Glocken werden läuten
Dean fuhr den Impala die Auffahrt hoch und schaltete ihn ab. Er saß für eine Weile da, lauschte dem abkühlenden Motor und trat sich gedanklich selbst in den Hintern. Anna würde ihn zur Rede stellen. Und er verdiente es. Er war sich ziemlich sicher, dass er ihr letzte Nacht nicht einmal Tschüss gesagt hatte.
Mit einem Seufzen zog er seine Schlüssel aus der Zündung, drückte die Tür auf und wurde mit einem feuchten Windstoß Schnee in sein Gesicht belohnt.
Igitt, Winter.
Annas Auto stand auf der Straße eng am Bordstein. Er war irgendwie überrascht, dass sie zu Hause war. Normalerweise war sie an einem Sonntagmorgen um diese Zeit in der Kirche.
Dean zog seine Jacke fester um sich herum, senkte das Kinn, rann auf das Haus zu und rutschte leicht auf den Eingangsstufen aus. Er fummelte an den Schlüsseln herum, die Hände von der Kälte durchgefroren, und war dankbar für die Wärme des kleinen Hauses, als er es endlich schaffte, hineinzukommen.
,,Anna?", rief er und klopfte den Schnee von seinen Stiefeln. ,,Ich bin zu Hause."
,,Hier drin", rief sie aus der Küche.
Er öffnete die Schranktür, zog seine Jacke aus und griff nach einem Bügel. Dean schloss die Tür und ging in die Küche. ,,Es tut mir leid wegen letzter Nacht, aber Sam war nicht in der Verfassung, um-"
Er stoppte im Türrahmen.
Anna saß am Tisch, die schlanken Finger um eine Tasse Tee geschlungen. Zu ihrer Linken saß ihre Schwester Hester mit einer eigenen Tasse Tee. Sie starrte Dean von oben herab an, die eisblauen Augen verengt.
,,Ähm, hey", sagte er, griff hoch und kratzte sich am Nacken. ,,Ich, äh, ich wusste nicht, dass du Gesellschaft hast."
,,Macht nichts", sagte Anna leise, ohne ihn anzublicken. Sie sah für einen Moment zu Hester. Zwischen den beiden wurde mit nur einem Blick mysteriöse Schwestern-Kommunikation ausgetauscht. Dann schob sie sich vom Tisch weg, stand auf und bot Dean ihre Hand an.
,,Kommst du bitte mit mir ins Schlafzimmer?"
Dean rutschte das Herz in die Hose und er wurde mit einem plötzlichen Rausch an Furcht erfüllt. Trotzdem nahm er ihre Hand und folgte ihr aus der Küche raus.
In dem Moment sah er die beiden Koffer inmitten des Wohnzimmers.
Er erstarrte. Seine Füße waren am Boden festgeklebt, der Blick auf die Taschen gerichtet.
,,Anna? Was läuft hier?", fragte er beklommen und zog seine Hand aus ihrer.
Sie seufzte schwer. Ihre Augen folgten seinem starren Blick zu den Koffern. ,,Komm einfach mit ins Schlafzimmer, damit ich unter vier Augen mit dir reden kann. Bitte?"
Dean konnte sich nicht bewegen. Sein Herz hämmerte gegen seine Brust, schlug so sehr, dass es tatsächlich wehtat.
,,Anna? Ist alles okay?" Hester erschien um die Ecke und streckte den Arm aus, um eine Hand auf Annas Schulter zu legen.
,,Alles gut. Dean und ich müssen reden. Allein."
,,Okay. Ich werde dann einfach im Auto warten."
Während seine Füße immer noch fest im Boden verwurzelt waren, sah Dean mit distanziertem Interesse zu, wie Hester ihren Mantel anzog und sich bückte, um den größeren der beiden Koffer vom Boden zu heben. Ein Schaudern rann durch seinen Körper, als er schließlich zu begreifen schien, was zur Hölle vor sich ging.
,,Du gehst", krächzte er. Es war eine Feststellung, keine Frage. ,,Du verlässt mich."
Anna seufzte erneut, trat ins Wohnzimmer und ließ sich auf das Sofa sinken. Seine Augen folgten ihr, und nicht zum ersten Mal dachte er, dass sie schön war. Elegant, graziös, lange und wohlgeformte Beine, perfekte, helle Haut, und diese umwerfenden, roten Haare, mit denen er viele Nächte gespielt hatte, während sie schlief.
Er hatte sich oft gedacht, dass sie genug sein müsste, um seine Muse wieder aufzuwecken. Anna hätte einen wunderschönen Engel abgegeben. Er hätte sie als Anael gemalt, mit einem dunkelgrünen Umhang und einem Engelsschwert. Eine weibliche Kriegerin, eine Anführerin einer Garnison.
