Fallen
Die Luft in der Feuerwache war kalt, doch Dean war warm. Da waren Arme um ihn geschlungen, Haare kitzelten an seiner Nase, nackte Haut presste sich gegen seine eigene. Langsam kam er zu Sinnen und seine Erinnerungen kamen tröpfchenweise wieder. Der Geruch von Cas stieg in seine Nase. Dean bewegte sich genug, um zu dem Mann in seinen Armen hinabzublicken.
Cas schlief noch. Sein Kopf war in Deans Schulter gedrückt und seine dunklen Haare standen in jede Richtung ab. Sein Gesicht war friedlich, der pinke Mund leicht geöffnet und die Atemzüge langsam und tief. Für eine Weile vergaß Dean die Vergangenheit und lebte ausschließlich in diesem Moment. Keine Zeit war vergangen und ihre Wege hatten sich nie getrennt.
Die Realität setzte allmählich ein, als Dean darüber nachdachte, was mit seinem festen Klumpen Angst in seinem Magen passiert war. Die Dinge waren für ihn nie so leicht. Nie. Er konnte nicht so glücklich sein, ohne einen Preis dafür zu bezahlen.
Und war er glücklich? In der Feuerwache mit Cas aufzuwachen, der gegen ihn gepresst war? War das etwas, das ihn glücklich machte?
Ja, entschied er, doch es machte ihn auch quälend vorsichtig. Die Tatsache, wie schnell Dinge sich änderten, brach durch seine wachsende Zufriedenheit. Es war nicht einmal zwei Wochen her, seit Anna ihre Verlobung beendet hatte. Es war zu früh, es war zu einfach, und während er so dalag, steigerte Dean sich kontinuierlich in eine Panikattacke hinein. Seine Emotionen und Gedanken gerieten außer Kontrolle, als er den Fokus verlor. Er konnte das leichte Zittern in seinen Armen und Beinen beginnen spüren.
Nicht jetzt, dachte er, nicht während er hier mit mir im Bett liegt. Nicht jetzt.
Dean hatte sich größtenteils von dem Holzbrett erholt, das sein Vater ihm gegen die Kopfseite geschlagen hatte. Allerdings wusste er, dass er anders war, verdammt, Sam hatte das deutlich genug gemacht. Manchmal starrte er Löcher in die Luft und schaltete ab. Er vergaß Dinge schneller als gewöhnlich und er hatte eine Menge von seinem Sinn für Humor verloren. Das schlimmste von allem war, dass er nicht mehr malen konnte.
Das war das der schwerste Schlag gewesen. Während er heilte und mit den Physio- und Neurotherapeuten arbeitete, war sein Ziel, sein Endspiel, sich genug zu erholen, um wieder malen zu können, doch es kam nie zurück. Nicht so, wie er es davor gekonnt hatte. Und obwohl er das Unterrichten und das Zusammensein mit den Kindern liebte, vermisste er das Malen unglaublich.
Er rutschte umher. Der Druck in seiner Brust nahm zu, als er spürte, wie das Brennen von unvergossenen Tränen hinter seinen zugekniffenen Augenlidern anstieg.
,,Ich kann dich denken hören. Was ist los?", fragte Cas sanft.
,,N-nichts."
Der andere Mann bewegte sich und stützte sich mit einem Ellbogen ab. Dean öffnete seine Augen zu besorgten blauen, die zu ihm hinabstarrten. ,,Du zitterst. Was ist los?"
,,Nichts, Cas, mir geht's gut. Ich muss nur wach werden."
,,Okay", murmelte Cas und schmiegte sich wieder an Deans Schulter. ,,Wenn du dir sicher bist. Ich dachte mir, ich könnte Frühstück für dich machen. Hast du Eier und Speck und so?"
,,Ähm, ja, ich denke schon." Dean blinzelte ein paar Mal, bemüht, die Tränen dahin zurückzuschicken, wo sie hergekommen waren.
,,Also wie wär's mit Pfannkuchen und Speck? Erinnerst du dich, wie ich die Pfannkuchen immer mit Vanille und Zitronensaft gemacht habe? Du meintest zu mir, sie würden dir auf der Zunge zergehen." Cas' Hände waren auf Wanderschaft, während er locker übers Frühstück machen redete. Seine Finger glitten an Deans nacktem Oberschenkel entlang.
Panik baute sich in seiner Brust auf, als Cas mit der Hand nach oben fuhr und über seinen Hüftknochen und Bauch strich, doch selbst mit der Panik reagierte sein Körper. Blut rauschte hinab. Erregung breitete sich langsam in seinem Bauch aus.
Der andere Mann bewegte sich erneut, kam näher und presste seine Lippen auf Deans. Cas schlang eine Hand um seinen Nacken und zog ihn noch näher zu sich heran. Oh Gott, er ließ es geschehen. Er ließ sich von Cas davontragen, ließ Verlangen und Erregung und Lust und Bedürfnis seine Finger leiten. Dean schmierte sie mit Gleitcreme ein, glitt in Cas und bereitete ihn langsam vor, während sein Mund um seinen Schwanz geschlossen war und Cas' Finger durch seine Haare fuhren.
,,Fühlt sich so gut an, Dean, so gut", wimmerte Cas, als Dean noch einen Finger hinzufügte, sie spreizte und streckte, alles, während er seinen Mund auf Cas' Schwanz hoch und runter bewegte. ,,Komm schon, Baby, komm schon, fick mich, fick mich", brabbelte Cas.
