Du wirst der sein, der mich rettet

Sie fanden ein kleines Bistro in der Nähe des Kaufhauses an der York Road. Die Musik war fröhlich und der Raum war voller Studenten der Towson Universität, die über Weihnachtsgeschenke lachten und Pläne für die Ferien schmiedeten. Sam winkelte seine langen Beine an, um sich zu setzen, lehnte sich zurück und fuhr sich mit einer Hand durch seine Haare.

Sam sah gut aus. Er hatte diesen kindlichen Ausdruck eines übergroßen Welpen abgelegt und sah nun auch wie ein Erwachsener aus. Da waren sogar ein paar Fältchen um seine Augenwinkel herum. Er zappelte leicht auf seinem Stuhl herum und lächelte der Kellnerin zu, als sie ihnen Wasser brachte. Sein Unbehagen und seine Nervosität waren nur zu offensichtlich. Was auch immer er Cas erzählen wollte, würde nicht schön sein. Ein fester Klumpen aus Furcht machte sich in seinem Magen breit.

Er bestellte ein Steak und eine Backkartoffel, dazu ein hausgemachtes Bier. Sam bestellte das Gleiche, nur mit gedünsteten Brokkoli anstelle der Kartoffel, und eine Whiskey Cola. Das Abendessen an sich war angenehm. Sam war ein sehr guter Begleiter, fröhlich und optimistisch trotz seiner darunterliegenden Nervosität. Sie quatschten über die alte Nachbarschaft und die Leute, die dort gewohnt hatten.

Sie sprachen über Cas' Familie und wie es jedem ging. Sam war sehr erfreut zu hören, dass Michael Geschäftspartner seiner Anwaltskanzlei geworden war, und drückte seine Dankbarkeit für die Hilfe aus, die Michael Sam und Dean entgegengebracht hatte, als sie jünger gewesen waren. Sam erzählte ihm von Vics Hochzeit, wie viel netter seine neue Frau war und wie viel besser sie zu ihm passte als Bela. Er sprach davon, wie Benny, Ellen und Bobby zurechtkamen. Sie vermieden gezielt alles, was mit Dean zu tun hatte. Castiel fand es schwer zu essen. Die Tatsache, dass sich Sam in kurzer Zeit drei Whiskey Colas hinterkippte, sagte einiges aus. Außerdem stocherte er in seinem Steak herum, anstatt es wirklich zu essen.

Nachdem er es für eine hoffnungslose Sache erklärt hatte, ließ Cas sein Essen in eine Box zum Mitnehmen packen. Sam folgte seinem Beispiel. Der andere Mann war jetzt viel lockerer, seine Handzeichen ein wenig deutlicher, als er seinen vierten Drink bestellte. Cas fragte sich unwillkürlich, ob er Sam für diese Nacht ein Hotelzimmer besorgen musste. Sam hatte noch nie wirklich viel getrunken, erinnerte sich Cas, trotz der Tatsache, dass es in der Feuerwache nie einen Mangel an Alkohol gegeben hatte. John Winchester war ein alarmierend schwerer Säufer gewesen, und das war eine der wenigen Sachen, über die sich Sam bei Dean ausließ. Er wollte nicht sehen, wie sein älterer Bruder der schwierige Alkoholiker wurde, der ihr Vater war.

Von daher gab es Cas definitiv allen Grund zur Beunruhigung, als er Sam dabei zusah, wie er sich so beiläufig Drinks hinterkippte.

,,Er hat nach dir gesucht", platze Sam heraus.

,,Was?"

,,Nachdem du gegangen bist. Er hat nach dir gesucht. Aber deine Familie wusste nicht, wo du hingegangen warst, und du hast dein Handy in der Feuerwache gelassen."

,,Ich musste gehen, Sam. Er hat mit diesem Mädchen geschlafen, und ich konnte nicht..." Cas seufzte. ,,Du konntest von mir nicht erwarten, dass ich bleiben würde. Er hat an diesem Morgen da gestanden und mir gesagt, er liebe mich nicht. Was hätte ich deswegen tun sollen? Er ist fremdgegangen, Sam, und hat mir das Herz gebrochen. Er wollte mich rauswerfen. Also habe ich ihm das gegeben, was er wollte, und bin gegangen."