Als ob er es geahnt hätte, fiel sein Blick auf Painted Angels, das harmlos auf dem Beistelltisch lag. Seine Hände begannen zu zittern. Dean stolperte zwei Schritte zurück, sein Kopf drehte sich.
Nein.
Das geschah nicht wirklich. Tat es nicht.
,,Dean?" Annas Stimme drang von irgendeinem weit entfernten Ort zu ihm durch, als er noch zwei Schritte zurück stolperte, rückwärts zum Flur, bis sein Rücken Kontakt mit der Wand machte. Seine Knie gaben nach. Schwarze Flecken tanzten vor seinen Augen, als er die Wand herunterrutschte. Das geschah nicht wirklich. Er hatte seine Wahl getroffen, er hatte sie gewählt.
,,Dean!"
Er zog seine Knie an die Brust und vergrub das Gesicht in den Händen. Einen Moment später fühlte er Annas Hände auf ihm. Ihre Stimme flüsterte sanft seinen Namen. Die Panik wurde beiseite gewischt, als eine Welle von Ärger in ihm aufwallte. Er stieß sie weg, ließ sie nach hinten taumeln.
,,Hat sie dich dazu verleitet?", zischte er. ,,Hat die beschissene Hester dir gesagt, dass du mich verlassen sollst? Ist es das, was hier abläuft? Gibst du deiner Familie endlich, was sie wollen?"
Anna verengte die Augen und zwang ihn zum Wegsehen. ,,Nein. Sie haben damit nichts zu tun." Sie schnaubte. Der ganze Zorn verließ ihr Gesicht, als sie sich ihm gegenüber setzte und die jeansbedeckten Beine unter sich faltete. ,,Dean. Lass uns ehrlich sein, das funktioniert jetzt schon seit einer Weile nicht mehr."
Er schüttelte den Kopf und zog seine Beine enger an sich heran. ,,Es war gut, Anna."
,,Genau. Es war gut. Aber es sollte besser als gut sein." Anna atmete erschöpft aus und rutschte mit ihrem Körper so lange hin und her, bis sie mit dem Rücken zur Wand neben ihm saß. Sie griff nach seiner Hand, bedeckte sie mit ihren beiden, und legte ihren Kopf auf seine Schulter.
Der Ärger war verschwunden, genauso schnell ausgebrannt, wie er gekommen war. Nun wurde er mit einer distanzierten Akzeptanz ersetzt. Dean konnte dagegen nicht ankämpfen. Ihre Taschen waren gepackt und sie ging.
Er fühlte sich so unglaublich müde.
,,Die Dinge haben sich seit der Buchsignierung angespannt. Du bist nicht glücklich, obwohl ich mir nicht sicher bin, ob du es je wirklich warst. Dein Verhalten, besonders als wir im Sotto Sopra waren, war einfach so...instabil. Und ich möchte nicht die Person sein, mit der du dich zufriedengibst, Dean. Ich verdiene es, mit jemandem zusammen zu sein, der mich zu 100% liebt. Und der mit mir zusammen sein will, nur mit mir. Jemand, der nicht den ganzen Keller voller dunkler Geheimnisse hat. Die Sache ist, dass ich es hätte sehen müssen. Du willst die Feuerwache nicht verkaufen. Es ist, als ob du sehr entschlossen wärst, dieses Leben hinter dir zu lassen, dich aber vom größten Teil davon nicht trennen willst."
Dean fühlte sich betäubt. Mit ihren Fingern fuhr sie auf seiner Hand Muster nach, doch es war so, als ob seine Nerven gestorben waren. Er wusste, dass sie es tat, aber er konnte es nicht fühlen. Er konnte überhaupt nichts fühlen.
,,Sam ist nicht besser, weißt du? Auch er will die Vergangenheit nicht loslassen. Ihr steckt beide fest, wartet auf etwas...wartet auf Cas? Ich weiß es nicht." Für eine Weile war sie still, während sie sanft seine Hand streichelte. ,,Also, ja, ich gehe. Denn ich tue das lieber jetzt als durch den Alptraum einer Scheidung zu müssen, wenn es eventuell auseinanderbricht. Das wird es nämlich. Und du und ich wissen das beide. Ich beginne den Urlaub, den ich ein paar Tage vor der Hochzeit genommen hätte. Ich werde bei Hester bleiben. Du wirst deine Sachen packen und vor dem Ersten des Jahren ausziehen."
Anna setzte sich auf und rutschte so lange hin und her, bis sie vor ihm kniete. Sie zog seine beiden Hände an ihre Brust.
