,,Deshalb habe ich White Marsh gesagt. Ich dachte, so weit draußen auf dem Land wäre ich sicher. Denn warum sollte er irgendetwas außerhalb der Stadt erledigen? Aber nein, hier ist er! Was zur Hölle?"
Sam empfand einen Anflug von Schuldgefühlen, während er Dean im Gang umherschleichen und vor sich hin murmeln sah.
,,Vielleicht sollten wir uns einfach etwas zum Mittag holen?" Essen würde helfen. Wenn sie aßen, wurde Dean nicht annähernd so nervös, falls Cas auftauchte.
,,Ja. Hier-" Er überreichte Sam sein Portemonnaie. ,,Bezahl für meinen Kram. Ich brauche etwas Luft. Eine Menge Luft."
Dean verschwand am Ende des Ganges und ließ Sam zurück, der ihm hinterherstarrte.
,,Ich denke immer noch, dass das eine schlechte Idee ist." Sam fuhr zusammen, als Cas von hinten auf ihn zukam. ,,Jedes Mal, wenn ich das tue, ist er so unruhig und schreckhaft. Ich weiß nicht, wie du von ihm Entspannung verlangst."
,,Nun, scheinbar ist Essen der Trick. Wenn wir essen, tut er nicht so, als ob er wegrennen will. Du kannst dich unserer Mittagsrunde also anschließen. Ich werde jetzt bezahlen, gib mir ungefähr zwanzig Minuten, okay?"
Eine Gewitterwolke zog über Cas' Gesicht. Es war klar, dass er mit Sam diskutieren wollte, doch der wusste auch, dass Cas Zeit mit Dean verbringen wollte. Er sah zu, wie Cas seine Bedenken unterdrückte.
,,Gut. Zwanzig Minuten."
,,Klingt nach einem Plan." Sam lächelte, schob seinen Wagen in den Gang und ließ Cas zurück.
Alles verlief wunderbar. Es war nur eine Frage der Zeit, bis Dean realisierte, dass er tatsächlich Zeit mit Cas verbringen wollte, und Sam nicht mehr den Vermittler spielen musste.
Zwanzig Minuten später saß er mit Dean in einer Nische bei Panera Bread und sah zu, wie sich die Augen seines Bruders weiteten, als Cas sich der Schlange von Leuten anschloss, die ihr Essen bestellen wollten. Sam schätzte, dass es funktioniere, dass sein Plan aufging, denn Dean stand mit einem richtigen Lächeln auf seinem Gesicht auf und bedeutete Cas, sich zu ihnen zu setzen.
Cas rutschte auf die Bank neben Dean und lächelte zu ihm herüber. Sam konnte praktisch sehen, wie die Räder sich drehten. Er wusste, das war's, er hatte es geschafft. Nun war es nur noch eine Frage der Zeit. Er nahm einen weiteren Bissen von seinem Salat und klopfte sich gedanklich selbst auf den Rücken.
Sam Winchester, außergewöhnlicher Verkuppler.
_____
September, 2001
,,Zieh ihn einfach an und lass mich Bilder machen."
,,Er passt nicht. Er ist zu groß."
,,Bitte, Cas, zieh ihn einfach an. Es gibt einen bestimmten Look, für den ich mich entschieden habe. Vertrau mir."
Sein fester Freund starrte den Lumpen hellbraunen Stoffes abschätzig an. ,,Warum ein Trenchcoat?", grummelte er und zog ihn widerwillig an.
,,Weil ich Azrael als einen Alltagstypen haben will. Wie der super normale Joe, der in seinem Anzug und Trenchcoat zur Arbeit fährt. Wie ein heiliger Steuerberater." Dean griff nach der blauen Krawatte um Cas' Hals und richtete sie so, dass sie leicht zerknittert und verdreht war. ,,Vertrau mir bitte einfach."
Cas lächelte. Seine blauen Augen strahlten. ,,Ich vertraue dir, mein exzentrischer kleiner Künstler."
Nachdem das Outfit saß, trat Dean zurück und griff nach der Polaroid-Kamera, die er auf dem Klavier gelassen hatte. Er fand Cas im Sucher und begann Bilder zu schießen. Jedes einzelne zog er aus der Kamera und legte es ordentlich auf den geschlossenen Deckel des Klaviers. Dean machte mehrere Ganzkörperaufnahmen, alle aus verschiedenen Blickwinkeln. Dann ging er näher an ihn heran und schoss vier Fotos von Cas' Gesicht, fing den wütenden, zerschmetternden Blick ein, nach dem er Cas gefragt hatte.