Dean ließ von ihm ab, kletterte wieder zum Kopfende und hinterließ eine Spur von Küssen Cas' Oberkörper hoch. Alarmglocken schrillten in seinem Kopf, alles in ihm protestierte gegen das, was sie taten, doch er ignorierte es und schob es beiseite. Er ließ sich von der Lust überwältigen, als Cas ihn herunterzog, ihre Lippen zusammenkrachen ließ und seine Zunge in Deans Mund schob.
Er hob Cas' rechtes Bein über seine Schulter, brachte sich in Stellung und stieß hinein. Dean schluckte das leise Stöhnen, das von sein perfekten pinken Lippen fiel, und genoss das Gefühl von Cas' Hüften, die sich gegen seine eigenen drückten.
Dean konnte vergessen. Er konnte vergessen, dass der bloße Anblick von Cas vor nur ein paar Tagen dafür gesorgt hatte, dass er wegrennen und sich verstecken wollte. Er konnte Anna vergessen. Er konnte die trostlosen, dunklen Jahre vergessen, in denen er Cas vermisst hatte, und die ganze Reue, die damit einhergegangen war. Es war einfach. Er konnte Cas wieder hineinlassen, konnte sich wieder verlieben.
Cas zog ihn für einen weiteren leidenschaftlichen Kuss hinab. Dean bewegte seine Hand zwischen ihnen nach unten und rieb Cas so gut er konnte, während ihre Körper zusammengepresst waren.
,,Fühlt sich so gut an, Cas, so gut."
Dean öffnete die Augen, drückte seinen Körper hoch und stützte sich auf seinen Ellbogen, während er auf Cas herabsah. Sein Herz hämmerte und vibrierte gegen seine Rippen.
,,Komm schon, Baby, lass los", stöhnte Cas. ,,Lass einfach los."
Blaue, geweitete Augen starrten mit reiner Verehrung zu ihm hoch. Da lag so viel Liebe in seinem Ausdruck, dass es fast mehr war, als er ertragen konnte, wie Cas ihn so ansah, wie Cas ihn liebte. Es benötigte nur diesen einen Blick, dieses feurige Starren, um ihn über den Rand zu stoßen. Hitze baute sich in seinem Bauch auf und explodierte weiß in seinem Blickfeld.
Deans Arm gab nach, und er fiel auf Cas' Brust. Die klebrige Flüssigkeit drückte sich warm gegen sie.
Scheiß drauf. Scheiß auf alles. Scheiß auf seine Zweifel und seine Vorsicht und scheiß auf seinen leicht kaputten Kopf.
Sie würden es schaffen. Irgendwie würden sie es hinbekommen.
Kurze Zeit später wachte Dean erneut auf, streckte sich und genoss das schwache Brennen seiner überstrapazierten Muskeln. Er erinnerte sich nicht, wieder eingedöst zu sein, doch die andere Seite des Bettes war leer und der Geruch von Frühstück hing in der Luft.
Dean lächelte und summte eine kleine Zufallsmelodie vor sich hin, als er aus Cas' Bett stieg und nach seiner Jogginghose suchte. Er fand sie und Cas' Handy auf dem Boden von Cas' Seite des Bettes, hob sie auf und ging auf das Fenster zu, während er sich mit einer Hand seine Hose anzog.
Die Welt draußen war mit Schnee bedeckt. Alles war weiß, makellos und glitzerte. Ein perfekter Weihnachtsmorgen. Dean blickte hinab und lächelte bei Bennys Anblick, der einen Schneeball auf Bobby warf. Der ältere Mann verfluchte ihn gutmütig, während sie zusammen den Bürgersteig vor dem Pub und dem Roadhouse räumten.
Ein schläfrig-warmes Gefühl von Zufriedenheit durchdrang ihn bis auf die Knochen. Ein Frieden, den er seit Jahren nicht empfunden hatte, verdammt, vielleicht ein Frieden, den er noch nie gespürt hatte, erfüllte seine Brust. Er lächelte zum Himmel hoch und sah trägen, weißen Schneeflocken zu, wie sie kontinuierlich zur Erde schwebten.
Das Handy läutete einmal in seiner Hand und er sah auf den Bildschirm.
-Und? Hat es geklappt? Ich bin für euch Jungs die ganze Nacht weggeblieben. Und dein Bruder ist eine Nervensäge. Ich mag ihn trotzdem.
Die Nachricht war von Sam.
Dean runzelte die Stirn, öffnete den Nachrichtenthread und scrollte durch die Texte. Sein Herz sank mit jedem, den er las. Die meisten waren von Sam für Cas, und als er sie durchsah, realisierte er, was da stand.
Orte. Zeiten.
-Gabe und ich gehen nach Benny's bowlen. Wir werden dich und Dean nach einer Weile mit dem Gebäude alleine lassen.
-Target, White Marsh, in der Nähe des Stadiums des Ravens. Und ja, bring Gabe mit. Wir werden gegen sechs da sein.
-Broadway-Markt, Fells Point. Holen Crab Cakes, solltest in zwanzig Minuten da sein.
-Mit Dean unterwegs. Shoppen. Willst du vorbeikommen?
-Whole Foods, nahe der Falls Road. Weißt, wo das ist?
-Cas, ruf mich an, wenn du kannst. Ich hab eine tolle Idee, dich und Dean wieder zusammenzubringen!
-Es ist vorbei. Anna und Dean haben Schluss gemacht.
-Ich werde versuchen dich später anzurufen. Kontaktiere Dean noch nicht. Er ist ein Wrack.
Seine Hände zitterten wieder.
Gott, Sam. Sam. Er vertraute Sam mehr als irgendjemand anderem in seinem Leben und das herauszufinden...