,,Dean? Siehst du mich bitte an?"
Er sah in ihre Augen. Sie waren so schön, geweitet und besorgt, und so unglaublich ehrlich. Er war betäubt, doch nicht taub genug, und es tat weh.
,,Die Wahrheit ist, Dean, dass ich dich immer noch liebe. Ich liebe dich so sehr, dass es schmerzt. Aber du bist nicht glücklich. Nicht wirklich. Du bist gut darin, es zu verstecken, doch das ist nicht gesund und kein guter Weg, eine Hochzeit anzufangen. Also lasse ich dich gehen. Denn ich liebe dich genug, dass ich will, dass du das findest, was dich glücklich macht, dass du liebst und zurückgeliebt wirst. Das möchte ich für dich. Selbst wenn..." In Annas Augen traten Tränen, als sie seine Hand nach oben drehte, etwas Kaltes und Metallenes in seine Handfläche legte und Deans Finger darum schloss. ,,Selbst wenn es nicht mit mir ist."
Sie lehnte sich vor, küsste ihn sanft und fuhr ihm mit der Hand durchs Haar.
Er sah ihr distanziert und unfokussiert beim Gehen zu, bevor sie ihren Mantel anzog und den anderen Koffer hochhob.
Die schließende Tür hinter Anna sagte alles. Als er seine Hand öffnete und ihren Ring fand, registrierte er endlich.
Es war vorbei.
Er hatte versagt.
Schon wieder.
Dean saß für lange, lange Zeit auf dem Boden und bewegte sich nicht.
_____
Dezember, 2000
Ungefähr eine Woche vor Weihnachten drängten sich Dean, Sam und Cas auf die Vordersitze von Bennys schwarzem F-150 und fuhren nach Norden, zirka dreißig Minuten aus der Stadt raus, zu einer Baumschule in Middletown, nicht allzu weit von Cas' Elternhaus entfernt.
Cas war von Dean und seinem zügellosen Weihnachtsenthusiasmus amüsiert. Er und Sam hatten nie wirklich ein richtiges Weihnachten gehabt, und Dean war entschlossen, Sam einen bilderbuchperfekten Feiertag zu geben – vom Baum und dem Schmuck über die Dutzenden von Cookies, die er gebacken und eingefroren hatte bis hin zu den Tausenden von Weihnachtslichtern, die an jeder verfügbaren Oberfläche in der Feuerwache hingen. Er hatte sogar eine Reihe Eiszapfenlichter um das Loch der Rutschstange gelegt.
Raphael war fertig, und bis er Gabriel anfing, hatte Dean seine freie Zeit genutzt, die Feuerwache in ein einziges Weihnachtsland zu verwandeln.
Zep und Metallica waren von Sinatra und Andy Williams ersetzt worden. Im ganzen Gebäude roch es nach Cookies und Kiefern-Duftkerzen. Neben den Lichtern, die überall drapiert worden waren, lagen Lametta und Kränze über verschiedene Flächen verteilt. Auch Mistelzweige hingen an strategischen Orten.
Nicht, dass Dean jemals auf eine Entschuldigung wartete, Castiel zu küssen.
Heute trug sein fester Freund einen roten Pullover mit weißen Kiefern und einem Rentier darauf, und eine violette Ravens-Weihnachtsmannmütze. Dean lächelte, zwischen Benny und Cas gequetscht, und heulte schief Weihnachtslieder in Bennys Ohr, während sie die I-83 entlangfuhren.
Der bärtige Mann schlug ihn immer wieder und schob ihn zu seiner Seite der Bank zurück. Daraufhin beschwerte sich Sam, dass er jedes Mal, wenn sein Bruder zurückgeschoben wurde, gegen die Tür und Cas' knochige Hüfte gedrückt werde.
Sam war der Erste, der draußen war, nachdem Benny den Truck geparkt hatte. Er brummelte immer noch vor sich hin, dass er von Anfang an da drinnen zerdrückt worden war. Cas glitt nach ihm heraus und streckte die Arme über den Kopf, während er auf Dean wartete. Dann gingen die vier auf die Bäume zu.
Cas lernte sehr schnell, dass Dean ein fast unerträglicher Perfektionist war, zumindest wenn es darum ging, die perfekte Kiefer auszusuchen. Benny hatte seinen eigenen Baum innerhalb von zwanzig Minuten ausgewählt. Dean hingegen ging von Baum zu Baum.
,,Zu klein. Zu dürr. Zu hässlich." Dean inspizierte alle Bäume einer Reihe und ließ immer wieder schnell von ihnen ab.
,,Was is' mit dem, Bruder? Der is' schön."
,,Nicht grün genug."