,,Du siehst unglaublich aus", stieß Dean hervor, legte die Kamera beiseite und starrte in Cas' Augen. ,,Wie ein richtiger Engel. Ich denke, du könntest mich wahrscheinlich zerschmettern, wenn du wollen würdest."
Cas machte einen Schritt vor. Dean verspürte den seltsamen Drang zurück- und von ihm wegzutreten, so stark war sein Gesichtsausdruck. Er hob eine Hand und legte sie auf Deans Stirn.
,,Mehr wäre nicht nötig? Dich zu zerschmettern?" Seine raue Stimme war sogar noch tiefer gesunken. Deans ganzer Körper reagierte darauf; Blut schoss mit alarmierend hohen Geschwindigkeit nach unten, sein Herz hämmerte gegen seinen Brustkorb. Er fragte sich, ob Cas irgendeine Vorstellung davon hatte, wie heiß er auf diese Art war. ,,Stell dir vor, ich hätte Gnade in mir. Du wärst jetzt ein rauchender Krater, oder?"
Deans Mund wurde trocken. Cas' Hände fühlten sich auf seinem Gesicht wie Feuer an. ,,Äh, j-ja", stammelte er. Ruhig, Winchester, schimpfte er mit sich selbst.
Cas schien sich nicht daran zu stören. Seine andere Hand ergriff Deans Hüfte und zog ihn näher heran. ,,Würdest du mir die Treue schwören, Dean? Wenn ich ein Engel wäre, würdest du mir ohne zu klagen dienen, würdest du jeden meiner Befehle ausführen? Würdest du vor mir auf die Knie gehen?" Cas' Hand rutschte von seiner Stirn und blieb auf seinem Nacken liegen. Der Griff war locker, genau wie der auf seiner Hüfte, doch es war das unausgesprochene Versprechen von Cas' Stärke, das ihn stillhielt.
Ein Schweißtropfen rollte Deans Wirbelsäule hinab, während er in Cas' Griff völlig bewegungslos blieb.
,,Würdest du mich verehren, Dean?"
Dean nickte. Seine Stimme hatte ihn im Stich gelassen.
,,Dann auf deine Knie, Schöner, und verehre mich." Die Hand auf seinem Nacken bewegte sich zu seiner Schulter und drückte Dean hinab. Der tat es bereitwillig. Seine Finger fummelten an dem Hosenstall des Anzugs herum, in den er Cas gesteckt hatte.
,,Genau so, Baby, verehre mich mit deinem perfekten Mund." Cas' Finger fuhren durch seine immer noch zu langen Haare. Das Gefühl seiner Fingernägel turnte Dean sogar noch mehr an. Er sah zu Cas hoch und bemerkte, dass die wunderschönen blauen Augen zu ihm hinabstarrten, als er ihn aus seiner Anzughose befreite und diese auf den Boden gleiten ließ.
Cas nahm sein Kinn in seine Handfläche und rieb mit dem Daumen über seine Lippen. ,,So perfekt, so wunderschön. Ich liebe dich, ich liebe dich so sehr, Baby", murmelte er.
Eine Weile später waren sie beide geschafft und zufrieden. Teile des Anzugs lagen im ganzen Wohnzimmer verteilt. Cas und Dean waren auf der Couch ineinander verschlungen. Der Trenchcoat bedeckte sie von der Taille an abwärts. Dean lag auf Cas, sein Kopf ruhte auf seiner Schulter. Seine Finger fuhren Muster über die Flächen von Cas' Brust.
,,Ich liebe solche Momente", sagte Cas sanft, die Nase in Deans Haaren vergraben. ,,Nur du und ich und die Stille. Ich liebe das."
,,Mhm, ich auch."
Deans Magen knurrte und Cas kicherte leise. ,,Vielleicht sollten wir dich füttern?"
,,Ja, kann vermutlich nicht schaden. Roadhouse?"
,,Definitiv. Aber zuerst duschen."
,,Okay", sagte Dean und stand von der Couch auf. ,,Ich werde das Wasser aufdrehen."