Dean schluckte schwer. Übelkeit wirbelte seinen Magen auf. Er taumelte rückwärts auf das Bett zu und sank darauf nieder, unfähig, seinen Blick vom Handy abzuwenden.
Sein Bruder, sein süßer kleiner Bruder, das Kind, das er praktisch selbst aufgezogen hatte, Gott, Sammy – Sam hatte ihm eine Falle gestellt. Er hatte die ganze Sache arrangiert.
,,Frühstück ist fertig." Cas stand in der Türöffnung. Ein Geschirrtuch hing über seiner Schulter. ,,Dean? Alles okay?"
,,War irgendetwas davon real?", fragte Dean tonlos. ,,Irgendetwas?"
,,Wovon- Oh Gott", stieß Cas aus, als er schließlich das Handy in Deans Händen bemerkte. ,,Dean, ich kann das erklären."
,,Ja. Ich wette darauf." Er stand auf und ließ das Handy auf das Bett fallen. ,,Ich denke, du solltest gehen."
,,Dean, bitte, er hat nur versucht zu helfen..."
,,Und du hast da mitgemacht? Schien zu der Zeit eine gute Idee zu sein, oder? Dean weiß nicht, was er will, Dean weiß nicht, was er braucht, also nehmen wir die Sache einfach selbst in die Hand, richtig? Richtig?!"
,,Es war- Es war eine schlechte Idee. Ich hätte ihm Nein sagen sollen, aber Dean, es ist alles noch da. Die letzten paar Tage, die waren-"
,,Eine Lüge! Es war alles eine Lüge! Ihr zwei habt mich manipuliert! Ihr habt mit mir gespielt!"
,,Dean, so war das nicht, ich schwöre, bitte-"
,,Nein! Nein, du verschwindest, gottverdammt, Cas, verschwinde!"
,,Lass es mich einfach erklären", bat Cas mit aufgerissenen Augen.
,,Nein!" Dean schob sich an ihm vorbei ins Wohnzimmer. ,,Ich wollte das nie, nichts davon! Verstehst du mich?" Er drehte sich um und konfrontierte Cas. ,,Meine Verlobte hat mich gerade sitzen gelassen, teilweise wegen dir, und ich brauchte Zeit, nicht das, niemals das! Ich wollte das nie!" Dean wandte sich von Cas ab.
,,Warum bist du dann zu meiner Buchsignierung gekommen? Wenn du das nie wolltest, warum bist du gekommen?"
Dean erstarrte auf halbem Wege zu seinem Schlafzimmer. ,,Keine Ahnung."
,,Schwachsinn. Der Dean, den ich kannte, hatte immer einen Grund. Er war vielleicht dämlich und impulsiv, doch er hatte immer einen Grund."
,,Das tut nichts zur Sache."
,,Doch, tut es", sagte Cas beharrlich. ,,Warum bist du gekommen?"
,,Weil ich es wissen musste!", meinte er schließlich und drehte sich wieder zu Cas. ,,Ich musste es wissen."
,,Was wissen?", fragte Cas sanft.
,,Ob da immer noch-" Dean schluckte. ,,Ob da immer noch ein Funke war, ob da noch irgendetwas war."
Cas trat einen Schritt auf ihn zu. ,,Und, ist er da? Ein Funke?"
,,Scheiße, Cas", flüsterte Dean. Eine Träne rollte sein Gesicht hinab. ,,Ja, da ist immer noch ein Funke, Gott, da ist ein verdammtes Lagerfeuer, aber es ist nicht... Es ist nicht real. Es ist nicht real."
,,Doch, ist es, Dean, ich schwöre es." Auch Cas' Augen waren mit Tränen gefüllt. Er machte einen Schritt in Deans Richtung. ,,Bitte, Dean, lass mich einfach-"
,,Nein! Nein, du musst gehen, du musst verschwinden." Dean stolperte von Cas weg, die Arme fest vor der Brust verschränkt. Er war schon halb in seinem Schlafzimmer. ,,Geh einfach. Bitte. Ich kann das nicht tun. Dieser Typ bin ich nicht mehr, wirklich nicht, ich bin anders, bitte geh, geh einfach."
,,Dann lass mich dich jetzt kennenlernen, stoß mich nicht weg. Ich weiß, was mit dir geschehen ist. Ich weiß, was dein Vater getan hat, Dean. Sam hat es mir erzählt, er hat mir alles erzählt. Es ist nichts, womit wir nicht arbeiten können, glaub mir", bat Cas.
,,Gott, Sam zerreißt sich sicher gerne das Maul, oder? Nein, Cas. Nein. Geh einfach." Dean stolperte blindlings rückwärts in sein Zimmer, schlug die Tür zu und drehte den Schlüssel um. Für einen Moment kreuzte die verrückte Überlegung seine Gedanken, dass Cas sich vor all diesen Jahren so gefühlt haben musste.
Seine Hände zitterten so stark, wie sie es schon seit Jahren nicht getan hatten. Er schaffte es nicht viel weiter als bis zum Ende des Bettes, bevor er mit dem Rücken gegen das Fußende auf dem Boden zusammenbrach. Die Tränen rollten ungehindert sein Gesicht hinab. Sein Hals war rau und schmerzte.
,,Dean." Cas klopfte an die Tür. Er klang erschöpft. ,,Bitte öffne die Tür. Ich will das nicht noch einmal machen. Bitte, Dean. Bitte."
Dean antwortete nicht, sondern starrte nur auf die Tür. Nach einer Weile hörte Cas mit dem Klopfen auf. Er konnte ihn umhergehen und Dinge aus seinem alten Zimmer holen hören, dann stoppten die Schritte vor seiner Tür.