,,Der hier?", fragte Cas ihn.
,,Riecht nicht genug nach Kiefer."
,,Ich hab einen gefunden!", schrie Sam.
,,Schief."
Benny zeigte auf einen anderen.
,,Verdammt komische Nadeln, sieht wie einer von Star Treck aus."
,,Hier ist eine schöne Blautanne."
,,Warum ist da gelbe Scheiße drauf?"
,,Ich mag den hier, Dean." Sam deutete auf eine hübsche, große Balsam-Tanne. Dean musterte sie.
,,Ja, die ist gut." Er sah genauer hin. ,,Jedoch ist da ein Vogelnest drin. Flop."
,,Wir könnten es rausnehmen", grummelte sein Bruder. Sam deutete auf den Baum daneben. ,,Was ist mit dem? Der ist schick."
,,Der ist auf einer Seite platt."
Mit schnell hitzig werdendem Gesichtsausdruck zeigte Sam auf einen weiteren Baum. ,,Dann der da."
,,Der sieht wie Ron Jeremys Schwanz aus, und jedes Mal, wenn ich ihn sehe, werde ich nicht in der Lage sein, mit dem Lachen aufzuhören."
,,Woher willst du das wissen?", sagte Sam herausfordernd.
,,Alter, ich weiß das."
,,Du bist so schwul, Dean."
,,Niemand hat dich gefragt, Bigfoot!"
Sam und Cas wurden immer genervter von Dean, als jeder Baum, den sie für geeignet erachteten, kurzerhand abgelehnt wurde. Dean führte sie durch die Baumreihen und murmelte vor sich hin, während er jeden inspizierte.
,,Ernsthaft, diese Künstler-Typen", grummelte Benny, als sie eine weitere Baumreihe entlangliefen.
,,Dean, vielleicht sollten wir einfach den nehmen, der weitestgehend okay ist?"
,,Nein, Cas, er muss perfekt sein."
Sam warf frustriert die Hände hoch. ,,Schön! Du wählst ihn aus. Ich werde mir etwas Apfelwein holen." Mit steifen Bewegungen ging er die andere Reihe entlang fort.
,,Ich denk', ich werd' mir auch Apfelwein holen. Wir warten auf euch zwei in der Nähe der Kasse, ok?" Glücklich verschwand Benny hinter Sam.
Dean streckte den Arm aus und berührte den Baum, der ihm am nächsten war. Ein nachdenklicher Ausdruck legte sich auf sein Gesicht, als er Sam und Benny beim Davongehen beobachtete. ,,Ich bin eine Nervensäge, nicht wahr?"
,,Ein wenig. Warum ist dir das überhaupt so wichtig?"
Ein schwermütiger Blick trat in seine Augen. Er sah von Cas weg, die Baumreihe hinab. ,,Sammy und ich hatten noch nie zuvor ein richtiges Weihnachten. Vic und ich haben früher einen kleinen Baum aufgestellt, aber ich hatte nie – und ich wollte einfach..." Er sah auf seine behandschuhten Hände hinab. Seine Wangen waren durch die Kälte und einen kleinen Touch von Scham rosa gefärbt. ,,Es ist unser erstes zusammen", sagte er leise, ,,und ich will nur, dass es perfekt wird."
Cas lächelte und zog Dean in seine Arme. ,,Wir sind zusammen. Sam ist hier und gesund, er macht sich super in der Schule, du hast Raphael vor Weihnachten fertiggestellt, genau wie du es wolltest. Es ist bereits perfekt. Der Baum wird das Erlebnis nur verbessern. Außerdem, sobald du ihn mit Lichtern und Schmuck und Lametta bedeckst, wird sowieso niemand in der Lage sein zu sagen, wie er aussieht."
Dean lächelte und lehnte sich vor, um ihn zu küssen. Seine Lippen waren kalt gegen seine eigenen. ,,Du hast recht, weißt du?"
,,Das weiß ich. Habe ich nicht immer recht?"
,,Ja, mehr oder weniger." Dean küsste ihn erneut, hielt ihn fest an sich gedrückt. ,,Lass uns einfach einen zusammen aussuchen, bevor Benny uns hierlässt."
,,Er wird dich hierlassen. Sam und ich werden keine Probleme haben."
,,Klugscheißer." Dean nahm Cas' Hand in seine und führte ihn die Reihe zurück. ,,Der, den Sam uns gezeigt hat, war ziemlich gut", sagte er. ,,Schätze, den können wir nehmen."
Sie fällten ihren Baum und zerrten ihn rüber zur Kasse, wo Benny und Sam beide mit den Mädchen flirteten, die dort arbeiteten. Cas sah amüsiert zu, wie eine hübsche Jugendliche mit langen, dunklen Haaren ihre Nummer auf Sams Hand schrieb, während Dean den Baum bezahlte.