,,Ich habe nachgedacht", sagte Cas sanft.
,,Ja?"
,,Ich möchte noch ein Tattoo."
,,Oh, okay. Was willst du dir machen lassen?", fragte Dean, während er ins Badezimmer ging und das Wasser aufdrehte. Cas gesellte sich einen Moment später zu ihm und schlang seine Arme um seine Taille.
,,Ich möchte, dass du deinen Namen in Henochisch aufschreibst. Das will ich mir machen lassen."
Dean drehte sich mit aufgerissenen Augen in Cas' Armen um. ,,Du möchtest dir meinen Namen tätowieren lassen? Du meinst, dauerhaft?"
,,Ja."
,,Alter..."
,,Was?"
,,Das ist einfach, das ist eine ziemlich große Sache, Cas. Du redest von, du weißt schon, mich auf deine Haut stechen zu lassen. Für immer."
,,Hast du noch nicht verstanden, dass ich ein ,Für immer' vorhabe?"
Ein seltsames Gefühl breitete sich in Deans Brust aus. Er glaubte nicht, dass er es mochte. Es fühlte sich wie Angst an.
Er war dafür bereit, oder nicht? Für immer? Verdammt, er hatte darüber nachgedacht. Er war derjenige, der Cas vorgeschlagen hatte, er solle Dean ihn unterstützen lassen, damit er sich auf das Schreiben konzentrieren konnte. Aber für immer?
Eine merkwürdige Kälte kroch in seine Brust. Er fühlte sich unangenehmerweise außer Atem.
,,Hey, Dean? Woran hast du gedacht, Baby?" Cas' Augen waren geweitet und sein Blick besorgt.
,,Ja, mir geht's gut. Dusche und dann Essen, richtig?"
,,Richtig", sagte Cas langsam, offensichtlich immer noch beunruhigt.
Dean ignorierte seine Besorgnis, zog Cas in den Strahl und drückte eine Shampooflasche in seine Hände. Er neigte seinen Kopf unter das Wasser und unterdrückte die Zweifel, die scheinbar aus dem Nichts aufgekommen waren.
Cas war perfekt. Cas war wunderbar und liebevoll und alles, was Dean je gewollt hatte. Also was genau war sein Problem? Das Problem lag nicht bei Cas, so viel war sicher.
Sie beendeten ihre Dusche und zogen sich an. Keiner von ihnen sagte etwas. Cas beobachtete ihn mit konzentrierten und aufmerksamen Augen, doch Dean setzte sein bestes Lächeln auf. Bis sie ihre Plätze in ihrer Stammnische im Roadhouse eingenommen hatten, war Dean sich sicher, dass Cas den Moment seiner Schwäche vergessen hatte. Sam näherte sich ihnen mit einem Grinsen, stellte Wassergläser für sie auf den Tisch und nahm ihre Bestellungen entgegen, während Dean einen Skizzenblock hervorholte. Der Bleistift bewegte sich schnell über die Seite, als er mehrere Symbole zeichnete.
,,Nur mein Name?", fragte er. Der Stift schwebte über dem Papier.
,,Jap." Cas nippte an seinem Wasser. ,,Bist du sicher, dass das okay für dich ist?"
,,Ja. Schau-" Dean drehte die Seite, um Cas die Reihe mit Symbolen zu zeigen, die er gerade gemalt hatte. ,,Das hier ist für mich. C-a-s-t-i-e-l."
Cas lächelte. ,,Du lässt dir auch eins machen?"
,,Ja. Ist das okay für dich?"
,,Absolut."
Sam kam mit ihrem Essen vorbei; ein großer Speck-Burger und Pommes für Dean, und ein BLT und ein Obstsalat für Cas. Er stellte seinen eigenen gemischten Salat neben Cas' und rutschte zu ihnen in die Nische.
,,Pause!", verkündete er fröhlich und hob eine Augenbraue in die Richtung von Deans Skizzenblock. ,,Was ist das?"
,,Cas und ich lassen uns unsere Namen tätowieren."
,,Was denkst du?", fragte Cas und drehte den Block, damit Sam es sehen konnte.
,,Sieht cool aus." Er lächelte. ,,Ihr Jungs seid so süß." Er blickte zu Dean und klimperte mit den Wimpern.
,,Halt die Klappe, Schlampe", grummelte Dean und spürte, wie seine Wangen heiß wurden.