,,Du musst verstehen", sagte er leise, während seine Stimme brach. ,,Ich wollte dich nicht verletzen. Ich wollte das nicht, aber, Dean, ich kann das nicht erneut tun. Wenn du mich jetzt gehen lässt, musst du verstehen, dass ich nicht zurückkommen werde. Nicht dieses Mal."
Sein Kiefer bebte, doch er bewegte sich nicht.
,,Dean?"
Stille.
,,Okay", seufzte Cas. Er klang müde und resigniert. ,,Lebwohl, Dean. Es tut mir so leid."
,,Mir auch", flüsterte Dean, doch die Schritte verhallten.
_____
September, 2001
Am frühen Montagmorgen wachte Dean plötzlich auf. Die Feuerwache war noch dunkel. Er glitt aus dem Bett, öffnete die Tür einen Spaltbreit, spähte ins Wohnzimmer hinaus und hoffte, dass niemand auf war und er ins Badezimmer gehen konnte, ohne von Sam oder Cas angesprochen zu werden.
Ja, er wusste, dass er es verbockt hatte. Er wusste es. Deans Kopf drehte sich, während er langsam durch das Zimmer wankte. Ihm war bewusst, dass er immer noch unglaublich betrunken war. Auf dem Rückweg spürte er einen stechenden Schmerz, als er auf Cas' Schlafzimmertür starrte. Er ging hinüber und hob seine Hand, um anzuklopfen.
,,Er ist fort", sagte Sam. ,,Ist vor einer Stunde gegangen."
Dean drehte sich und fand seinen Bruder auf der Couch sitzend. Mattes Licht von draußen beleuchtete die Umrisse seiner Haare, während sein Gesicht im Schatten lag.
,,Und wann ist er wieder da?"
Sam stand auf und schnaubte wütend. ,,Du verdammter Idiot. Er hat seine Sachen gepackt und jemand ist gekommen und hat ihn mitgenommen. Er ist fort, Dean. Fort, fort." Sam lief steifbeinig durch das Wohnzimmer zurück in sein Zimmer und schlug die Tür zu.
,,Nein", flüsterte Dean, wandte sich um und stieß Cas' Tür auf.
Er knipste das Licht an und seine Miene entgleiste.
Cas' Kleiderschrank stand offen. Die meisten der Bügel waren leer. Mehrere Bücher fehlten in den Regalen. Aber die vielsagendste Sache, der größte verdammte Beweis, wie sehr er es verbockt hatte, lag in der Mitte des gemachten Bettes auf Azraels Trenchcoat.
Castiel hatte sein Handy zurückgelassen.
Keine Notiz, kein Lebwohl, nur sein einsames Handy, das in der Bettmitte lag.
Dean taumelte zurück. Eine Welle von Schwindel verursachte ein leises Summen in seinen Ohren. Er hatte alles gesehen, was er sehen musste. Seine Hand tastete nach dem Lichtschalter und verwandelte das Zimmer wieder in Dunkelheit.
Dean wankte rückwärts aus dem Raum und zog die Tür hinter sich zu.
Zurück in seinem eigenen Zimmer holte er eine Flasche billigen, beschissenen Whiskey aus seinem Schrank, nahm mehrere lange Schlucke und brach danach auf seinem Bett zusammen. Still rollten Tränen sein Gesicht hinab und sammelten sich in seinen Ohren. Er trank, bis er ohnmächtig wurde.
Als er wieder zu sich kam, war die Sonne in seinem Zimmer viel zu hell, und es war heiß und stickig. Sein Magen gluckerte unangenehm, und er schaffte es gerade noch rechtzeitig zur Toilette. Danach sank er benommen gegen die Wand und starrte Löcher in die Luft, bis Sam ihn fand und ihn zwang, eine kalte Dusche zu nehmen.
,,Dachte, du wärst so angepisst von mir", brummte er.
,,Ja, ich bin angepisst. Du bist ein widerliches betrunkenes Wrack, das das Beste, was ihm je passiert ist, vergrault hat. Und für was? Für was, Dean?" Sam zog sich bis auf seine Boxer aus, stieg in die Dusche, zerrte Deans verschwitztes Shirt über dessen Kopf und half ihm beim Ausziehen. Er wandte den Blick ab, während er ihm half, sich ausreichend zu säubern.
,,Aber du bist immer noch mein Bruder", sagte er sanft. ,,Du hast mich aufgenommen und dich um mich gekümmert. Ich weiß nicht, was mit dir los ist, doch ich bin für dich da. Lass mich dir helfen."
Dean hielt einen Schluchzer zurück, aber den danach konnte er nicht verstecken, oder den danach. Er weinte immer noch, als Sam ihn in ein Handtuch wickelte und ihn in sein Schlafzimmer schickte. Dean kollabierte auf seinem Bett und schlief solange, bis Sam ihn gegen sechs weckte und ihn mit etwas von Ellens Hühnernudelsuppe fütterte.
,,Wir sollten reden", sagte Sam. ,,Darüber, was zur Hölle passiert ist."
Dean schob die Schüssel auf der Theke zurück. ,,Ich will nicht darüber reden, Sam." Er ging in sein Zimmer zurück und ignorierte Sams frustriertes Seufzen, als er die Tür schloss.
Diese Nacht schlief er nicht, sondern schritt stattdessen durch den Raum, machte sich schlecht und schrie sich in Gedanken selber an. Dean war noch wach, als Sam um sieben zur Uni ging, doch irgendwann danach schlief er schließlich ein. Kurze Zeit später wurde er allerdings von einem kreidebleichen Sam geweckt.
,,Dean, steh auf, steh auf."