,,Er ist in Panik geraten. Zwischen euch beiden ist es ernst geworden. Er hat auf lange Zeit gedacht und entschieden, dass du ihn auf gar keinen Fall so lange haben wollen würdest. Also hatte er seine große Bindungsangst und ist durchgedreht. Er hat die nächsten drei Tage mit dem Versuch verbracht, dich zu finden. Wir haben mit Privatdetektiven geredet und alles."

,,Was ist nach drei Tagen passiert, dass ihn mit der Suche hat aufhören lassen? Ich war eigentlich noch gar nicht so weit gekommen. Ich habe bei einem Freund in Cockeysville gewohnt."

Ein sehr düsterer Ausdruck legte sich auf Sams Züge. ,,Ja." Er rieb sich mit einer seiner großen Hände das Gesicht und gab der Kellnerin ein Signal für einen fünften Drink.

,,Denkst du nicht, dass du aufhören solltest? Du hattest bereits eine ganze Menge."

Sam sah überrascht aus. ,,Ja, ich schätze, ich sollte. Aber das ist schlimmes Zeug, Cas. Ich will es nicht noch einmal erleben, weißt du? Also lass mich noch den einen haben und dann werde ich keinen mehr bestellen, okay?"

,,Okay."

,,So, äh. Scheiße. Ich sollte dir das nicht einmal erzählen. Das ist nicht meine... Ach, scheiß drauf." Sam holte tief Luft. ,,Drei Tage, nachdem du gegangen warst, war ich drüben im Roadhouse und habe Jo und Ellen geholfen, ein paar Dinge umzuräumen. Dean war in der Feuerwache geblieben. Er war sehr entschlossen. Er wusste, dass er es versaut hatte, und Gott, Cas, er hat dich so vermisst. Er hat den ersten Tag damit verbracht, sich zu betrinken. Der nächste Tag war der 11. September, und an dem Abend entschied er, dass er dich finden musste. Also begann er am nächsten Tag alle aus deiner Kontaktliste anzurufen. Wir verabredeten uns mit einem Privatkommissar. Er war entschlossen, dich zu finden. Ich habe ihn noch nie so – engagiert gesehen."

Er nahm einen weiteren Schluck von seinem Drink. ,,Ellen rief mich an, fragte, ob ich rüberkommen und im Roadhouse aushelfen könne. Eine Stunde, nachdem ich gegangen war, kam Benny rein und sagte, dass ein rostiger, alter Truck mit West Virginia Kennzeichen vor der Feuerwache stehe. Ich wusste, dass es mein Vater war. Ich erinnere mich, wie ich die Straße hochgerannt bin und die Tür aufgestoßen habe, gerade rechtzeitig, um zu sehen..."

Sam schluckte laut. Seine Augen füllten sich mit Tränen, als er sich auf die Unterlippe biss. ,,Gott, Cas. Er hat ihn geschlagen. ,,Mein Vater... Sie hatten offensichtlich gekämpft. Dean hatte eine blutige Lippe und Nase, und mein Vater hatte auch ein paar Schläge eingesteckt, aber ich bin da reingestürmt, gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie mein Vater ein Holzbrett hochhob." Sam schluckte erneut und schüttelte den Kopf, während er die Tränen zurückblinzelte und sich mit einer Hand über sein Gesicht fuhr. ,,Ich habe eine Warnung ausgerufen, doch ich war zu spät. Er traf Dean an der rechten Seite seines Gesichts. Hart." Sams Hand zitterte, als er nach seinem Glas griff. ,,Direkt unter dem Ohr, etwas weiter zum Hinterkopf hin." Sam hob seine eigene Hand an sein Gesicht, um Castiel zu zeigen, was er meinte.

Cas sagte nichts, war von Sams Geschichte so schockiert, dass ihm keine Worte einfielen.