,,Idiot. Mir gefällt's. Ihr zwei seid klasse." Begeistert stach er in sein Essen und stopfte seinen Mund mit Salat voll.
Dean seufzte und biss in seinen Burger. Cas war gut für ihn. Er liebte Cas. Er hatte sowieso vorgehabt, Cas zu fragen, die Dinge dauerhaft zu machen. Also warum geriet er nun in Panik? Es ergab keinen Sinn.
,,Dachte mir schon, dass ich euch Loser hier finden würde", sagte eine tiefe Stimme. Ihr Besitzer ließ sich in die Nische neben ihnen sinken.
Dean blickte in die Augen eines extrem erschöpft aussehenden Victor Henriksen.
,,Vic! Hey, wie geht's dir so, Mann?", fragte Dean.
Victor seufzte schwer und rieb sich mit einer Hand die Augen. ,,Nicht so gut, Kumpel. War eine harte Woche."
,,Wieso?", fragte Cas.
,,Nun, meine Beziehung bricht auseinander. Schätze, ist besser, dass ich es jetzt herausgefunden habe, anstatt nachdem wir geheiraten hätten. Ich kann sie nicht dauerhaft glücklich machen. Der Geschmack dieser Frau ist für welche wie mich zu anspruchsvoll."
,,Warte, du machst mit Bela Schluss?"
,,Ja. Schätze, sie ist durch mit mir."
,,Mann, das ist scheiße. Soll ich dir etwas zu essen bringen?"
,,Ach, bitte nur einen Eistee, Sam."
,,Sicher." Sam stand auf und nahm seinen Salatteller und Cas' leeren Teller. ,,Bin gleich wieder da."
,,Gibt es irgendetwas, das wir tun können?", fragte Cas sanft.
,,Nee, sie ist ausgezogen. Ist wohl das Beste, schätze ich. Mann, du denkst, du hast die Beziehung gefunden, dein Endspiel, und dann fliegt dir alles um die Ohren." Vic stahl eine Pommes von Deans Teller. ,,Vermutlich können wir nicht alle das haben, was ihr zwei habt."
Cas lächelte und tätschelte Vics Arm. ,,Das wird schon. Wir werden dir so gut wie möglich helfen, stimmt's, Dean?"
,,Ja", sagte Dean steif. Seine Gedanken wirbelten durcheinander.
Endspiel. Dauerhaft. War das etwas, was er und Cas hatten? Wirklich? Oder war er wie Vic und wartete auf die nächste Hiobsbotschaft?
Vic und Cas führten ihr Gespräch fort, diskutierten Pläne und Vics Zukunft, doch Dean hatte sie ausgeblendet, verloren in seinem eigenen Kampf, der in ihm tobte. Angst zerrte an dem Glücksgefühl in seinem Inneren.
Was würde passieren, sobald Cas von ihm gelangweilt war? Wie würde er damit umgehen? Wäre er in der Lage zu Mädchen zurückzukehren, oder würde er einen anderen Typen finden müssen? Würde irgendjemand ihn je so glücklich machen wie Cas es tat?
Im Verlaufe eines Nachmittages schien alles, was Dean sich für seine Zukunft vorgestellt hatte, vor seinen Augen aus den Fugen zu geraten. Cas würde genug von ihm haben und gehen. Dessen war er sich sicher.
Dann drehte Cas sich um und fing seinen Blick auf. Die Liebe in seinem Gesichtsausdruck war so stark, so echt. Dean fühlte sich wie ein Idiot.
Cas liebte ihn. Cas liebte ihn, und er liebte Cas, und sie waren glücklich.
Sie waren glücklich.
Das musste reichen.
_____
Dean begann mit dem Azrael-Gemälde. Victor verbrachte das Wochenende mit ihnen, wurde betrunken und jammerte wegen Bela herum. Castiel war besorgt, dass Victors Elend auf Dean überging. Sein fester Freund schien größtenteils unruhig in Vics Gegenwart und bedachte seinen Kumpel mit skeptischen Blicken.
Am Samstag waren sie früh aufgestanden. Nun lag Cas geduldig auf einem Stuhl in Pams Shop, während Dean gewissenhaft die henochischen Buchstaben auf seine Brust tätowierte, direkt über seinem Herzen. Dann ließ Cas Dean das Anti-Besessenheits-Symbol darunter hinzufügen.