,,Hey." Er stieß Dean leicht an.
,,Was?"
,,Guck dir dein Brüderchen an."
Deans Blick folgte Cas' dorthin, wo Sam und das Mädchen standen. Seine große Hand lag in ihrer winzigen, als sie die Zahlen auf seine Haut schrieb. ,,Nun sieh mal einer an."
,,Blamier ihn nicht, Dean."
,,Würde ich so etwas etwa tun?"
,,Ja. Tu's nicht."
Er öffnete den Mund und Cas boxte ihm leicht in den Bauch. Dean grinste. ,,Ach, es ist Weihnachten. Ich werde mich nicht einmischen. Dieses Mal." Er beende seine Zahlung für den Baum und rief dann in Sams Richtung: ,,Komm schon, ich bin endlich fertig. Lass uns fahren!"
Sam lächelte das Mädchen entschuldigend an. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Seine Wangen färbten sich sofort rot und er fuhr sich verlegen mit einer Hand durch sein Haar. Das Mädchen warf ihm einen frechen, kurzen Blick zu, bevor sie sich umdrehte und davonging.
Benny hatte bereits beide Bäume verladen, als Sam sie einholte. Er starrte verwundert auf die Zahlen auf seiner Hand und errötete wieder.
,,Awwwww." Dean grinste. Sam wurde sogar noch röter.
,,Halt die Klappe", sagte er gereizt, versuchte, und scheiterte, ein Lächeln zu verbergen.
,,Wie heißt sie?", fragte Cas.
,,Sarah", antwortete er verträumt. ,,Sie trug einen Hopkins-Hoodie. Sie wird dort nächstes Jahr auch ein Studienanfänger sein."
Dean gluckste. Benny und Cas stießen ihm beide einen Ellbogen in die Rippen, als er sich im Truck zwischen sie setzte.
Sam bemerkte es nicht. ,,Ich brauche ein Auto", sagte er plötzlich, ,,und einen Job."
,,Nun, wir werden sehen, was wir wegen des Autos tun können", sagte Dean. ,,Vielleicht können wir für dich ein verbilligtes Haus finden."
,,Wirklich?"
,,Ja, wirklich."
,,Cool."
,,Und Ellen braucht noch einen Kellner. Hat sie mir gestern Abend gesagt. Jo arbeitet zu hart, bekommt ihr Studium nicht gebacken", fügte Benny hinzu.
,,Na bitte. Besuch Ellen, wenn wir zu Hause sind."
Sam nickte und starrte aus dem Fenster. Er dachte zweifellos an die reizende Sarah.
Dan verschränkte seine Finger mit Cas' und lehnte sich so weit rüber, dass er den Kopf auf seine Schulter legen konnte. ,,Das war lustig", sagte er leise.
Castiel nickte, küsste Deans Stirn und machte es sich für die Fahrt zurück in die Stadt bequem.
_____
Weihnachten brach kalt an. Dean war sich sicher, dass er seinen eigenen Atem sehen konnte, als er an diesem Morgen erwachte. Gottverdammte Feuerwache und ihr bescheuerter, uralter Boiler. Er musste sich wirklich darum kümmern.
Draußen fiel weicher Schnee, das Licht in Cas' Schlafzimmer war grau. Nach einem Blick auf seine Uhr entschied er, dass 6 Uhr früh es nicht wert war. Also vergrub er sich wieder unter den Decken und zog sie über seinen und Cas' Kopf. Er schlang einen Arm um die Taille des anderen Mannes und rückte so nah zu ihm heran wie es ging. Cas' Haare kitzelten an seiner Nase.
Nein, er würde in absehbarer Zukunft nicht aufstehen.
Mit einem leisen Grunzen wand und bewegte sich Cas, bis er Brust an Brust mit Dean lag, den Kopf unter sein Kinn geklemmt. ,,Kalt", brummelte er und schlang einen Arm um Deans Taille.
Dean zog ihn näher zu sich heran. ,,Schon okay, Baby, ich halte dich warm."
,,Mhh. Lieb dich", murmelte er, entspannte sich und glitt in den Schlaf zurück.
Eine Welle aus Wärme breitete sich in Deans Körper aus, besser als alles, was sich der Ofen je erhoffte, anbieten zu können.
Cas liebte ihn. Er liebte ihn. Leute sagten nichts, was sie nicht auch so meinten, wenn sie im Halbschlaf waren. Cas liebte ihn. Niemand außer Ellen und seiner Mutter hatte das jemals zuvor zu ihm gesagt.