,,Und Dean, er ist, er ist einfach zusammengesackt. Seine Beine haben nachgegeben und er konnte sich nicht mehr aufrecht halten. Ich bin zu ihm rüber gerannt. Er blutete aus seinem Ohr und seinem Hinterkopf und er war so...", Sam erschauderte. ,,Er war so verdammt verstört. Er konnte nicht reden, konnte sich nicht bewegen."

,,Mein Gott..."

,,Ja. Ich erinnere mich nicht an viel mehr. Ich weiß, dass Benny kam und sich auf meinen Vater setzte, bis die Bullen da waren." Er trank die letzten Reste seines Drinks. In seinen Augen glitzerten noch die Tränen. ,,Ich hatte noch nie in meinem Leben so viel Angst, Cas."

,,Was ist dann passiert?", hakte Cas vorsichtig nach.

,,Saß stundenlang im Krankenhaus. Nichts. Keine Neuigkeiten. Ich glaube, es vergingen ungefähr acht Stunden, bis wir eine beschissene Sache hörten. Er wurde operiert. Es war einfach einer dieser Momente. Ein perfekter Schlag", sagte er bitter. ,,Dad hat ihn genau richtig getroffen und schwere Schäden verursacht. Dean ist immer wieder zusammengebrochen und sie mussten seinen Kopf öffnen, um die Schwellung und Blutung zu stoppen, und..." Sam nahm einen weiteren tiefen Atemzug. ,,Sie konnten ihn schließlich stabilisieren. Dann verbrachte er den nächsten Monat damit, immer wieder ins Koma zu gleiten und aufzuwachen. Die meiste Zeit wurde er komplett künstlich am Leben gehalten. Beatmungsgerät, Magensonde, das volle Programm. Ständig fing er sich Infektionen ein. Sie haben mir drei verschiedene Male gesagt, dass er die Nacht nicht überstehen werde. Drei Mal sagten sie mir, ich solle auf seinen Tod vorbereitet sein."

Cas konnte nichts weiter tun als Sam anzustarren. Der jüngere Mann war den Tränen nahe. Sein Gesicht war ein offenes Buch und so voller Emotionen, dass es wehtat, ihn anzusehen.

,,Dann begann er...zu reagieren. Fing an aufzuwachen. Er konnte nicht reden, doch er hatte die Augen geöffnet und starrte mich einfach an. Die nächsten acht Monate verbrachte er in einer Rehaklinik, lernte wieder, wie man spricht und geht und isst. Und während all dem sagten mir die Ärzte immer wieder, dass er nie mehr derselbe sein werde, dass er durchgängige Pflege brauchen werde, dass er nie wieder komplett selbstständig sein werde." Sam lächelte, ein richtiges Lächeln, und sagte: ,,Aber als ich das alles Dean erzählte, meinte er ,Scheiß auf die.' Und zwei Jahre später ging er wieder zur Uni, um seinen Lehrabschluss zu beenden, holte sich seine eigene Wohnung und begann wieder sein Baby zu fahren. Er war entschlossen, wieder zur Normalität zurückzukehren. Und das ist er. Größtenteils."

,,Größtenteils?"

Sam schnitt eine Grimasse. ,,Er ist nie wirklich wieder derselbe geworden. Er ist still und reserviert und hat irgendwie... Keine Ahnung. Er hat etwas verloren. Vielleicht war es dein Verlust, vielleicht die Verletzung, vielleicht der Verlust des Zeichnens..."

,,Er sagte, er habe mit dem Zeichnen aufgehört, weil ich gegangen sei. Und Ellen meinte, dass er nicht lange nach meinem Weggang ins County gezogen sei. Ich bekomme hier ein paar sehr verwirrende Informationen", sagte Cas mit hochgezogener Augenbraue.