Danach hielt er Deans Hand, während Pam die Buchstaben seines eigenen Namens in Deans Arm stach, ein wenig unter dem roten Handabdruck.
,,Das sieht verdammt gut aus", sagte Pam freudig, wischte Deans Arm ab und bedeckte das Tattoo. ,,Fast so, als ob ihr zwei Schwachköpfe verheiratet wärt. Mir gefällt's."
,,Mir auch", sagte Cas glücklich und bewunderte sein neues Tattoo im Spiegel.
,,Jetzt zieht euch eure Shirts an, bevor ich eifersüchtig werde!" Sie zwinkerte und ließ sie im Hinterzimmer zurück.
Dean starrte das Tattoo im Spiegel mit düsterem Blick an.
,,Alles okay?", fragte Cas ihn. Dean zuckte leicht zusammen.
,,Ja, mir geht's gut. Mir geht's gut." Dean zog sich sein Shirt über und sammelte seine Sachen ein. ,,Ich gehe zurück. Muss bei Azrael ein wenig weiterkommen."
,,Dean?"
,,Ja?" Dean erstarrte im Türrahmen.
,,Ist alles okay? Du scheinst...verstimmt zu sein. Habe ich etwas falsch gemacht?"
Dean seufzte. ,,Nein, alles ist gut. Auch ich. Ich schwöre."
,,Du würdest es mir sagen, wenn etwas nicht in Ordnung wäre, oder?"
,,Ja, Cas, würde ich." Er verschwand durch die Tür. Cas fühlte, wie sich etwas wie Furcht in seinem Herzen breitmachte. Etwas stimmte nicht. Er konnte nicht genau sagen, was es war, doch irgendetwas stimmte nicht.
Dean wartete nicht auf ihn, hatte aber Pam bezahlt. Als Cas an der Feuerwache ankam, waren die Türen weit aufgerissen und Dean hatte sein Shirt wieder abgelegt. Er stand auf dem Gerüst und war in das Gemälde vertieft. AC/DC dröhnte laut durch das Atelier.
Cas seufzte und beobachtete Dean eine Weile beim Malen, dann verließ er die Feuerwache wieder.
Er drückte die Tür zu Benny's auf, stürmte hinein und ließ sich auf den ersten Hocher plumpsen, zu dem er kam. Benny wischte den Tresen ab, fing aber Cas' Blick auf.
,,Was soll's sein, Kleiner?"
,,Bier – nein, Tequila. Bring mir etwas Tequila."
Benny zog fragend die Augenbrauen hoch, holte aber die Flasche und ein Schnapsglas herbei. ,,Ärger im Paradies?", fragte er und befüllte das Glas.
,,Sag du es mir", grummelte Cas. Er kippte sich den Alkohol hinter und knallte das Glas wieder hin. ,,Mehr."
,,Was is' denn in dich gefahren, Engelsgesicht?"
,,Dean. Dean ist schuld. Jetzt ist er in so einer Stimmung und benimmt sich total verschlossen. Ich weiß nicht, was ich tun soll."
,,Vielleicht mal mit ihm reden?"
,,Er malt."
,,Oh." Benny befüllte das Glas erneut, holte noch eins heraus und goss sich selber ein. ,,Nun, Kleiner, keine Ahnung, was ich dir sag'n soll."
,,Ich verstehe es einfach nicht. Vor ein paar Tagen haben wir auf längere Sicht gesprochen und dann ist Vic mit seiner Leidensgeschichte aufgetaucht. Jetzt benimmt Dean sich total komisch und flippt aus. Es ist, als ob er kalte Füße bekommen hat oder so. Ich möchte es nur wieder in Ordnung bringen." Er trank den Kurzen auf ex, stellte das Glas hin und bedeutete Benny, es wieder zu befüllen. ,,Warum will er nicht mit mir reden? Weiß er denn nicht, dass ich für ihn da bin? Ich würde alles für ihn tun. Und dann sind wir los und haben uns den Namen des anderen tätowieren lassen." Er kippte sich das dritte Glas hinter und genoss das langsame Brennen, welches seinen Hals hinunterfuhr. ,,Irgendwo habe ich es geschafft, das zu versauen."