,,Hmph. Was ist los? Solltest du nicht im Unterricht sein?" Er tastete nach seinem Handy. ,,Es ist viertel vor zehn, Sammy."
,,Steh einfach auf. Es ist wichtig."
Stöhnend folgte Dean Sam ins Wohnzimmer, wo der Fernseher an war. Für einen Moment besah er sich verwirrt die Ereignisse auf dem Bildschirm. ,,Ist das ein Film, Sam?"
,,Nein." Sams Kinn bebte. ,,Das ist live."
Auf dem Bildschirm waren zwei Gebäude, die Dean leicht als das World Trade Center in New York City erkannte. Es brannte. Rauch quoll aus den oberen Stockwerken der beiden Türme hervor.
,,Was zum Teufel geschieht hier?"
,,Flugzeuge. Sie sind in das Gebäude gestürzt. Man dachte, das erste sei ein Unfall gewesen, doch dann kam das zweite... Und dann ist noch ein Flugzeug ins Pentagon gekracht. Mein Gott, Dean, sie sagen, Terroristen...dass es ein Terroranschlag sei..."
Als er das sagte, stieg eine Staubwolke von einem der Türme auf. Das Gebäude brach in sich zusammen, während Sam und Dean sprachlos in ihrem Wohnzimmer standen, entsetzt vor der Szene, die sich im Fernsehen abspielte. Die Stimme des Nachrichtensprechers bebte, als er verkündete, dass der Südturm eingestürzt sei.
,,Oh mein Gott", flüsterte Sam. ,,All diese Menschen. All diese Menschen."
Dean sank auf die Couch, unfähig, seinen Blick vom Bildschirm loszureißen. Er hielt sich die Hand vor seinen offenen Mund. ,,Ich kann nicht glauben, dass das real ist..."
Sam setzte sich neben ihn und sie sahen weiterhin schockiert zu, unfähig, irgendwo anders hinzuschauen. Bis der Nachrichtensprecher verkündete, dass Flug 93 in ein Feld in Pennsylvania gestürzt war, hatte ein untypisch ernster Benny sich ihnen angeschlossen und sich in einem der Fernsehsessel zusammengekauert. Ellen und Bobby stießen zu ihnen, als ein Teil des Pentagon einstürzte. Tessa, Pamela, Ash, Andy und Jo hatten sich alle im Wohnzimmer eingefunden, als der Nordturm um 10:28 Uhr fiel.
Niemand sprach.
Niemand aß.
Sie standen nur alle zusammen da. Keiner von ihnen wollte alleine sein. Keiner von ihnen war fähig, sich von den endlosen Wiederholungen der Flugzeugeinstürze in die Gebäude abzuwenden, oder von den Geschichten des möglichen Passagieraufstands im Flug 93, oder dass die Entführer ihre Pilotenausbildung in den US absolviert und den Anschlag schon seit einiger Zeit geplant hatten. Sie alle beobachteten schockiert die Leute, die im Nahen Osten feierten. Kinder verbrannten amerikanische Flaggen.
Es war unfassbar und surreal. Alles, worüber Dean nachdenken konnte, der einzige Gedanke, der durch den Nebel der Fassungslosigkeit in seinem gramerfüllten Gehirn stieß, war: Ich muss Cas finden.
Jo lehnte sich an ihn und schlang ihre Hand um seine. Sam saß fest gegen seine andere Seite gepresst. Deans zusammengeflickte Remington-Familie blieb für den größten Teil des Tages in seinem Wohnzimmer versammelt, ohne dass jemand wirklich redete.
Irgendwann nach zehn Uhr abends bemerkte Dean schließlich, dass alle fort waren, außer Sam, der immer noch dicht neben ihm saß. Dean hatte den Tag im Schockzustand verbracht, die Gedanken bei Cas und den ganzen Arten, wie er sagen wollte, dass es ihm leidtat, und bei den ganzen Menschen, die an diesem Abend nicht Gute Nacht oder Ich liebe dich zu ihren Familienmitgliedern sagen würden.
Er erinnerte sich nicht daran, ins Bett gegangen zu sein, doch dort lag er nun und weinte geräuschlos, als Sam die Tür aufdrückte.
,,Kann ich mich zu dir legen? ich weiß, es klingt dämlich, doch ich habe... Ich habe Angst, Dean", flüsterte Sam. ,,Ich will nicht alleine sein."
,,Das ist nicht dämlich. Und ja, ich will auch nicht alleine sein, Sammy", schniefte Dean. ,,Komm her."
Sam kroch ins Bett, und die Brüder wandten sich im Dunkeln ihre Gesichter zu.
,,Du weinst", flüsterte Sam.
Dean nickte.
,,Ist es wegen Cas?"
,,J-Ja. Gott, ich hab's versaut, Sam, ich hab's so versaut."
Sam streckte den Arm aus und zog ihn zu Deans Überraschung näher zu sich heran, in eine feste Umarmung. Deans Dämme brachen, und er schluchzte in die Brust seines kleinen Bruders, während Sam ihn hielt und seinen Rücken rieb.
,,Dean, was ist passiert? Ernsthaft, was ist passiert?"
,,S-So d-dumm", stieß Dean aus. ,,Ich bin so verdammt dumm."
Sam drückte ihn von sich weg. Seine mit Tränen gefüllten Augen trafen in der Dunkelheit auf Deans. ,,Warum beginnst du nicht am Anfang? Was ist passiert, Dean? Vielleicht kann ich helfen."
Schniefend zog Dean sich von Sam zurück, setzte sich auf, streckte den Arm nach seiner Lampe aus und knipste sie an. Sie blinzelten beide, während ihre Augen sich an die Helligkeit gewöhnten. Dean zog die Knie an seine Brust und wischte die Tränen auf seiner Wange weg.