,,Naja, nichts für ungut, aber ich schätze, Ellen dachte vielleicht, dass dich das nichts angehe. Und nein, er hat nicht mit dem Zeichnen aufgehört. Er kann nicht zeichnen. Zumindest nicht so wie vorher. Er fängt ein Projekt an, aber es gelingt nicht so, wie er es sich vorgestellt hat. Dann wird er total depressiv und wütend und...hört einfach auf. Die Ärzte meinten, einige der kreativen Bereiche seines Gehirns seien beschädigt, doch wenn er weiterüben würde, würde sie wahrscheinlich zurückkommen. Er kann noch Klavier und Gitarre spielen. Ich weiß nicht, Cas, vielleicht sind es 50% nicht können und 50% nicht wollen. Es ist Dean. Er ist immer noch genauso dickköpfig wie gehabt. Verdammt, es ist diese Dickköpfigkeit, die ihm half, gesund zu werden."

,,Hattest du jemanden um dich herum, der dir helfen konnte?"

,,Ja, Bobby und Ellen, und Jo, Benny, Pam und Tessa." Sam lächelte traurig. ,,Tessa ist jetzt nicht mehr da. Krebs."

,,Ja, hat mir Ellen erzählt."

,,Ich bin froh, dass du sie besucht hast."

,,Ja. Hab mir ganz schön was anhören müssen, wie du dir vielleicht vorstellen kannst."

,,Oh ja, kann ich." Sam schmunzelte. ,,Ich – wir – schulden ihnen so viel. Sie haben eine zweite Hypothek für das Restaurant aufgenommen und ihre Wohnung in Ocean City verkauft, um Deans medizinische Rechnungen zu bezahlen. Und Dean will sie nicht einmal sehen. Pisst mich an, aber ich weiß, dass er seine Gründe hat. Er will einfach so weit wie möglich von Remington fernbleiben."

,,Was ist mit eurem Vater passiert?"

Sam stieß einen weiteren schweren Seufzer aus. ,,Naja, Dean war für eine Aussage nicht in der Lage, also waren wir besorgt, dass Dad davonkommen würde. Doch Michael..."

,,Michael? Michael wusste Bescheid? Er hat nie ein Wort gesagt!"

,,Ähm, ich weiß nicht warum, aber, ich meine, du warst mehr oder weniger von der Bildfläche verschwunden, Cas."

,,Ich habe seit fast fünf Jahren nicht mehr mit meiner Familie gesprochen. Trotzdem hätte ich gedacht, ich meine, Michael und ich standen uns so nahe..." Cas seufzte. ,,Ich bin froh, dass er da war, um euch zu helfen."

,,Er half uns, einen Antrag für Opferunterstützung zu stellen, half mir, mit dem Staatsanwalt fertig zu werden. Benny und ich waren beide bereit, gegen ihn auszusagen. War allerdings nicht notwendig. Dad hat alles gestanden und sich wegen Körperverletzung und einem Haufen anderer Scheiße schuldig bekannt. Er sitzt in Jessup. Wird es für eine lange Zeit. Ich besuche ihn einmal im Monat oder so. Er ist ein trauriger, alter Mann und hasst sich. Außerdem will er wirklich dringend Dean sehen. Er möchte sich entschuldigen. Dean, wie du dir vorstellen kannst, will nichts mit ihm zu tun haben."

Stille senkte sich über den Tisch. Sam zupfte an der Tischdecke, seine Fingernägel zogen an einem losen Faden. Cas saß stumm da und verarbeitete alles, was Sam ihm erzählt hatte. Sein Herz tat bei dem Gedanken daran weh, was Dean alles durchgemacht hatte.

,,Ist er glücklich?", fragte er schließlich. ,,Du kennst ihn besser als jeder andere. Ist er glücklich, Sam?"

Der andere Mann antwortete nicht. Er spielte mit seinem Besteck herum, bewegte seine Serviette umher und wischte Wasser von seinem Glasrand. Sam checkte sein Handy und runzelte bei einer Nachricht die Stirn. Er weigerte sich, Cas' Blick zu begegnen, und die Stille am Tisch nahm einen Zug von Anspannung an.

Die Kellnerin brachte die Rechnung und Cas bezahlte, während er auf die Nachricht antwortete und wegen der folgenden Rückmeldung noch mehr die Stirn runzelte.

,,Besteht irgendeine Chance, dass du mich fahren kannst? Ich bin zu betrunken."

,,Natürlich. Wohin?"