Jap, es gab keine Möglichkeit, dass er jetzt in der Lage wäre, wieder einzuschlafen.
Er wollte es Cas noch einmal sagen hören, aber er wollte ihn nicht aufwecken. Dean drückte Cas einen Kuss auf den Kopf und fuhr ihm mit den Fingern durch das weiche Haar an seinem Nacken.
Jemand liebte ihn.
Cas liebte ihn.
Scheiße, das erwies sich als das beste Weihnachten, das er je gehabt hatte, und es hatte noch nicht einmal richtig angefangen.
Cas liebte ihn.
Dean wollte lachen, wollte singen, wollte Cas auf den Rücken drehen und ihn mit Küssen bedecken.
Cas liebte ihn.
Jetzt war er ruhelos. Er wollte aufstehen, vielleicht Frühstück machen, doch auf gar keinen Fall würde er aus dem Bett steigen. Nicht, wenn er Cas hatte, der warm und gemütlich in seinen Armen lag. Sein Herz schwoll mit der Erinnerung an Cas' Worte an.
,,Warum bewegst du dich so viel?", fragte Cas irritiert. Seine Stimme wurde von Deans Brust gedämpft.
,,Ich bin glücklich." Dean lächelte.
,,Weil Weihnachten ist?"
,,Wegen dir. Du bist unglaublich, weißt du das?"
Cas stützte sich auf und blinzelte ihn mit blauen Augen verschlafen an. ,,Was hab ich getan?"
,,Du hast gesagt, du liebst mich."
,,Oh. Ist das alles?" Cas schmiegte sich wieder an Deans Seite.
,,Ist das alles?", spuckte Dean aus. ,,Alter, du hast gesagt, du liebst mich!"
,,Naja, tue ich. Können wir jetzt weiterschlafen? Es ist zu früh."
Dean lachte. ,,Du mürrischer Engel des Donnerstags, du sagst das zu mir und willst weiterschlafen? Weißt du nicht, was für eine große Sache das ist?"
Cas stützte sich wieder auf. Er lächelte und beugte sich vor, um Deans Nase zu küssen. ,,Es ist eine große Sache. Tut mir leid. Aber ich tue es, weißt du? Ich liebe dich."
,,Weißt du was? Ich liebe dich auch. Ich... Keine Ahnung, ich dachte, es müsste irgendeine große Sache sein, wenn man das jemandem sagt."
,,Ach Quatsch. Verliebt zu sein muss keine Seifenoper sein. Ich liebe dich, du liebst mich, das ist gut genug, stimmt's?"
,,Mehr als gut genug. Ich bin nur irgendwie immer noch...nicht baff, aber..."
,,Überwältigt?", fragte Cas wissend.
,,Ja." Dean zog Cas zu sich heran und brachte ihre Lippen zusammen. ,,Überwältigt", flüsterte er, als sie sich trennten. ,,Das ist ein treffendes Wort dafür."
Cas drückte Dean flach auf seinen Rücken und bedeckte ihn mit seinem Körper. Seine Hände glitten unter sein Shirt. ,,Ich kenne andere Arten, dich zu überwältigen, Hübscher."
,,Ja?"
,,Ja."
Es klopfte an der Tür. ,,Hey Jungs, seid ihr wach?", flüsterte Sam laut durch die geschlossene Tür.
,,Nein", stöhnte Dean. ,,Nee. Nicht wach. Überhaupt nicht."
Sam stieß die Tür auf. ,,Wenigstens bekleidet?"
,,Größenteils", grummelte Dean, als Cas von ihm herunterrollte und sich im Bett aufsetzte. ,,Warum?"
,,Ich glaube, der Boiler ist kaputt. Ich habe die Temperatur hochgedreht, aber es passiert nichts. Und ich friere."
,,Argh, dieses dumme Stück alter, beschissener, unzuverlässiger, abscheulicher Scheiße!"
,,Sag uns, wie du dich wirklich fühlst, Babe", witzelte Cas und streckte den Arm nach dem Hoodie aus, der über dem Bettende hing. ,,Komm schon, steh auf und lass deinen Zauber wirken. Ich setzte den Kaffee auf. Sam wird mir beim Frühstück machen helfen."
,,Jap, werde ich", sagte Sam erfreut und verließ das Zimmer.
,,Verdammt!", jammerte Dean.
,,Hey." Cas beugte sich zu ihm herunter und küsste ihn. ,,Ich liebe dich."
Dean grinste. ,,Ich dich auch", murmelte er an Cas' Lippen. ,,Fröhliche Weihnachten."
,,Dir auch fröhliche Weihnachten."