,,Es begann mit Victor", murmelte er.
,,Vic? Ich verstehe nicht."
,,Er war so glücklich mit Bela. Sie wollten heiraten, und er war so verdammt glücklich." Dean schniefte und rieb sich die Augen ,,Dann haben sie sich einfach voneinander entfernt. Und, keine Ahnung, ich hab angefangen, das anzuzweifeln, was Cas und ich hatten und was ich tun wollte..."
,,Was wolltest du tun?", fragte Sam verwirrt.
Dean griff zu seinem Nachttisch hinüber, öffnete die Schublade, holte ein kleines, schwarzes Samtkästchen hervor und reichte es Sam. Die Augen seines Bruders weiteten sich, als er es aufklappte und den Platinring darin enthüllte.
,,Dean...", stieß Sam aus. Seine Kinnlade fiel herab.
,,Ich weiß, es ist nicht legal und wäre für niemanden außer uns amtlich, aber ich wollte ihn fragen, mich zu heiraten, Sammy. Ich liebe ihn, und ich-" Erneut flossen Tränen Deans Wangen herab.
,,Was ist passiert? Es war mehr als nur Victors Probleme. Dean, was ist passiert?"
Dean seufzte und stieg aus dem Bett.
,,Dean?"
,,Dad ist aufgetaucht. Er hat nach dir gesucht, doch du warst mit Sarah unterwegs."
,,Wann war- Oh. Das war der Abend, als du betrunken nach Hause gekommen bist und dich in deinem Schlafzimmer eingeschlossen hast, richtig?"
,,Ja." Dean begann im Raum umherzuschreiten. Sam rutschte ans Bettende und setzte sich in den Schneidersitz, während seine Augen Deans Bewegungen folgten.
,,Hat er etwas zu dir gesagt?", fragte Sam leise.
Dean schnaubte. ,,Ja." Er hielt mit dem Auf- und Abgehen inne und fuhr sich mit beiden Händen über seine Haare. ,,Ja, er hat ein paar Dinge gesagt."
,,Zum Beispiel?"
,,Er wusste Bescheid, weißt du? Über mich und Cas. Meinte zu mir, er könne nicht glauben, dass er eine Schwuchtel als Sohn habe. Er war so angewidert, aber weißt du was? Damit kam ich klar. Ich konnte damit umgehen, dass er mich hasste, aber das war noch nicht das schlimmste." Dean begann wieder umherzuschreiten; sechs Schritte über seinen Schlafzimmerboden, Drehung, sechs Schritte zurück, Drehung, sechs Schritte über seinen Schlafzimmerboden, Drehung, sechs Schritte zurück, Drehung. Er rang die Hände, während er das tat. ,,Er musste Mom mit einbringen."
Sam schnaubte seufzend.
,,Er meinte, sie hätte das nicht für mich gewollt. Dass sie... Dass sie..." Dean erschauderte ,,Dass sie angewidert von mir wäre. Dass sie hassen würde, was ich bin, was ich tue, alles."
,,Das glaube ich nicht."
,,Ich weiß", sagte Dean kläglich. ,,Ich weiß, aber ich habe ihn zu mir durchdringen lassen. Am nächsten Abend habe ich mich bei Benny's betrunken und dieses Mädchen- Gott, Sam, ich erinnere mich nicht einmal mehr, hierher zurückgekommen zu sein! Ich habe getrunken, sie hat mit mir geflirtet. Dann ist alles schwarz, bis ich auf dem Boden lag und zu Cas in der Türöffnung hochsah."
,,Und am nächsten Tag?"
,,Ja, der nächste Tag. Bin losgefahren. Hab eine Bar gefunden. Zu viel getrunken. Du kennst den Rest."
Dean sank am Fuß des Bettes zu Boden. Die Federn quietschten, als Sam aufstand und sich neben ihn setzte. Erneut strömten Tränen sein Gesicht hinab, doch Dean machte sich nicht die Mühe, sie wegzuwischen.
,,Die schlimmste Lüge, die ich je gesagt habe, Sammy, war, dass ich Cas nicht liebe. Ich liebe ihn so sehr, dass es wehtut. Ich liebe ihn so sehr. Und jetzt habe ich ihn verloren."
Sam lehnte sich zur Seite und drückte seine Schulter gegen Deans. ,,Was würdest du ihm sagen? Wenn du ihn wiedersehen könntest?"
,,Verdammt, ich würde ihn anflehen, mir zu vergeben. Ich würde ihm sagen, wie sehr ich ihn liebe."
,,Dann werden wir ihn finden."
,,Wie? Er hat sein Handy hiergelassen."
,,Gib nicht auf. Wir rufen jeden an, den er kennt. Irgendjemand muss wissen, wo er steckt, bei wem er untergekommen ist. Wir werden ihn finden und du wirst dich entschuldigen. Es wird nicht leicht, aber nach einiger Zeit wird zwischen euch wieder alles okay sein. Ihr werdet das wieder geradebiegen." Sam seufzte. ,,Nur mach die Dinge dieses Mal anders. Und hör auf, dem Beachtung zu schenken, was Dad über Mom sagt."
Dean nickte und lehnte sich in die Wärme seines Bruders. Er wischte die Tränen fort, die immer noch seine Wangen herunterrollten. ,,Wann bist du so schlau geworden, Sammy?"
Sam schmunzelte. ,,Ich hatte einen guten Lehrer", sagte er und stieß leicht gegen Deans Schulter.