,,Sieh mal, 's geht mich nichts an, aber 's klingt so, als ob ihr zwei Idioten euch mal unterhalten müsst. Versuch das, bevor du dich verrückt machst, Bursche." Cas sah zu Benny hoch. Der andere Mann lächelte. ,,Red' einfach mit ihm, okay?"
,,Es ist Dean, Benny. Reden ist nicht wirklich seine Stärke." Cas streckte den Arm aus, ergriff die Flasche und goss sich selbst einen vierten Kurzen ein.
,,Keine Ahnung; wenn du ihm keine Chance gibst...", sagte Benny leise und schob die Flasche unter den Tresen.
,,Ich wünschte, Victor wäre im County geblieben", meinte Cas bitter.
,,Nun, erscheint mir jetz' nich' so, als ob Vic hier das Problem is'. Hört sich an, als wär' Dean das Problem." Benny nahm Cas' leeres Glas und wischte den Tresen ab. ,,Red' mit ihm. Klettre dieses Gerüst hoch und setz dich so lange hin, bis er zuhört. Okay?"
Cas nickte. ,,Okay."
_____
Fünf Tage, seit Vic aufgetaucht war und Dean in eine Alles in Frage stellen, von dem er dachte, dass er es eigentlich wusste Phase geschickt hatte. Drei Tage seit dem Tattoo. Drei Tage, seit Cas mit ihm zu reden versucht hatte. Er hatte es zurückgewiesen, erklärt, es ginge ihm hervorragend, und war dann wieder im Malen abgetaucht. Ein Tag, seit Cas einen Grund für seine Distanz verlangt und die Tür seines Zimmers zugeschlagen und verschlossen hatte, als Dean keinen nennen konnte.
In dieser Nacht hatte er nicht geschlafen. Nun stand er auf dem Gerüst und malte, seit mehr als vierundzwanzig Stunden wach. Seine Augen schmerzten und sein Kopf tat weh. Dean war sich sicher, dass er den Verstand verlor.
Farbe spritzte über das Gemälde, als er das Blau an der Vorderseite von Azraels Shirt hinunterschmierte. Es war ein abstrakter Umriss, den er letztendlich zur Krawatte des Engels ausarbeiten würde. Die Polaroids von Cas waren an der Seite der Leinwand angepinnt. Auf mehreren von ihnen war ein wenig blaue Farbe gespritzt.
Das Gemälde pisste ihn an. Er schien nicht den Effekt zu erreichen, den er haben wollte. Nichts passte zusammen. Dean stöhnte und warf seine Palette hin. Er brauchte ein Bier. Dean glitt die Rutschstange hinab und verzog das Gesicht, als seine nackten Füße auf den Beton trafen.
Das war lächerlich. Was zur Hölle war los mit ihm? Er riss die Tür des alten Kühlschrankes in seinem Atelier auf, holte ein Bier hervor und trank es in ein paar Schlucken aus.
,,Was zum Teufel soll das denn sein?", fragte eine tiefe Stimme hinter ihm. Trotz der Sommerhitze im Studio kroch ein starkes Frösteln seine Wirbelsäule hoch, als er sich umdrehte und mit einem gewissen John Winchester konfrontiert wurde.
,,Dad? Was tust du hier?"
,,Wollte meine Söhne sehen. Ist das ein Verbrechen?"
Dean trat gegen eine leere Farbtube auf dem Boden. ,,Als du das letzte Mal hier warst, war das nicht wirklich angenehm für mich, weißt du?"
,,Ich bin gekommen, um Sam zu sehen. Ist er da?"
,,Nein. Nein, er hat ein Date."
,,Mit einem Mädchen?"
Dean verzog das Gesicht. ,,Ja, Dad, mit einem Mädchen. Sarah. Sie ist nett." Er trat von seinem Vater weg, schaltete den Plattenspieler aus und schob die Platte vorsichtig in ihre Hülle zurück. ,,Er kommt später wieder. Aber ich denke nicht, dass du eine wirklich herzliche Begrüßung von ihm bekommst. Er will nichts mit dir zu tun haben."
,,Und wessen Schuld ist das?", knurrte John.
,,Deine", schoss Dean zurück.
,,Nein, du hast ihn gegen mich gewandt."
,,Willst du mich verarschen, Dad?", spottete er. ,,Du hast das selber getan. Du hast ihn verdammt nochmal geschlagen! Und er kam zu mir, weil er wusste, dass er hier sicher sein würde!"