,,Ellen's." Sam ging nicht näher darauf ein.

,,Okay."

Sie standen auf, holten ihre Jacken und Mitnehmboxen. Cas war dabei, das Restaurant zu verlassen, stoppte aber, als Sam ihm seine große Hand auf die Schulter legte. Er drehte sich um, sofort perplex über die Eindringlichkeit in haselnussbraunen Augen.

,,Nein, Cas. Er ist nicht glücklich. Nicht so, wie er es mit dir war." Er glitt in seine Jacke und zog den Reißverschluss hoch. ,,Und wenn du es wieder gut machen willst, nun, du hast ungefähr zwei Wochen, um etwas deswegen zu unternehmen."

Er ging aus dem Bistro, trat auf den Bürgersteig hinaus und ließ Cas verblüfft und sprachlos hinter sich.

_____

November, 2000

Dean blies ein wenig Luft in Cas' Ohr.

,,Hör auf, du Blödmann."

Er leckte Cas' Hals.

,,Ich schwöre, so wahr mir Gott helfe..."

Finger kitzelten seine Seiten.

,,Dean Winchester, wenn du diesen gottverdammten Kuchen irgendwann diesen Jahres fertig haben möchtest, schlage ich vor, dass mmff!"

Cas schmolz in Deans Umarmung. Die Lippen seines festen Freundes lagen weich auf seinen. Deans Hände glitten unter den Saum von Cas' Sweatshirt und seine Finger fuhren Muster auf seiner Haut nach.

Als sie sich wieder trennten, grinste Dean. ,,Hi."

,,Hallo, Dean. Das hast du vor zehn Minuten gesagt. Also? Da ist stahlblaue Farbe auf deiner Augenbraue."

,,Das ist nichts Neues. Arbeite an Raphs gruseligen, zerschmetternden Augen. Wann wird der Kuchen fertig sein?" Er lehnte sich vor, knabberte an Cas' Hals und versuchte seine Hand an Cas vorbeigleiten zu lassen, um Kuchenteig zu ergattern.

,,He! Nein. Ich brauche diesen Teig, du Idiot!

Dean schmunzelte. ,,Ach, komm schon, nur ein bisschen?"

,,Nein!"

,,Ach Mann." Dean gab vor, beleidigt zu sein. ,,Schätze, ich muss einfach warten, bis er fertig ist", sagte er traurig.

Castiel drehte sich wieder zur Theke und rollte den Teig fertig aus. Dean drückte seine Brust an Cas' Rücken, starke Arme schlangen sich um seine Taille. Er presste süße, kleine Küsse auf Cas' Hals und summte irgendeine leise Melodie vor sich hin.

,,Because maybe, you're gonna be the one that saves me", sang er in sein Ohr, ,,and after all, you're my wonderwall."

Er konnte nicht anders als zu lächeln, als Dean weiterhin an seinen Hals summte und zwischen sanften Küssen kleine Bruchstücke des Liedes entschlüpften.

Zwei Wochen.

Die besten zwei Wochen in Castiels Leben. Dean war aufmerksam und süß und alles, was sich Cas je in einer Beziehung gewünscht hatte. Sie waren widerlich glücklich; etwas, worauf Jo und Sam scheinbar unnatürlich gerne hinwiesen.

Meistens schliefen sie in Cas' Zimmer, weil Deans Matratze beschissen war und der Raum zwischen Cas' und Sams Zimmer so etwas wie einen Geräuschdämpfer darstellte. Nicht, dass es Sam stoppte, sich über Töne aus dem Mund seines Bruders zu beschweren, die er in seinem ganzen Leben lieber nicht gehört hätte.

Sam hatte sich eingelebt. Seine perfekten Noten und Deans Versprechen, ein neues Porträt des heiligen Schulpatrons St. Franz von Assisi zu zeichnen, hatten Sam einen kostenlosen Platz im Seniorkurs an der Archbishop Curley eingebracht, eine von Baltimores besten Privatschulen. Mit seinen Träumen von Hopkins und seinen alten Büchern passte er perfekt zu den High School Jungen. Er schloss bereits gute Freundschaften und liebte seine Lehrer.