Letztendlich krochen sie ins Bett zurück. Am nächsten Tag ging Sam nicht zur Uni, da er entschlossen war, Dean zu helfen, Cas aufzuspüren. Gegen zehn allerdings fühlte Dean sich ziemlich hoffnungslos.
,,Ich habe jeden seiner Kontakte angerufen. Seine Eltern, seine Brüder, seine Freunde, verdammt, ich habe sogar Lucifer angerufen! Niemand weiß, wo er ist! Und jetzt ist seine Familie besorgt und ich bin bei Amelia noch mehr in Ungnade gefallen." Dean schmiss sein und Cas' Handy auf die Küchentheke. ,,Was zur Hölle soll ich noch tun?"
,,Du wirst dich abregen. Ich habe gerade einen Termin um drei mit einem Privatdetektiv ausgemacht. Wir werden ihn finden, Dean, okay? Vertrau mir." Sam schloss das Telefonbuch und legte es neben die Handys auf die Theke. ,,Ich werde nicht aufgeben und du auch nicht. Sarahs Bruder ist ein Baltimore-Cop. Auch er sucht nach ihm. Er hat einen Freund, der Cas durch das Polizeinetzwerk laufen lassen kann. Wir werden ihn finden, ich schwöre."
Sams Handy klingelte und er ging ran, während Dean Cas' Handy wieder in die Hand nahm, obwohl er bereits jede Nummer darin angerufen hatte. Er hoffte, dass es etwas offenbaren würde, was er übersehen hatte.
,,Das war Ellen. Sie brauchen für eine Weile meine Hilfe im Roadhouse. Ich bin in einer Stunde oder so zurück. Warum versuchst du nicht etwas zu malen?"
Dean nickte und legte Cas' Handy wieder hin. ,,Ja, könnte ich."
,,Alles wird gut", sagte Sam. ,,Wir werden ihn finden. Vertrau mir." Er klopfte Dean auf den Rücken und verließ die Feuerwache.
Während Dean die Treppe hinunterlief, dachte er an die ganzen Dinge, die er sagen würde, falls – nein, wenn sie Cas fanden. Er dachten an all die Es tut mir leid und Ich liebe dich's, die er sagen würde, und dass er täte, was auch immer Cas von ihm verlangen würde, um zu beweisen, dass er es ernst meinte. Gedankenverloren rieb er über das Handabdruck-Tattoo durch sein T-Shirt hindurch, zog dann die großen Doppeltüren auf und ließ die Sonne hinein. Für eine Weile starrte er zum Himmel hoch.
Es war surreal, hochzuschauen und kein einziges Flugzeug am Himmel zu sehen. Es war immer noch schwer zu glauben, dass der gestrige Tag tatsächlich geschehen war.
,,Rede über die Dinge, die dich realisieren lassen, was wichtig ist", murmelte er zu sich selbst. Seufzend ging er zu seinem Arbeitstisch zurück, zog den Schutz vom Plattenspieler ab und ließ Houses of the Holy aus seiner Papphülle rutschen. The Song Remains the Same's vertrauter Eröffnungsriff hallte von den Backsteinmauern, als er zu Azrael hochblickte, froh, dass er das Gesicht noch nicht gemacht hatte. Dean war nicht bereit, die nächsten paar Stunden Cas' Gesicht anzusehen, das in einer zerschmetternden Wut zu ihm hinabstarrte.
Er würde an den Details des Trenchcoats arbeiten. Das war eine stupide, ablenkende Beschäftigung, die es ihm leicht machte, abzuschalten. Er suchte seine Tuben zusammen, drückte mehrere Kleckse gelber, brauner, schwarzer und roter Farbe auf seine große Palette, schob einige Pinsel in die Arschtasche seiner Jeans und kletterte dann zur zweiten Etage des Gerüstes hinauf.
In Stillarbeit trug er die Grundfarben auf, ging dann ins Detail und schattierte die Falten und Vertiefungen des Mantels, während Led Zeppelin auf dem Plattenspieler vor sich hin spielte. Dean verlor sich in der Arbeit und spürte endlich, wie etwas von dem Stress der letzten Tage auf die Leinwand überging.
Er liebte das Malen. Malen war etwas, das er kontrollieren konnte. Die Farben machten was er wollte, wann er es wollte, und obwohl es wahrscheinlich ein arroganter Gedanke war, wusste Dean, dass er gut darin war, Engel auf seinen Leinwänden zum Leben zu erwecken.
Dean war in die Musik und das Malen vertieft. Als sich jemand hinter ihm räusperte, zuckte er zusammen und beschmierte den Rand des Trenchcoats mit einem Tropfen roter Farbe.
,,Ist das eine von denen, die du mir gestohlen hast?", fragte eine tiefe Stimme, als Dancing Days abrupt aufhörte.
Mit einem Kloß im Hals drehte Dean sich langsam um und sah zu John Winchester hinab, der die Schallplatte in der Hand hielt und zu ihm hochstarrte.
,,Das war Moms", sagte er schwach.
,,Was sie zu meiner macht. Hattest kein recht, Junge", lallte John.
Dean stellte die Palette auf die Holzbretter und kletterte hinunter. ,,Sam ist nicht hier."
,,Wo ist er?"
,,Auf der Arbeit."
,,Ich habe dir gesagt, du sollst sicherstellen, dass er das nächste Mal da ist, wenn ich komme."
Dean schnaubte verächtlich. ,,Nun, es ist ja nicht so, als ob ich wissen würde, wann du dich wieder bequemst aufzutauchen."
,,Pass auf, was du sagst." John schob die Platte in die Hülle zurück. ,,Die werde ich mitnehmen. Wo ist der Rest?"