John starrte ihn wütend an. ,,Pass auf, was du sagst, wenn du mit mir redest, Junge. Außerdem habe ich ihn nicht so hart geschlagen. Manchmal braucht ein Junge ein wenig Disziplin."
Dean schüttelte den Kopf und nahm seine Unterlippe zwischen seine Zähne. Es biss kräftig darauf und versuchte den Zorn unter Kontrolle zu bekommen, der durch ihn pulsierte. ,,Disziplin. Das ist eine interessante Art es darzustellen."
,,Ja, nun, vielleicht hätte ich ein wenig mehr an dir anwenden sollen, vielleicht dir ein paar Mal mehr die Leviten lesen sollen. Vielleicht wärst du dann nicht so abgefuckt. Hätte nie gedacht, dass ich mal eine Schwuchtel als Sohn haben würde."
Dean gefror das Blut in den Adern. ,,Wovon redest du?", flüsterte er.
,,Oh komm schon, Dean, ich bin nicht dumm. Du bist irgend so ein herausgeputzter kleiner Künstler und wohnst mit einem anderen Jungen zusammen, der offensichtlich nicht an Mädchen interessiert ist. Ich kann nur vermuten, dass ihr zwei fickt." Seine Augen glitten über Dean und ließen ihn sich nackt fühlen, entblößt. Sein Blick blieb auf dem Tattoo von Mary auf Deans Brust liegen. Ein unlesbarer Ausdruck legte sich auf sein Gesicht. ,,Wenigstens hat Sam den Anstand, ein hübschen Mädchen zu finden."
,,Dad..."
John hob ein paar Farbtuben von Deans Arbeitstisch hoch, während er sich langsam vorwärts bewegte. Dean realisierte, dass er sich in die Ecke drängen lassen hatte, eingezwängt zwischen seinem Vater, der Werkbank und der Wand. Er war komplett eingepfercht.
,,Weißt du, wie enttäuscht sie wäre? Wie angeekelt? Das hat deine Mutter nicht für dich gewollt, Dean."
Ein stechender Schmerz traf seine Brust. ,,Das weißt du nicht", murmelte er mit zu Boden gerichtetem Blick.
,,Doch, tue ich. Ich weiß das. Ich war dort. Ich hielt sie in meinen Armen, während sie dich hielt und all ihre Träume für dich vor sich hin flüsterte. Dass du Engel malst und mit irgendeinem Jungen zusammenlebst, war nie Teil ihres Plans."
Dean senkte beschämt den Kopf. Seine Wangen brannten. Er konnte Tränen in seinen Augen brennen spüren, doch er weigerte sich, sie laufen zu lassen, weigerte sich, seinem Vater auch noch diese Genugtuung zu geben.
,,Warum gehst du dann nicht einfach, wenn du so angewidert von mir bist?", knurrte er bitter.
,,Werde ich. Aber du sagst Sammy, dass ich zurückkomme und er nächstes Mal besser hier ist. Verstanden?"
,,Ja, Dad, ich habe verstanden."
,,Werd' normal, Junge. Deine Mutter würde das nicht für dich wollen. Überhaupt nicht."
John verschwand so plötzlich, wie er gekommen war. Deans Knie gaben nach und er glitt an der Wand herab. Er fühlte sich sogar noch verlorener als vorher.
Dean versuchte sich auf Cas zu fokussieren, doch er konnte nur seinen Vater hören, der ihm sagte, wie enttäuscht seine Mutter sein würde. Seine wunderschöne, perfekte Mutter, die ihn so geliebt hatte, wie es noch nie jemand getan hatte. Er rieb mit der Hand über das Tattoo von ihr und fragte sich, ob sein Vater recht hatte. Ob sie wirklich enttäuscht von ihm wäre, ob sie die Person hassen würde, zu der er geworden war.
John Winchester wusste, wie er ihn dort traf, wo es wehtat, so viel stand fest. Der Schmerz in Deans Brust war fast unerträglich, als die Tränen endlich fielen. Er zog seine Knie an die Brust und vergrub das Gesicht in seiner Armbeuge. Sein ganzer Körper bebte, während er sein Bestes gab, die Schluchzer zurückzuhalten.
Er war ein Versager. Er war ein Versager, und die ganze Welt wusste es.
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