Der Emazipationsprozess hing noch über ihren Köpfen; Dean war deswegen weitaus besorgter als Sam. Sam war sich sicher, dass alles klappen würde. Dean wartete auf die nächste Hiobsbotschaft. Aber sie machten weiter mit ihren Leben, und das Leben in der Feuerwache war lustig und entspannend.

Sie schmiedeten Pläne für Thanksgiving in nur einer Woche. Castiel hatte keinerlei Absicht, zu seiner Familie nach Hereford zu fahren, und Sam und Dean hatten garantiert nicht vor, John in West Virginia zu besuchen. Ellen und Bobby hatten sie und Benny eingeladen, den Tag in ihrer Wohnung über dem Roadhouse zu verbringen.

,,Ich brauche jetzt Kuchen", jammerte Dean über seine Schulter.

Cas trug die obere Kruste auf und drückte die Ränder zusammen. ,,In fünfundvierzig Minuten. Du kannst so lange warten." Er schnitt ein Pluszeichen in die Mitte der Kruste, um die Hitze herauszulassen, und schob den Apfelkuchen in den Ofen. Dann stellte er den Wecker. ,,Fünfundvierzig Minuten. Du wirst es überleben." Er grinste.

Dean seufzte dramatisch und steuerte auf das Klavier zu. Er ließ sich auf die Banken plumpsen und begann auf die Tasten zu drücken. ,,Dummes Oasis. Kann diesen verdammten Song nicht aus dem Kopf bekommen." Wonderwall erklang vom Klavier. Dean summte bei den Tönen mit und sang kleine Bruchstücke des Songs. Cas ließ sich auf der Couch gegenüber vom Klavier nieder, damit zufrieden, Dean beim Spielen zuzusehen, obwohl er wusste, dass er für die Halbjahresprüfungen lernen sollte.

,,Mir gefällt das Lied."

,,Ja? Okay." Dean spielte es ein wenig länger. Sein Blick schweifte zu Cas, während seine Finger über die Tasten tanzten. ,,Ich werde es dir nicht vorsingen", sagte er nachdrücklich.

,,Sicher", antwortete Cas gelassen.

Dean schnaubte. ,,And all the roads we have to walk are winding. And all the lights that lead us there are blinding. There are many things that I would like to say to you, but I don't know how." Dean hörte zu spielen auf und bewegte sich von der Bank zum Sofa. Er sank bei Cas' Füßen zu Boden und kroch an seinem Körper hoch, während er die ganze Zeit ,,Because maybe, you're gonna be the one to save me." sang. Dean lehnte sich vor und küsste Cas. ,,And after all, you're my wonderwall."

Cas zog ihn zu sich heran, fuhr mit den Händen über seine Brust und zog das Shirt hoch und aus. Sanfte Küsse gingen in etwas Stürmischeres über.

,,Gott, Jungs, euch stehen zwei Zimmer zur Verfügung. Das ist verdammt ekelig." Sam ließ seine Büchertasche auf die Küchentheke fallen.

Dean vergrub das Gesicht in Cas' Brust. Seine Schultern bebten durch das lautlose Lachen. ,,Hallo, Sam", rief Cas. ,,Wie war die Schule?"

,,Ziemlich gut. Hab einen Berg an Hausaufgaben auf."

Dean befand es als aussichtlose Sache, kletterte von Cas herunter, hob sein Shirt auf und zog es an. Er ging in die Küche hinüber, um mit Sam zu reden. Ihre Stimmen waren leise und verschwörerisch. Cas' neu gekauftes Handy summte. Er hatte eine Nachricht von Michael.

,,Hey, Jungs? Michael parkt gerade das Auto. Meinte, er kommt hoch, weil er uns etwas zu zeigen hat."

Die Augen der beiden Winchester-Brüder weiteten sich.

,,Denkst du, dass es was wegen der Emanzipation ist?"

,,Vielleicht", sagte Dean langsam. ,,Schätze, das werden wir gleich herausfinden."