,,In dieser Kiste. Gut, nimm sie. Verkaufst sie wahrscheinlich nur für mehr Alkohol, oder? Du interessierst dich schließlich nicht wirklich für sie." Dean wischte sich seine Hände mit einem Lappen ab, während er hinter die Werkbank lief, den uralten Kühlschrank öffnete und ein Bier herausholte. ,,Hör mal, Sammy ist nicht hier, wird für 'ne Weile nicht wiederkommen, und weißt du was? Ich will dich hier nicht haben. Also da ist die Tür. Warte in deinem beschissenen Truck oder so."
Er drückte sich an John vorbei und schob die Kiste mit den Alben über den Arbeitstisch. ,,Nimm mit, was du willst. Es ist mir egal."
Der rechte Haken erwischte ihn unerwartet. Weiße Funken tanzten vor seinen Augen, als die Faust seines Vaters seinen Kiefer traf. Dean taumelte zurück. Die Bierflasche rutschte aus seiner Hand und zersplitterte auf dem Betonboden.
,,Sprich nicht so mit mir, Junge", knurrte John.
Dean rieb seinen Kiefer und starrte seinen Vater an. Zum ersten Mal wiesen Johns Worte und Taten ihn nicht in seine Schranken. Sie ließen ihn nicht aufhören. Stattdessen stieg Zorn in ihm auf, und Dean schwang seine eigene Faust und erwischte John unvorbereitet mit einem rechten Haken.
Der Mann taumelte überrascht zurück.
,,Fass mich verdammt nochmal nicht an, du armseliger, alter Säufer. Verschwinde von hier! Du bist hier nicht willkommen, verstehst du mich? Das ist mein Haus, mein Leben, und da ist kein Platz für dich!"
,,Sprich nicht so mit mir!", schrie John erneut. ,,Zeig mit etwas gottverdammten Respekt!"
,,Respekt?", fragte Dean ungläubig. ,,Respekt?!" Er schüttelte den Kopf. ,,Respekt für den Mann, der mich schon mein ganzes Leben wie Abfall behandelt? Respekt für den Mann, der mir sagt, er wünsche sich, ich wäre anstelle von Mom gestorben? Respekt für den Mann, der vor vier Tagen hier stand, mich eine Schwuchtel nannte und meinte, Mom wäre angewidert von mir? Du zollst keinen Respekt und verdienst definitiv auch keinen!"
,,Deine Mutter war perfekt. Sie wollte ein richtiges Leben für dich, mit einer Frau und Kindern. Diese Sache mit diesem Typen würde-"
,,Würde sie lächeln lassen. Weißt du, warum? Weil ich glücklich bin. Ich erinnere mich an sie, Dad, ich erinnere mich, wie sehr sie mich liebte. Ich erinnere mich. Ich war vielleicht erst vier, aber ich erinnere mich! Sie hat mich geliebt. Sie hat sich gewünscht, dass ich glücklich bin. Das wollte sie für mich, du Mistkerl! Ich werde nicht zulassen, dass du sie weiterhin gegen mich verwendest!" Dean schob sich an seinem Vater vorbei.
,,Du bist ekelhaft, Dean. Ekelhaft."
,,Ja, naja, weißt du was? Vor ein paar Tagen habe ich deine Scheiße geglaubt. Ich habe es geglaubt und Cas weggeschickt. Es war dumm, doch ich werde es wieder in Ordnung bringen. Und weißt du was?" Dean lächelte, dachte an Cas und seine wunderschönen blauen Augen. ,,Ich werde ihn fragen, mich zu heiraten. Denn ich liebe ihn. Ich liebe ihn und werde den Rest meines Lebens mit ihm verbringen. Also fick dich, Dad. Ich brauche dich nicht mehr, verdammt, ich habe dich nie gebraucht. Verpiss dich und lass mich in Ruhe."
Dean wandte sich ab und wollte eigentlich aus der Vordertür und runter zum Roadhouse gehen, als Sam mit aufgerissenen Augen im Türeingang auftauchte und ein warnendes ,,Dean!" schrie. In dem Moment explodierte ein Haufen weißer Sterne in seinem Blickfeld, kombiniert mit einem grässlichen Schmerz, der durch seinen Hinterkopf zuckte. Sein Schädel klingelte wie eine kaputte Glocke.
Seine Knie knickten ein oder wurden flüssig, als er zusammenbrach und zu Boden ging. So aufzukommen hätte wehtun sollen, doch Dean spürte nichts.
Sams weißes Gesicht tauchte über ihm auf, während seine großen Hände Dean vorsichtig auf seinen Rücken rollten und behutsam seinen Kopf bewegten. Seine Augen waren geweitet und entsetzt, als er hinabsah.
Sein Mund bewegte sich, er sagte etwas. Benny und Bobby erschienen mit Ellen in der Türöffnung. Die Dinge geschahen so schnell; Benny brachte John zu Boden, Ellen gesellte sich zu Sam, Bobby holte sein Handy heraus – so viel passierte. Dean wollte aufstehen, wollte Sam sagen, dass es ihm gutging, wollte die Tränen vom angsterfüllten Gesicht seines Bruders wischen, doch er konnte sich nicht bewegen. Er wusste, dass Sam ihm sagte, er solle durchhalten, einfach durchhalten, aber die Dunkelheit stieg vom Boden auf und malte die Ränder seines Blickfeldes unnachgiebig schwarz. Dean wurde hinabgezogen, und er realisierte mit absolut erschreckender Klarheit, dass er starb.
Er starb, und er würde Cas nie sagen können, dass es ihm leidtat.
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