Zwei Stunden später funktionierte der Boiler wieder. Dean war frisch geduscht und angezogen und alle drei öffneten ihre Geschenke.
Sam bewunderte die neue Uhr, die er von Cas bekommen hatte, und die antiken Jules Verne Bücher, die Dean ihm gekauft hatte. Er saß in einem der Fernsehsessel, ein langes Bein über die Armlehne gestreckt, während er vorsichtig durch die Seiten von 20.000 Meilen unter dem Meer blätterte. Außerdem trug er den neuen Hopkins-Hoodie, den Michael ihm geschickt hatte.
Cas sah das Buch über Engel durch, welches Dean ihm neben dem Led Zeppelin Shirt, das über seinen Beinen lag, besorgt hatte. Ein paar neue CDs waren auf dem Kaffeetisch aufgestapelt. Er sah hoch, begegnete Deans Blick, lächelte und formte Ich liebe dich mit seinen Lippen.
Deans Wangen erhitzten sich, doch er grinste und sah auf die Lederjacke in seinem Schoß hinab. Es war rotbraunes Leder, überall Taschen und Riemen. Sie passte ihm, als ob sie für ihn gemacht worden wäre. Er liebte sie jetzt schon und konnte es nicht erwarten sie zu tragen, wenn sie zum Abendessen zu Ellen's gingen. Dean hatte auch ein schönes Set neuer Pinsel von Sam bekommen.
Cas legte seine Geschenke auf den Kaffeetisch, stand auf, streckte sich und verschwand dann für eine Minute in seinem Zimmer. Als er zurückkam, hielt er ein langes und unförmiges Objekt in den Armen, das von einem Tuch bedeckt wurde. Er legte es auf den Kaffeetisch.
Sam lächelte ihn wissend an, als Cas sich neben Dean auf die Couch setzte. ,,Ich habe noch eine weitere Sache für dich, Dean. Sie ist darunter." Er lächelte und deutete auf das Tuch.
,,Okay." Dean streckte den Arm danach aus und zog es behutsam herunter.
Die ganze Luft verließ seine Lungen.
Er beugte sich vor, seine Finger geisterten über das lackierte Holz und zupften leicht an den Saiten. Seine Augen füllten sich mit Tränen.
,,Wie?", krächzte er.
,,Gabriel kennt einen Mann, der sie repariert. Ich weiß, was sie dir bedeutet, und ich konnte den Gedanken nicht ertragen, dass du sie nicht mehr hast."
Dean hob die Gitarre hoch. Seine Finger strichen liebevoll über die Stelle am Hals, wo die Gitarre kaputt gegangen war. ,,Du hast sie reparieren lassen. Du hast die Gitarre meiner Mutter repariert", flüsterte er. Die Worte kamen durch den Kloß in seinem Hals ins Stocken. ,,Gott, Cas, das ist einfach, das ist einfach... Danke. Vielen Dank." Er spielte ein paar Töne an und stimmte sie vorsichtig. ,,Ich kann nicht mal... Ich meine, ich kann gar nicht sagen, wie viel mir das bedeutet. Gott, Cas. Ich liebe dich", sagte er und legte die Gitarre auf den Tisch zurück, bevor er sich in Cas' Arme warf.
,,Ich dich auch", murmelte Cas und erwiderte die Umarmung.
_____
Weihnachten war wunderbar, entspannend und angenehm, eingehüllt von der Wärme der Familie, die er ausgesucht hatte. Cas wurde von jedem mit Geschenken überhäuft. Im Roadhouse schoben sie für ein großes Gruppenabendessen die Tische zusammen.
Benny hatte mehrere Pekannusskuchen und einen großen Topf voll Gumbo gemacht. Ellen und Bobby stellten Schinken, Kürbiskuchen und Brötchen bereit. Tessa und Pamela brachten Kartoffel- und Krautsalat mit, Rufus Johnnie Walker und Blattkohl, Andy und Ash Süßkartoffeln und einen ordentlichen Rausch.
Dean stellte Cookies bereit und Cas machte Apfelkuchen.
Alle lachten und hauten rein, dann holte Dean seine neu reparierte Gitarre hervor und sie sangen Weihnachtslieder. Rufus kramte Dreideln und Schokomünzen hervor und brachte ihnen das Spiel bei.
Als Sam, Dean und Cas zurück zur Feuerwache liefen, waren sie alle aufgewärmt und satt. Dean war vom Johnnie Walker leicht angetrunken. Sie wünschten Sam Gute Nacht und Fröhliche Weihnachten, und gingen auf Cas' Zimmer.
,,Hey, hast du dein Engelbuch mit reingebracht?"
,,Ja, hier ist es." Cas reichte es ihm. ,,Warum?"