Michael ließ nicht auf sich warten. Er erschien ungefähr zehn Minuten später. Seine blauen Augen funkelten und er hatte ein Lächeln auf dem Gesicht. ,,Also, ich hab heute ein Packet bekommen." Er legte eine Aktenmappe auf die Theke. ,,Dein Vater hat die Papiere unterschrieben und deine Schulunterlagen geschickt. Du bist ein freier Mann, Sam Winchester."

Sams Gesicht leuchtete auf. ,,Wirklich? Einfach so?"

,,Jap. John hat die Emanzipationseinwilligung nicht angefochten. Er hat sie unterschrieben und zurückgeschickt. Das war's. Du bist ein freier Mann", sagte er erneut.

Sam stieß die Faust in die Luft und ließ einen lauten Freudenschrei vernehmen. Dann drehte er sich um, packte Dean und zog seinen älteren Bruder in eine feste Umarmung.

,,Herzlichen Glückwunsch, Sam!", sagte Cas freudig.

,,Freu mich für dich, Sammy", murmelte Dean. Seine Stimme wurde durch Sams Schulter gedämpft.

,,Komm schon, lass es uns Bobby und Ellen erzählen", meinte Sam aufgeregt. Dean warf Cas ein entschuldigendes Grinsen zu, als Sam ihn zum Treppenhaus zog.

,,Bin gleich zurück", rief er. ,,Und lass diesen Kuchen nicht anbrennen!"

Michael schmunzelte. ,,Schön, auch mal gute Neuigkeiten zu überbringen. Diese beiden brauchen ein paar gute Neuigkeiten."

,,Allerdings." Cas ging in die Küche und öffnete den Ofen, um den Kuchen zu überprüfen. ,,Möchtest du zum Abendessen bleiben, Michael?"

,,Nein, ich muss nach Hause. Hör mal, Castiel", sagte er leise. ,,Ich habe Mom von Sam und Dean und ihrer Situation erzählt, und sie möchte, dass ich dir sage, dass du sie zu Thanksgiving mitbringen sollst."

,,Nein", sagte Cas ausdruckslos.

,,Ich glaube nicht, dass dir hier wirklich eine Wahl gelassen wird, Bruder. Da war eine ungenaue Erwähnung von wegen 'es dir zu streichen', was, schätze ich, auf deinen Unterhaltszuschuss anspielt. Es ist nur ein Abendessen, wie schlimm kann das schon werden?"

,,Dean und ich daten."

,,Oh."

,,Ja."

,,Naja, du musst das nicht erwähnen", schlug Michael entschuldigend vor.

,,Wird Luc da sein?"

,,Nein."

,,Hmm."

,,Castiel..."

,,Ich werde darüber nachdenken und es mit Dean diskutieren. Und ich werde es dich wissen lassen."

Michael lächelte erneut und richtete seine rote Krawatte. ,,Nun, mehr als das kann ich nicht von dir verlangen. Hoffentlich sehe ich dich dort." Er klopfte auf seine Aktenmappe. ,,Sam sollte das mal durchsehen. Da sind ein paar Broschüren von einigen Universitäten drin. Ich habe auch 'Hopkins' auf einer stehen sehen. Erinnere ihn daran, dass ich ein ehemaliger Schüler von ihnen bin. Könnte ihm helfen, ein wenig Unterstützung zu erhalten, falls er angenommen wird."

,,Werde ich. Und danke, Michael. Ich weiß, dass sie es zu schätzen wissen, aber ich kann dir gar nicht genug danken, dass du Sam und Dean hilfst."

,,Kein Problem." Er umarmte Cas flüchtig. ,,Bis dann, kleiner Bruder."

,,Jap."

Michael verschwand im Treppenhaus, und Cas lehnte sich gegen den Herd. Thanksgiving zu Hause. Das wäre mal etwas Neues.

Er fragte sich, ob Sam und Dean Winchester für die Naturgewalten namens James und Amelia Novak bereit waren. Cas lachte. Das Geräusch hallte von den Wänden der leeren Feuerwache wider.

Die bessere Frage war, ob seine Eltern auf Dean Winchester vorbereitet waren.

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