,,Ich muss dir darin etwas zeigen." Dean warf seine Jeans auf den Boden, zog seinen roten Weihnachtspullover aus, warf diesen auch zu Boden und krabbelte in seinen Boxern und einem schwarzen T-Shirt ins Bett.
,,Komm her, sieh mal."
Cas zog sich bis auf sein T-Shirt und seine Boxers aus, kroch neben Dean hinein und kuschelte sich an ihn.
Dean hatte das Buch bei einem Gemälde geöffnet, das offensichtlich im Mittelalter gezeichnet worden war. ,,Also da ist diese Geschichte über einen Mann, der seinen Bruder liebte. Er liebte seinen Bruder so sehr, dass er, als sein Bruder starb, nun, ermordet wurde, seine Seele an Lucifer verkaufte und das Leben seines Bruders für seinen Platz im Himmel eintauschte. Er wurde in die Hölle geschleppt, aber sein Bruder lebte. Sie nannten ihn den Rechtschaffenen Mann."
Das Gemälde stellte einen Mann dar, der flehend die Hände erhoben hatte, von Flammen umgeben. Ein Engel griff nach ihm, klammerte seine Hände fest um den Arm des Mannes.
,,Weil er rechtschaffen war", las Dean vor, ,,und seine Seele für das Leben seines Bruders eingetauscht hatte, befahl Gott, dass er aus der Verdammnis gerettet werden sollte. Er sandte seine Engel aus, um die Seele des Rechtschaffenen Mannes zu befreien. Der Kampf war erbittert, die Engel wurden an jeder Ecke von den Dämonen der Hölle zurückgedrängt, doch am Ende war ein tapferer und grimmiger Seraph siegreich. Er trug die Seele des Rechtschaffenen Mannes in Sicherheit." Dean lächelte. ,,Lies den Namen des Engels", sagte er und deutete auf die Beschreibung unter dem Gemälde.
,,Castiel, Engel des Donnerstags", las Cas ungläubig vor. ,,Wow", flüsterte er.
,,Erinnerst du dich an den Tag, als wir auf dem Gerüst rumgemacht haben?"
,,Ja, ich habe Farbe auf deinen..." Cas' Augen weiteten sich, als er vom Gemälde zu Deans Arm sah. ,,...auf deinen Arm geschmiert. Auf deinen linken Arm. Genau wie auf dem Gemälde." Er schüttelte den Kopf. ,,Oh, das ist verrückt. Cas ist... Das ist unglaublich."
,,Das dachte ich auch", sagte Dean und legte das Buch auf den Nachttisch. ,,Deswegen, du weißt schon, deswegen hat es...etwas in mir bewegt." Er kratzte sich am Kopf. ,,Als wir hochgegangen sind um zu duschen, bin ich in mein Zimmer gelaufen und habe ein paar Fotos davon gemacht. Es schien nicht einfach nur wie ein Zufall, es hat sich wie... Es hat sich wie Schicksal angefühlt." Dean holte tief Luft. ,,Also habe ich gestern Pam besucht. Und sie machte mir das."
Dean setzte sich im Bett auf und zog sein Shirt aus. Auf seinem linken Arm war ein perfekter Handabdruck in roter Tinte.
Cas' Handabdruck.
,,Fröhliche Weihnachten, Cas", sagte Dean sanft.
,,Oh", stieß Cas aus. Er streckte seine Hand aus und legte sie geistesabwesend auf das Mal auf Deans Arm. ,,Oh", sagte er erneut, komplett mit Emotionen überwältigt.
,,Ich liebe dich, Cas. Ich liebe dich so sehr."
Ihm fehlten die Worte. Er konnte einzig und allein auf den perfekten Umriss seines eigenen Handabdrucks auf Deans Arm starren.
,,Du hast mich gerettet. Weißt du das? Du hast mich gerettet", sagte Dean sanft, hauchte die Worte in Cas' Haut, während er kleine Küsse auf seinen Hals drückte. ,,Ich liebe dich", sagte er erneut. ,,Ich liebe dich, ich liebe dich, ich liebe dich."
Endlich kam Bewegung in ihn. Er drehte sich, drückte Dean auf das Bett hinab und setzte sich rittlings auf ihn. ,,Ich liebe dich auch, Dean, ich liebe dich so unglaublich." Cas lehnte sich hinunter und küsste ihn hart, ließ ihm keine Zeit zum Atmen. Seine Hand griff vorsichtig um das frische Tattoo. ,,Und heute Nacht, Baby, werde ich dir zeigen, wie sehr ich dich doch liebe."
In dieser Nacht brauchten sie keinen Boiler, um sich warm zu halten.
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